Das Menschenrecht auf Wasser im Fokus

Trotz großer Entwicklungsbemühungen haben Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge rund 2,2 Milliarden Menschen keinen gesicherten Zugang zu einer Wasserversorgung, 785 Millionen mangelt es selbst an einer Grundversorgung mit Trinkwasser. Zwar handelt es sich bei solchen Angaben nur um sehr grobe Schätzungen, doch zeigen sie ein gewaltiges Problem an. Die alltäglichen Mühen und Gefahren unzähliger Menschen weltweit, sich Wasser zu besorgen, sind gewaltig. Nicht selten sind sie auf Wasserlöcher, Tümpel und sonstige Gewässer angewiesen, die mit Fäkalien und chemischen Rückständen verschmutzt sind. Noch viel mehr Menschen haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitär- und Hygienevorrichtungen, worunter der Infektions- und Gesundheitsschutz nicht erst seit COVID-19 massiv leidet. Viele, oft auch tödliche Krankheiten wären vermeidbar, wenn sauberes Trinkwasser sowie Sanitär- und Hygienevorrichtungen verfügbar und zugänglich wären. Seit langem ist daher eine angemessene Trinkwasser- und Sanitärversorgung ein wichtiges Entwicklungsziel der Vereinten Nationen. Es findet in den Sustainable Development Goals seinen Ausdruck, die u. a. vorsehen, die Verfügbarkeit von Wasser und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten. Das Motto lautet: Leave no one behind.

Damit greifen die Sustainable Development Goals eine wichtige menschenrechtspolitische Forderung auf: den offenen, diskriminierungsfreien und bezahlbaren Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu einer angemessenen Sanitärversorgung. Die menschenrechtliche Bedeutung des Themas wurde im Jahre 2010 durch Resolutionen der UN-Vollversammlung und des UN-Menschenrechtsrates zum Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung unterstrichen. Die beiden Resolutionen, denen langjährige zivilgesellschaftliche Kampagnen vorausgegangen waren, stießen weltweit auf große Beachtung. Sie bekräftigten die globale Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser und Sanitärversorgung und die damit verbundenen staatlichen Pflichten.

Diese ergeben sich entweder implizit aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem UN-Sozialpakt; in beiden Dokumenten sind zwar die Rechte auf Wasser und Sanitärversorgung nicht ausdrücklich erwähnt, leiten sich aber aus den Rechten auf angemessenen Lebensstandard und Gesundheit ab. Oder sie ergeben sich explizit aus globalen und regionalen Menschenrechtsabkommen, die ausdrücklich auf Wasser Bezug nehmen. So ist etwa in der Frauenrechts-, der Kinderrechts- sowie der Behinderten­rechtskonvention eine angemessene Wasser­versorgung verbrieft.

Mit dem Einsetzen einer unabhängigen UN-Expertin zu den menschenrechtlichen Verpflichtungen bezüglich des Zugangs zu sicherem Trinkwasser und Sanitärversorgung im Jahre 2008 und den bereits genannten Resolutionen des Jahres 2010 wurden die entsprechenden menschenrechtlichen Staatenpflichten nochmals betont.

Das Menschenrecht auf Wasser – Inhalt und Staatenpflichten

Was verbirgt sich hinter dem Menschenrecht auf Wasser (auf das sich der Beitrag konzentriert)? Hier ist ein Allgemeiner Kommentar (General Comment No. 15) des UN-Sozialausschusses hilfreich, der bereits 2003 das Recht auf Wasser aus den Rechten auf angemessenen Lebensstandard und Gesundheit des UN-Sozialpaktes abgeleitet hatte. Ein solcher Kommentar ist zwar nicht rechtsverbindlich, doch kommt ihm eine wichtige Bedeutung bei der Auslegung des jeweiligen Rechts zu.

Dem UN-Ausschuss zufolge hat jeder Mensch das Recht auf unbedenkliches, zugängliches und erschwingliches Trinkwasser in ausreichender Menge, wobei sich die Wassermenge an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation ausrichtet und u. a. vom Klima, von den Arbeitsbedingungen und dem Gesundheitszustand der Menschen abhängig ist. Um das Recht auf Wasser vollständig umzusetzen, muss Trinkwasser also verfügbar sein, es muss gesundheitlich unbedenklich sein, und es muss für alle Menschen zugänglich sein. Zugänglich bedeutet: Die Menschen sollen nicht kilometerweit laufen müssen, um sich Trinkwasser zu besorgen; sie müssen sich Trinkwasser finanziell leisten können; sie dürfen beim Zugang zu Trinkwasser nicht diskriminiert oder behindert werden.

