- Medien
Demokratie und Medien: Wenn eine Krise die andere bedingt
Interview mit Ines Kurschat, Präsidentin des Presserates
Im Interview spricht die aktuelle Präsidentin des Presserates Ines Kurschat über das Verhältnis von Medien und Demokratie, die spezifische Situation der Medien in Luxemburg und den Mangel an Selbstkritik und an Medienpolitik. Ines Kurschat hat in Göttingen Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Kriminologie und Sozialpolitik studiert und ist seit fast 20 Jahren in Luxemburg als Journalistin tätig (im Lëtzebuerger Land, davor in der woxx).
Seitdem Sie in der Branche sind – und das sind ja inzwischen fast 20 Jahre –, wird von einer „Krise der Medien“ bzw. einer „Krise der Presse“ gesprochen. Seit etwa zehn Jahren geht auch die Rede von einer „Krise der Demokratie“. Hängen diese beiden Krisen zusammen?
Ines Kurschat: Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Ich denke, dass die Krise der Medien vielleicht schon ein bisschen früher angefangen hat. Das hatte ökonomische Gründe, ausgelöst dadurch, dass sich ein Geschäftsmodell, das es früher gab, mit dem Aufkommen der Digitalisierung nicht mehr halten konnte. Ich meine aber, dass wir inzwischen tatsächlich auch von einer Krise der Demokratie sprechen können, die man zum Teil an der Digitalisierung festmachen kann, aber nicht nur. Inzwischen sind wir so weit, dass die eine Krise die andere bedingt.
Sie haben eben angedeutet, dass beide Krisen etwas mit der Digitalisierung zu tun haben. Als Medienkonsumentin oder als Leser denkt man da in erster Linie an soziale Medien. Ist das der Haupttreiber dieser Krisen?
I.K.: Je nachdem, von welcher Krise wir sprechen. Wenn wir von der Krise der Demokratie sprechen, denke ich, dass die sozialen Medien und sozialen Netzwerke diese durchaus befeuern. Ich glaube aber auch, dass die Erosion der Demokratie über die sozialen Medien nur beschleunigt wird. Die parlamentarische Demokratie als solche, die einen gewissen Bedeutungsverlust erlitten hat, hat sich zu selbstverständlich genommen. Das trifft auch auf die Medien zu.
Die Krise der Demokratie wird ja oft auf den wachsenden Populismus zurückgeführt. Sind die Medien, die die Gesellschaft abbilden oder ihr voran- oder hinterherlaufen, in den letzten Jahren auch populistischer geworden? Gibt es dort eine Parallelentwicklung?
I.K.: Zwischen Medien und Populismus besteht ein sehr ambivalentes Verhältnis. Man muss sicherlich auch konstatieren, dass Medien es möglich machen, dass populistische Strömungen und populistische Trends Verstärkereffekte bekommen. Aufgrund der Art und Weise, wie Medien verschiedene Sorgen und Debatten oder Bedürfnisse, die es in der Gesellschaft vielleicht schon gab, ignoriert haben, sich nur an bestimmte Adressatinnen und Adressaten gewandt, andere außen vor gelassen und damit letztlich in ihren eigenen Echokammern geschrieben haben, konnten Vorwürfe, die Medien seien zu nah an der Politik und griffen nicht die Probleme der Bevölkerung auf, an Boden gewinnen.
Spricht man über Populismus, dann spricht man aber nicht nur über „besorgte Bürgerinnen und Bürger“, sondern auch über Politikerinnen und Politiker und verschiedene Gruppen, die ganz gezielt Provokationen lancieren und diese zu verbreiten suchen. Daran schließt sich die Frage nach der Aufgabe der Medien an, ob diese die Provokationen nur wiedergeben oder ihnen etwas entgegenstellen sollen. Das ist, was ich mit „ambivalent“ meine. Für die Medien ist es nicht so einfach, die richtige Herangehensweise zu wählen, wenn der Gesamtdiskurs immer populistischer wird.
Die Medien selber haben ja aber auch zum Teil Stilmittel des Populismus übernommen und sind emotionaler geworden. Sehen Sie das auch so?
I.K.: Das ist vielleicht nicht ganz falsch. Das Hecheln nach Sensation, die starke Zuspitzung auf Persönlichkeiten, Emotion statt Hintergrundberichterstattung sind der Presse in gewisser Weise immanent, weil sie sich besser verkaufen. Es gab sicherlich Medien, die diesen Trend unterstützt haben. Nichtsdestotrotz bin ich überzeugt, dass es möglich ist, sich von bestimmten Tendenzen abzugrenzen. Genau dieses Durcheinander an Information und Emotion könnte unter Umständen sogar zur Aufwertung von einem Journalismus führen, der es ernst meint, sich Zeit nimmt und genauer hinschaut.
