Der Tag, an dem die letzte Tageszeitung im Briefkasten steckt
Zwei Medienmanager sinnieren über Vergangenheit und Zukunft: Paul Peckels (Mediahuis Luxembourg) und Dhiraj Sabharwal (Tageblatt) zu Gast bei forum
Ja, auch Luxemburgs Medienbranche ist im Umbruch. Altes verschwindet und Neues entsteht, manches davon hat Bestand, anderes stirbt einen schnellen Tod. Zeitungen und Zeitschriften, Radiosender und Online-Auftritte, mal gut gemacht, mal nur gut gemeint. Wer behält da noch den Überblick? Und wie steht es um die beiden Platzhirsche des Print? Sind Luxemburger Wort und Tageblatt, ehemals Chronisten der Landesgeschichte und stolze Flaggschiffe kämpferischer Publizistik, ersteres für das katholische, letzteres für das sozialistische Luxemburg, heute noch so unentbehrliche Begleiter durch alle Tage des Lebens, wie sie es im 20. Jahrhundert waren? Fragen, für die wir Mediahuis-Generaldirektor Paul Peckels und den Chefredakteur und stellvertretenden Direktor des Tageblatt, Dhiraj Sabharwal, ins forum-Büro eingeladen hatten. Ein Streitgespräch wurde es nicht, tiefschürfend war’s allemal.
forum: Wann wird Ihrer Einschätzung nach die letzte gedruckte Tageszeitung in Luxemburg erscheinen?
Paul Peckels: Wenn der letzte Kunde für sich entscheidet, keine Zeitung mehr zu benötigen. Heutzutage können wir auf Systeme und Drucktechniken zurückgreifen, die es uns erlauben, aus den Inhalten einer Online-Publikation ein interessantes gedrucktes Produkt zusammenzustellen, auch in reduzierter Auflage.
Dhiraj Sabharwal: Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Tageszeitung auf Papier ganz und gar verschwinden wird. Denken Sie an das – zugegeben nicht unumstrittene – Rieplsche Gesetz, das besagt, dass kein etabliertes Medium vollständig durch ein neueres verdrängt werden kann. Meiner Meinung nach trifft dies hier zu. Ob in reduzierter Auflage oder in Form einer Wochenendausgabe, das gedruckte Medium wird nie ganz verschwinden und hat nach wie vor eine Zukunft. Davon bin ich überzeugt.
Eine Zukunft trotz der rasant schrumpfenden Klientel? Welche Tendenzen dominieren denn zurzeit bei der Nachfrage?
P. Peckels: Ich wehre mich dagegen, unser Unternehmen allein auf Print zu reduzieren. Mediahuis Luxembourg ist multimedial sehr breit aufgestellt. Print hat zwar immer noch einen wichtigen Stellenwert, ist allerdings auch Teil eines großen Ganzen. Journalismus sollte unabhängig von einem bestimmten Medium gemacht werden. Demnach halte ich es für falsch, das Gedruckte isoliert zu betrachten. Ja, beim Papier ist die Tendenz zweifellos negativ, und wir werden die Entwicklungen genau beobachten. Ausschlaggebend für mich sind die Kunden: Sie entscheiden, in welcher „Darreichungsform“ sie ihre Nachrichten empfangen wollen.
Ungeachtet dessen lässt sich bei der Reichweite der Tageszeitungen ein deutlich negativer Trend feststellen, was die potenzielle Leserschaft angeht. Den Erhebungen von Ilres zufolge ist das Luxemburger Wort von früher 55 auf heute 24,5 Prozent geschrumpft. Das heißt: Wenig mehr als jeder fünfte Einwohner über 15 Jahre liest es noch. Man erkennt also, dass die Tagespresse – ob Print oder Online – gewaltig an Relevanz eingebüßt hat.
P. Peckels: Dass dieser Prozentsatz heute ein anderer ist als noch vor 25 Jahren, kann man nicht verneinen. Aber das hat auch viel mit der demografischen Entwicklung des Landes zu tun. Das Luxemburger Wort wird überwiegend auf Deutsch publiziert, mit einigen Artikeln auf Französisch. Zugleich haben wir die Situation, dass immer weniger Leser eine deutschsprachige Zeitung beziehen möchten. Das liegt eindeutig daran, dass dieser Teil der Bevölkerung proportional abnimmt. Unsere Antwort kann nur in der sprachlichen Diversifikation des Angebots liegen.
Frankophile Luxemburger, Expats und Frontaliers
Einige französischsprachige Wochen- bzw. Tageszeitungen sind doch aber am Markt gescheitert?
