Der forum-Blick in die Glaskugel

So oder auch anders könnte es nach dem 14. Oktober weitergehen

Es ist frühmorgens, der 14. Oktober 2018. Wie schon seit Wochen schreckt Claude Wiseler gegen 4.30 Uhr mit einem lauten Stöhnen aus dem Schlaf auf. Es ist immer der gleiche Traum, der ihn heimsucht: Viviane Reding ist mit einem Vorsprung von 15 Stimmen auf ihn Erstgewählte auf der CSV-Liste im Zentrum. Isabel, seine Frau, rüttelt ihn. „Claude, wach auf, es ist bald vorbei!“

Am Abend kurz vor 20 Uhr erreicht er, umgeben von seinen Parteifreunden, das RTL-Fernsehstudio. Die bislang aus den Wahlbüros eingegangenen Ergebnisse sind nicht berauschend. Xavier Bettel ist eindeutig der beliebteste Politiker des Landes, aber das soll ihn nicht stören. Auch die Tausenden, die im Süden Jean Asselborn gewählt haben, sind ihm egal. Hauptsache Reding ist weit abgeschlagen. Die CSV wird wieder die Regierung stellen, und an ihm, Claude Wiseler, führt kein Weg mehr vorbei. Sein Generalsekretär Laurent Zeimet und er glauben zu diesem Zeitpunkt noch, dass ihr Wunschszenario einer Koalition mit den Grünen aufgehen könnte. Sie werden gegenüber ihren Parteifreunden argumentieren, dass die Grünen neben der CSV die einzigen Wahlgewinner sind (wenn man ADR und déi Lénk einmal ausnimmt). Sie werden zeigen, dass in einer Koalition mit den Grünen die meisten Ministersitze für die CSV herausspringen und damit auch ein Maximum an CSV-Nachrückern ins Parlament kommen können. Sie werden aufzählen, dass in den großen Sachfragen keine Differenzen bestehen und man die Kompetenzen der grünen Minister gut gebrauchen kann. Sie werden auch vorbringen, dass die Grünen kein Interesse am Außenministerium haben und ein weiterer prestigeträchtiger Posten für die CSV herausspringt. Claude Wiseler wird vielleicht nicht erwähnen, dass er mit der sperrigen Viviane Reding schon einen Deal geschlossen hat, um sie aus den Füßen zu bekommen. Sie sollte in einer CSV/déi gréng-Regierung den Posten der Außenministerin erhalten, unter der Bedingung, dass sie sich aus dem Wahlkampf heraushält. Tatsächlich hatte Viviane Reding das Wort „Tandem“ nicht mehr in den Mund genommen und Wiselers Leaderrolle loyal unterstützt. Auch Luc Frieden war während Wochen fast unsichtbar gewesen. Böse Zungen kommentierten, dass eigentlich die ganze Partei auf Tauchstation gegangen war, nur um ihren vom Schicksal vorherbestimmten Sieg nicht zu verspielen.

Das Wahlergebnis

Caroline Mart, die wie immer die einzige Frau auf der Bühne ist, liest das vorläufige Endergebnis vor: Danach erreicht die CSV 26 Sitze (+3), weit entfernt von den 28/29 Sitzen, die man ihr vor Jahresfrist herbeigeschrieben hatte. Die DP kommt auf 10 (-3) und die LSAP auf 9 (-4) Sitze. Die Grünen sind wieder auf 7, die Linke erreicht 3 (+1) und die ADR 5 (+2) Sitze. Bis zum Schluss bleibt es spannend, ob die Piraten einen Sitz im Zentrum ergattern. Es soll nicht reichen.

Claude Wiseler erhält als erster das Wort. „Unsere verantwortungsvolle Politik in der Opposition ist vom Wähler honoriert worden. Meine Partei und ich werden jetzt mit Bedacht alle Optionen prüfen, mit wem die nächste Regierung gebildet werden kann“, erklärt er. François Bausch (déi gréng): „Trotz unserer schwierigen Ausgangslage als Teil der noch amtierenden Regierung haben wir unser Wahlergebnis verbessert. Meine Partei wird jedes Koalitionsangebot prüfen.“ Xavier Bettel (DP) geht sofort zum Angriff über: „Die DP und der aktuelle Premierminister stehen der CSV zur Verfügung für eine Regierung der Vernunft und der wirtschaftlichen Prosperität. Die CSV, d.h. das Land, braucht keine grünen Irrwege, sondern den Pragmatismus, den nur eine Regierung gemeinsam mit der DP
garantieren kann.“ Etienne Schneider (LSAP) zeigt sich aufgeräumt und grinst: „Ich wünsche allen viel Spaß.“ Die LSAP werde sichin der Opposition regenerieren, er hingegen werde auch andere Optionen prüfen.

Bei der Wahlfeier von déi Lénk im Sang a Klang im Pfaffenthal ist die Stimmung bombig. Marc Baum jubelt: „Jetzt geben wir Gas.“ Serge Urbany, der den dritten Sitz im Süden gewonnen hat, fragt sich insgeheim, ob er sich das als pensionierter Gewerkschaftssekretär wirklich noch zumuten muss.

