Der lustvolle Blick auf den Mann in der Feministischen Kunst
Folgt auf den Befreiungsschlag nun eine neue Phase der Prüderie und der Selbstzensur?
Was passiert, wenn Künstlerinnen ihren begehrlichen Blick auf den Mann lenken, um damit ihrem eigenen Anspruch auf sexuelle Selbstbestimmung und künstlerische Autorität Ausdruck zu geben? Diese Fragestellung war der Ausgangspunkt für das Ausstellungsprojekt IN THE CUT, das 2018 in der Stadtgalerie Saarbrücken seine praktische Umsetzung fand. Die folgenden Zeilen geben Eindrücke eines langwierigen Rechercheprozesses wieder, legen schockierende wie erstaunliche Befunde dar – und es wird ein Blick in die Zukunft gewagt.
Seit den 1970er Jahren konzentrieren sich feministische Darstellungen von Männlichkeit vorranging auf die Auseinandersetzung mit dem Mann als Feindbild und die Dekonstruktion des Phallus als Inbegriff und Symbol des Patriarchats. Anders als der weibliche wurde der männliche Körper in der Kunst selten als erotisches Motiv behandelt, auch oder gerade nicht von Künstlerinnen. Die Gründe dafür sind in einer Bildpolitik zu suchen, die in der westlichen Kunstgeschichte 2000 Jahre lang dafür gesorgt hat, dass der männliche Körper zum Idealbild des Menschen erhoben wurde, während der weibliche Körper immer weiter sexualisiert und so zur Projektionsfläche für männliche Betrachterfantasien werden konnte. Umgekehrt durfte der Mann als Idealbild keineswegs als erotisches Motiv in Erscheinung treten, und so tauchen überhaupt erst in der homoerotischen Kunst des 19. Jahrhunderts Bilder sexuell attraktiver Männerkörper auf, die den klassischen Darstellungskanon unterlaufen.
Am Ursprung
Dass die Auseinandersetzung, der wir uns im Rahmen der Ausstellung stellen wollten, eine Menge Sprengstoff barg, war von Anfang an klar. Denn wenn Künstlerinnen sich mit dem erotischen Männerkörper beschäftigen, äußert sich darin ein feministischer Befreiungsschlag, der es in sich hat. Ein Bild, das wir bewusst an den Anfang unserer Ausstellung gesetzt hatten, ließ die Brisanz dieser künstlerischen Praxis bereits erahnen: Es handelt sich um eine Fotocollage der französischen Künstlerin ORLAN mit dem Titel L’origine de la guerre von 1989. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit sehr direkt auf das männliche Geschlecht und bezieht sich dabei explizit auf Gustave Courbets berühmtes Gemälde L’origine du monde aus dem Jahr 1866, das in einer verkleinerten Reproduktion direkt daneben zu sehen war.
Dass die Besucher:innen im Jahr 2018 von ORLANs Bild weit mehr überrascht waren als vom Gemälde Courbets, zeigt, dass der erotische männliche Körper in der Kunst bis heute ein Tabu darstellt. Tatsächlich sind wir in der westlichen Kunstgeschichte nur so von erotischen Körpern umgeben – aber eben fast ausschließlich von weiblichen. Die unbekleidete Frau ist in allen erdenklichen Posen und Ansichten zu haben. An ihren nackten Anblick haben wir uns gewöhnt. Dagegen erscheint ORLANs Ansicht eines männlichen Unterleibs aus demselben Blickwinkel provokativ und ungewohnt. Es ist ein Bild, in dem sich der feministisch-kritische Blick mit dem begehrenden verknüpft und damit eine neue Betrachtungsweise zu erkennen gibt, die Blick- und Machtverhältnisse auf den Kopf stellt.
Die Unterschiede in der Darstellung männlicher und weiblicher Nacktheit in der westlichen Kunst hängen unmittelbar damit zusammen, dass sie in allererster Hinsicht von männlichen Künstlern für männliche Auftraggeber und männliche Betrachter produziert wurde. So zielen die Darstellungskonventionen des männlichen Akts über Jahrhunderte hinweg darauf ab, mit allen Mitteln zu verhindern, dass der männliche Körper erotisch und sexuell verfügbar ins Bild gesetzt wird. Das männliche Geschlechtsteil darf gar nicht oder allenfalls „unbedeutend“ in Erscheinung treten. Denn der phallische Machtanspruch lässt sich nur so lange aufrechterhalten, wie der erotische Mann unter der Hülle klassischer Aktinszenierungen verborgen bleibt oder gar nicht erst zum Bild wird.
