- Politik
Das Politische an der Digitalisierung
Kritische Medienbildung im Zentrum fir politesch Bildung
Mit rasender Geschwindigkeit schreitet der Prozess der Digitalisierung voran und zieht sich wie ein roter Faden durch all unsere Lebensbereiche. Das verändert die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen und prägt sowohl den privaten als auch den öffentlichen Raum. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich das Thema Digitalisierung (resp. der Digitalität als ein Resultat der Digitalisierung) innerhalb kürzester Zeit zu einem festen Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses entwickeln konnte. Doch trotz der Tatsache, dass wohl fast alle über diese Begriffe sprechen, herrscht nur wenig Einigkeit darüber, über was eigentlich diskutiert werden soll. Grund dafür ist die Tatsache, dass Digitalisierung – als dynamischer Prozess – nicht nur schwammiger Oberbegriff für all das ist, was irgendwie mit Technik oder Medien zu tun hat, sondern gleichzeitig eine Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen darstellt. Ein produktives Diskutieren wird dadurch erschwert, wodurch Chancen und Risiken aus dem Blickfeld geraten – auch dann, wenn es um Aspekte geht, die in direkter Relation mit unserem demokratischen Zusammenleben stehen.
Das Zentrum fir politesch Bildung (ZpB) hat dies zum Anlass genommen, sich mit dem Thema Digitalisierung, resp. der Digitalität, auseinanderzusetzen und diese im Kontext einer kritischen Medienbildung zu diskutieren.
1. Das Politische an der Digitalisierung
Digitalisierung beschreibt zunächst einmal nichts weiter als eine technische Entwicklung. Durch eine mediale Schnittstelle werden dabei analoge in digitale Signale bzw. digitale Daten transformiert. Oder konkreter: Analoge Zeichen (wie z. B. Handschrift, analoge Fotos, Töne) werden von einem Computer in Einsen und Nullen (Binarisierung) umgewandelt, die sich in Sekundenschnelle (re)produzieren, verbreiten und als Information verarbeiten lassen.
Dieser Umstand alleine ist weder gut noch böse. Was er aber vor allem nicht ist: neutral.1 Digitalisierung kann insofern nicht als schicksalhafte oder apolitische Fügung interpretiert werden, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts über die Menschen hereinbricht. Im Gegenteil: Digitalisierung ist ein technischer Prozess, der aufgrund verschiedener Interessen bis heute intensiv vorangetrieben wird und nur aufgrund von Handlung bzw. unterlassener Handlung möglich ist.
Das mag trivial erscheinen, ist allerdings ausschlaggebend, um den politischen Moment der Digitalisierung herausarbeiten zu können – schließlich kann die Möglichkeit des Handelns als Grundbedingung des demokratischen Zusammenlebens betrachtet werden. Mit Bezug auf Hannah Arendt: Nur durch Handlung kann Neues begonnen werden. Nur durch Handlung lässt sich sowohl mit Altem brechen als auch Altes vor Neuem bewahren.2 Eine Demokratie, die sich von der Möglichkeit des Handelns verabschiedet, verabschiedet sich demnach von sich selbst. In Zeiten der Digitalisierung riskiert dies zum Problemfeld zu werden.
Denn trotz aller demokratischen Versprechen, die im Zuge der Digitalisierung gemacht werden – wie etwa mehr Meinungsfreiheit, mehr Möglichkeiten zur Kooperation und mehr Dezentralisierung – bleiben die Möglichkeiten des Handelns allzu oft begrenzt.3 Das ist ein Widerspruch, der sich insbesondere auf den Ebenen eines selbstbestimmten Umgangs mit Daten und der Ungleichheitsverhältnisse durch digitale Infrastruktur bemerkbar macht.
Zum selbstbestimmten Umgang mit Daten:
Digitale Daten, die von Individuen produziert und über das Internet in Umlauf gebracht werden, zählen häufig nicht mehr zum persönlichen Eigentum. Dadurch wird viel an individueller Souveränität eingebüßt und zum Großteil (freiwillig) an große Tech-Unternehmen abgegeben. Auf Basis dieser digitalen Daten lassen sich intransparente Algorithmen entwickeln, die ganz individuell auf das Nutzungsverhalten eines einzelnen Menschen zugeschnitten sind.
Das trägt, vereinfacht dargestellt, zur Produktion vereinzelter Welten bei, in denen das Gemeinsame nicht mehr im Vordergrund steht und häufig als zu kompliziert wahrgenommen wird. Für viele Menschen geht dies mit einem Gefühl der Ohnmacht einher, was sich auch in Aussagen wie den Folgenden widerspiegeln kann: „Was soll ich schon machen, jeder nutzt die Plattform, und ich kann ohnehin nichts ändern.“ „Wir werden doch alle überwacht, und ich habe doch eh nichts zu verbergen.“ Oder „Sollen die mit meinen Daten machen, was sie wollen.“
Aus aktiven Gestalter*innen werden so Nutzer*innen, die aus Überforderung keinerlei Grund mehr darin sehen, die strukturellen und gesellschaftlichen Effekte der Digitalisierung in Frage zu stellen.
