Der „Gender Wealth Gap“

Warum die meisten Reichen Männer sind

Wer hat Angst vor der Diskussion über unbezahlte Arbeit? Die schnelle Antwort: reiche, sexistische Männer und ihre Verteidiger*innen. Eine ganz bestimmte Art von Arbeit, die den geschlechtsspezifischen Aspekt der Reichtumsakkumulation mehr aufrechterhält, als man zugeben oder gar glauben möchte, ist die Betreuung von Kindern und die Hausarbeit: auch bekannt als „Care-Arbeit“. In diesem Artikel werde ich darlegen, warum wir Betreuungsarbeit als Arbeit betrachten sollten, warum sie die wichtigste Art von Arbeit ist und warum sie Frauen weltweit zu den am meisten ausgebeuteten Arbeitnehmer*innen macht, auch hier in Luxemburg.

Der CID Fraen an Gender definiert Care-Arbeit als eine Art von Arbeit, die „putzen, kochen, waschen, bügeln, einkaufen, pflegen [umfasst] − alles Tätigkeiten, die anfallen, wenn man sich um andere Menschen sorgt und kümmert. Ohne diese Leistungen würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren“.1 Und sie haben Recht damit, dass es ohne diese Tätigkeiten den gesellschaftlichen Alltag mit seinen derzeitigen Abläufen nicht geben würde. Es sind meist Frauen, die diese Art von Arbeit verrichten, auch heute noch, selbst in Ländern wie Luxemburg.2 Ohne Betreuung und Erziehung wären weder der Autor noch die Leser*innen dieses Artikels zu funktionierenden und produktiven Individuen herangewachsen, die von jeglicher Wirtschaft − unabhängig der Branche − benötigt werden. Care-Arbeit ist somit das Fundament jeder Gesellschaft. 

Heißt das etwa, dass wir Erwachsene, die von Frauen aufgezogen werden, als Ware betrachten sollten? Oder als eine Art Produkt, das durch die Dienstleistung von Care-Arbeit hergestellt wird?3 Und Frauen als Erziehungs- und Pflegemaschinen? Es scheint schwierig, diese Arbeit auf eine solche Weise zu reduzieren. Und man kann auch zum Beispiel erfolgreich einen behinderten Menschen erziehen, der zwar vielleicht nicht in der Lage ist, in der von ihm erwarteten Art von Wirtschaft zu arbeiten, welcher sich aber dennoch zu einem vielseitigen Menschen entwickelt hat. Und sollte das nicht das Hauptziel von Care-Arbeit sein? Ebenso wie sicherzustellen, dass diese Arbeit nicht zu ermüdend ist?4 

Allem voran sollte diese Art von Arbeit nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden, sondern als klassische Arbeit, die es zu entlohnen gilt. In einem früheren Artikel, der 1994 im forum Nr. 153 veröffentlicht wurde, wird die Frage aufgeworfen, ob diese Care-Arbeit wirklich unbezahlt ist, da die meisten Frauen, die zu Hause bleiben, doch vom Lohn ihres Mannes/Partners profitieren und auf diese Weise von ihm „bezahlt“ werden. Sie würde ja in dem von ihm finanzierten Haus wohnen und die Lebensmittel essen, die mit seinem Geld gekauft wurden usw.5  Ich behaupte, dass dies an einem der Hauptpunkte feministischer Kämpfe vorbeigeht, nämlich an jenem, dass Frauen in der Lage sein wollen, sich für bestimmte Arten von Arbeit zu entscheiden, ohne mit den massiven Nachteilen der finanziellen Abhängigkeit von ihrem Partner/Ehemann konfrontiert zu sein.6 Hinzu kommt, dass es in der heutigen Wirtschaft ohne die Erwerbstätigkeit beider Eltern fast unmöglich ist, einen Mittelklasse-Haushalt zu führen.7  

So sind in den meisten Familien immer noch die Männer die Ernährer der Familie. Und auch wenn Frauen, rein technisch gesehen, die Wahl haben, entweder zu Hause zu bleiben oder arbeiten zu gehen, ist dies allerdings finanziell gesehen meist keine Option.

Wenn das also in Luxemburg der Fall ist, um wen geht es dann in dieser Diskussion? Nun, zum einen um Frauen, die Teilzeit arbeiten gehen müssen, um die Care-Arbeit verrichten zu können, die ihrem Geschlecht von der patriarchalischen Gesellschaft zugewiesen wurde. Einem Interview im Lëtzebuerger Land mit CID Fraen an Gender ist zu entnehmen, dass es sich deshalb nicht mehr um eine Wahlmöglichkeit handelt, sondern Frauen heute gezwungen sind, beides zu tun.8 Dies ist das Produkt des neoliberalen Feminismus, der sich für die Macht der Frauen einsetzt, damit sie im Kapitalismus ebenso wie die Männer zu unermesslichem Reichtum gelangen können.9 Aber auch dies geht an der Befreiung von hierarchischer Unterdrückung im Patriarchat − einem der Hauptpunkte feministischer Kämpfe − vorbei. So sind in den meisten Familien immer noch die Männer die Ernährer der Familie. Und auch wenn Frauen, rein technisch gesehen, die Wahl haben, entweder zu Hause zu bleiben oder arbeiten zu gehen, ist dies allerdings finanziell gesehen meist keine Option. Demnach entscheiden sich die Frauen in einem stereotypen, heteronormativen Haushalt, in Gegenüberstellung zu den Männern, eher für eine Teilzeitbeschäftigung als für eine Vollzeitanstellung oder das völlige Fernbleiben vom Arbeitsmarkt.10