Tragen die Medien eine Verantwortung für die Demokratie, oder sehen sie sich nur in einer beobachtenden Rolle?
I.K.: Die Frage ist doch, von welchen Medien wir hier sprechen. Wir sind zwar ein kleines Land, und trotzdem haben wir eine Vielzahl an Medien, die sich unterschiedlich verantwortlich verhalten und dem demokratischen Diskurs unterschiedlich nah oder fern fühlen. Grundsätzlich ist eine Demokratie ohne Medien undenkbar. Wenn wir jetzt über „die Medien“ in Luxemburg sprechen, müssen wir zunächst über ihre Aufgabe allgemein sprechen. Medien sind dazu da, um Öffentlichkeit zu schaffen. Das ist ihre Hauptaufgabe. Sie sind vielleicht auch, wenn man den Anspruch hat, dazu da, zu kontrollieren, dass unsere Demokratie als solche auch funktioniert und in ihr niemand substanziell oder systematisch diskriminiert wird. Eine dritte Aufgabe der Medien ist es, Reflexion zu leisten. Diese Reflexionsfunktion müssten sie zunächst auf sich selber anwenden können, und das kommt in Luxemburg noch zu kurz. Unsere Medien sind sich nicht immer bewusst, wo ihr Platz in unserer Demokratie ist. Machen sie nur Berichterstattung? Hinterfragen sie kritisch genug? Wenden sie die richtigen Methoden an? Kriegen sie die Trends mit? Decken sie auch Minoritäten ab? Gerade diese letzte Frage ist hierzulande ein wichtiges Thema. Meiner Meinung nach fehlt diese Art von Reflexion oft und deshalb kann man auch nicht von „den Medien“ sprechen.
Werden solche Fragen im Presserat diskutiert?
I.K.: Nein. Derlei Fragen werden leider viel zu wenig diskutiert. Wir arbeiten vor allem im Tagesgeschäft, in dem allenfalls Fragen zur Medienpädagogik diskutiert werden, meistens jedoch sind es organisatorische Fragen. Selbstreflexion und Selbstverortung passiert selten. Ich bedauere das, obschon ich selbst in diesem Rat sitze und, selbstkritisch gesehen, mehr dazu beitragen könnte.
Wie würden Sie die Situation der Presse in Luxemburg allgemein einschätzen? Hat sie noch einen entscheidenden Einfluss auf die politische Debatte?
I.K.: Die Medien sind der Zugang, um mitzubekommen, was in diesem Land eigentlich läuft. Insofern sind sie unverzichtbar. Auf die Frage, inwiefern sie Ort der Diskussion und der Ort sind, wo gesellschaftliches Handeln stattfindet, kann es keine einfache Antwort geben, weil unsere Medien in ihrer Entstehungsgeschichte, in dem, wen sie repräsentieren und wen sie ansprechen, gewisse Prämissen in sich tragen, die verschiedene Debatten verkürzen oder gar nicht erst aufkommen lassen. Stichwort Pisa: 50% unserer Schüler und Schülerinnen haben einen Migrationshintergrund. Wo finden Debatten statt, die diesen Sachverhalt ins Zentrum stellen? Das ist eine ganz berechtigte Frage. Ich meine, da müsste jedes Medium ehrlich sein, und kann nur auf Contacto verweisen. Diese Fragen haben wir nicht genügend auf dem Schirm.
Die Entwicklung in der Medienlandschaft schreitet sehr schnell voran. Was hat sich in den letzten Jahren in der luxemburgischen Medienlandschaft verändert?
I.K.: Vor Kurzem gab es eine spannende Diskussion zum Thema „Fünf Jahre nach Lux-Leaks“. Vielleicht war Lux-Leaks der Erweckungsmoment für den luxemburgischen Journalismus, um uns zu prüfen, ob wir die richtigen Fragen stellen. Persönlich würde ich diesen Erweckungsmoment ein bisschen früher ansetzen, nämlich mit dem Sturz der Regierung CSV-LSAP, weil die Medien in diesem Rahmen erstmalig – über Herangehensweise und Umsetzung lässt sich diskutieren – das Handeln einer Regierung maßgeblich hinterfragt und letztlich rechtsstaatliche Defizite festgestellt haben, die dazu beitragen konnten, dass es Konsequenzen gab. Seitdem hat sich bei uns im Journalismus einiges getan. Es sind neue Medien entstanden, auf anderen Plattformen, die kritisch sind. Dabei denke ich an die Kollegen und Kolleginnen von Reporter. Ein Ergebnis der Entwicklung könnte also das Heranwachsen einer zarten Pflanze des kritischen Journalismus sein, der sich an anderen Standards messen will als früher.
