Der Impfstoff gegen Desinformation
„Gleef dat net!“ und DemokratieLabo
Man mag es kaum bestreiten: In Anbetracht der aktuellen Situation ist die Verführung groß, sich auf den mittlerweile wiedereröffneten Terrassen gepflegt einen hinter die Binde zu kippen, um das Weltgeschehen für einige Stunden zu vergessen. Wir haben jedoch zwei Gegenvorschläge, die weniger Kopfschmerzen, dafür aber mehr Sicherheitsabstand und politische Partizipation ermöglichen: nämlich die Ausstellung „Gleef dat net!“ im Lëtzebuerg City Museum sowie das DemokratieLabo in neimënster.
Es liegt wohl in der Natur des Menschen, in Krisenzeiten zu versuchen, verlorene Kontrolle dadurch wiederzuerlangen, das Ungreifbare greifbar(er) zu machen. Es wird nach Vergleichsgegenständen gefahndet, um sich aus Vergangenem Handlungsanweisungen oder doch zumindest Verständnishilfen für Gegenwart und Zukunft zu erschließen. Dabei werden teils instabile Geländer errichtet, da die Angst besteht, ohne könne man nicht denken. Die Coronakrise hat diesbezüglich recht eigenwillige Konstruktionen zutage gefördert. Sei es nun, dass junge deutsche Querdenker:innen sich auf einmal mit Sophie Scholl gleichsetzen, luxemburgische Musiker sich selbst als Resistenzler und sie kritisierende Journalist:innen als Kollaborateur:innen des Virus bezeichnen oder Ex-Fahrrad-Profis aus dem Großherzogtum als Teilnehmer einer Anti-Corona-Demo in Deutschland unter das eigene Facebook-Foto schreiben: „Heute Berlin. Morgen Luxemburg.“ Man mag sich hinsichtlich dieser Beispiele fragen, ob sie nur von einem Mangel an Stil zeugen oder vielleicht doch auf einen Nachholbedarf bezüglich historischer Fakten hindeuten. Mit großer Wahrscheinlichkeit trifft beides zu, mit Blick auf Letzteres kann man aber wenigstens Abhilfe schaffen. Zum Beispiel mit einem Ausstellungsbesuch.
Wer die hauptstädtische Rue du St. Esprit emporschreitet, wird dazu angehalten, vom Glauben abzufallen. „Gleef dat net!“ lautet die Aufforderung, die in großen Lettern auf der Scheibe des City Museums prangt. Es geht um jene Verschwörungstheorien, die auch hierzulande die Demokratie auf den Prüfstand stellen, zu sprachlichen Neuschöpfungen wie „Corona-Diktatur“ führen und mit sich bringen, dass die sogenannte QAnon-Bewegung nun anscheinend ebenfalls einen luxemburgischen Ableger hat. Das City Museum widmet sich aber nicht nur modernen Fake News, Lügengeschichten und Eulenspiegeleien. Vielmehr besteht das Konzept darin, erzählerische Traditionslinien bis zu ihren Ursprüngen zurückzuverfolgen und sichtbar zu machen, dass es sich bei Verschwörungstheorien um Phänomene handelt, die seit hunderten von Jahren gleichbleibenden Schemata folgen: Immer dann, wenn eine Situation nicht auf Anhieb verständlich und eventuell unerträglich wirkt, ploppen irgendwann alternative, vom Mainstream abweichende Erklärungsansätze auf, die bei der Komplexitätsreduktion behilflich sein sollen. Stets mit von der Partie: Feindbilder und Sündenböcke. Abgrenzungswahn und Distinktionsfetisch ahoi.
Durch den breit angelegten zeitlichen wie geografischen Kontext ist es den Ausstellungsmacher:innen gelungen zu zeigen, dass niemand zu keinem Moment vor verschrobenen Argumentationen gefeit war und ist. Die Gesamtzahl der Mitglieder im Club der toten Zusammendichter:innen ist schwer schätzbar, aber definitiv hoch. Ein Teil von ihnen wird im City Museum wiederbelebt. Seien es jene Dorfbewohner:innen, die im Mittelalter Juden und Jüdinnen der gezielten Verunreinigung von Brunnen verdächtigten oder die Autoren des Hexenhammers, in dem Frauen Kontakt mit Dämonen und ein Hang zur schwarzen Magie unterstellt wurde. Ebenso wird an die vermeintlichen Verschwörer:innen erinnert, die von Stalin und Lenin nicht nur auf Fotos ausradiert wurden. Außerdem tritt McCarthy mit seinen paranoid anmutenden Schriften in Erscheinung, und man kann ihm bei seiner Bekämpfung der angeblichen kommunistischen Bedrohung nachspüren. Im hier dargebotenen argumentativen Absurditäten-Kabinett geben sich politische Machthaber:innen und Zivilist:innen die Klinke in die Hand: Leugnet man zur Abwechslung einmal nicht den Holocaust, wird der Unfalltod von Lady Di hinterfragt, und scheinbar Erleuchtete halten wahlweise Deutschland für eine GmbH oder die Simpsons für Hellseher. Nebst diesen all time classics greift „Gleef dat net!“ aber auch hochaktuelle Themen wie die Corona-Verschwörung um Bill Gates, rassistische Schuldzuweisungen gegenüber asiatischen Mitmenschen und die schier unendlichen Weiten der Klimawandel-Skepsis auf.