© Carlo Schmitz

Dies geht im Allgemeinen Hand in Hand mit dem opportunistischen Ausnutzen der zunehmenden Popularität der Arbeit von zu Hause aus, insbesondere seit der Pandemie: Die Menschen arbeiten zu immer ungewöhnlicheren Zeiten, im Glauben, von einer vermeintlichen Flexibilität und einer besseren Work-Life-Balance zu profitieren, während hier in Wirklichkeit aber nur der Arbeitgeber Gewinn macht, wie improof feststellt.11

Die katastrophale Situation, in der sich Frauen befinden, wenn sie Vollzeit und „professionell“, also bezahlt, als Care-Arbeiter tätig sind, bleibt von einigen staatlichen Institutionen nicht unbemerkt. In einem Interview mit woxx erwähnte die ehemalige MEGA-Ministerin Taina Bofferding (LSAP), dass Frauen, die derzeit nicht ausreichend für Care-Arbeit bezahlt werden, in etwa zehn Jahren angemessen entlohnt werden würden, wenn dies auf gut strukturierte und praktische Weise geschehe.12 Laut eurofund werden Sozialarbeiter*innen, einschließlich Care-Arbeiter*innen, im Allgemeinen unter dem nationalen Mindestlohn entschädigt: im Jahr 2021 waren es 92 % des Mindestlohns. Dies gilt jedoch nur für über 60 % der Care-Arbeiter*innen, die in einem Unternehmen arbeiten. Etwa 40 % sind privat beschäftigt und werden in dieser Statistik nicht berücksichtigt. Es wird aber davon ausgegangen, dass insbesondere diese mit äußerst negativen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind. Die meisten von ihnen sind Frauen mit Migrationshintergrund.13 Was haben all diese Statistiken, politischen, sozialen und kulturellen Diskussionen gemeinsam? Nun, die Tatsache, dass Frauen gezwungen sind, Arbeiten zu verrichten, die das Fundament jeder funktionierenden Gesellschaft bilden, während Männer sich auf ihre Karriere konzen­trieren und mehr Geld verdienen können. Aus diesem Grund waren im Jahr 2022 weltweit die meisten Reichen, etwa 88 %, Männer. Auch in Luxemburg werden diese überwiegend männlichen Reichen immer reicher14, was bedeutet, dass sich das geschlechtsspezifische Wohlstands­gefälle dadurch vergrößert, dass Frauen die wichtigste Arbeit von allen meist unbezahlt verrichten. 

Auch in Luxemburg werden diese überwiegend männlichen Reichen immer reicher, was bedeutet, dass sich das geschlechtsspezifische Wohlstandsgefälle dadurch vergrößert, dass Frauen die wichtigste Arbeit von allen meist unbezahlt verrichten.

Ich hoffe, dass dieser Artikel einen Blick darauf wirft, wie Männer der Mittelschicht von der Erfüllung ihrer Karriereträume profitieren können, während ihre Partnerinnen zu Hause bleiben, um sich um Hausarbeit und Kindererziehung zu kümmern. Und wie reiche Männer reich bleiben und noch reicher werden können, während so viele Frauen schlecht bezahlte, teils unbezahlte Care-Arbeit leisten (müssen). Eine solche Perspektive sollte uns als Gesellschaft in die Lage versetzen, ein neues Licht auf dieses Phänomen zu werfen und Care-Arbeit als das zu respektieren, was sie ist: und zwar Arbeit. Wir benötigen diesen Blickwinkel auf die Problematik, um mögliche Lösungen für eine Umverteilung des Reichtums in Betracht zu ziehen und Frauen für ihre Arbeit gerecht zu entschädigen. Und den Reichtum eventuell an anderen Stellen zu konzentrieren. Aber es reicht nicht aus, einfach die Reichen zu besteuern oder das Milliardär-Sein zu verbieten, wenn die gleichen geschlechtsspezifischen Unterdrückungssysteme weiter bestehen bleiben. Wenn Frauen weltweit die am meisten ausgebeuteten Arbeitskräfte sind, weil Care-Arbeit einfach nicht als Arbeit wahrgenommen wird, die bezahlt und/oder besser bezahlt werden sollte, dann sollte eine Änderung dieser Situation im Vordergrund jeder Demokratie stehen, die sich selbst eine Demokratie nennt.  


Pierre Balthasar ist 28 Jahre alt, Doktorand in der Luxemburgistik, Mitglied bei déi Lénk und Freelance sowie schaffender Autor.


1 https://tinyurl.com/CareCID

2 https://tinyurl.com/fastalles

3 https://tinyurl.com/neugedacht

4 https://tinyurl.com/ILOcare

5 https://tinyurl.com/forum1994

6 Amia Srinivasan: The Right to Sex. Farrar, Strauss and Giroux, 2021.

7 https://tinyurl.com/LandCares

8 Ebd.

9 Rosi Braidotti: Posthuman Feminism. Wiley and Sons, 2021.

10 https://tinyurl.com/VerdienenF

11 https://tinyurl.com/instaproof

12 https://tinyurl.com/woxxboff

13 https://tinyurl.com/longwage

14 https://tinyurl.com/1in15ppl

(alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag ­verwiesen wird, wurden zuletzt am 1. Juli 2024 ­aufgerufen)

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