Der luxemburgische Verfassungsgerichtshof als Retter privater luxemburgischer Hochschulen
Der luxemburgische Verfassungsgerichtshof (Cour constitutionnelle) hat mit seiner leider zu wenig beachteten Entscheidung vom 12. Februar 2021 zurecht das luxemburgische Hochschulgesetz vom 19. Juni 2009 (loi du 19 juin 2009 portant organisation de l’enseignement supérieur), abgeändert zuletzt durch das Gesetz vom 25. Juli 2016, in den Teilen für verfassungswidrig erklärt, die die Gründung von originär luxemburgischen Hochschulen betrifft. Dem Gesetzgeber ist nunmehr aufgegeben, künftige Gründungen von Hochschulen privater Natur im Großherzogtum neu zu regeln. Bereits anerkannte Gründungen müssen davon wegen des rechtsstaatlich verbürgten Retroaktivitätsverbotsprinzips unberührt bleiben.
Grundfragen
Kann es keine originär luxemburgischen Hochschulgründungen geben? Die Lektüre des luxemburgischen Hochschulgesetzes lässt Gründungswillige nicht nur im Unklaren, sondern rückt sie auf den ersten Blick zudem in den Bereich des Unerlaubten; dem hat der luxemburgische Verfassungsgerichtshof zurecht widersprochen. Dabei stand Art. 10bis der luxemburgischen Verfassung im Vordergrund, d. h. das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz. Weitere rechtliche Bedenken treten hinzu, auf die wir im Folgenden eingehen.
Gleichbehandlungspflicht inländischer und ausländischer Hochschulen
Es gibt im Großherzogtum Luxemburg derzeit immer noch keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für private (originär) luxemburgische Hochschulen. Das Gesetz vom 19. Juni 2009 über das Hochschulwesen, abgeändert zuletzt durch das Gesetz vom 25. Juli 2016, sieht in Art. 1 (2) lediglich drei Formen des Hochschulwesens vor:
1.
die der (staatlichen) Universität Luxemburg, durch eigenes Gesetz über die Gründung dieser (als solcher allein im Großherzogtum bestehenden) Universität, via loi du 12 août 2003 portant création de l’Université du Luxembourg;
2.
die Studiengänge im Rahmen des höheren Schulwesens kurzen Typs, so genannte formations dispensées dans l’enseignement supérieur de type court; sowie
3.
die mit Diplom abschließenden Studiengänge, die öffentliche oder private ausländische Hochschuleinrichtungen anbieten, sei es in ihrer eigenen Verantwortung mittels Gründung einer Filiale im Großherzogtum oder sei es in Partnerschaft mit einer luxemburgischen Organisation (organisme luxembourgeois).
Diese Regelung ist explizit per Änderungsgesetz vom 23. Juli 2016, welches wiederum das Gesetz vom 19. Juni 2009 modifizierte, eingefügt worden und erscheint abschließend. Es fällt allerdings auf, dass der luxemburgische Gesetzgeber durch die Reform 2016 das Adjektiv „étranger“ als bedeutungsvoll eingestuft hat, denn in Art. 2, 1° und 2° fügte er „étrangers“ im Plural zu allen „établissements d’enseignements“ ein und betonte die Gültigkeit für öffentliche wie private Einrichtungen.
Eine ausdrückliche Normierung für die Gründung und den Betrieb einer inländischen Hochschule, sei sie öffentlich oder privat, existiert bei Lektüre des neu gefassten Art. 1 (2) unterdessen nicht, da diese dort nicht mehr genannt werden. Genannt und gemeint sind sie indes in Art. 28ter, welcher durch die vormalige Änderung (Gesetz vom 28. November 2012) in das Gesetz kam. Dort ist keine Rede von einheimisch (luxemburgisch) oder ausländisch.
Die Universität Luxemburg wird dort des Weiteren als „un établissement public de l’enseignement et de recherche“, ergo als eine öffentliche Lehr- und Bildungseinrichtung ausgestaltet (Hervorhebungen des Autors). Die historische, systematische und grammatikalische Auslegung dieses Passus ergibt: Da der unbestimmte Artikel keinen Absolutheitsanspruch erheben kann, ist die uni.lu als eine Universität gegründet worden, die die Gründung weiterer Universitäten nicht ausschließt, seien sie staatlich, privat oder gemischt verfasst. Des Weiteren folgt die Gründung von Universitäten ebenfalls aus den libertés fondamentales als Ausfluss von Lehr-, Bildungs- und Forschungsfreiheit, die wiederum Unterfälle des Grundrechts auf Artikulations- resp. Meinungsfreiheit bilden und auch aus Art. 13 der Europäischen Grundrechtscharta resultieren.
