Das Modell Luxemburg und seine Herausforderungen für die Zukunft

001, nach den Diskussionen um den Rententisch, bewegte die Debatte über den sogenannten „700000 Einwohner-Staat“ die Gemüter der Nation. Nicht nur Politiker [♀/♂], sondern auch Vertreter [♀/♂] der Sozialpartner und verschiedener NROs, sowie die Zivilbevölkerung diskutierten etliche Fragen bezüglich der künftigen Entwicklung unseres Wirtschaftsmodells. Ebenso waren die Landesplanung, die Auswirkungen der wachsenden Bevölkerung auf Lebensqualität und Umwelt, sowie die Nachhaltigkeit des Luxemburger Modells insgesamt Inhalt der Gespräche.

Im Juni 2015, also fast 15 Jahre danach, unterstrich der gerade erst ins Leben gerufene Conseil national des finances publiques (CNFP) in seiner ersten Evaluation der luxemburgischen Staatsfinanzen, dass laut neuester Bevölkerungsprognose (von Europop), im Jahre 2060 nicht nur 700000, sondern höchstwahrscheinlich mehr als eine Million Menschen in Luxemburg leben würden (CNFP 2015). Eine ähnliche Diskussion wie im Jahr 2001 blieb jedoch bisher aus. Das Gegenteil war der Fall: Die neue Prognose wurde fast überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn kommentiert.

Auch in der Medienlandschaft entstand keine breite Diskussion bezüglich des raschen Wachstums der luxemburgischen Bevölkerung. Eine kritische Auseinandersetzung fand nicht statt. Stattdessen wurde ab September letzten Jahres mit Erfolg eine Diskussion zur anstehenden Steuerreform angefeuert. Es folgte eine medial geführte Debatte, in der die verschiedenen Stakeholder versuchten sich mit Ihren Forderungen und Vorschlägen für Steuerentlastungen gegenseitig zu übertrumpfen.

Die Rhetorik und die Argumente dieser Debatte erinnerten stark an jene im Vorfeld der Steuerreform von 2001/2002. Man muss jedoch bedenken, dass die sozio-ökonomische Situation in Luxemburg heute bedeutend anders ist, als sie es noch Anfang des neuen Jahrtausends war. So gab es im Jahr 2000 in Luxemburg ein Wirtschaftswachstum von sagenhaften 10,6% (OECD 2016). Die durchschnittliche Wachstumsrate lag in dieser Zeit (1995 bis 2007) bei ungefähr 5% pro Jahr (Chambre de commerce 2015). Im Jahre 2000 lag auch der Anteil der Arbeitssuchenden lediglich bei 2,3% (Statec 2015) und die Staatsschulden betrugen nur 0,06% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) (IGF 2015). Zudem wies der Zentralstaat über Jahre hinweg einen deutlichen Überschuss auf. Folglich konnte sich der Staat zu dieser Zeit noch etwas mehr leisten, also auch großzügigere Steuerentlastungen für die Bürger (♀/♂).

Heute bietet sich uns jedoch ein deutlich getrübteres Bild. Die Arbeitslosenrate hat sich seit dem Jahr 2000 fast verdreifacht und liegt nun bei ungefähr 6,7% (Statec 2016). Zwar wurde die Schätzung für das Wirtschaftswachstum für das Jahr 2015 letztens wieder auf 4,7% erhöht (CE 2016), jedoch liegen die Staatschulden heute bei beinahe 24% des BIP (CNFP 2015). Dies kann zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass insbesondere der Zentralstaat in den letzten 14 Jahren(!) ein – mit Ausnahme von 2007 – systematisches Defizit aufwies, d.h. mehr Geld ausgab, als er einnahm.