Tickende Zeitbomben
Den Großteil der Exponate machen hinter Glasscheiben positionierte Bücher, Broschüren und „Informations“-Heftchen aus. Während der Schutz betagterer Objekte, wie beispielsweise einer frühen Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion, diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar macht, wäre es bei neueren Auflagen wiederum wünschenswert gewesen, diese nach Bedarf durchblättern zu können. So wirkt dieser Beschluss etwas bevormundend gegenüber den Besucher:innen, die sich nicht selbst ein Bild machen können, da man dem Cover oder den aufgeschlagenen Seiten nur ein reduziertes Maß an Informationen entlockt. Ebenfalls größtenteils sichtbar aber weggesperrt sind Screenshots von – unter anderem auch luxemburgisch-sprachigen – Facebook-Diskussionen. In anonymisierten Kommentaren entflammen sich hitzige Diskussionen über Chemtrails, die Wochenzeitung woxx als angeblichen „Diener des Staates“ oder die mutmaßlich von Barcodes ausgehende negative Energie, bezüglich derer spekuliert wird, man könne sich ihr entziehen, wenn man sie händig durchstreiche. Bei diesem Versuch, aktuelle Debatten aus dem digitalen Raum in ein Museum zu verlagern, kommt man nicht umhin, an den Boomer-Spruch „Schatz, ich hab versehentlich das Internet ausgedruckt“ zu denken. Indes ist die Intention dahinter durchaus lobenswert, wenngleich man sie als ausbaufähig in ihrer Umsetzung einordnen kann.
Hingegen ist die Idee, unter den zahlreichen Ausstellungstücken bewusst auch Fakes zu platzieren, kreativ und regt zum Mitdenken sowie interessanten Diskussionen an. Jede:r Besucher:in kann einen am Eingang ausgehändigten Zettel mit sich führen und vor dem jeweiligen Objekt stehend darüber sinnieren, ob es denn nun echt ist oder nicht. Darunter rangieren Totenmasken des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie, eine aktuelle „déclaration de Citoyenneté“ für die Grafschaft Luxemburg, ein aus den Twin Towers stammender Fahrstuhlmotor sowie eine Meldung der Internetseite Météo Boulaide, in der steht, es sei nun endlich ein wissenschaftlicher Beweis dafür erbracht worden, dass Flugzeugkondensstreifen tatsächlich gezielt Gift versprühen, um menschliche Gedanken zu manipulieren. Dieses Angebot der Interaktion scheint für Schulklassen besonders geeignet, da eruiert werden kann, auf was bei der Überprüfung solch mutmaßlicher Fakten zu achten ist.
Nicht weniger spannend ist jener Raum gestaltet, in dem getestet wird, ob man hinter Verschwörungstheorien befindliche Muster erkennt. Denn hier wird gerade nicht auf den Sicherheitsabstand zu Falschmeldungen gesetzt. Die Besucher:innen dürfen die Argumentationswege einer Verschwörungstheorie gewissermaßen selbst ablaufen, damit sie in der Folge schneller begreifen, wenn jemand ihnen einen Bären aufbinden will. Auf einem Fragebogen sollen der Titel, die Drahtzieher und der Zweck einer selbst ersonnenen Theorie vermerkt und eine storyline dazu verfasst werden. Diesem Auftrag kamen viele nach: Eine:r nimmt an, der weltbekannte, verstorbene Rapper Tupac sei noch am Leben und habe seinen Tod lediglich fingiert, um Ruhe vor der Öffentlichkeit zu haben. Jemand anderes behauptet, es gäbe eine Verschwörung der Bäcker, die nach dem Motto „Alles ist Kuchen“ versuchen würden, mehr Backwaren zu verkaufen. Ob die Person, die bezüglich der rezenten Proteste in Hongkong behauptet, sie könne selbst bezeugen, diese seien von der CIA inszeniert worden, um China zu destabilisieren, dies tatsächlich ernst meint, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden.