Unter diesen Voraussetzungen überrascht es nicht, dass wir vor den 1960er Jahren so gut wie keine Darstellung des nackten männlichen Körpers aus weiblicher Perspektive kennen. Das erste Werk, das sich im besten feministischen Sinne frei von diesen Konventionen darstellt, ist das Aktporträt, das Carolee Schneemann 1957 von ihrem Mann James Tenney geschaffen hat. Dieses Bild war von Anfang an ein Skandal, hatten doch zuvor schon Schneemanns Selbstdarstellungen als Akt genügt, um sie von ihrem Studium an einer New Yorker Akademie auszuschließen. Denn während es für männliche Künstler selbstverständlich war, sich weiblicher Modelle zu bedienen, geriet die selbstbewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper für Künstlerinnen zum Kampf gegen das Establishment. Gleichzeitig blieben sie als Produzentinnen oder Performerinnen noch im traditionellen Blickverhältnis gefangen. Das heißt, Künstlerinnen, die mit sexuellen Inhalten arbeiten, waren und sind dabei immer einem besonderen Risiko ausgesetzt, da sie Gefahr laufen, selbst als sexuell verfügbar angesehen zu werden. Ihr Subjektstatus wird in Frage gestellt, sobald sie in ihrer Kunst die eigene Sexualität ins Spiel bringen. In den Augen eines männlichen Publikums werden sie damit zum begehrten und verfügbaren Objekt.
Wenn wir aber betrachten, welche Bedeutung Sexualität in der Kunst von Beginn an hatte – als Motiv ebenso wie als Antrieb und Auslöser für künstlerische Arbeit –, dann erscheint die Feststellung, dass Frauen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über ein gewisses Maß an sexueller Selbstbestimmung und damit über dieselben Freiheiten und Produktionsbedingungen wie männliche Künstler verfügen konnten, zutiefst beunruhigend. Noch im Jahr 1978 stellt Margaret Walters fest, dass „es gegenwärtig keine Sprache [gibt], in der die Frau das, was sie über den männlichen Körper empfindet, ausdrücken könnte“.1 Und weiter: „Frauen werden nicht dazu ermutigt, ihre Sexualität im Blick auszudrücken. Sie haben vom ersten Tag ihres Lebens an die Neugier auf den männlichen Körper zu unterdrücken. […] Noch heute soll die Frau eher daraus ihr narzisstisches Vergnügen ziehen, dass sie männliche Phantasien befriedigt, als daraus, ihre eigenen zu entdecken und zu erfüllen. Immer noch besteht eine scharfe Unterscheidung zwischen dem Geschlecht, das schaut, und dem, das angeschaut wird.“2
Auch der 2018 zu diesem Thema erschienene Aufsatz der Psychologin Svenja Flaßpöhler bestätigt die erschreckende Aktualität dieser Bestandsaufnahme und macht die Psychoanalyse dafür mitverantwortlich, wenn sie schreibt: „Eine bejahende, begehrende, selbstbewusste, autonome weibliche Sexualität ist […] das Unsagbare, Ausgeschlossene, und zwar aus macht- bzw. biopolitischen Gründen. […] So unmöglich ist die sexuell begehrende Frau, jedenfalls gesellschaftlich gesehen, dass ihr von einem kulturgeschichtlich überaus wirkmächtigen Diskurs, der Psychoanalyse, jede eigene sexuelle Position abgesprochen wird. […] Heißt: Frauen haben keinen sexuellen Willen und nur in Ausnahmefällen einen Orgasmus.“3
Unaufgelöste Konflikte
Die Ausstellung IN THE CUT hat diese Verhältnisse hinterfragt und erstmals Werke von Künstlerinnen gezeigt, die ihrem eigenen Begehren mit dem Blick auf den Mann Ausdruck geben. Dennoch war ich überrascht und schockiert, dass es ein solches Ausstellungsprojekt noch nie gegeben hatte. Zum ersten Mal wurde hier der Versuch unternommen, Künstlerinnen international ausfindig zu machen, die sich mit dem Mann als Liebesobjekt beschäftigt haben.