P. Peckels: Im Nachhinein muss man einräumen, dass die Rechnung u. a. für La Voix du Luxembourg nicht aufgegangen ist. Gleichzeitig weise ich aber auf die immense Bandbreite des französischsprachigen Marktes hin, der sich in ganz heterogene Zielpublika aufteilt. Hier wären z. B. die „frankophilen Luxemburger“ zu nennen, die einen wesentlichen Teil der Voix-Leserschaft ausmachten, oder frankophone Einwohner unterschiedlicher Nationalität sowie natürlich die Grenzgänger. Genau hier liegt die Schwierigkeit der luxemburgischen Presse: Ein Zielpublikum zu finden, das groß genug ist, um journalistische Inhalte wirtschaftlich tragfähig verkaufen zu können.
Die 1997 von Editpress mit hohen Erwartungen lancierte Wochenzeitung Le Jeudi existiert nicht mehr, die Tageszeitung Le Quotidien hat einen Marktanteil von gerade mal 2,3 Prozent …
D. Sabharwal: Die Feststellung, dass auf dem frankophonen Markt kein signifikantes Zielpublikum zu finden ist, halte ich für interessant. Der Markt existiert, aber die Frage ist, wie man an ihn herantritt. Ilres-Umfragen zeigen, dass es unter den frankophilen Luxemburgern durchaus Potenzial gibt, nur haben wir alle es versäumt, dieser Zielgruppe ein interessantes Produkt anzubieten. Nehmen wir den Jeudi, der eine sehr institutionell und kulturell geprägte Publikation war. Dabei hätte die Zeitung einen alltäglichen Nutzen für ihre Leser haben müssen, als Begleiterin durch den Alltag. Kurz gesagt, man hätte der Klientel mehr Service anbieten müssen. So hätten wir die Leserschaft wahrscheinlich stärker an das Produkt gebunden. Zusätzlich hätten wir bei der Zielgruppe der Grenzgänger besser abgeschnitten.
Läuft Editpress nicht Gefahr, mit dem zweifellos erfolgreichen L’essentiel seine übrigen Abo-Publikationen zu kannibalisieren?
D. Sabharwal: Es sind durchaus Kannibalisierungseffekte festzustellen. Allerdings betrachten wir Gratismedien nicht als Konkurrenz, sondern als Chance, um ein größeres Publikum zu erreichen. Auch RTL und Wort haben diesen Weg beschritten. Die spannende Frage dabei ist: Wieviel Aufwand wollen wir noch in das klassische Nachrichtengeschäft stecken?
Während L’essentiel zur Erfolgsstory wurde, musste Saint-Paul sein Produkt Point 24 aus dem Verkehr ziehen. Gibt es in Luxemburg nicht genügend Raum für eine zweite Gratiszeitung?
P. Peckels: Diese Entscheidung wurde lange vor meiner Zeit bei Saint-Paul getroffen. Von außen betrachtet würde ich Ihrer Erklärung jedoch zustimmen.
D. Sabharwal: Der Startvorteil für L’essentiel lag wahrscheinlich darin, dass Editpress auf ausländische Expertise zurückgreifen konnte. Unsere Partner aus der Schweiz lieferten uns ein quasi fertiges Produkt.
Experimentierwiese Online
Eine Alternative zu gedruckten Gratismedien aus beiden Verlagshäusern wären Online-Publikationen. Deren finanziellen Resultate lassen jedoch zu wünschen übrig …
P. Peckels: Nein, das würde ich so nicht behaupten. Man muss die Online-Auftritte in ihrer ganzen Diversität betrachten. Auf der einen Seite gibt es die digitale Version der klassischen Zeitung, auf der anderen Seite die gängigen Online-Auftritte. Jedes Medienhaus hat sie im Portfolio, wobei auch Marketingstrategien mit im Spiel sind. Hier muss jeder Akteur für sich entscheiden, welche Kompromisse er eingeht im Hinblick auf Kundenbindung durch Abo-Verkauf, Pay-Wall und Online-Werbung. Für welche Strategie man konkret optiert, hängt ganz von der jeweiligen Unternehmenssituation ab. Aber auch Markt-Parameter spielen eine Rolle, da sie sich stetig verändern. Um die richtige Balance zu finden, muss man experimentieren … und eben auf Know-how aus dem Ausland zurückgreifen.