Das ist allerdings eine Entwicklung, die in erster Linie den Journalismus als Metier betrifft. Stellt man die Frage danach, was sonst so in den Medien los ist, lässt sich vielleicht ein Trend zu eher kürzeren Berichten oder ein immer noch ambivalentes Verhältnis bezüglich der Frage feststellen, ob die alten parteipolitischen Positionen noch Bestand haben. Auch die Frage nach dem Geschäftsmodell ist für die einzelnen Medien nicht mehr so einfach zu beantworten.
Die parteipolitische Verortung der Medien scheint nicht mehr dieselbe Bedeutung zu haben.
I.K.: Vordergründig ist das richtig – manche Medien haben durch eine gewisse Schwäche der Gewerkschaften einerseits und durch ihre ökonomische Situation andererseits an parteipolitischer Konsistenz verloren. Für sie stellt sich die Frage, ob sie es sich noch leisten können, ein parteipolitisches Organ zu sein. Im Ausland ist ein Trend erkennbar, dass sich Zeitungen, die in der Vergangenheit eher parteinah waren, aufgrund einer immer kleiner werdenden Leser- und Leserinnenschaft auch für andere Zielgruppen öffnen mussten. Diese Entwicklung lässt sich beispielsweise beim Luxemburger Wort beobachten. Momente wie die versuchte Einflussnahme von Luc Frieden bzw. des Verwaltungsrates auf redaktionelle Inhalte sind im Kontext eines neuen journalistischen Selbstverständnisses zu lesen, das dazu geführt hat, dass man vom parteipolitischen Journalismus etwas abgerückt ist, wobei die Situation nach wie vor ambivalent bleibt, als diesbezüglich keine klare Linie erkennbar ist.
Wir haben mit RTL, L’Essentiel und Paperjam mittlerweile einen starken, von kommerziellen Interessen geleiteten Journalismus in Luxemburg. Ist die kommerzielle, also nicht parteipolitische Presse ein Gewinn für die demokratische Auseinandersetzung?
I.K: Solange es sich im demokratischen Fluss bewegt, halte ich grundsätzlich jedes Medienorgan, das dazukommt, zunächst für einen Gewinn, unabhängig davon, ob ein kommerzielles Interesse dahintersteckt oder nicht. Sicherlich kann man die Frage stellen – und das sollte man auch –, was der Journalismus, der dort gemacht wird, der Öffentlichkeit bringt. Wenn Sie beispielsweise Paperjam ansprechen, sind das nicht immer unbedingt Medien, für die bezahlt werden muss. Vielleicht würden sich Fragen anders stellen, wenn man für bestimmte Produkte bezahlen müsste.
Anders als noch vor zehn Jahren haben wir heute einen „Aufregungs- und Aufdeckungsjournalismus“, der manchmal nicht das „gute Aufdecken“, sondern eher auch das „schlechte Aufregen“ beinhaltet. Inwiefern verändert das die Dynamik innerhalb der Medien?
I.K.: Ich teile die Ansicht, warne allerdings davor, das wiederum selbst zu einem Aufregerthema zu machen. Es ist der Zahn der Zeit, das Rennen nach Nachricht, eine Konkurrenz, die durch den Druck befeuert wird, in Echtzeit Information zu liefern, die es den Medien schwer macht, sich von der Konkurrenz abzuheben. Die Mittel, zu denen dann gegriffen wird, sind Emotionen, weil das wahrscheinlich in diesen Zeitgeist passt. Gleichwohl muss man sagen, dass sich das, was wir hier in Luxemburg beobachten können, noch in einem sehr erträglichen Maß bewegt. Der Vorwurf, der Journalismus sei zu emotional geworden, kommt ohnehin meistens von Seiten der Politik, die selbst oft nichts anderes tut als Emotionen zu bedienen. Da sollte man nüchtern bleiben. Es liegt an uns als Konsumenten und Konsumentinnen zu schauen, ob wir eine solche Art von Journalismus bezahlen wollen, ob das reicht oder nicht. Bemerkenswerterweise stammen so einige dieser Aufregerthemen aus Medien, die sonst tiefgründiger schreiben.
Wie schätzen Sie in Luxemburg das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Medien ein?