Dabei ist bemerkenswert, dass alle gezeigten Werke von Frauen stammen, die entweder in den Vereinigten Staaten oder in Nordeuropa leben. Dass sie also aus demokratischen Gesellschaften kommen, in denen Frauenrechte weitgehend gesetzlich festgeschrieben sind und sich damit auch weibliche sexuelle Selbstbehauptung bis zu einem gewissen Grad durchsetzen konnte. Gleichwohl stimmt es nachdenklich, dass es keine Künstlerinnen aus asiatischen, südamerikanischen, arabischen oder afrikanischen Ländern gibt, die sich an das Thema des männlichen Körpers herangewagt hätten. Weiterhin auffallend ist, dass es derzeit keine jungen Künstlerinnen zu geben scheint, die ein tiefgreifenderes Interesse an der Auseinandersetzung mit dem erotischen Mann bekunden.
In diesem Zusammenhang erscheint eine wichtige Publikation interessant, die das aktuelle Kunstschaffen noch junger Künstlerinnen im Alter von 17 bis 30 Jahren dokumentiert. Es handelt sich um eine Sammlung vorwiegend fotografischer Arbeiten, die von der New Yorker Künstlerin Petra Collins (*1993) für ihre Internetplattform „The Ardorous“ zusammengetragen und unter dem Titel Babe als Buch veröffentlicht wurde mit dem Ziel, „ihre Sexualität zu erkunden, ohne dabei selbst sexualisiert zu werden […] durch die Darstellung von Schönheit, die weit über die Photoshop-Ästhetik hinausgeht, die unsere Kultur durchzieht.“4
Die Tatsache, dass fast alle Werke dieser jungen Künstlerinnen um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper kreisen, zeigt, wie sehr der unaufgelöste Konflikt um sexuelle Selbstbestimmung und künstlerische Selbstbehauptung in einer unverändert männlich dominierten Welt junge Frauen weiterhin belastet. Möglicherweise spielt der männliche Körper deshalb bei diesen Betrachtungen (noch) keine Rolle. Einen entscheidenden Grund dafür sehe ich darin, dass nach der Jahrtausendwende feministische Strömungen in Kunst und Kunstwissenschaft einen Backlash erlebten, durch den ein großer Teil des in den 1980er und 90er Jahren gewonnenen Terrains wieder verloren ging: Fragen der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung wurden nicht länger gestellt – ein Stillstand, der für Künstlerinnen nicht nur politische und ökonomische Folgen, sondern auch Konsequenzen für die heteroerotische Auseinandersetzung mit dem männlichen Körper hatte. So zeigte unsere Recherche, dass es in den vergangenen fünfzehn Jahren mit Anke Doberauer, Aude du Pasquier Grall, Alicia Framis und Anna Jermolaewa nur noch wenige Künstlerinnen gibt, die sich diesem Thema gewidmet haben. Zu den jüngsten in unserer Ausstellung zählten die Berliner Fotografin Paula Winkler (siehe Foto auf S. 60), deren Männer-Serie Exceptional Encounters sich kritisch mit männlichen Rollenbildern auseinandersetzt, sowie die Videokünstlerin Julika Rudelius.
Ein Grund, warum wir weltweit überhaupt nur auf knapp über 20 Frauen gestoßen sind, hängt in großem Maße mit den Zensurmaßnahmen zusammen, denen Künstlerinnen ausgesetzt waren, wenn sie sich mit dem erotischen Männerakt beschäftigten. Das zeigten mehrere ganz konkrete Beispiele in unserer Ausstellung: 1969 arbeitete die Amerikanerin Betty Tompkins an einer großformatigen Malerei mit dem Titel Fuck Painting. Das Gemälde sollte 1973 mit einer weiteren Arbeit bei einer Gruppenausstellung zum Thema „Fotorealismus“ in Paris gezeigt werden. Doch noch bevor das Bild die Galerie in Paris erreichte, wurde es vom französischen Zoll beschlagnahmt und fast ein Jahr lang nicht freigegeben. Vielleicht war es Ironie des Schicksals oder die liberale Ankaufspolitik, die dafür sorgte, dass gerade dieses Werk im Jahr 2004 vom Centre Pompidou in Paris erworben werden konnte.