Wichtig ist, dass man diese Faktoren in die Diskussion über die anstehende Steuerreform, sowie die Finanzkraft des Zentralstaates, miteinbezieht. Die sozio-ökonomische Lage Luxemburgs ist heute eine wesentlich andere als jene vor 15 Jahren. Demzufolge muss auch die Debatte bei Themen wie der Steuerpolitik, des Wirtschaftsmodells, usw. anders geführt werden. Meines Erachtens ist es jedoch noch wichtiger, dass man sich mit dem „Luxemburger Modell“ per se auseinander setzt, da es sich um ein Modell handelt, das auf ein jährliches Mindestwachstum des BIP von ungefähr 3,5% angewiesen ist, um stabil zu bleiben. Besonders wichtig ist deshalb auch die Frage, wie ein ressourcenschonendes und sozial verträgliches Wirtschaftsmodell in Luxemburg aussehen kann und wie dieses in Zukunft Wirklichkeit werden soll.

Das „Modell Luxemburg“

Ich hatte letztes Jahr das Privileg Berichterstatter für den Staatshaushalt 2016 zu sein und habe der Thematik des Luxemburger Modells in meinem Bericht (Kox 2015) ein eigenes Kapitel gewidmet, welches ich hier kurz zusammenfassen möchte.

Oft verbindet man mit dem „Luxemburger Modell“ das soziale Modell unseres Landes, welches auf einem permanenten und institutionalisierten Dialog in der sogenannten Tripartite beruht, und welches sich ab der Stahlkrise der 1970er Jahre in Luxemburg etablierte. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Spezifizität des Luxemburger Modells nicht ausschließlich am Tripartite-Dialog festgemacht werden kann, sondern dass es sich auch durch andere besondere Merkmale von anderen Ländern unterscheidet.

Ein Modell abhängig von ausländischen Arbeitskräften

Luxemburg ist eine sehr offene Marktwirtschaft, die immer mehr von ausländischen Arbeitskräften abhängig wird. Zum einen macht die Zahl der nicht-luxemburgischen Einwohner [♀/♂] fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus, Tendenz steigend. Vor 35 Jahren lag dieser Anteil nur bei etwas mehr als einem Viertel. Zum anderen gibt es auch über 170000 Grenzpendler, Tendenz ebenfalls steigend. Dies bedeutet, dass die „aktive Bevölkerung“ lediglich rund 262000 Personen ausmacht, die Gesamtbeschäftigungszahl für Luxemburg liegt jedoch bei über 400000 Menschen (vgl. Statec 2015).

Ein Modell abhängig vom Finanzsektor

Nach der Stahlkrise in den 1970er Jahren schaffte es Luxemburg, sein Wirtschaftsmodell auf ein neues Standbein zu setzen und zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt zu werden. Dies führte dazu, dass die sozio-ökonomische Situation unseres Landes heute vorwiegend vom Finanzplatz abhängig ist. Dieser steuert ungefähr 27% der Staatseinnahmen bei (Cour des comptes 2015), erzeugt etwa ein Drittel des Luxemburger BIP und ist für mindes-tens 17% der Beschäftigung verantwortlich (CES 2014).

Ein Modell abhängig von Nischen und dem Tanktourismus

Luxemburg verstand sich, besonders in den letzten zwei Jahrzehnten, sehr gut darin, finanzwirtschaftliche Nischen auszunutzen. Es ist dem Land dadurch auch gelungen, die Krise im Vergleich zu andern EU-Staaten verhältnismäßig gut zu überstehen. Jedoch kommt unsere Nischenpolitik
immer mehr unter Druck. Man denke hier an die Abschaffung des Bankgeheimnisses, an den automatischen Informationsaustausch von im Ausland generierten Zinserträgen, an die Änderungen bezüglich der Mehrwertsteuer auf elektronisch gehandelte Waren und Dienstleistungen und natürlich auch an die Luxleaks-Affäre. Der Zeitraum, in dem unsere Wirtschaft von neuen Nischen profitieren kann bzw. darf, wird immer kürzer. Es wird demnach auch immer schwieriger, das Volumen unserer Einnahmen aus dem Nischensektor abzusichern.