I.K.: Dieser Aspekt wird meines Wissens nur von Eurobarometer abgefragt. Dort liegt Luxemburg in einem sehr guten Bereich mit 65% für Medien allgemein und 70% für Radio und Zeitung im Speziellen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man zu dem gleichen Ergebnis kommen würde, würden diese Zahlen nach dem Alter aufgeschlüsselt. Ich meine, bei jüngeren Lesern und Leserinnen sieht es anders aus; die herkömmlichen Medien finden bei der Jugend nicht die gleiche Verankerung, die sie bei Lesern und Leserinnen zwischen 35-65 Jahren finden.
Ein Großteil der luxemburgischen Medien schreibt für das immer gleiche Publikum, nämlich einen gewissen Teil der luxemburgischen Wählerinnen und Wähler. Die werden sehr gut abgedeckt. Wie inklusiv sind die luxemburgischen Medien? Inwiefern tragen sie zu einer Stabilisierung der Demokratie bei, wenn sie ganze Schichten der Gesellschaft außer Acht lassen.
I.K.: Ich halte das für einen hochproblematischen Aspekt unserer Medienlandschaft. Wir haben so etwas wie Insel-Medien, die sich an Luxemburger und Luxemburgerinnnen richten, die lange hier im Land leben, sich gut auskennen, selber vielleicht tragende Funktionen inne haben. Wer nicht angesprochen wird, sind zum einen finanziell benachteiligte Menschen, die allgemein schwer erreicht werden, und zum anderen unterschiedliche Gemeinschaften innerhalb der luxemburgischen Bevölkerung. Es ist problematisch, wenn ein öffentlich-rechtliches Radio in seinem Wochenprogramm an fünf von sieben Tagen fast ausschließlich auf Luxemburgisch ausstrahlt. Sollte die Diskussion um einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk bzw. seinen sogenannten „öffentlich-rechtlichen Auftrag“ – was immer das bedeuten mag – aufkommen, stellt sich die Frage nach den Zielgruppen. An wen richtet er sich? Service publique bedeutet für mich, dass das Radio uns allen gehört, also allen Menschen, die in Luxemburg leben.
Die öffentlich-rechtlichen Medien sind hier in Luxemburg ausgesprochen unterentwickelt: In anderen Staaten wird gerade ihnen eine sehr große Bedeutung zur Belebung der öffentlichen oder demokratischen Debatte beigemessen. Wie sollte man die Situation in Luxemburg, die ja relativ einmalig ist, einschätzen?
I.K.: Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir so etwas wie eine Medienpolitik haben, die präzise definiert, was „öffentlich-rechtlich“ bedeutet und die damit verschiedene Konzepte und Formen der Umsetzung verbinden kann. Weder unsere Politik noch wichtige gesellschaftliche Träger haben so etwas bisher hervorgebracht. Tatsächlich ist unsere Medienlandschaft eher „organisch gewachsen“. Es gab immer ein Informationsmonopol bei RTL, dann wurde irgendwann ein kleines Radio aufgebaut, weil man ein Gegengewicht schaffen wollte, ohne es mit den nötigen Ressourcen auszustatten. Insofern wurde auch nie substanziell diskutiert, was dieses Radio leisten soll. Ich sehe auch von Regierungsseite keine Medienpolitik, die definieren würde, was „öffentlich-rechtlich“ heißt und wie „öffentlich-rechtlich“ umzusetzen wäre. Denn dann müsste man grundlegende Fragen stellen, Fragen zu RTL, das einen wesentlichen Teil dieses „öffentlich-rechtlichen“ Auftrages abdeckt, jedenfalls im visuellen Bereich. Man müsste auch fragen, ob Radio 100,7 nach öffentlich-rechtlichen Kriterien arbeitet, da es sich sozusagen nur an „Stacklëtzebuerger“ richtet.
Wir haben derzeit wieder einmal eine Diskussion um die redaktionelle Unabhängigkeit eines Medienorgans. Diesmal geht es um Radio 100,7, vor ein paar Jahren ging es um das Luxemburger Wort. Im Zuge der Berwick-Lunghi-Affäre stand RTL im Fokus. Die Frage nach der redaktionellen Unabhängigkeit ist ein immer wiederkehrender Konfliktherd. Ist das spezifisch für Luxemburg oder wird auch in unseren Nachbarländern diese Frage dynamisch diskutiert und muss immer wieder neu gestellt werden?