Fügungsbrüche und ihre Auflösung im Lichte des Europa-, Verfassungs- und Hochschulrechtes
Eine weitere Inkohärenz resultiert aus der Hinzunahme von Art. 28ter (1) und (2) des Gesetzes von 2009, welches bereits per Gesetz vom 28. November 2012 dahingehend redigiert wurde, dass es die Akkreditierung einer Universität (1) oder einer Fachspezialisierten Hochschule zugelassen hat und immer noch zulässt, da das Gesetz von 2016 hier keine Änderung vorgenommen hat: Art. 28ter (loi du 28 novembre 2012) hat folgende Merkmale, die im Folgenden des Näheren analysiert werden: „Peut être accréditée comme université ou filiale de cette université…“
Im Gegensatz zur staatlichen Genehmigung wurde die Akkreditierung unterschieden als Gewährleistung fachlich-inhaltlicher Mindeststandards und Überprüfung der Berufsrelevanz der Abschlüsse. Die Akkreditierung erfolgt im Wesentlichen durch peer review, wobei die Beteiligung der Berufspraxis an der Begutachtung unverzichtbar ist. Die Akkreditierung ist keine zwingende Voraussetzung für die Einrichtung von Bachelor-/Bakkalaureus- und Master-/Magister-Studiengängen.
a) peut être
Die Möglichkeit, eine höhere Bildungseinrichtung (institution d’enseignement supérieur) zu akkreditieren, eröffnet einen Ermessensspielraum (pouvoir discrétionnaire) der Administrative (Ministerialverwaltung), die dann zur Pflicht wird, wenn die in (1) genannten Voraussetzungen dargelegt sind, nämlich die regelmäßigen Angebote in Lehre, Diplomierung und Forschung sowie einer entsprechenden Professorenzahl mit Planstellen und Forschungsleistungen. Die Absätze (1) und (2) differenzieren, je nachdem ob es sich um „Universität“ oder „Fachspezialisierte Hochschule“ handelt.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann sinkt das Ermessen der Ministerialverwaltung auf Null, so genannte „Ermessensreduzierung auf Null“. Anders gesagt: Das Ministerium muss die Akkreditierung aussprechen (aus „kann“ wird „muss“). Darüber hinaus ergibt sich die Verpflichtung, im EU-Ausland akkreditierte Studiengänge wie Hochschulen auch binnenrechtlich in Luxemburg anzuerkennen, d. h. sie nicht erneut einem nationalen Akkreditierungsverfahren zu unterwerfen, da dies gegen die europarechtlich fundamentierte Niederlassungsfreiheit und die Portabilität in Europa erworbener Abschlüsse verstieße. So hat z. B. das luxemburgische Hochschulministerium vom Deutschen Akkreditierungsrat ausgesprochene Akkreditierungen europarechtlich ohne erneute Prüfung anzuerkennen, was selbstverständlich auch umgekehrt zu gelten hat.
Es folgt aus dem Gesagten aber auch: Im Großherzogtum darf es gleichfalls nicht akkreditierte Hochschuleinrichtungen geben; hier kommen insbesondere private Einrichtungen in Frage, da die öffentlichen in Anlehnung an das Gesetz über die Gründung der uni.lu oder per eigenem Gesetz geschaffen werden müssten.
b)
accréditée comme université ou filiale
de cette université
Die Regelung in Art. 1 (2) des Gesetzes von 2009 in der gültigen Fassung ab 15. September 2016 ist nachweislich nicht vollständig. Dass der Gesetzgeber die ausländischen Gründungen einem eigenen Akkreditierungsverfahren unterwirft bzw. in Kooperation mit einem schon bestehenden luxemburgischen Bildungsträger sehen möchte, ist seine Gesetzgebungsfreiheit, welche indes Gründung und Errichtung von privaten luxemburgischen Hochschulen, sei es als Universität oder als Fachspezialisierte Hochschule, nicht einschränken darf.
Aus der Genese der Hochschulgesetze und insbesondere der letzten Änderung, die seit dem 15. September 2016 in Kraft ist, kann zwar erschlossen werden, dass der luxemburgische Gesetzgeber allgemein sowie das Hochschulministerium keine neben der staatlichen luxemburgischen Universität (uni.lu) arbeitenden weiteren Universitäten im Großherzogtum wünschen. Gleichwohl resultiert aus den hochschulrelevanten Gesetzen, dass ein Arbeiten als private luxemburgische Hochschule nicht verboten ist und überdies eine Akkreditierungsmöglichkeit weiter besteht. Mehr und mehr drängt sich daher die Annahme auf, dass Art. 28ter in Art. 1 vergessen oder übersehen wurde. Alles in allem ergänzt er Art. 1 und ist in ihn „hineinzulesen“. Dafür spricht, dass der Gesetzgeber zum enseignement supérieur luxembourgeois ohnehin die luxemburgischen Hochschulen zählt (etwa analog zur uni.lu). Plausibler erscheint indes, dass es ihm selbstverständlich erschien, dass bestehende wie zu gründende luxemburgische Hochschulen auch zum luxemburgischen Bildungswesen gehören, ohne dass es einer Erwähnung bedurfte.