Zu den Ungleichheitsverhältnissen durch digitale Infrastruktur:
Das Gefühl, mithalten zu müssen, führt bei vielen Menschen dazu, dass sie sich gedrängt fühlen, auf die notwendige technische Infrastruktur zurückzugreifen. Dazu zählen u. a. Geräte wie Computer, Smartphones, das Internet, Clouds oder Künstliche Intelligenz.
Um diese Infrastruktur am Laufen zu halten, braucht es aber Ressourcen, sowohl planetare als auch menschliche (in Form von Arbeitskräften).4 Ressourcen, die in beiden Fällen ohne Rücksicht auf Verluste ausgeschöpft werden und auf ökologischer wie sozialer Ebene mit dementsprechenden Folgen einhergehen. Sei es durch den Verbrauch begrenzter Ressourcen wie Wasser und Edelmetallen oder durch die Schaffung von schwierigen Arbeitsverhältnissen (wie z. B. im Falle von Minenarbeit, Daten-Annotation oder Plattformindustrie), die auch in Zukunft das Gemeinsame – als Grundlage allen Handelns – erschweren.
Hinzu kommt, dass das ständige Weiterentwickeln von Infrastruktur längst nicht bedeutet, dass alle auf diese zugreifen können. Aufgrund fehlender Ressourcen (wie z. B. mangelnder Ausstattung, eingeschränkter Kompetenzen) oder einer Beeinträchtigung werden Menschen in einigen Fällen von einem digitalen Zusammenleben abgehalten. Auf lokaler Ebene wird so zu Ungleichheitsverhältnissen beigetragen, die sich am besten mit dem Begriff der digitalen Kluft (digital divide) umschreiben lassen.
In diesem Kontext geht die Digitalisierung – trotz aller Chancen – auch mit enormen Herausforderungen für ein demokratisches Zusammenleben einher. Das ZpB sieht hierin die Notwendigkeit einer kritischen Medienbildung, durch die sich auch die politische Dimension der Digitalisierung diskutieren lässt.
2. Die Notwendigkeit einer kritischen Medienbildung
Ohne elektronische Medien ist der Prozess der Digitalisierung schlichtweg unmöglich, da sich ansonsten keine digitalen Daten produzieren lassen. Wer über Digitalisierung spricht, sollte demnach auch über Medien sprechen. In digitalisierten Demokratien umfasst die konstruktive Auseinandersetzung mit Medien somit auch eine wichtige Voraussetzung, um ein selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für den Bildungsbereich, der Menschen auf das gesellschaftliche Zusammenleben vorbereitet und sie darin bestärkt, ihre aktive Rolle in diesem zu finden. Im Rahmen der Digitalisierung steht der kompetente Umgang mit Medien oft im Fokus der Diskussion. Leitende Fragen dieser Diskussion sind:
Wie lassen sich Medien für diesen oder jenen Zweck nutzen?
Wie sieht ein sicherer Umgang mit digitalen Medien aus?
Was ist ein gesunder Medienkonsum?
Doch trotz aller pädagogischen und psychologischen Zugeständnisse in Richtung eines kompetenten Umgangs mit Medien wird die politische Dimension der Digitalisierung in entsprechenden Diskussionen häufig ausgeblendet. Für Dieter Baacke, der den Begriff der Medienkompetenz in den 1990er-Jahren etablierte und bis heute prägt, ist es aber genau diese Dimension, die im Kontext der Medienbildung nicht fehlen sollte.5 Neben den bereits bestehenden (und äußerst wichtigen) Angeboten in Sachen eines kompetenten und sicheren Medienumgangs, versucht das ZpB deshalb, zu einer kritischen Medienbildung beizutragen, die einen festen Bestandteil von politischer Bildung ausmachen soll.
Kritische Medienbildung bedeutet in diesem Kontext, pädagogische Räume zu schaffen, die es ermöglichen, sich reflexiv mit den gesellschaftlichen und strukturellen Fragen der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Gefordert ist damit zunächst einmal, digitale Technologie zu entmystifizieren, um so sowohl Chancen (wie z. B. digitale Partizipation), Gefahren (wie z. B. Polarisierung und Fragmentierung der Öffentlichkeit) als auch Ungleichheitsverhältnisse diskutieren zu können.