I.K: Ich meine nicht, dass dies etwas spezifisch Luxemburgisches ist. Hingegen schon die Art und Weise, wie die Diskussion geführt wird und mit welcher Stärke sie geführt wird. Betrachtet man die Diskussionen um die veränderten Eigentümerverhältnisse bei Libération oder Le Monde, stellt man fest, dass es dort die gleichen Fragen und Diskussionen gab. Auch da haben die Redaktionen zusammengesessen und einen Emanzipations- und Identifikationsprozess angestoßen. Was ich in Luxemburg anders erlebe, ist dieses Moment der Solidarität unter Journalisten und Journalistinnen. Diskussionen um die Wichtigkeit einer redaktionellen Unabhängigkeit finden hier vielleicht weniger statt. Die redaktionelle Unabhängigkeit bei Radio 100,7 ist eine politische Angelegenheit in einem öffentlich-rechtlichen Kontext, umso mehr, wenn man bedenkt, wie der Verwaltungsrat dort zusammengesetzt wird. Im Prinzip ist es eine Angelegenheit, die viele etwas angehen sollte und wo man sich fast wundern kann, dass sie nur von einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung diskutiert und weder von der Politik noch von der Zivilgesellschaft richtig ernst genommen wird. Theoretisch ist der öffentlich-rechtliche Radiosender unser aller Radiosender. Und doch findet keine grundsätzliche Diskussion statt, die andere Kreise miteinbeziehen würde. Als Journalisten und Journalistinnen wissen wir, wie schwierig es ist, zu bestimmen, was „redaktionell unabhängig“ zu sein bedeutet. Auch im Kontext der Pressehilfe geht es um die Linie des Editorials und auch darüber wird nicht wirklich debattiert.
Gerade in den Medien findet eine Diskussion über Medien selten statt. Weder findet Selbstkritik statt, noch kritisiert man sich gegenseitig. Das Feedback müsste also von außen kommen, z.B. von der Politik oder den eigenen Leserinnen und Lesern?
I.K.: Die Medien bekommen Feedback, die Frage ist, welche Art von Feedback sie bekommen.
Wir hatten im Juni letzten Jahres den seltsamen Brief der Minister Braz und Bausch an die Presse.
I.K.: Gerade an diesem Brief lässt sich eine gewisse Unbeholfenheit zur kritischen Selbstreflexion erkennen. Die gibt es allerdings auf beiden Seiten. Die Medien können sich diesen Schuh auch anziehen. In Luxemburg gibt es keine ernsthafte Medienkritik. Was forum übrigens immer ausgezeichnet hat, war das Intro auf der Seite 3, in dem oft Reflexionen über die Medien stattfinden. Das gibt es sonst in der Form nirgendwo. Ich habe oft von meinen älteren Kollegen und Kolleginnen gesagt bekommen, dass so etwas eine Nabelschau sei, die keinen interessiere. Das sehe ich nicht so. Man wird nur besser, wenn man sich einer Kritik unterzieht. Man kann Fehler schließlich nur erkennen, wenn man auf sie hingewiesen wird, sonst hätte man sie nicht gemacht.
Das gilt gleichermaßen für die Politik. Ich finde unsere Politik manchmal erschreckend unprofessionell. In der von Félix Braz und François Bausch beanstandeten Berichterstattung ging es um ein wichtiges Anliegen, nämlich um die Frage, ob Grundrechte wie der Datenschutz vom Staat genügend geschützt werden. Es hat sich herausgestellt, dass es Anlass für Kritik gab. Da kann ich diese Art von Brief, der paternalistisch rübergekommen ist, nicht nachvollziehen. Es wäre professioneller gewesen, sich die Kritik anzuhören und dann das zu verbessern, was verbessert werden muss. Und wir sehen ja, es wird offensichtlich nachgebessert, also kann die Kritik der Medien nicht falsch gewesen sein.
Der Presserat selbst hat eine Beschwerdekommission. Was passiert da?
I.K.: Im Moment passiert nicht sehr viel. Wir haben zwei, drei Beschwerden bekommen, die derzeit geprüft werden. Soweit ich weiß, hatten wir im Vorjahr vier oder fünf, die in der Form jeweils nicht zulässig waren, in der sie gestellt wurden. Ich persönlich finde – ohne dass ich jemandem vorschreiben könnte sich zu beschweren –, dass das zu wenig ist. Das hat damit zu tun, wie das Beschwerdeverfahren hierzulande aufgebaut ist. Es berücksichtigt nur Individualbeschwerden, d.h., man muss selbst von einer Berichterstattung betroffen sein, um eine Beschwerde einlegen zu können. Ich könnte z.B. nicht reklamieren, wenn ich einen Artikel als antisemitisch empfinde, damit sich die Beschwerdekommission damit auseinandersetzt. Das ist in anderen Ländern breiter gefasst. Zudem schaut unsere Beschwerdekommission noch sehr auf herkömmliche Medien, Beschwerden über Online-Medien erreichen uns fast gar nicht.