Als Saint-Paul Teil des flämischen Mediahuis-Konzerns wurde, wurde verlautbart, dessen Erfahrung und Expertise im Online-Publishing seien ein großer Vorteil mit Blick auf die Zukunft. Woran merkt man heute, dass dieses Versprechen greift?
P. Peckels: Schon 2015 haben wir eine Pay-Wall eingeführt. Was später vom Know-how seitens Mediahuis hinzukam, sind zwei Elemente: Zum einen das Marketing, was ich schon erwähnt habe, zum zweiten die Expertise. Das IT-Fundament im Hintergrund ist in seiner Entwicklung äußerst aufwändig. Folglich ist es ein großer Vorteil, das alles nicht eigenhändig stemmen zu müssen.
Die Kooperation mit ausländischen Partnern spielt also auf infrastruktureller Ebene, nicht aber auf journalistischer?
P. Peckels: Journalistisch wird sehr wenig kooperiert. Der Großteil der Mediahuis-Zeitungen erscheint auf Niederländisch. Unsere Aufgabe ist es jedoch, die luxemburgischen Leser zu informieren. Ab und an kommt es zum Austausch in puncto Know-how, nicht jedoch, was Inhalte betrifft.
Inhaltlich arbeiteten Sie mit der katholischen La Croix aus Frankreich und der Neuen Zürcher Zeitung zusammen. Bestehen diese Kontakte noch immer?
P. Peckels: Es handelt sich um Verträge, die es uns – vor allem, was die NZZ angeht – erlaubten, auf einen riesigen Pool von Auslandskorrespondenten zurückzugreifen. Die Kooperation mit La Croix kam deshalb zustande, weil wir einen Mangel an religiöser Berichterstattung im Wort feststellten. Diese Beziehungen waren für uns wichtig, um uns so breit wie möglich aufstellen zu können.
Editpress schloss seinerseits eine Partnerschaft mit Le Monde diplomatique.
D. Sabharwal: Stimmt. Einmal pro Monat erscheint der Diplo als Beilage im Tageblatt. Darüber hinaus machen wir mit bei Project Syndicate, eine NGO mit Sitz in Prag. Sie betreibt ein weltweites Netzwerk, das Zeitungen und Zeitschriften in mehr als 150 Ländern mit ausgesuchten Kommentaren und Meinungsartikeln namhafter Autoren beliefert.
Wieso gibt es in vielen Ländern eine Presseagentur, nicht aber in Luxemburg?
D. Sabharwal: Ich denke, das ist historisch gewachsen. Die Diskussion wurde bereits vor meiner Zeit geführt. Ein Argument dagegen war immer, dass Luxemburg zu klein sei für eine eigenständige Presseagentur.
Die Zivilgesellschaft kommuniziert gerne über Pressemitteilungen. Nur findet man jene heutzutage kaum noch in der geschriebenen Presse. Würde eine Presseagentur nicht spezifisch diesem Mangel entgegenwirken?
D. Sabharwal: Dem kann ich zustimmen. Es würde unsere Journalisten entlasten, Ressourcen freimachen, die Zivilgesellschaft würde wieder vermehrt zu Wort kommen, und nicht zuletzt würde die Konkurrenz zwischen Medienhäusern in einer Domäne beendet, wo diese gar nicht nötig ist.
Fakten statt Kulturkampf
Heute spricht man vom kommerziellen Wettbewerb zwischen den Häusern, früher ging es eher um ideologische Rivalität. Gibt es davon heute noch Überbleibsel? Unterscheiden sich Luxemburger Wort und Tageblatt noch voneinander, etwa in ihren lignes éditoriales?
P. Peckels: Unsere journalistischen Medien berichten über die Aktualität und bringen Hintergrundanalysen in verschiedenen Sprachen. Das hat mit Ideologie wenig zu tun. Es geht darum, zu informieren und zu „klassifizieren“. Manchmal bringt ein Journalist seine Meinung zu Papier, aber dass hier kein Kultur- oder Klassenkampf mehr geführt wird, ist, so denke ich, evident.
D. Sabharwal: Faktenbasierte Berichterstattung mit Meinungsjournalismus zu vermischen, das wird heute nicht mehr so gemacht. Unsere Meinungsrubrik ist zwar nach wie vor sehr prononciert, hin und wieder sind auch gewerkschaftliche Züge deutlich erkennbar. Doch wird man diese Elemente nicht in der faktenorientierten journalistischen Arbeit wiederfinden.