Darauf aufbauend sollen die Alltagserfahrungen des Zielpublikums als Anlass genommen werden, um sich selbst in Relation zu den jeweiligen Themen zu setzen. Das ermöglicht einerseits, das eigene Handeln in Frage zu stellen und andererseits, Widersprüche zu erkennen, die eine Reflexion darüber erlauben, wo Handlungsmöglichkeiten in digitalisierten Gesellschaften tatsächlich reduziert oder erweitert werden. Eine solche Reflexion erleichtert das Beurteilen von Situationen und kann ein Denken in Alternativen fördern. Ein Denken, das über Bestehendes hinausgeht und sich der Frage widmet, wie (bzw. wodurch) solche Handlungsmöglichkeiten geschützt oder gar erweitert werden können. Um diesem Ziel gerecht zu werden, ist das ZpB bemüht, einen Fokus auf die digitale Gegenwart zu richten und spezifische Themenschwerpunkte herauszuarbeiten.
3. Kritische Medienbildung im Zentrum fir politesch Bildung
Digitalisierung ist keine Modeerscheinung – weder wird sie in absehbarer Zeit verschwinden, noch ist zu erwarten, dass die damit einhergehenden Entwicklungen abnehmen. Für digitalisierte Demokratien bedeutet dies, dass sich wohl oder übel auch zukünftig auf eine Reihe von strukturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen eingestellt werden darf.
Das ZpB greift diese Herausforderungen auf und fördert eine kritische Medienbildung, die altersübergreifend dazu befähigen soll, sich in einer differenzierten Form mit der politischen Dimension von Digitalisierung auseinanderzusetzen. Hierfür werden unterschiedliche Workshops, Weiterbildungen und Publikationen angeboten, bei denen die Aufmerksamkeit unter anderem auf folgenden Aspekten liegt:6
- Meinungsbildung und der Umgang mit Information/Desinformation: Was ist Information, was ist Desinformation? Was zeichnet vertrauenswürdige Informationen aus? Wo werde ich in die Irre geführt?
- Die vierte Gewalt im digitalen Zeitalter: Wo bekomme ich meine Informationen her? Was unterscheidet Influencer*innen von Journalist*innen?
- Machtverhältnisse in der digitalen Welt: Inwiefern verändert das Verschmelzen von digitalem und analogem Raum bestehende Machtverhältnisse? Worin besteht Macht heute? Wer verfügt über sie und inwiefern ist diese Macht demokratisch legitimiert?
- Datenkritik und Datensouveränität: Was passiert mit meinen Daten? Wem gehören meine Daten? Wie kann ich selbstbestimmt mit meinen Daten umgehen?
- Künstliche Intelligenz: Wie funktioniert Künstliche Intelligenz? Was bedeutet Künstliche Intelligenz für unser Zusammenleben? Was sind die wirtschaftlichen Aspekte von KI?
- Grundrechte in digitalisierten Gesellschaften: Was sind eigentlich Grundrechte? Wie verändern sich Grundrechte durch Digitalität?
- Digitale Partizipationsmöglichkeiten: Wo gibt es Möglichkeiten der digitalen Partizipation? Wer profitiert von digitaler Partizipation und wer bleibt ausgeschlossen? Welche kreativen Möglichkeiten der Partizipation gibt es?
Die Themenvielfalt der Digitalisierung ist dadurch längst nicht abgedeckt und der Handlungsbedarf bleibt weiterhin bestehen. Insofern wird das ZpB auch zukünftig vor der Aufgabe stehen, die Entwicklungen einer schnell fortschreitenden Digitalisierung im Auge zu behalten und eine kritische Medienbildung, als Teil einer politischen Bildung, zu fördern. Eine Medienbildung, die durch Zusammenarbeit entsteht, Zuversicht stärkt
– und dazu ermutigt, Demokratien auch im digitalen Zeitalter aktiv mitzugestalten.7
Ken Nilles ist Medienpädagoge und arbeitet in der pädagogischen Abteilung des Zentrum fir politesch Bildung.
1 Melvin Kranzberg, „Technology and History: Kranzberg’s Laws“, in: Technology and Culture, 27(3), 1986 , S. 544-560.
2 Hannah Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben, München/Berlin, Piper Verlag, 1950/2017.
3 Horst Niesyto, „Medienpädagogik und digitaler Kapitalismus. Für die Stärkung einer gesellschafts- und medienkritischen Perspektive“, in: MedienPädagogik – Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 27 (2017), S. 1-29.
4 James Muldoon, Mark Graham & Callum Cant, Feeding the Machine: Hinter den Kulissen der KI-Imperien, Hamburg, HarperCollins, 2024.
5 Dieter Baacke, Medienpädagogik, Tübingen, Niemeyer Verlag, 2007.
6 https://zpb.lu/digitaliteit/ (letzter Aufruf: 21. Juli 2025)
7 Sarah Genner, „10 Thesen zur Digitalisierung und Demokratie“, in: Björn Klein, Robin Schmidt (Hg.), Was macht die Digitalisierung mit der Politik. Einwürfe und Provokationen, Oldenburg, De Gruyter, 2022, S. 21-40.
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