Welche anderen Aufgaben hat der Presserat? Ist er eine reine Interessenvertretung?
I.K.: Der Presserat hat drei Hauptaufgaben: Er ist das Vertretungsorgan von Journalisten und Journalistinnen sowie von Verlegern und Verlegerinnen, und als solches paritätisch zusammengesetzt. Er stellt die Spielregeln des Berufsstandes auf und hat dafür den code de déontologie, also den Pressekodex ausgearbeitet, über dessen Einhaltung er wacht. Das wiederum erklärt die Einrichtung einer Beschwerdekommission, wo Bürgerinnen und Bürger ihre Beschwerde einreichen können. Der Presserat vergibt Pressekarten, an die er die Bedingung knüpft, dass Journalisten und Journalistinnen, die diese Karte bekommen, eine Professionalität auszeichnet, u.a. die Kenntnis und das Einhalten der Regeln des Pressekodex. Daran schließt sich seine dritte Aufgabe an, entsprechende Schulungen anzubieten, um angehende Journalisten und Journalistinnen in diesen Regeln auszubilden. Zu seinen Aufgaben hat – obwohl das nie so richtig definiert war – aber auch immer gehört, in die Schulen zu gehen. Dieser medienpädagogische Aspekt hat sich über die Jahre verstetigt. Ferner vergibt der Presserat den Journalistenpreis, ursprünglich eine Initiative der Journalistenverbände. Darüber hinaus soll der Presserat Rückmeldungen auf Gesetze geben, die den Berufsstand im weitesten Sinne betreffen. Ich meine zudem, dass der Presserat die Aufgabe hat, Trends zu erkennen, aufzugreifen und zumindest seinen Mitgliedern vorzulegen und zu diskutieren. Das ist allerdings etwas, das zu kurz kommt.
Im Regierungsprogramm wird angekündigt, dass Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Qualität der Medien zu verbessern. Was kann man sich darunter vorstellen und hat der Presserat eigene Vorschläge dazu?
I.K.: Als ich das erste Mal gehört habe, dass es das Anliegen der Regierung war, die Qualität der Medien zu verbessern, habe ich erst einmal geschluckt. Man kann die Qualität von etwas nur verbessern, wenn man den Inhalt bewertet. Es ist ein sehr delikates Unterfangen, wenn eine Regierung anfängt, Inhalte bewerten zu wollen. Die Aufgabe der Qualitätsverbesserung obliegt den Journalisten und Journalistinnen und den Verlegern und Verlegerinnen und nicht der Regierung. Das Anliegen steht mit der anstehenden Reform der Pressehilfe in Zusammenhang, einer Pressehilfe, die bislang vor allem an die Zahl der gedruckten Seiten gebunden war und nicht bewertet hat, was überhaupt gedruckt wurde. Dabei ist, als ein perverses Nebenprodukt sozusagen, herausgekommen, dass die Pressehilfe auch für Inhalte geleistet wurde, die entweder eine Eins-zu-Eins-Wiedergabe von irgendwelchen Agenturmeldungen und Pressemitteilungen oder des Fernsehprogramms waren. Jetzt möchte man von der bedruckten Papierfläche als Kriterium wegkommen und „guten“ Journalismus unterstützen. „Gut“ ist aber eine schwierige Vokabel, wird sie von Seiten einer Regierung in den Mund genommen.
Hat der Presserat eigene Vorschläge, was die Förderung der Qualität anbelangt? Was könnte das sein?
I.K.: Als die Beratungen über ein neues Pressehilfegesetz angefangen hatten, ist der Presserat – nur um das richtig nachzuzeichnen – zwar konsultiert worden, kam aber als ein Beobachter dazu. In meiner Interpretation vom Presserat – das mögen vielleicht nachfolgende Präsidenten und Präsidentinnen anders sehen – finde ich es gut, wenn der Presserat versucht, eine eigene Position einzunehmen. Das ist gar nicht so einfach, wenn sich widerstreitende Interessen im Gremium gegenüberstehen. Wir haben die Journalisten und Journalistinnen auf der einen, die Verleger und Verlegerinnen auf der anderen Seite. Das allein ergibt Reibungspotenzial. Wir haben große und kleine Verleger und Verlegerinnen, wir haben Medien, die von der Pressehilfe unterstützt werden sowie Medien, die nicht im Presserat vertreten sind, aber aus guten Gründen existieren. Es gibt also sehr unterschiedliche Interessen, und deshalb ist es für den Presserat schwierig, eine konsistente Position zu entwickeln. Nichtsdestotrotz war es mir in der Zeit, in der ich Präsidentin war, ein Anliegen, dass wir uns darüber ausgetauscht haben.
