Commons: „the young man’s vision and the old men’s dream“?

Die Idee der „Krise“ – gleichwohl ob Wirtschafts-, Finanz-, Klima- oder soziale Krise – prägt den politischen und gesellschaftlichen Diskurs zutiefst und wird genutzt, um Restrukturierungen politischer und wirtschaftlicher Natur zu legitimieren. Hierbei handelt es sich aber nicht um unabhängige Krisen, viel eher um sich gegenseitig beeinflussende Knotenpunkte eines gleichen Netzes. Über die vergangenen Jahrzehnte, ja fast Jahrhunderte, schienen genau zwei Lösungen möglich, um strukturelle Probleme zu lösen: Staat oder Markt. Es ist jedoch genau diese Dichotomie, die unsere intellektuelle Kreativität daran hindert, innovative Alternativen für die Zukunft zu schaffen.

Commons ist ein angelsächsischer Ausdruck für „Gemeingut“ oder „Allmende“ und der Sammelband Commons: Für eine Politik jenseits von Markt und Staat1 stellt diesen dritten Weg zwischen Staat und Markt als einen Paradigmenwechsel dar, eine transformative Kraft, die uns auffordert, über das eben erwähnte duale Denken hinauszugehen. Er stellt ganz verschiedene Commons-Initiativen vor und bietet theoretische Ansätze, Analysen und Berichte. Es wird deutlich, dass Commons ein Überbegriff für ein äußerst breitgefächertes Sammelsurium an Ideen und Projekten geworden ist und für Initiativen sehr unterschiedlicher Natur gebraucht wird. Deshalb versuchen wir auch in diesem Dossier zu ergründen was „Commons“ und „commoning“ überhaupt bedeutet und, viel wichtiger, was der Commons-Ansatz mit sich bringt.

1968 veröffentlichte Garrett Hardin seinen Essay „The Tragedy of the Commons“ im Magazin Sciences. Er kommt zum Ergebnis, dass frei verfügbare aber begrenzte Ressourcen nicht effizient genutzt werden, wenn sie der Gemeinschaft zugänglich sind. Anhand von Hirten, die ihre Schafe auf eine nicht in Parzellen abgegrenzte Weide schicken, zeigt er, dass Menschen auf den kurzfristigen Gewinn zielen und die Weide schlussendlich keinen Ertrag mehr bringen kann. Die Tragik der Allmende besteht also darin, dass kurzfristig Einzelne profitieren, aber die Gemeinschaft langfristig die Kosten tragen muss.

Elinor Ostrom, eine US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und führende Forscherin im Bereich der Umweltökonomie, widerspricht Hardins Theorie. In ihrem Buch Governing the Commons2 setzt sie sich mit folgender Frage auseinander: „How can a group of principals who are in an interdependent situation organise and govern themselves to obtain joint benefits when all face temptations to free-ride, shirk, or otherwise act opportunistically?“

Sie erforscht in ihrer Arbeit Wege der Selbstorganisation und nachhaltigen Bewirtschaftung der Gemeingüter. Aufgrund einer Analyse von erfolgreichen und gescheiterten Beispielen (Bewirtschaftung der Hochgebirgsalmen, Bewässerungssysteme, Fischerei) entwirft sie acht Prinzipien, die es erlauben knappe Ressourcen gemeinschaftlich und nachhaltig zu nutzen. Demnach existieren klare und örtlich akzeptierte Grenzen zwischen legitimen Nutzern und Nicht-Nutzungsberechtigten, die Nutzungsregeln sind an lokale und kulturelle Bedingungen angepasst, werden gemeinschaftlich ausgeschafft. Die Ressourcennutzung wird von den Nutzern selbst oder Personen, die den Nutzern rechenschaftspflichtig sind, kontrolliert. Für Regelverstöße gibt es abgestufte Sanktionen und es bestehen schnelle und direkte Konfliktlösungsmechanismen.3

Laut Ostrom bieten diese Prinzipien die Grundlage zur erfolgreichen (Selbst-)organisation. Letztere ist auch der Punkt in dem sich die Commons von öffentlichen Gütern wie Erziehung, Straßeninfrastrukturen oder Gesundheitssystem unterscheiden. Gemeingüter sind „jene Dinge, die Menschen gemeinsam nutzen und verwalten, indem sie, basierend auf Traditionen oder sozialen Normen und Praktiken, ihre eigenen Regeln aushandeln“.4 Ostrom verdeutlicht demnach, dass es sich nicht nur darum handelt, Commons zu managen; es gilt sie nach Commons-Prinzipien zu organisieren. Es geht also auch um zwischenmenschliche Beziehungen, Vertrauen und Kommunikation.

Wie schon angedeutet, bezieht sich der Begriff des Gemeingutes nicht nur auf das natürliche und physische Gemeingut, wie bei Hardin oder Ostrom. Der Begriff hat sich auf viele weitere Bereiche ausgedehnt. Wissen, Kunst, Geld, Mobilität, Software sind einige Commons, die nach den genannten Prinzipien verwaltet werden können. Das folgende Dossier beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Formen, die ein Gemeingut annehmen kann und wie sie in Luxemburg vertreten sind.

