Der Auftrag
Erwartungen der Zivilgesellschaft an die kommende Regierung
Vor den Wahlen geraten nicht nur Parteien und Kandidaten in Hektik, sondern auch die organisierte Zivilgesellschaft. Viele Vereinigungen, die ihre diversen, oftmals sehr speziellen Anliegen voranbringen wollen, haben in den Monaten vor dem Wahltermin in internen Arbeitsgruppen und Mitgliederbefragungen ihre Erwartungen an die nächste Regierung formuliert. Diese Positionen wurden dann an die Presse und die Parteien geschickt in der Hoffnung, dass die Texte von den Programmkommissionen wahrgenommen werden. Häufig fragen die professionellen Interessenvertreter von Industrie, Naturschutz oder Sozialvereinigungen noch zusätzlich Termine bei den Parteien an, um ihre Wünsche in einem informellen Gespräch vorzubringen.
Dutzende dieser Eingaben sind in den letzten Wochen und Monaten publiziert worden und wurden von der Öffentlichkeit mit mehr oder weniger Interesse zur Kenntnis genommen. Würde man die Stellungnahmen zusammenfügen, käme wahrscheinlich ein sehr komplettes und komplexes Bild unserer Gesellschaft, ihrer Widersprüche und gemeinsamen Werte heraus.
Eine breite Palette an Forderungen
Für diese forum-Ausgabe haben wir uns darauf beschränkt, etwas mehr als ein Dutzend Vereine und Interessensgruppen zu bitten, ihre Vorstellungen für die Politikgestaltung der nächsten Jahre zusammenzufassen. Die Auswahl, die wir unseren Lesern anbieten, ist breit und berührt Bereiche wie Journalismus (ALJP), Lebensmittelpolitik, Naturschutz (natur & ëmwelt) und Bienenzucht (FUAL), Kunst und Kultur (Forum Culture(s)), Flüchtlingspolitik (Ronnen Desch), Interessen junger Eltern (Initiativ Liewensufank), Mobilität (LVI), Denkmalschutz (Sauvegarde du Patrimoine), Kooperationspolitik (ASTM), Verbraucherschutz (ULC), Arbeitsmarkt (clc), Digitalisierung (UEL) sowie Wirtschaftskriminalität und Whistleblowing (StopCorrupt). Die Texte ergeben einen schönen Überblick über die Erwartungen an die nationale Politik und liefern dabei auch prägnante Einführungen in einige wichtige Baustellen der luxemburgischen Gesellschaft.
Das Beispiel von Forum Culture(s)
Das erklärte Ziel all dieser Stellungnahmen ist, dass sich die vertretenen Positionen und Forderungen später in den Wahlprogrammen wiederfinden und – wer weiß – am Ende mit ein bisschen zusätzlicher Überzeugungsarbeit ihren Weg in das Regierungsprogramm finden. Doch weder die Aufnahme in ein Wahl- noch in ein Regierungsprogramm garantieren, dass die guten Vorsätze auch eingehalten werden. Ein schönes Beispiel, wie es gehen kann, war der Erfolg der Forderungen von Forum Culture(s), einem informellen Zusammenschluss von etwa 40 Künstlern und Kulturschaffenden im Jahre 2008. Es gelang damals in Dutzenden von Arbeitssitzungen einen grundlegenden Text, ein „Manifest“ zur Bedeutung von Kunst und Kultur in Luxemburg zu erarbeiten und alle Parteien in Luxemburg dazu zu bewegen, im Vorfeld der Wahlen von 2009 einen „Pacte culturel“ als programmatische Selbstverpflichtung zu unterschreiben (die Texte sind unter www.forumcultures.lu zu finden). Die Unterschrift aller Parteien unter diese Selbstverpflichtung war schon ein spektakulärer politischer Erfolg. Doch es kam noch besser: Im Regierungsprogramm der darauffolgenden CSV-LSAP Koalition waren (zwar ohne Quellenangabe) eine ganze Reihe Textbausteine des Manifestes und des Paktes integriert. Mit dieser impliziten Referenz war der Geist der Forderungen jedoch nicht übernommen worden. Doch im darauffolgenden Wahlkampf 2013 gelang es erneut, das Thema bei den Parteien zu platzieren. Mehrere Wahlprogramme nahmen ausdrücklich Bezug auf das Manifest und den Pakt, und im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wurde dann ohne Wenn und Aber darauf verwiesen: Die Dokumente von Forum Culture(s) würden nichts weniger als die Grundlage der zukünftigen Kulturpolitik des Landes darstellen! DerRest ist Geschichte… Die Kulturpolitik der letzten fünf Jahre war weder vom Geist noch von der Methode durchtränkt, die die Initiatoren von Forum Culture(s) sich erwartet hatten. Formal war die Überzeugungsarbeit von Forum Culture(s) also sehr erfolgreich gewesen – doch die Ergebnisse waren außerordentlich bescheiden.
Eine Frage der Legitimität
Wenn Gewerkschaften oder die immer noch sehr hierarchisch organisierte katholische Kirche sich äußern, kann man davon ausgehen, dass sie im Namen ihrer Mitglieder sprechen. Bei vielen Vereinen und Verbänden ist die Legitimität der Forderungen jedoch schwerer einzuschätzen. Sie beruht dann im besten Fall auf Kompetenz, im schlimmsten Fall auf Autosuggestion, manchmal auch auf Geiselhaft. So entstehen die Positionen des ACL, um nur diesen zu nennen, nicht etwa aufgrund von Befragungen unter den zahlenden „Mitgliedern“, sondern sie werden im kleinen Kreis innerhalb des eigentlichen, nur rund 20 ordentliche Mitglieder zählenden Vereins ausgemacht. Das Gleiche gilt im Übrigen für viele Verbände. Sie liefern im Namen ihrer Mitglieder, die sich kaum wehren können, Beiträge zur politischen Debatte, die am Ende nur die hoffentlich kompetente (manchmal auch bornierte) Sicht eines kleinen Personenkreises widerspiegeln. Der inhaltliche Input der in Luxemburg außerordentlich aktiven Vereins- und Verbandsszene bleibt trotzdem ein unverzichtbarer Bestandteil in der politischen Debatte. Hier werden die Aufträge formuliert, an denen sich die kommende Koalition inspirieren wird. Nur im Zusammenspiel mit und in der Konkurrenz zur Zivilgesellschaft gewinnt das politische System jene verblüffende Stabilität, die es heute trotz allem noch auszeichnet.
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