Zudem profitiert die luxemburgische Wirtschaft auch immer noch vom sogenannten „Tanktourismus“, der sich vor allem seit Mitte der 1990er Jahre aufgrund vorteilhafter Preise bei Treibstoffen, alkoholischen Getränken, Kaffee, Tabak usw. gegenüber unseren Nachbarländern etablierte. Seit mehr als 10 Jahren generiert der Verkauf von Treibstoff und Tabak an den luxemburgischen Tankstellen jährlich mehr als 1,3 Milliarden Euro (DDA 2015) an Verbrauchsteuern. Hierzu kommen zusätzliche Einnahmen durch die Mehrwertsteuer über den Verkauf von alkoholischen Getränken, Kaffee usw. Seit einigen Jahren kann man jedoch auch in diesem Nischensektor einen Rückgang erkennen. Der Wert der Verbrauchsteuern, welche der Spritverkauf im Jahr 2014 generierte, lag zum Beispiel unter jenem des Krisenjahres 2008 (Banque centrale 2015; CES 2015).

Ein Modell abhängig von schwer vorhersehbaren Einnahmen

Man kann demnach schon erkennen, dass die Einnahmen der luxemburgischen Nischenpolitik nicht nachhaltig abgesichert sind. Im Gegenteil: Auch andere wichtige Einnahmequellen stehen auf wackeligen Beinen. Die Zeichnungssteuer (taxe d’abonnement) zum Beispiel generierte im Jahr 2014 6,1% des fiskalischen Einkommens und wird dieses Jahr voraussichtlich 7,6% generieren. Dies sind 994,5 Millionen Euro (Banque centrale 2015; Ministère des Finances 2015). Die Zeichnungssteuer ist im Prinzip an die Entwicklung der Nettoguthaben der Investmentfonds gebunden und kann demzufolge negativ von Entwicklungen am Börsenmarkt beeinflusst werden. Dementsprechend sind die zukünftigen Einnahmen durch die Zeichnungssteuer auch relativ schwer vorherzusagen. Böse Überraschungen können demnach nicht ausgeschlossen werden.

Ein weiteres Problem ist das Risiko, welches durch unsere große Abhängigkeit vom Finanzsektor und von der Evolution der Finanzmärkte entsteht. So stammen z.B. 30% der Gesamteinnahmen des Zentralstaates aus diesem Sektor (CES 2015; Banque centrale 2015).

In den letzten 10 Jahren konnte die staatliche Abhängigkeit von den Steuereinnahmen der rund 140 Banken – bzw. von sehr wenigen großen Banken – allerdings durch wachsende und weniger volatile Steuereinnahmen aus dem Versicherungssektor sowie von Fonds- und Beteiligungsgesellschaften (Soparfi) gesenkt werden.

Herausforderungen für die Zukunft

Durch das enorme Gewicht des luxemburgischen Finanzplatzes ist ein großer Teil der öffentlichen Einnahmen also mehr oder weniger direkt an die schwer vorhersehbare Entwicklung der Finanzmärkte gebunden. Auch wenn unbestreitbar ist, dass dieses Modell seit den 1970er Jahren für Wohlstand in Luxemburg gesorgt hat, so ist dennoch absehbar, dass es in seiner jetzigen Form auf Dauer nicht tragbar ist.

Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum, das zwischen 1995 und 2007 noch bei 5% pro Jahr lag, liegt momentan bei „nur“ mehr 3% (Chambre de commerce 2015) und dürfte auch in den kommenden Jahren weiter abflachen (CNFP 2015). Erfüllen diese Prognosen sich, so würde es also länger unter dem für das Luxemburger Modell so wichtigen Schwellenwert von 3,5% bleiben. Die mit Sicherheit größte Herausforderung für die Zukunft wird deshalb das Aufrechterhalten unseres, im Vergleich zum Ausland, sehr großzügigen Sozial- und Pensionssystems werden, denn dessen Kosten werden weiter steigen. So rechnet die OECD (2015) z.B., dass bis zum Jahr 2030 unsere öffentlichen Ausgaben für die alternde Bevölkerung um ungefähr 5,25% steigen werden.