Aus dem Menschenrecht auf Wasser ergeben sich drei Arten staatlicher Verpflichtungen: Achtungspflichten verlangen von den Vertragsstaaten, das Recht auf Wasser zu achten und nicht selbst zu verletzen. Der Staat darf also z. B. nicht bestimmten Bevölkerungsgruppen den Wasserzugang verwehren. Er muss ferner traditionelle Wassernutzungsrechte achten, beispielsweise von indigenen Gruppen. Auch darf er nicht selbst die Wasserversorgung von Menschen gefährden, in Folge etwa von Landvertreibungen oder von Verschmutzung und Überbeanspruchung von Wasserressourcen durch staatliche Unternehmen.

Schutzpflichten bestehen in der Verpflichtung, den Einzelnen gegen unzulässige Eingriffe in sein Recht durch Dritte zu schützen. Der Staat muss also eingreifen, wenn beispielsweise private Unternehmen in gesundheitsgefährdender Weise Wasserressourcen verschmutzen, unzulässig Wasser verknappen, horrende Wasserpreise verlangen, die sich arme Menschen nicht leisten können, oder gar die Wasserversorgung von nicht zahlungskräftigen Kunden unterbinden. Schutzpflichten ergeben sich gerade auch im Zusammenhang mit Privatisierungen der Wasserversorgung.

Gewährleistungspflichten schließlich verlangen von den Vertragsstaaten, positive Maßnahmen zu ergreifen, um den Menschen zu ermöglichen, ihr Recht auf Wasser zu nutzen, beispielsweise über den Aufbau und Erhalt entsprechender Infrastrukturen und durch ein nachhaltiges Wassermanagement. Die Priorisierung einer Mindestversorgung von Wasser für alle ist menschenrechtlich ebenso geboten wie die Gewährleistung, dass öffentliche Mittel zur Umsetzung des Rechts auf Wasser nicht veruntreut werden. Auch muss unbedingt Menschen in Not geholfen werden.

Das Recht auf Wasser erfordert zwar nicht, dass sauberes Trinkwasser kostenfrei und in unbegrenzter Menge bereitgestellt wird. Auch begeht ein Staat nicht gleich eine Menschenrechtsverletzung, wenn Menschen auf seinem Territorium nur eingeschränkten Zugang zu Wasser haben. Vieler­orts lassen sich solche Missstände nicht von heute auf morgen beheben, sondern bedürfen langfristiger Entwicklungsbemühungen. Doch ist der Staat gefordert, im Rahmen seiner Möglichkeiten – ggf. mit internationaler Hilfe – gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf Wasser für alle, besonders aber für unterversorgte Menschen, fortschreitend zu verwirklichen. Ressourcenknappheit rechtfertigt nicht, untätig zu bleiben. Selbst ärmste Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, entsprechend ihrer Ressourcen aktiv zu werden. Reichere Staaten stehen in der Verantwortung, ihnen dabei zu helfen.

Welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden, um das Menschenrecht auf Wasser umzusetzen, liegt dabei weitgehend im Ermessen des jeweiligen Staates. Es gibt also keinen weltweit anwendbaren Masterplan. Dafür sind die Länderunterschiede zu groß und haben die – im Ideal­fall demokratisch gewählten – Regierungen auch unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie ein nachhaltiges Wassermanagement aussieht.

Privatisierungen und globale Verantwortung

So lässt sich aus dem Recht auf Wasser auch kein grundsätzliches Verbot von Privatisierungen der Wasserversorgung ableiten. Privatisierungen sind aus menschenrechtlicher Sicht möglich, solange staatliche Institutionen dafür Sorge tragen, dass das Wasser allgemein verfügbar, erschwinglich und von angemessener Qualität ist. In der Praxis wirft die Privatisierung von Wasser allerdings oft erhebliche menschenrechtliche Probleme auf, beispielsweise, weil Wassertarife stark ansteigen oder wirtschaftlich unrentable Gebiete nicht an die Versorgung angeschlossen werden. Hier fehlt es oft an staatlichen Vorgaben, Kontrollen und Sanktionen, die gerade im Fall von Privatisierungen besonders effektiv sein müssen. Zugleich spiegeln Konflikte um Wasser immer auch Macht- und Verteilungskonflikte in einer Gesellschaft wider. Es handelt sich also nicht nur um ein technisches, sondern vor allem um ein politisches und rechtliches Problem.

