Che Guevara war ein Mörder

von Rafael David Kohn

„Unsichtbar: Millionen Menschen mit Bildung ohne Arbeit, unsichtbar: Männer und Frauen über Fünfzig, die mit dem Jugendwahn nicht mithalten können. Unsichtbar: Jugendarbeitslosigkeit, dank Praktikum Nummer 25. Unsichtbar auch die Demokratie, Parlamente, die nichts zu melden haben, Abgeordnete, die nur mehr Gewerkschaftsbeirat des Überunternehmens Staat sind.“

Der Protagonist reiht sich auf seine Art und Weise in die Liga der Unsichtbaren ein. Arbeitslos, kein Recht mehr auf Stütze, von seiner Frau verlassen, finanziell abhängig von der Rente seiner Eltern verliert er mehr und mehr sein Gesicht, seinen Stolz, seinen Platz in der Gesellschaft.

Er reflektiert über die Macht und die Machtlosen, die Verlassenen und die Verlassenden, den Sinn und den Unsinn der Liebe. Die intellektuelle Fähigkeit, sein eigenes Leben und das Treiben der Gesellschaft zu analysieren, besitzt er zur Genüge. Gleichwohl diese Erkenntnisse seinen Blick für das Wesentliche und Wichtige schärfen, scheint er dies nicht zu seinem Vorteil nutzen zu können. Er kann nicht aus seiner Haut, aus seinem Leben am Rande der Gesellschaft.

Schließlich wählt er Gewalt als Form der Revolte gegen die Scheinwelt, die Scheinheiligkeit, die Oberflächlichkeit der Gesellschaft, um ausdrucksstark aus dieser herauszubrechen. Doch seine Gewaltbereitschaft ist eine Spirale, die die Unsichtbarkeit nur noch fortsetzt. Nicht einmal ein Verbrechen lässt ihn sichtbar für die Gesellschaft werden. Im Gegenteil! Es verstärkt seine Unsichtbarkeit. Denn seine Tat wird nicht nennenswert bestraft. Ihm wird als Verbrecher ebenso wenig Beachtung geschenkt, wie als Arbeitslosem.

Erschreckend ehrlich wirft Rafael David Kohn einen Blick auf Gesellschaft und die Kriterien, die einen zum Verlierer abstempeln. Der Autor scheut nicht die Auseinandersetzung mit Tabuthemen wie käuflicher Liebe, Einsamkeit, Gewalt aus Langeweile, oder aus einem Machtwillen heraus. Seine Sprache ist direkt, die Beschreibungen unmissverständlich. Die Erzählung im Ich-Stil scheint gewählt, um die Figur des Protagonisten nahbarer zu machen, um zu zeigen, wie schnell jeder von uns unsichtbar für die Gesellschaft werden kann.

Es ist die Geschichte hinter der Geschichte, die so beeindruckend ist: die Reflektionen, die den Protagonisten dazu führen, einschneidende Lebensentscheidungen zu treffen. Auch die Vielfalt an Themen, die der Autor knapp und doch tiefgreifend auf den 93 Seiten des Buches mit einer Schnelligkeit und auf den Punkt genau aufgreift, decken alles ab. Es bedarf keiner vielschichtigen Beschreibungen. Feinheiten in der Sprache laden regelrecht zum mehrmaligen Lesen ein. Viele Geschehnisse lassen aufhorchen und stimmen nachdenklich. „Unsere Freiheit ist die, die wir einander schenken.“

Es gehört Mut dazu, sich offen mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, ohne dabei aufdringlich, rechthaberisch und besserwisserisch zu erscheinen, und seine Meinung kund zu tun, auch auf die Gefahr hin, ein eher unkommerzielles Buch zu schreiben. Um es mit der Philosophie des Autors zu sagen: „Der moralische Anker unserer Gesellschaft ist längst weg. Das Schiff treibt ohne Kurs und wir lassen uns treiben, was richtig und was falsch ist, wissen wir längst nicht mehr. Ich weiß nur, Moral ist richtig zu handeln, auch wenn es zu meinem Nachteil ist.“

 

Rafael David Kohn, geboren am 16. Juli 1980 in Esch/Alzette studierte Politikwissenschaften und Geschichte in Trier sowie Szenisches Schreiben für Theater, Hörspiel und Drehbuch an der Universität der Künste Berlin. Er arbeitet als freier Autor und Regisseur in Luxemburg, Rumänien und im Togo. (Quelle : Hydre Covertext) Seine Aufführungen am Berliner Arbeitertheater, Maxim Gorki Theater in Berlin, am Théâtre national de Luxembourg und der Kulturfabrik in Esch/Alzette hinterlassen in der Theaterszene ihre Spuren. Che Guevara war ein Mörder ist sein erster längerer Prosatext.

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