- Klima
CO2-Abgabe in der Schweiz: Vorbild oder Alibi?
Seit 2008 hat Kohlendioxid in der Schweiz einen Preis. Ein sozialer Ausgleich schafft Gerechtigkeit. Doch auch die Alpenrepublik verfehlt ihre Klimaziele. Was man dennoch von diesem Modell lernen kann.
In Deutschland, in Luxemburg und in anderen Ländern wird derzeit heftig über eine CO2-Steuer gestritten, die Schweiz ist schon sehr viel weiter. Dort wurde bereits 2008 eine Abgabe auf Kohlendioxid eingeführt. Nach mehr als zehn Jahren Erfahrung mit dieser „Lenkungsabgabe“ sind die Erfahrungen allerdings zweischneidig: Einerseits zeigt das Schweizer Modell durchaus, dass ein CO2-Preis Wirkung entfaltet und von der Bevölkerung akzeptiert wird, wenn er an diese zurückfließt. Andererseits kritisieren nicht wenige Klimaschützerinnen und Klimaschützer die Schweizer CO2-Abgabe sogar als Alibi-Veranstaltung. Denn wie Deutschland verfehlt auch die Schweiz ihre Klimaziele.
Aber der Reihe nach. Seit zwei Jahrzehnten wird in der Schweiz der Grundgedanke diskutiert, das Treibhausgas Kohlendioxid mit einem Preis zu versehen und jährlich zu verteuern. Damit soll der Anreiz wachsen, den Ausstoß des Klimagases zu verringern. Am 1. Januar 2008 fiel der Startschuss: Die Schweiz führte eine CO2-Abgabe auf die fossilen Brennstoffe Öl und Erdgas ein. Bei der Einführung betrug der Preis für eine Tonne Kohlendioxid umgerechnet etwa elf Euro. In den Jahren 2013, 2015 und 2017 wurde die Abgabe erhöht. Heute beläuft sie sich auf etwa 85 Euro pro Tonne CO2. Die Abgabe macht 21 Prozent des Preises für Heizöl und zwölf Prozent des Erdgaspreises aus.
Um die Akzeptanz der Abgabe zu erhöhen, beschloss die Schweizer Regierung (seit 1959 m.E. immer eine Koalition aus Konservativen, Liberalen, Christdemokraten und Sozialdemokraten) ein trickreiches System von Geben und Nehmen – und von Ausnahmen: Erhoben wird die Abgabe von den Energielieferanten, nicht von den Endverbrauchern. Da die Energieunternehmen die Lenkungsabgabe jedoch auf die Preise aufschlagen, trifft sie die Verbraucherinnen und Verbraucher dennoch. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Um den Widerstand der Wirtschaft gering zu halten, wurden energieintensive Großbetriebe von der Abgabe ausgenommen.
Trotz der Kompromisse sehen ökologisch motivierte Anhängerinnen und Anhänger der Abgabe wie Reto Burkard vom Schweizerischen Bundesamt für Umwelt große Vorteile. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte er: „Das ist eben keine Steuer, sondern eine Lenkungsabgabe. Das heißt, das Geld geht nicht zum Staat, sondern wird wieder an die Bürger zurückverteilt.“ Konkret flossen 2018 knapp ein Drittel der Gesamteinnahmen aus der CO2-Abgabe in Höhe von 1,1 Milliarden Euro in ein Programm zur energetischen Sanierung von Gebäuden, ein weiterer kleiner Teil in einen Fonds zur Entwicklung neuer Technologien. Die verbleibenden rund zwei Drittel wurden den Bürgerinnen und Bürgern im Jahre 2019 zurückgegeben: alle, Kinder eingeschlossen, erhielten den gleichen Betrag. Das waren umgerechnet etwa 65 Euro pro Person.
Gerne rechnet die Schweizer Regierung vor, dass die meisten Menschen durch die Rückzahlungen der Abgabe entlastet würden – abgesehen von denen, die sehr viel heizen. Nach einer Musterrechnung kam eine vierköpfige Familie im Jahre 2017 auf Heizkosten von durchschnittlich etwa 1.800 Euro. Davon entfielen etwa 210 Euro auf die CO2-Abgabe. Gleichzeitig erhielt die Familie im Folgejahr Quartalsrückzahlungen in Höhe von jeweils 65 Euro, also insgesamt 260 Euro. Ein Gewinn für alle, die nicht exorbitant geheizt haben. „Deshalb ist die CO2-Lenkungsabgabe in der Schweiz ein breit anerkanntes Instrument in der Klimapolitik und wird nicht mehr in Frage gestellt“, sagt Reto Burkard.
Alles paletti also? Beileibe nicht. Denn in der Schweiz wird gerade kräftig über die Wirksamkeit der CO2-Abgabe gestritten. Der Grund: Auch die Schweiz läuft Gefahr, ihre Klimaziele zu verfehlen, die darin bestehen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Kritikerinnen und Kritiker führen dies unter anderem auf zwei Versäumnisse bei der Ausgestaltung der CO2-Abgabe zurück: Zum einen wurde sie nicht so konsequent erhöht, dass sich Investitionen in erneuerbare Heiztechnologien lohnen. Zwar werden 80 Prozent aller Neubauten ohne jeden CO2-Ausstoß beheizt. Gleichzeitig rechnete der Züricher Tages-Anzeiger am 19. Juni dieses Jahres vor, dass „auf dem Gebiet des Kantons Zürich noch weit mehr als die Hälfte der Häuser mit Öl und Gas geheizt werden. Über zwei Drittel der Züricher Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer bleiben selbst dann fossilen Energien treu, wenn sie eine defekte Heizung ersetzen müssen“. Ihre Begründung: Trotz CO2-Abgabe komme sie dies immer noch billiger als komplett auf erneuerbare Heizenergie umzusteigen.