Wir haben also eine Arbeitsgruppe gebildet und waren froh, dass der Medienminister entschieden hatte, uns zu den Beratungen hinzuzuholen. Es hat Einzelgespräche mit den Verlegern und Verlegerinnen gegeben, wir waren aber bei einem Gemeinschaftstermin dabei. Es gibt durchaus bestimmte Punkte, die für den Presserat relevant sind. Das betrifft zum einen den politischen Auftrag, Medienpluralität und Meinungsvielfalt zu garantieren. Zum anderen ist der Presserat im Rahmen der Pressehilfe impliziert, weil dieses Modell vorsieht, dass Pressehilfe in Zukunft nach der Anzahl der – vom Presserat zugelassenen – Journalisten und Journalistinnen vergeben wird. Es gibt noch einen dritten Punkt in der Diskussion um den Gesetzesentwurf, der nicht nur den Presserat betrifft. Denn mit dem Text, wie er jetzt vorliegt, stellt sich die Frage, ob Gratismedien, für die bisher keine staatliche Unterstützung bezahlt wurde, auch Pressehilfe erhalten sollen oder nicht. Das ist eine Frage, die auch die Öffentlichkeit interessieren könnte.
Seit etwa zwei Jahren, Sie haben es eben angedeutet, wird darüber diskutiert, die Pressehilfe in ihrer Gesamtheit zu reformieren und auf ein System umzustellen, in dem nicht mehr die Anzahl der bedruckten Seiten subventioniert wird, sondern die Anzahl der (Vollzeit-)Journalisten und Journalistinnen, die ein Betrieb beschäftigt. Je mehr Journalisten ein Betrieb also vorzuweisen hat, desto stärker soll er in Zukunft subventioniert werden.
I.K.: Das ist sozusagen die Idee, ja.
Bislang wurden zwei Entwürfe diskutiert. Die Öffentlichkeit weiß aber nichts davon. Warum berichtet die Presse nicht über die Reform der Pressehilfe?
I.K.: Sie sind der erste, der mir als Präsidentin des Presserates diese Frage stellt. Ich bin selber darüber erstaunt. Von den Medien kommen keine Anfragen diesbezüglich. Dabei geht es die Öffentlichkeit etwas an. Ich bin auch noch nicht von Seiten der politischen Parteien oder Organisationen kontaktiert worden.
Das, was gerade diskutiert wird, wird die Presselandschaft in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren strukturieren. Wenn beispielsweise entschieden wird, dass die Gratispresse, die sich ausschließlich über Werbung finanziert, zusätzlich mit Steuergeldern übersubventioniert wird, könnte eines der Ergebnisse sein, dass eine zweite Gratiszeitung auf den Markt kommt. Eine Neuausrichtung der Pressehilfe hätte sehr konkrete Folgen und es wäre wünschenswert, wenn diese Folgen im Vorfeld öffentlich diskutiert würden.
I.K.: Ich kann nur wiederholen, dass ich selbst darüber verwundert bin, dass es kein größeres öffentliches Interesse an dieser Debatte gibt. Ich habe bis heute nur eine weitere Interviewanfrage bekommen. Es hat mich bisher kaum jemand gefragt, was der Presserat in diesem Dossier unternimmt. Es wäre für mich allerdings nicht einfach geworden zu antworten: Die Gratiszeitungen sitzen bei uns mit am Tisch und drängen darauf, von dem Geld in Zukunft profitieren zu können. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass eine solche Diskussion nicht stattfindet. Vielleicht fehlt hier ein Bund luxemburgischer Steuerzahler, wie er in Deutschland existiert. Das wäre aber nicht der einzige Punkt, der zu diskutieren wäre.
Der Punkt, inwiefern ein bestimmter Pro-Kopf-Betrag auf den Journalisten oder die Journalistin gerechnet automatisch zu mehr Qualität führt, gehört hinterfragt. Daran anknüpfend: Welche Arbeitsverhältnisse stehen dahinter? Was ist Journalismus wert? Was bedeutet qualitativer Journalismus? Der Ausgangspunkt der Pressehilfe, der ja war, Medien das Überleben zu sichern, die es nicht nach reinen Marktkriterien schaffen würden, wird nicht diskutiert. Mit der Pressehilfe sollte ein Beitrag zur Demokratie geleistet werden, um in einem so kleinen Land trotz allem unterschiedliche Meinungen und Medien abbilden zu können.