Bei der ADR ist die Freude groß, dass mit dem wiedergewonnen Fraktionsstatus auch die entsprechenden Gelder wieder fließen. Gast Gibéryen schaut mit einem unguten Gefühl auf Fred Keup, der eines der besten Ergebnisse der Partei eingefahren hat. Auch der zufriedene und entschlossene Ausdruck in Fernand Kartheisers Gesicht gefällt ihm gar nicht. Nein, er muss schnellstens hier aufhören, bevor das alles aus dem Ruder läuft.

Richtungsstreit in der CSV

Am Montagmorgen tritt der Nationalvorstand der CSV zusammen. Die Diskussion entwickelt sich nicht wie von Wiseler und Zeimet gewünscht. Insbesondere die Stater CSV, aber auch der Ostbezirk und der Norden unter der ziemlich forschen Martine Hansen sind strikt gegen eine Koalition mit den Grünen. Bei insgesamt nur 32 Sitzen in der Chamber hätte eine solche Koalition, so sagen sie, noch nicht einmal eine größere Legi-timation als das verhasste Gambia-Bündnis von 2013. Und weiter: Die Grünen seien gar keine Wahlgewinner, sondern hätten nur den 2013 im Süden verlorenen Sitz zurückgewonnen. Im Übrigen hätten sie keine Ahnung von Agrarpolitik! Bei diesem letzten Argument muss Claude Wiseler schlucken: Um Martine Hansen zum Schweigen zu bringen, müsste er wohl Astrid Lulling das Landwirtschaftsministerium geben… Zum ersten Mal muss er seine ganze Autorität aufbringen, um zumindest ein Mandat für ein informelles Vorgespräch mit den Grünen zu erhalten. Als Gilles Roth jedoch einwirft, dass die Voraussetzung für Gespräche in jedem Fall eine Überarbeitung der Ausführungsbestimmungen des Naturschutzgesetzes sein müsse und die Versammlung grölend zustimmt, weiß Claude Wiseler, dass er verloren hat. Diese Kröte werden die Grünen schon aus Respekt vor dem verstorbenen Staatssekretär Camille Gira nicht schlucken können.

Später am Nachmittag trifft Claude Wiseler auf François Bausch und die grüne Parteispitze. Nach einigen Freundlichkeiten, wo man sich der gemeinsamen Positionen bei der Pensionsreform, in der Europapolitik und sogar bei der Weiterentwicklung des Finanzplatzes versichert, kommt Wiseler zur Sache und fragt, wie viel Spielraum es beim Naturschutzgesetz gibt. Bausch winkt sofort ab, das Naturschutzgesetz sei eine rote Linie. Wenn die Grünen es aufgäben, könnten sie auch gleich ihre Partei auflösen. Über die Sektorpläne und die Rückklassierung einiger Hektar in Gewerbegebiete hätte man bei entsprechenden Kompensationsmaßnahmen noch reden können, aber falls ein Rollback beim Naturschutz die Bedingung ist, könne man das Gespräch abbrechen. Wiseler schweigt und damit ist alles gesagt.

Die kleine Gruppe weiß, dass der Traum einer gemeinsamen Regierung zwischen Schwarz und Grün ausgeträumt ist. Trotzdem möchte Wiseler wissen – „fürs Protokoll“ wie er sagt – welche Ministerien die Grünen in Koalitionsgesprächen verlangt hätten. Bausch zählt auf: die Zusammenlegung von Umwelt und Landwirtschaft unter Carole Dieschbourg, ein neues Ministerium für Energie und Klima für Claude Turmes, er selber würde die Arbeit im MDDI weiterführen und Félix Braz müsse trotz seines schlechten Wahlergebnisses Justizminister bleiben. Alles vernünftige und rein sachliche Vorschläge, denkt Wiseler, hätte er nur auch so eine Partei… Nur aus Claude Turmes wird er nicht schlau: Wollte der Mann nicht EU-Kommissar werden? Er beschließt, die Frage zu testen und fragt, ob die Grünen ein Problem damit hätten, dass die CSV schon Luc Frieden als nächsten luxemburgischen Vertreter bei der EU-Kommission gesetzt hätten. Zu seinem Erstaunen gibt es keinerlei Bedenken. Claude Turmes schaut derweil versonnen aus dem Fenster. (Bausch gesteht Wiseler Wochen später auf einem Empfang, die Grünen hätten volles Vertrauen, dass Luc Frieden sich bei einem Jahr Vorlauf schon selber abschießen wird.)

Die Verhandlungen mit der DP

Im Auto erhält Claude Wiseler ein SMS seiner Frau: „Vergiss nicht Etienne Schneider anzurufen!“ Ja, das muss sein. Der derzeitige Vizepremier nimmt sofort ab, lässt ihn kaum zu Wort kommen und erklärt, dass „seine“ LSAP (er lacht) in jedem Fall nicht für Koalitionsgespräche zur Verfügung stehe. Er selber sei natürlich bereit, weiterhin Verantwortung zu tragen, z.B. als Präsident der Luxembourg Space Agency oder als Sonderbotschafter im All (erneutes Lachen). Er hoffe Claude Wiseler
bald einmal zu treffen, müsse aber jetzt leider auflegen, denn er habe Besuch von guten Freunden aus Russland. Claude Wiseler atmet aus. Das hätte er hinter sich.