Völkerrechtlich stehen vornehmlich die einzelnen Staaten in der Pflicht, das Menschenrecht auf Wasser umzusetzen, und zwar zunächst in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet. Haben sie aber auch Pflichten über ihre Landesgrenzen hinaus? Zumindest sollte das Handeln eines Staates und der Staatengemeinschaft nicht die Menschen in anderen Ländern daran hindern, ihre Rechte wahrzunehmen. Auch sollten europäische Staaten darauf hinwirken, dass hiesige Unternehmen, die transnational aktiv sind, das Recht auf Wasser in anderen Ländern achten und nicht verletzen. Darüber hinaus haben die Unternehmen im Sinne der „UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte“ selbst eine Sorgfaltspflicht, die im Falle des Menschenrechts auf Wasser immer dann greift, wenn die Verfügbarkeit, der Zugang und die Qualität eingeschränkt werden. Offenkundig ist, dass Staaten und Unternehmen des Globalen Nordens nicht nur an manch fragwürdiger Privatisierung der Wasserversorgung beteiligt waren, sondern auch maßgeblich zur Verknappung, Überausbeutung und Verschmutzung von Wasser-Ressourcen in den Ländern des Globalen Südes beitragen. Klimaerhitzung und „virtueller Wasserexport“ durch Agrarindustrie und Bergbau tun hier ein Übriges.

Das Menschenrecht auf Wasser – einklagbar und einforderbar?

Aus den Menschenrechtsabkommen ergeben sich „objektive“ völkerrechtliche Staatenpflichten, das Recht auf Wasser zu achten, zu schützen und fortschreitend zu gewährleisten. Entgegen überkommenen Vorbehalten können diese auch mit „subjektiven“ individuellen Rechtsansprüchen einhergehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Staat selbst das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung verletzt oder er offenkundig zu wenig unternimmt, um die Menschen zu schützen und das Recht umzusetzen. Die Rechtsnorm lässt sich in der Sache hinreichend bestimmen, um sie nicht nur gesellschaftspolitisch einzufordern, sondern auch vor Gerichten und mit Beschwerdeverfahren geltend zu machen (materielle Justiziabilität). De facto ist indes der nationale und internationale Rechtsschutz noch ungenügend ausgebaut (prozessuale Justiziabilität), selbst, wenn einige Länder entsprechende nationale Gesetze erlassen oder gar – wie etwa Bolivien, Ecuador, Uruguay und die Republik Südafrika – das Recht auf Wasser in der Verfassung verankert haben. Immerhin entschieden einzelne nationale und internationale Gerichte bereits über Wasserabstellungen und Wasserverschmutzungen. Mit dem 2013 in Kraft getretenen Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte besteht zudem künftig die Möglichkeit, gegen eine Verletzung der Paktrechte eine Individualbeschwerde einzulegen, wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist.

Um eine bessere Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser einzufordern, bedarf es jedoch nicht unbedingt des Klage- und Beschwerdeweges. So wichtig gerichtliche Urteile und außergerichtliche Empfehlungen von Beschwerdeausschüssen sind, wird eine bessere Umsetzung sozialer Menschenrechte gerade auch gesellschaftspolitisch erstritten. Dafür ist es wichtig, dass sich die Menschen organisieren und gemeinsam engagieren, und zwar nicht nur für die eigenen Rechte, sondern auch für die Rechte anderer. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Netzwerke und Bewegungen sind wesentliche Antriebskräfte des Menschenrechtsschutzes und haben bereits erheblich dazu beigetragen, dem Menschenrecht auf Wasser öffentliche Aufmerksamkeit zu verleihen und es auf die politische Agenda zu bringen. Zugleich verleiht der Rekurs auf ein solches Menschenrecht und damit verbundene Staatenpflichten entsprechenden gesellschafts- und entwicklungspolitischen Forderungen zusätzlich Schubkraft und Legitimität. Er lässt sich mit Forderungen nach einem besseren Klimaschutz und einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung verbinden. Dies ist bitter nötig, um die menschenrechtlich unhaltbaren Zustände in gerade ärmeren Teilen der Welt zu überwinden.

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