Um dies finanziell tragen zu können, ist Luxemburg auf ein ständiges und vergleichsweise hohes Wirtschaftswachstum sowie die jährliche Schaffung von tausenden zusätzlichen Arbeitsplätzen angewiesen. Wie schon zu Beginn dieses Artikels erwähnt, impliziert dies sowohl ein rasches Wachstum der Bevölkerung als auch der Anzahl an Grenzgängern [♀/♂], die mit ihren Sozialbeiträgen die Finanzierung unserer heutigen Pensionen ermöglichen, und deren eigene Pensionen und Sozialleistungsansprüche durch andere zukünftige Lohnabgaben finanziert werden müssen. Während den Gesprächen, die ich im Vorfeld meines Staatshaushaltsberichtes führte, zögerten einige meiner Gesprächspartner übrigens nicht, dieses Luxemburger Wachstumsmodell als ein Ponzi1– oder Schneeballsystem zu betiteln (Kox 2015).

Unser Bevölkerungszuwachs ist demnach von exponentieller Natur und wird auch zukünftig steigen müssen, wenn wir uns dafür entscheiden sollten, unser heutiges Modell unverändert aufrechtzuerhalten. Das bringt dann logischerweise ebenfalls einen schnell wachsenden Bedarf an Infrastrukturen (Schulen, Spitäler, öffent-licher Transport, Wohnraum…) mit sich und es stellt sich wiederum die Frage, mit welchen Mitteln dieser Bedarf langfristig finanziert werden soll und wie man mit dem zusätzlichen Impakt auf Umwelt und Natur umgeht, sowie die Frage nach den Konsequenzen für unsere Gesellschaft insgesamt.

Ein Prozess des Umdenkens

Es ist demnach wichtig, dass wir in Zukunft auch weiter daran arbeiten, das Luxemburger Modell auf ein nachhaltiges Fundament zu setzen. Ansatzpunkte hierfür gibt es viele. Auf der Einkommens-Seite ist es wichtig, dass wir eine immer höhere Anzahl von Unternehmen mit ökonomischer Substanz nach Luxemburg ziehen, die einen nachhaltig positiven Einfluss auf unsere Wirtschaft ausüben können. Als grüner Abgeordneter bin ich jedoch vor allem überzeugt, dass wir immer stärker auf den Weg ökologischer Investitionen gehen müssen, und dass wir ein grünes Wachstum brauchen, anstatt Wachstum in jede Richtung und um jeden Preis zu fördern.

Hier bleibt sicherlich noch ein weiter Weg zu gehen, aber die ersten positiven Zeichen für einen solchen Umschwung wurden schon gesetzt. Die Entscheidung des Wirtschaftsministers, zusammen mit der Handelskammer, Jeremy Rifkin als Berater für Luxemburgs Weg durch die „dritte industrielle Revolution“ zu beauftragen, ist sicherlich als wichtiger Schritt auf poli-tischer Ebene zu deuten. Genauso wichtig für mich sind jedoch auch die Bemühungen die zirkulare Ökonomie hier in Luxemburg anzukurbeln. Die Herausforderungen dieser Unterfangen sind jedoch enorm, denn unser Ziel muss es sein, ein ressourcenschonendes und sozialverträgliches Wirtschaftsmodell in Luxemburg zu etablieren.

Als überaus positiv zu bewerten sind in dieser Hinsicht aber vor allem auch die bottom-up Projekte und Bewegungen in der luxemburgischen Zivilgesellschaft. Ich denke hier vor allem an die ständig wachsende Transitionbewegung, die durch ihre lokalen und regionalen Projekte und Aktionen nicht nur zu einem positiven Umdenken in Bezug auf unsere Lebensweise beiträgt, sondern sehr direkt und effizient Menschen, Ideen und Talente auf lokaler Ebene näher zusammenbringt und neue Gemeinschaften zusammenschweißt. Sie trägt ebenfalls dazu bei, nachhaltige und grüne Arbeitsplätze zu schaffen, unsere Lebensweise zu überdenken, unsere Umwelt (Wasser, Boden und Luft) zu schonen und unsere Grundbedürfnisse  zukunfts-fähig abzusichern.

 

1 Ein Ponzi-Schema ist eine betrügerische Finanzstruktur,in der Kundeninvestitionen nicht durch Gewinne, sondern in erster Linie durch Fonds entlohnt werden, die von neuen Kunden zur Verfügung gestellt werden.

 

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