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„Der schnelle Klick ist nicht alles“
„Online mit Anspruch“ lautete die Devise, als die beiden Trierer Journalisten Christian Jöricke und Marcus Stölb im Frühjahr 2007 an den Start gingen. Mit ihrem lokalen Nachrichtenmagazin 16vor schufen sie ein damals noch neuartiges Medienangebot, das in den Folgejahren in einigen deutschen Städten Nachahmer fand. Im Kern ging es den 16vor-Machern und ihrem Team darum, lokalen Qualitätsjournalismus zu bieten. Im Gespräch mit forum blickt Marcus Stölb auf seine 16vor-Jahre zurück und zieht eine Bilanz seiner Erfahrungen.
War 16vor ein alternatives Medium? Bedurfte es dafür immer eines Gegenpols?
Marcus Stölb: Sicherlich war es so, dass wir 2007 mit dem Ziel antraten, eine Alternative zur einzigen Tageszeitung vor Ort anzubieten. Zweifellos war es auch so, dass allein schon die Tatsache, dass es mit 16vor eine zusätzliche Quelle für lokale Informationen gab, uns gewisse Sympathien einbrachte. Allerdings war für mich auch immer klar: Allein nur als Gegenpol oder in Gegnerschaft zum Trierischen Volksfreund hätten wir nicht lange existieren können. 16vor wollte und musste vor allem mit journalistischer Qualität und Haltung überzeugen.
Aus heutiger Sicht: War es eher ein Segen oder ein Fluch, dass Sie ausschließlich online berichtet haben?
M.S.: Das war zunächst einmal dem Umstand geschuldet, dass uns für ein tagesaktuelles Printmedium die Millionen fehlten. Als jemand, der zuvor schon für etliche Printmedien gearbeitet hatte, erkannte ich allerdings schnell den Segen des Online-Mediums: die Möglichkeit, rasch reagieren zu können und sich nicht sklavisch an Zeichenbegrenzungen halten zu müssen. Umfassender und möglichst tiefgründig berichten zu können, machte 16vor ganz wesentlich aus. Wenn man 70 Zeilen zur Verfügung hat, sind die Möglichkeiten inhaltlich und sprachlich begrenzt – was selbstverständlich nicht heißt, dass ein langer Text auch immer ein guter Text ist; es kann mitunter auch ein Segen sein, sich kürzer fassen zu müssen. Was den Fluch anbelangt: Rückblickend würde ich sagen, dass wir sehr stark gestartet sind und täglich mit neuen Themen und Texten aufwarteten, die bestenfalls auch brandaktuell oder exklusiv waren. Das war auf die Dauer so nicht durchzuhalten, schon allein aufgrund der fehlenden Manpower.
Schaffen nicht auch die Leser die Abhängigkeit der Medien, da sie gut recherchierten und alternativen Inhalt haben möchten, für diesen aber häufig nicht zahlen wollen?
M.S.: Wir waren von unseren Werbepartner nie abhängig in dem Sinne, wie es klassische Medien sind. Mir war klar: Würden wir dieses Fass aufmachen, würde der Schaden für unsere Glaubwürdigkeit ungleich größer sein, als der Nutzen – ganz abgesehen davon, dass diese Vermengung journalistischen Standards fundamental widersprochen hätte. Was die Abhängigkeit anbelangt, war diese eher anderer Natur: Weil 16vor kaum Geld abwarf, war das Feedback unserer Leser für uns unverhältnismäßig wichtig. Ich will aber auch nicht leugnen, dass ich mir gewünscht hätte, dass deutlich mehr Leser unser Angebot auch finanziell unterstützt hätten, beispielsweise über eine Mitgliedschaft in unserem Förderverein.
Wie charakterisierte sich Ihre Leserschaft? War ihr Leseverhalten ansatzweise einzuschätzen?
M.S.: Ich denke, unser Angebot war in erster Linie eine wichtige Ergänzung für Menschen, die sich wirklich umfassend informieren wollten. Das Spannende war ja, dass die, die es wissen wollten, nun einen Vergleich hatten. Häufig konnten wir ein Mehr an Informationen bieten bei Themen, die auch die Tageszeitung aufgriff. Erste Anlaufstelle waren wir naturgemäß dann, wenn wir Exklusivgeschichten hatten. Den Namen des heutigen Trierer Bischofs erfuhr die Öffentlichkeit exklusiv auf 16vor, dass die rechtsextreme NPD 2009 erstmals bei einer Trierer Kommunalwahl antrat, ebenso. Nichtsdestotrotz habe ich in diesen Jahren auch gelernt: Idiotenrennen um die schnellsten News interessieren nur uns Journalisten und die unmittelbar Betroffenen. Wer sich wirklich interessiert, begeistert sich nicht so sehr für das schnellste, sondern für das Medium mit der größten Substanz!
Gibt es Ihrer Auffassung nach heute noch einen Unterschied zwischen der journalistischen Qualität von Online- und Printinhalten?
M.S.: Das ist eine Debatte von vorgestern. Als ich 2003 bei Spiegel Online arbeitete, war die starke Trennung zwischen Print und Online noch ein Thema – nicht nur aus der Perspektive der Chefetage heraus, vielmehr schien dieser Graben auch zwischen den Journalisten vorzuherrschen. Aus meiner Sicht kommt es zunächst und vor allem auf den Journalisten an, auf dessen Haltung und Berufsethos, wie qualitätsvoll er seine Arbeit macht. Die Frage, ob Inhalte gedruckt oder online erscheinen, erscheint mir da eher zweitrangig. Es gibt aber Phänomene, die durchaus dazu führen, dass Online-Journalismus eine gewisse Tendenz zur Verflachung und Zuspitzung mit sich bringt. Diese für unseren Berufsstand sehr gefährlichen Entwicklungen rühren daher, dass Online-Medien meist auf den schnellen Klick aus sind. Wenn von „Echtzeitjournalismus“ die Rede ist, meint dies die möglichst rasche und oft auch ungeprüfte Wiedergabe von Information. Journalismus bedeutet aber: Informationen prüfen, Quellen einordnen, Relevanz gewichten. So etwas geht nicht in Echtzeit! Oder es geht sehr zulasten der Qualität!
Danke für das Gespräch!
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