- Gesellschaft, Kultur
Das Großvorhaben Literatur
Eine Erwiderung zu den Beiträgen des Literaturkritikers Jérôme Jaminet (forum, Nr. 363 u. 364) und der Literaturkritikerin Valerija Berdi (forum, Nr. 365)
Der Spleen der Literaturkritik? Ihre hyperernste Larmoyanz sich selbst gegenüber. In den deutschen Feuilletons vergeht kaum ein Monat, ohne dass sich sorgengeplagte KritikerInnen zu Wort melden und davor warnen, dem eigenen Metier stünde schon sehr, sehr bald Irrelevanz, Effizienzlosigkeit und Niveauverlust bevor. Aber erst wenn der nächste Klageschub ausbleibt, müssen wir uns wahrscheinlich ernsthaft Sorgen machen. Das Gejaule der Literaturkritik um ihre desolate Verfasstheit lässt sich nämlich durchaus als Zeichen für ihre Vitalität auffassen.
In diesem Sinne habe ich die Beiträge von Jérôme Jaminet und Valerija Berdi mit Genügsamkeit und Frohsinn gelesen. Dass durch deren Artikel die Literatur derart präsent war und ist – das sollte alle BuchfreundInnen zuallererst freuen. Auch die uneinheitlichen Maßstäbe der einzelnen KritikerInnen, ihre je eigenen Stile, sind ja eigentlich begrüßenswert – nichts wäre langweiliger als wenn alle dasselbe Buch identisch besprächen. Ich will bezüglich der Beiträge nur zwei kurze Anmerkungen machen:
Erstens: Ich glaube nicht, dass es in Luxemburg so etwas wie eine ausgeprägte literarische Öffentlichkeit gibt, einen Diskursraum also, in dem alle Akteure, egal ob Leser, Autor, Verleger oder Kritiker, zusammenkommen, um über ihr Medium, die Literatur, und seine gesellschaftlichen Funktionen zu debattieren. Das ist zwar schade, aber weiter keine Katas-trophe. Literatur wird auch in Ermangelung eines solchen Resonanzraums immer ihre Raison d’être haben. Und Literaturbegeisterte finden irgendwie auch immer zusammen, vielleicht tut sich hierzulande die kleine Schar nur etwas schwerer damit.
Wenn Jaminet seinen zehn literaturkritischen Geboten nun die Prämisse zugrunde legt, es gäbe eine solche Öffentlichkeit, die bloß mit Engagement und Expertise zu (re)aktivieren bzw. auszuweiten wäre, dann mutet das auf ehrenwerte Weise größenwahnsinnig an. 2500 Likes bei „Facebook“ sind keine literarische Öffentlichkeit, sondern eine lose Community. Ebenso wenig bilden die Besucher der „Walfer Bicherdeeg“ eine kritische, neugierige und passionierte Leserschaft, der es in erster Linie um die Literatur in Luxemburg ginge. (Das lässt sich recht einfach an der verschwindend geringen Zahl derer ablesen, die in Walfer den Lesungen der AutorInnen beiwohnen.)
Gelingende Literaturkritik setzt, wie ich finde, auch nicht den Leser in sein Recht, ebenso wenig den Autor, den Verlag oder gar den Kritiker, sondern einzig und allein die Literatur selbst. Sie schert sich, wenn denn überhaupt, erst zweitrangig um die Erziehung irgendeiner Leserschaft oder die Unterstützung der AutorInnen. Man entschuldige die etwas schwirbelige Wortwahl, aber: Gute Kritik arbeitet primär dem diffusen wie grandiosen Projekt „Literatur“ zu. Vielleicht lässt sich diese oftmals ideelle Unternehmung mit dem Speisen einer kollektiven Daten-Cloud vergleichen: Man weiß zwar nicht so recht, wem man wohin welche Dateien schickt, aber die Gewissheit, das Großvorhaben Literatur mit eigenen Gedanken, Argumenten und Texten zu unterstützen, reicht allemal aus, um mit Spaß am Lesen und Schreiben weiterzumachen.
Zweitens: Berdis Feststellung, die Literatur sei frei, ist natürlich zuzustimmen. Was ließe sich auch dagegen sagen? Es geht KritikerInnen hoffentlich auch niemals darum, diese Freiheit willkürlich und eigenmächtig durch kunstrichterliche Urteile einzuschränken. Was diese Feststellung aber zugleich impliziert: dass es AutorInnen ebenso freisteht, verqueren, manipulativen und intelligenzarmen Stuss als Belletristik auszugeben und derart das Label
„Literatur“ zu missbrauchen.
Und schlechte Bücher dieses Schlags können durchaus gefährlich sein. Erinnerungsliteratur etwa, die historische Ereignisse in viel zu enge Konstellationen presst und so tut, als seien die Gräuel der Geschichte in adjektivisch überausgestatteten Bildern auflösbar, die LeserInnen dann nur noch als bloßes Konsumgut zu „verschlingen“ haben. Oder engstirnige Gesellschaftsromane, die standardisierte Lebensentwürfe für Mann und Frau so lange propagieren und perpetuieren, bis die Leserschaft lebenspraktisch nach und nach verarmt. Irgendwann wird sie sich dann gar nicht mehr vorstellen können, anders zu denken und zu leben als es ihr in derlei reduktionistischen bis reaktionären Sozialschmonzetten vorgeschrieben wird.
Solche Art Literatur soll nicht durch eine zwanghaft gutmütige Kritik mit dem Hinweis auf die Freiheit der Literatur abgenickt werden. Sie sollte mit den publizistisch begrenzten Mitteln der Kritik als das benannt werden, was sie tatsächlich ist: textuelles Machwerk, das übersimple, ja, falsche Lebens- und Denkaxiome in Buchform packt.
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