Keine 30 Sekunden später schrillt Wiselers Handy schon wieder. Den Klingelton hatte er sich für den Wahlkampf installiert: „Start Me Up“ von den Rolling Stones. Am Telefon ist Lydie Polfer. „Ich wollte dich für morgen Abend zum Essen einladen. Bei mir zu Hause. Ich werde uns was Schönes kochen. Du kommst doch sicher?“

Als Wiseler tags darauf ins Wohnzimmer der Bürgermeisterin eintritt, hat auf dem Sofa schon Henri Grethen Platz genommen. „Du weißt“, sagt dieser, „dass die Stimmen, die euch drei Sitze gebracht haben, von der DP kommen. Diese Leute wollen nicht enttäuscht werden.“ Wiseler schluckt: „Jaja, klar.“ „Meiner Kunstsammlung und mir ist es ja schnurzegal, wer von Euch im Kulturministerium sitzt“, fährt Grethen fort. Genüßlich verspeist er ein Kanapee.

48 Stunden nach dem vertraulichen Sechs-Augen-Gespräch bei Lydie Polfer empfiehlt Claude Wiseler dem CSV-Nationalrat die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der DP. Das Votum ist einstimmig. Marc Spautz findet es unerhört, dass das Luxemburger Wort in einem Leitartikel auf Laudato si’ von Papst Franziskus hingewiesen und über schwarz-grüne Schnittmengen doziert hatte.

Die Koalitionsverhandlungen von CSV und DP verlaufen „konstruktiv und zielgerichtet“, wie es in einem Communiqué heißt. Strittigster Punkt ist Xavier Bettels Wunsch nach einem eigenen Luxemburger Regierungsjet. „Als Außenminister werde ich ständig auf Achse sein. Nach Berechnungen von Ernst & Young würde sich ein eigener Flieger im Nullkommanix rechnen.“ Am Ende der zweiwöchigen Verhandlungen steht im Koalitionsprogramm mit dem Namen „De Plang fir eng Zukunft op Lëtzebuergesch“ ein Kompromiss: Die neue Regierung kauft dem Emir von Abu Dhabi eine gebrauchte Falcon 900EX ab.

Das Kompetenzteam

Am 14. Dezember, genau zwei Monate nach den Wahlen, vereidigt der Großherzog die Regierung Wiseler/Bettel I. Im historischen Rückblick wird sie als die „letzte der Glücklichen vor dem Zusammenbruch“ bewertet werden.

Von der DP ist Xavier Bettel als Außenminister dabei, Claude Meisch muss Bildung abgeben, erhält aber mit Hochschule, Forschung und Digitalisierung ein Zukunftsministerium. Corinne Cahen wird das Wirtschaftsministerium anvertraut mit Schwerpunkt Handel und Handwerk, aber ohne Tourismus. Marc Hansen wird Gesundheitsminister. Pierre Gramegna, der nur knapp in die Chamber gewählt worden ist, erhält von seinen schadenfrohen Parteifreunden das Sportministerium angeboten. Nach seiner Ablehnung kann wie vorgesehen Max Hahn diesen Posten übernehmen. Zum Staatssekretär für Kultur, Film und Medien wird Guy Daleiden ernannt.

Auf Seiten der CSV sieht die Postenverteilung folgendermaßen aus:
Zentrum: Claude Wiseler (Premier, Kultus, Kultur, Film und Medien), Viviane Reding
(Justiz), Marc Lies (Wohnungsbau),
Süden: Marc Spautz (Arbeit), Laurent Zeimet (Familie, Integration und Chancengleichheit), Felix Eischen (Beziehungen zur Chamber und zum EU-Parlament)
Norden: Martine Hansen (Bildung), Emile
Eicher (Inneres und Territorialreform),
Osten: Françoise Hetto Gaasch (Tourismus, Landwirtschaft und Weinbau), Léon Gloden (Polizei, Armee und Rettungsdienste).

Als Finanzminister wird der ehemalige Beamte im Finanzministerium und Vertraute von Luc Frieden Georges Heinrich gesetzt. Fraktionschefin der CSV wird Diane Adehm (mit einem 10-köpfigen Sekretariat). Michel Wolter und Laurent Mosar lösen sich während der Legislaturperiode als Parlamentspräsidenten ab (Rotation).

Die neue Koalition einigt sich darauf, dass Luc Frieden der kommende Vertreter Luxem-burgs in der EU-Kommission sein wird. Henri Grethen erhält seinerseits die Zusage, dass er „so lang wie er will“ luxemburgisches Mitglied des Europäischen Rechnungshofes bleiben kann. Jean Asselborn wird Sonderbotschafter beim UN-Flüchtlingswerk.

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