Der größte Nachteil der CO2-Abgabe liegt jedoch darin, dass sie auf wichtige Quellen des Kohlendioxid-Ausstoßes gar nicht erhoben wird: auf die Treibstoffe Benzin und Diesel. Immerhin ist der Faktor Verkehr für ein Drittel des Kohlendioxid-Ausstoßes der Schweiz verantwortlich, ähnlich wie in Luxemburg oder Deutschland. Die Ausnahmen für Diesel und Benzin verwundern schon deshalb, weil gerade die Alpenrepublik über ein fast vorbildliches öffentliches Verkehrsnetz verfügt. Es gibt kaum einen Ort in der Schweiz, der nicht perfekt mit Bus oder Bahn erreicht werden könnte. Während man den Verbrauch von fossiler Heizenergie nur durch Frieren oder teure Investitionen senken kann, liegt die Alternative zu Auto und Flugzeug vor der Haustür.
Reto Burkard sagt klar, warum die CO2-Abgabe auf Treibstoffe nicht erhoben wurde: „Es fehlten einfach die politischen Mehrheiten, um Diesel und Benzin zu belasten“. Auf gut Deutsch: Der Widerstand der schweizerischen Erdölbranche und der Autolobby war zu groß. Stattdessen ließ sich die Politik auf einen faulen Kompromiss ein, den die Autolobby vorgeschlagen hatte: Statt der Abgabe wurde auf einen Liter Treibstoff ein „Klimarappen“ von 1,2 bis 1,8 Eurocent eingeführt, je nach Art des Treibstoffs. Zum Vergleich: Würde der heutige Preis von 85 Euro pro Tonne Kohlendioxid auch auf fossile Treibstoffe erhoben, dann wäre jeder Liter um knapp 30 Eurocent teurer.
Viele engagierte Klimaschützerinnen und Klimaschützer kritisieren die CO2-Abgabe in der Schweiz denn auch als Alibi, das eine vernünftige Klimapolitik nur vorspielt. Diese scharfe Kritik unterschlägt jedoch, dass das „Schweizer Modell“ einer Lenkungsabgabe durchaus vorführt, wie eine CO2-Abgabe mit der Zustimmung der Bevölkerung eingeführt werden kann: nämlich so, dass die Erträge in Alternativen investiert und – zu einem großen Teil – an die Bevölkerung zurückgegeben werden. Eine echte Lenkungswirkung entfaltet die Abgabe dann aber nur, wenn sie konsequent auf alle fossilen Produkte erhoben wird, sodass die Menschen am meisten von der Rückzahlung profitieren, die ihren Verbrauch entsprechend umstellen. Der eher geringe Erfolg der Schweizer Klimapolitik liegt auch daran, dass die CO2-Abgabe auf Heizenergie beschränkt blieb, die alle sowieso benötigen.
Können andere Länder vom Schweizer Modell einer CO2-Abgabe lernen? Die Antwort: Ja, aber nur, wenn sie es nicht kopieren, sondern die Abgabe konsequent erheben und mit Verboten und Geboten kombinieren. Drei Bedingungen machen eine C02-Abgabe zu einem elementaren Teil einer wirkungsvollen Klimapolitik:
- Die CO2-Lenkungsabgabe lenkt dann besonders wirkungsvoll, wenn sie – ohne Ausnahmen – auf alle fossilen Produkte erhoben wird, und dies auch von Großunternehmen. Sie muss zudem kalkulierbar verteuert werden. Damit sich alle auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen können, kann die Abgabe mit einem geringen Satz beginnen. Erst wenn klar ist, dass der Preis für Kohlendioxid jedes Jahr um einen bestimmten Satz steigt, lohnt es sich für Unternehmen und Privathaushalte, bei allen langfristigen Investitionen auf einen möglichst geringen Verbrauch fossiler Energie zu achten.
- Erst wenn die Einnahmen aus der CO2-Abgabe eine gewisse Höhe erreicht haben, werden die Rückzahlungen an die Bürgerinnen und Bürger so hoch, dass sie als Belohnung für ein klimaverträgliches Wirtschaften und Konsumieren wahrgenommen werden. Erst wenn klimaschädliche Flüge, das Autofahren und der Wegwerfkonsum richtig teuer und Bahn- und Radfahren, Recycling und Abfallvermeidung günstig und einfach werden, kann ein Klimaschutz, der diesen Namen auch verdient, zum integralen Bestandteil des Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens werden.
- Die CO2-Abgabe führt umso schneller zu einer klimaverträglichen Wirtschaft, je stärker der Staat gleichzeitig fossile Techniken beschränkt und in klimaverträgliche Alternativen investiert: Würde die Schweizer Regierung Ölheizungen ab einem bestimmten Zeitraum verbieten, dann wäre der Anreiz für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer schon jetzt größer, in eine Heizversorgung mit einem möglichst geringen Ausstoß von Kohlendioxid zu investieren. Oder auf den Verkehr bezogen: Je dichter der öffentliche Verkehr wird, je mehr Raum Menschen erhalten, die mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind, desto mehr werden (und können) das Autofahren einschränken, wenn es jährlich teurer wird.
So entscheiden die Rahmenbedingungen darüber, ob eine CO2-Abgabe wirklich ein Anreiz darstellt, um die Grundstrukturen einer fossilen Wirtschafts- und Lebensweise so zu verändern, dass langsam, aber sicher in der ganzen Gesellschaft mehr Räume für klimaverträgliches Arbeiten und Leben geöffnet
werden.
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