Das extrem weitgefasste Themenspektrum sowie die tendenziell gegenständliche Überladung in der Ausstellung führen dazu, dass viele Fässer aufgemacht werden, deren Inhalt nicht in Gänze untersucht werden kann. Obgleich die kurzen, in großer Fülle vorhandenen Begleittexte häufig nicht die hochkomplexen historischen Gegebenheiten, in denen Verschwörungstheorien gediehen sind, ausreichend zu erläutern vermögen, gelingt es aber, auf die Explosionsgefahr verschwörerischer Inhalte hinzuweisen. Zudem schärft ein Besuch dieser Ausstellung das Bewusstsein für die dahinterstehenden Mechanismen, und es wird auf ungemütliche Art und Weise klar, dass demokratiegefährdende Falschinformationen auch vor der luxemburgischen Grenze nicht Halt machen.
Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist der/die Demokratischste im ganzen Land?
Während es bei „Gleef dat net!“ vornehmlich darum geht, die Argumentationsstruktur anderer von außen her zu erfassen, wird beim DemokratieLabo genau andersherum verfahren. Laborand:innen sollen ihre eigene Denk- und Verhaltensmuster analysieren, sich direkt mit ihren eigenen Positionen zu Gesetzen, Machtgefügen und der sozialen Lage in ihrem Land auseinandersetzen. Vordergründig ist die Mission, zu reflektieren, inwiefern sie an demokratischen Prozessen teilhaben wollen, können und eventuell sogar müssen. Bei der Ankunft am Tor der Abtei neimënster sieht man sich keiner Aufforderung, sondern einer Frage gegenüber: „DemocraWhat?“ steht auf den Fahnen, die vor dem Eingang der Ausstellung wehen, die das Zentrum fir politesch Bildung in Kooperation mit den Peace Education Projects entwickelt hat. Unabhängig von der Bildung sowie dem Grad der Politisierung der Besucher:innen, hat jede:r die Möglichkeit, sich selbst auf den Zahn zu fühlen und sein Verständnis des Demokratiebegriffes zu erweitern. Gewohnheitstiere jedweder politischen Couleur werden hier dahingehend aus ihrer Komfortzone herausgelockt, als dass sie ihre politische Einstellung oder die Abwesenheit ebendieser mithilfe der ihnen gestellten Aufgaben hinterfragen und folglich möglicherweise umdenken können.
Man kann zwischen drei Schwierigkeitsgraden sowie einer kurzen oder langen Strecke wählen und muss somit nicht alle 61 Stationen ablaufen, wenn man es gerade mental oder zeitlich nicht einrichten kann. Zudem bleibt in diesen Räumlichkeiten das allzu vertraute Pssst-Geräusch und die Aufforderung, bitte still zu sein, aus. In einem dreisprachigen Erklärvideo zu Beginn der Ausstellung erfolgt sogar ein Aufruf, mit seinem Nebenmann und seiner Nebenfrau zu debattieren. Gleichermaßen werden die Laborand:innen darum gebeten, ihre Antworten in einem eigens dafür bereitgestellten Notizblock festzuhalten und zu vermerken, ob die Resultate bestimmter Spiele, die häufig in Form einer Einschätzung der politischen Einstellung der Spieler:in präsentiert werden, zutreffen. Der handschriftlich angefertigte Laborbericht kann anschließend entweder auf Tablets oder später online eingetragen werden. Es steht aber jeder und jedem frei, ihn einfach mit nachhause zu nehmen und die Ergebnisse nochmals zu überdenken.
Im DemokratieLabo steht die Interaktion an erster Stelle. Um von der Frage zur Antwort zu gelangen, wird geschoben und gepuzzelt, an Seilen gezogen, es werden Gewichte gehoben, Knöpfe gedrückt und Murmeln landen in Rohren. Man kann beispielsweise mittels Schiebereglern einen bestimmten Standpunkt markieren, um dann anhand eines weiteren Reglers „einzuloggen“, von wem man diesbezüglich geprägt wurde (also gegebenenfalls den Eltern, der Schule, Freund:innen, etc.) Um Falschmeldungen, Fake News und Verschwörungstheorien geht es in dem Sinne, als dass man an einer Station durch gleich mehrere Handgriffe an verschiedenen Rädchen seinen eigenen Medienkonsum verbildlicht. In einem weiteren Schritt wird dann daraus geschlossen, inwiefern man bereit ist, sich mit Ideen und Meinungen anderer zu konfrontieren.
Die Ausstellung nähert sich Oberbegriffen wie Freiheit, Ungleichheit, Vorurteilen und Gerechtigkeit auf spielerische Art und Weise an, ohne aber auf dieser extrem bedeutungsschwangeren und gleichzeitig außerordentlich abstrakten Ebene zu verbleiben. Die Themen und der eigene Umgang damit werden im wahrsten Sinne des Wortes greifbar, die Aufgabenstellungen helfen dabei, Berührungsängste mit komplexen Themen abzubauen, und es wird mehr als nur augenscheinlich, dass eine Demokratie helfende Hände und nicht selten sogar Reibungen braucht, um bestehen zu können.
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