Die Erwähnung ohne das Eigenschaftswort „étranger“ findet sich in der Überschrift vor Art. 27: „Les modalités d’implantation de formations d’enseignement supérieur sur le territoire du Grand-Duché du Luxembourg“. Ferner spricht dafür, dass der luxemburgische Gesetzgeber den Bologna-Prozess in sein Hochschulsystem einbeziehen, eine besondere Zulassungsstation für ausländische Bildungsträger schaffen und mit dazugehöriger Ausführungsverordnung ausgestalten wollte. Dieses Argument lässt sich aus der Bezeichnung der großherzoglichen Verordnung vom 24. August 2016 ableiten, die ausdrücklich „ausländische“ („étrangers“ im Plural) anführt, während das Gesetz im Titel nicht von „étranger(s)“ spricht, um auch inländische Hochschulen gleichermaßen einzubeziehen. Zudem ist in der Verordnung und an den im Gesetz geänderten Stellen mehrfach die Rede vom europäischen Referenzrahmen (espace européen de l’enseignement supérieur ESG), was für eine Umsetzung des Bologna-Prozesses in luxemburgisches Recht spricht. Dabei hat der nationale Gesetzgeber wegen der nicht zwingenden Umsetzungspflicht großen Spielraum, den er in nicht zu beanstandender Weise nutzt.
Fazit
a) taatlich anerkannt und akkreditiert werden in Luxemburg auf den ersten Blick gemäß der großherzoglichen Verordnung vom 24. August 2016 nur ausländische Universitäten, die entweder allein oder in Kooperation mit einer luxemburgischen Organisation im Großherzogtum aktiv werden. Während das Gesetz nach wie vor nicht von „étranger“ spricht, auch nicht nach der Änderung im Jahr 2016, führt die Verordnung explizit „étrangers“ für die institutionelle wie auch die Programmänderung im Titel. Wegen der dadurch drohenden Inländerdiskriminierung muss es im Lichte des Europa- und Verfassungsrechts auch originär private luxemburgische Hochschulgründungen geben dürfen.
b) erner müssen private luxemburgische Hochschulen sich und ihre Programme nicht zwingend akkreditieren lassen (Art. 28ter: „peut“), sie können es allerdings mit dem Unterschied, dass das Ministerium bei seiner Prüfung an weniger Formalia gebunden ist als bei der sehr detaillierten Verordnung für ausländische Einrichtungen. Ausländische Hochschulen hingegen müssen diese Hürden nehmen – obendrein durch eine in Luxemburg akkreditierte Institution (Art. 27, letzter Satz). Darüber hinaus ist in Luxemburg ohne erneute Überprüfung eine von einer Akkreditierungsbehörde eines anderen EU-Mitgliedstaates ausgesprochene Akkreditierung anzuerkennen.
c) on der Akkreditierung sorgfältig zu trennen ist schließlich die „Anerkennung“: Sie ist und bleibt ein nationaler Verwaltungsakt, mit Hilfe dessen der jeweilige Staat eine Einrichtung dergestalt als Hochschule anerkennt, dass er ihr bescheinigt, dass sie eine Ausbildung sicherstellen kann, die einer Hochschule entspricht. Daher ist die „Anerkennung“ nicht zwingend, wie bei Bologna, an Hochschulrecht gebunden, sondern wird je nach Regelungszweck an Berufs-, Standes- oder an das Arbeitsrecht gekoppelt. So regelt der Luxemburger Code de travail in L. 542-2 die „formation professionnelle et reconversion professionnelle“. Ferner sind Aus- und Weiterbildungen an Hochschulen schon immer in der Kompetenz der Kammern, also etwa der Chambre de commerce, Chambre des métiers (chambres patronales) oder der Kammern der freien Berufe (Ärzte, Architekten, Anwälte etc). Daran hat auch der Bologna-Prozess nichts geändert, dessen Intention allein die Schaffung von vergleichbaren Maßstäben der grundständigen Studiengänge bleibt. Alle anderen Studien sowie Aufgaben einer Hochschule – wie etwa Forschung oder Lehraufgaben der Fort- und Weiterbildung bis hin zu politischen Aufgaben (Gremienbeteiligung in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Gutachtentätigkeit für Behörden etc.) – sind hierdurch nicht berührt.
Nachweise und Vertiefung
Thomas Gergen, „Gründung und Anerkennung privater luxemburgischer Hochschulen – Von der zwingenden Ausfüllung einer europarechtswidrigen Gesetzeslücke“, in: zfhr 20 (2021), 2, S. 46-53.
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