Norry Schneider setzt sich mit dem Begriff der Commons auseinander und geht auf die Transition-Bewegung ein. Das Ziel der von Rob Hopkins gegründeten Transition-Bewegung ist es, „resiliente“ Gemeinschaften zu gründen, d.h. Gemeinschaften, die nachhaltig produzieren, konsumieren und vor allem Alternativen zu fossilen Rohstoffen nutzen. Katy Fox zeigt den Unterschied zwischen der von Jeremy Rifkin gepriesenen Sharing Economy und digitalen Revolution beruhend auf innovativen neuen Technologien einerseits und der Ökonomie des kooperativen Lebens andererseits. Sich für das gemeinschaftliche Wohl einzusetzen, nimmt Zeit und Energie in Anspruch, zwei Elemente an denen es in unserer schnelllebigen und von Effizienz getriebenen Zeit häufig fehlt. Das bedingungslose Grundeinkommen – ein fixer Betrag ohne bestimmte Gegenleistung – hinterfragt laut Krya Fischbach unser aktuelles Verständnis von Arbeit. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens schafft die Möglichkeit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen und Tätigkeiten nachzugehen, die einen persönlich erfüllen.

Commons bringen zahllose, sehr unterschiedliche Aspekte des Zusammenlebens unter einen Schirm, so zum Beispiel den öffentlichen Raum, Mobilität, Saatgut und Pflege. In einem Interview mit Laurent Schwaller, Koordinator des öffentlichen Raums der Stadt Luxemburg, wird analysiert, inwiefern es sich beim öffentlichen Raum um ein Commons, das gemeinschaftlich organisiert wird oder werden kann, handelt. Das Centre d’Initiative et de Gestion Local (CIGL) Esch zeigt anhand des Escher VËL’OK, wie Mobilität als Gemeingut verstanden werden kann und die vom CIGL verwalteten Fahrräder dieses Verständnis verkörpern. Der alternative Saatguthersteller Frank Adams untersucht, wie traditionelles Saatgut im Gegensatz zu patentierten Hybridsorten zur Ernährungssicherheit und nachhaltigem Anbau beitragen, und Ulla Peters verdeutlicht, wie Care, das „Füreinander Tätigsein“, und Commons in Verbindung stehen.

Der dritte Teil des Dossiers beschäftigt sich mit den digitalen Commons. Das bekannteste Wissensgemeingut in diesem Bereich ist wahrscheinlich Wikipedia. Wer kennt nicht diese gemeinschaftlich geführte Internetplattform mit Artikeln, die von Internetnutzern erstellt und bearbeitet werden können? Die Korrektheit der Informationen wird nicht von einer zentralen Instanz überprüft, sondern von anderen Nutzern, die Artikel ggf. ändern. So entsteht ein enormer Wissensschatz, der überall, wo es Internet gibt, abgerufen werden kann.

Digitale Commons beinhalten aber noch viel mehr. Patrick Peiffer bietet eine kleine Einführung in die Welt der Creative Commons Lizenzen in Luxemburg. Es handelt sich hierbei um Standard-Lizenzverträge, die es Autoren, Künstlern, Privatpersonen, öffentlichen Institutionen erlauben, die Nutzungsrechte der unter das Urheberrecht fallenden Werke zu bestimmen. Creative Commons ist der Sammelbegriff für eine Vielfalt an Lizenzen, die das Nutzungsrecht unterschiedlich stark reglementieren. Die diesen Lizenzen zu Grunde liegende Idee ist jedoch, dass Inhalte unentgeltlich genutzt werden können. Die Société des auteurs, compositeurs et éditeurs de musique (SACEM) sowie die Luxembourg Organization for Reproduction Rights (luxorr) nehmen Stellung zu diesen Lizenzen.

Dieses Dossier bietet ihnen also eine kurze Einführung in die Welt, den Reichtum und die Vielfalt der Commons. Es wird deutlich, dass die meisten Aspekte unseres Daseins als ein „Commons“ verstanden werden können, also als etwas, zu dem alle Menschen Zugang haben sollten und auf gemeinschaftlicher Basis bewirtschaftet werden könnte. Manche mögen behaupten, es handele sich um eine Wiederbelebung der Hippie Bewegung. Vielleicht sind es wirklich „the young man’s vision and the old men’s dream“, um es in den Worten des englischen Poeten John Dryde auszudrücken. Auf der anderen Seite zeigen konkrete Beispiele in diesem Dossier, dass Commons und commoning (sich nach Commons Idealen und Prinzipien organisieren und arbeiten), oft unbewusst, schon Teil unseres Alltags sind, und die „Vision“ sich langsam konkretisiert.

Kim Nommesch

 

1.Helfrich, S.; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld, transcript.
2.Ostrom, E. (1990). Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action, Cambridge University Press, New York, p.29.
3.Siehe auch: Beckenkamp, M. (2012). „Der Umgang mit sozialen Dilemmas“ in: Helfrich, S.; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld, transcript.
4.James B. Quilligan „Warum wir Commons von öffentlichen Gütern unterscheiden müssen“ in: Helfrich, S.; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld, transcript.

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