Vor etwa einem Jahr ist ein neues Informationszugangsgesetz in Kraft getreten, was im Presserat auf große Kritik gestoßen ist, da die besonderen Interessen der Medien nicht berücksichtigt worden sind. Journalistinnen und Journalisten haben seitdem den gleichen Zugang zu Informationen beim Staat oder in den Verwaltungen wie alle Bürgerinnen und Bürger. Welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr?
I.K.: Ich kann im Moment keine genaue Bilanz ziehen, weil ich die Zahlen nicht kenne. Ich kann aber sagen, dass der Presserat sich mit der Beschwerdekommission trifft, wo Bürger und Bürgerinnen hingehen können, die negativ beschieden wurden und die das überprüfen lassen wollen. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Was ich höre, ist – und das war von uns kritisiert worden –, dass dieses Gesetz in der Form, wie es formuliert wurde, für die Bürger und Bürgerinnen schwerfällig ist. Es gibt wenige Anfragen, da das neue Recht nie beworben wurde, es hat nie eine Aufklärungs- oder Werbekampagne für dieses Gesetz gegeben. Bürger und Bürgerinnen wissen nicht, wie sie es nutzen sollen. Das klingt wie ein technisches Problem, aber verschiedene Begriffe, die in diesem Gesetz verwendet werden, sind problematisch, wenn dort etwa von „Dokumenten“ statt von „Informationen“ die Rede ist. Das bedeutet, dass eine Information schon verschriftlicht sein muss, damit man sie anfragen kann. Dazu müsste man wissen, was verschriftlicht worden ist. Das sind alles Hürden, die wir damals kritisiert haben. Gleichwohl rufe ich alle Journalisten und Journalistinnen dazu auf, das Gesetz zu nutzen und Anfragen für mehr Transparenz zu stellen.
Dieses Gesetz ersetzt aber nicht, was den Medien in Luxemburg trotz fortschrittlichem Pressegesetz fehlt: nämlich ein eigener Informationszugang. Er würde bedeuten, dass Journalisten und Journalistinnen bei öffentlichen Verwaltungen Informationen anfragen könnten und diese Verwaltungen wären verpflichtet, Auskunft zu geben. Das können sie jetzt indirekt über das Transparenzgesetz machen, dann mit Wartefristen von einem Monat. Ein Tagesjournalist oder eine Tagesjournalistin kann keinen Monat warten.
Im März endet Ihr zweijähriges Mandat als Präsidentin des Presserates. Was für eine Bilanz ziehen Sie, was wünschen Sie sich noch?
I.K.: Für mich persönlich war es eine aufregende Zeit, weil es spannende Themen gab, die Sie angesprochen haben: Pressehilfe, die Frage von Demokratie und Medien, die Professionalisierung, die Frage von Qualität und Ausbildung. Eines meiner Fazits, das zunächst organisatorisch klingt, ist, dass der Presserat sich in Zukunft anders aufstellen muss, um auf Augenhöhe mitdiskutieren zu können. Daher wäre es gut, wenn der Presserat nicht nur ehrenamtlich funktionieren, sondern sich die Möglichkeiten geben würde, verschiedene tiefergehende Analysen professionell zu leisten. Ich möchte keiner Diskussion vorgreifen, meine aber, es wäre sinnvoll, wenn der Presserat sich professionalisiert und zwar nicht nur, weil wir demnächst eine Pressehilfe bekommen, die an die Kartenkommission mehr Anforderungen stellt. Sondern weil wir eine Reflektion von und über unseren Berufsstand brauchen, die permanent geleistet werden muss. Es gibt eine Reihe von Fragen, die neu sind und über die wir jetzt nicht gesprochen haben: die der Whistleblower, die der Transparenz im Bereich der Firmen – wir haben inzwischen einen kritischeren Wirtschaftsjournalismus –, das sind Themen, die der Presserat nicht ehrenamtlich begleiten kann. Er muss sich Referenten und Referentinnen geben und sich professionalisieren, um sich mit diesen Aspekten kontinuierlich auseinandersetzen zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage der Weiterbildung. Bisher hat der Presserat nur eine obligatorische Weiterbildung für angehende Journalisten und Journalistinnen organisiert. Diese reichen aber nicht aus, betrachtet man die Herausforderungen in dem Berufsfeld und den rasanten Wandel, dem Berufe im Bereich des Journalismus unterliegen. Ein künftiger Presserat wird sich dort sehr viel besser aufstellen müssen. Auf ehrenamtlicher Basis Ausbildungen zu organisieren, wird nicht mehr möglich sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview fand am 29. November 2019 statt, die Fragen stellte Jürgen Stoldt.
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