Gegen eine Liberalisierung in Frankreich spricht allerdings die Geschichte von Aude du Pasquier Grall, die 2002 in Paris mit ihrer Videoarbeit The Male Cycle No. 4 bei einer Einzelausstellung im Kunstzentrum einer Universität vertreten sein sollte, die noch vor ihrer Eröffnung abgesagt wurde. Und schließlich zeigt das Aufführungsverbot für eine Performance der Spanierin Alicia Framis im Jahr 2006, wie das Thema Zensur die Arbeit dieser Künstlerinnen bis heute begleitet. Sie hatte statt weiblicher Models für den Auftritt des bekannten spanischen Modeherstellers Loewe männliche Models auf den Laufsteg geschickt, um auf die diskriminierenden Arbeitsbedingungen von Frauen in der Modebranche aufmerksam zu machen. Auch Julika Rudelius wagt in ihrer vierteiligen Videoarbeit The Hare (Der Hase) von 2018 einen kritischen Blick auf die Verhältnisse, indem sie unsere mit ihrer (weiblichen) Kameraperspektive verschränkt und den männlichen Körper auf erotische Weise zu sehen gibt – allerdings ohne ihn nackt zu zeigen! Hier sind es bekleidete Männerkörper, Männer in Anzügen, deren erotische Attraktivität sich unter ihrer Perspektive offenbart.
Sichtbarmachungen und männliche Emanzipation
Welches Fazit lässt sich nun aus dieser Ausstellung ziehen? Inwiefern verändert es unsere Wahrnehmung, wenn wir erfahren, dass Künstlerinnen in ihren feministischen Inszenierungen des männlichen Körpers Bilder vom Mann hervorgebracht haben, in denen sich ein heteroerotisches weibliches Begehren spiegelt, von dem viele gar nicht wissen, dass es existiert. Denn eines liegt auf der Hand: Die Erforschung weiblicher erotischer Fantasien steckt auch heute noch in den Kinderschuhen.
Tatsächlich sind wir immer noch dabei, gegen Selbstzensur und prüde Widerstände hinsichtlich einer Thematik anzukämpfen, die weder als Gesprächsthema noch als künstlerisches Motiv akzeptiert wird. So konnte unsere Ausstellung nur ein erster Schritt sein auf dem Weg zu einem veränderten Bewusstsein, in dem weibliche Sexualität als eine eigenständige und konstruktive, emotionale und kreative Kraft wahrgenommen wird. Aber auch hin zu einer Wahrnehmung, in der Männer über angestammte Rollenmodelle reflektieren, die sie zum Zweck des Machterhalts in der Gesellschaft wie in der Kunst als sinnliche, erotische Wesen unsichtbar gemacht haben.
Umso höher ist die Leistung der Künstlerinnen einzuschätzen, die mit ihren Darstellungen erotischer Männerkörper nicht nur Anspruch auf sexuelle Selbstbestimmung und künstlerische Autorität erheben, sondern auch einem männlichen Publikum die Möglichkeit einräumen, Männerbilder und Rollenmodelle aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Sie tun dies mit Phantasie, Ironie, Lust und Humor, aber auch mit einem sehr selbstbewussten und kritischen Blick auf die Machtverhältnisse, die darüber entscheiden, wer schaut und wer angeschaut wird. Sie zeigen den Mann auf eine Weise, die sich weder heterosexuellen Darstellungskonventionen fügt, noch dem Mainstream-Feminismus angleicht, der ihn allein als Inbegriff patriarchaler Macht identifiziert hat. Denn anstatt den Phallus als reines Symbol weiblicher Unterdrückung zu betrachten, arbeiten diese Künstlerinnen daran, ihn aus verschiedensten Ansichten zu zeigen und sich den männlichen Körper künstlerisch anzueignen – auch um zu signalisieren, dass der Ausdruck weiblicher Lust nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung anzusehen ist, als feministisches Begehren, das klassische Rollenzuschreibungen in Frage stellt und den Diskurs für neue Möglichkeiten sexueller Identität eröffnet.
- Vgl. Margaret Walters, Der männliche Akt. Ideal und Verdrängung in der europäischen Kunstgeschichte, Berlin, Medusa, 1979, S. 16.
- Ebd.
- Vgl. Svenja Flaßpöhler, Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit, Berlin, Ullstein, 2018, S. 21.
- Petra Collins, Babe, München/London/New York, Prestel, 2015, S. 6.
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