Sie mögen Recht haben. Dennoch stellt sich die Frage, ob Tages- oder Wochenzeitungen heute vielleicht nicht mehr als je zuvor für aufgeklärte, kritische und demokratische Meinungsbildung gebraucht werden als für die bloße Vermittlung von rohen Fakten?
D. Sabharwal: Leider ja!
P. Peckels: Es ist sicher nicht interessant, nur über den berühmten Sack Reis zu berichten, der in China umkippt. Daher betrachten wir Meinungsbildung als eine sehr wichtige Facette des Journalismus. Und ich glaube auch, dass die Leser das wollen und bereit sind, dafür Geld zu zahlen. Im Unterschied zum kämpferischen Überzeugungsjournalismus von früher legen wir heute aber viel Wert darauf, zu bestimmten Themen multiple Meinungen zu bringen. Ich denke z. B. an die vielfältigen Beiträge, die 2015 im Vorfeld des Referendums zum Ausländerwahlrecht erschienen sind. Die Leser konnten sich hier aus einer Fülle von Meinungen ihre eigene bilden – insofern sie natürlich bereit waren, Dinge zu lesen, die nicht unbedingt der eigenen Position entsprachen.
„Regierungspresse“ und „Oppositionspresse“: Haben diese altehrwürdigen Begriffe, die den Politjournalismus von einst prägten, im heutigen Denken keinen Platz mehr?
D. Sabharwal: Nein, das darf nicht mehr sein! Jeder muss hier die Grundlagen seines Handwerks beherrschen. Wenn über Regierungsarbeit berichtet wird, dürfen die jeweiligen politischen Farben keine Rolle spielen. Nehmen wir das aktuelle Beispiel des Hydrometeorologen Jeff Da Costa, der anscheinend aus vorauseilendem Gehorsam entlassen wurde, weil sein Vorgesetzter den Druck aus Regierungskreisen fürchtete. Wir können hier doch nicht hingehen und die Story anders behandeln, nur weil vielleicht ein LSAP-Minister involviert ist. Bei allen Diskussionen über Redaktionslinien kommt mir das äußerst spannende Format des Pro und Contra viel zu kurz. Dieses Format hat den Vorteil, dass es die gesellschaftlichen Realitäten widerspiegelt und weitaus demokratischer ist als eine Redaktionslinie, die innerhalb einer Gruppe von 30 Journalisten debattiert wird.
P. Peckels: Beim Regierungswechsel 2013 haben wir von Anfang an gesagt, dass wir die neue Koalition ebenso kritisch begleiten würden, wie wir es mit jeder anderen Mehrheit täten. Es gehört zum Journalismus dazu, kritisch zu sein – und zwar mit jedem, unabhängig von der Parteifarbe eines Ministers oder Abgeordneten. Das Wort von heute muss eine Publikation sein, die von allen Bürgern gelesen werden kann und die sich kritisch mit allen Seiten des politischen Spektrums auseinandersetzt. Ein politisch aufgeladener Journalismus, wie wir ihn in den 1970er Jahren hatten, ist heute nicht mehr tragbar.
Wenn wir das jetzt richtig deuten, bekennen sich beide Häuser zum internen Meinungspluralismus. Worin bitte unterscheiden sich denn noch Editpress und Mediahuis? Könnte man sich heute nicht vorstellen, es gäbe nur eine einzige, breit aufgestellte Qualitätstageszeitung in Luxemburg?
D. Sabharwal: Der Werterahmen unterscheidet uns ebenso wie die Methodik des Handwerks. In der faktenbasierten Berichterstattung spielen wir uns manchmal den Ball zu, im Zusammenspiel mit dem öffentlich-rechtlichen radio 100,7 und mit RTL. Einen Unterschied bemerkt man deshalb eher in den Meinungssparten, obwohl ich meine Position manchmal auch im Wort wiederfinde. Eine einzige Tageszeitung hieße ja, dass es nur noch eine einzige große Meinungsmacht gäbe. So etwas kann aber doch niemand wollen, vor allem während des Wahlkampfs oder bei gesellschaftlich bedeutenden Ereignissen. Zur Illustration käme ich gerne auf das Beispiel der Anti-Vax-Bewegung zu sprechen. Das Wort ist dem Thema mit seiner gediegenen, klassischen Objektivität und seiner „Chronistenpflicht“ nachgegangen, es bewegte sich näher an der Aktualität. Schließlich wird immer behauptet: „Wat net am Wort steet, ass net geschitt.“ Diese Erwartung haben wir als Tageblatt nicht, was uns eine gewisse Freiheit schenkt. Unsere Herangehensweise gestaltete sich etwas anders. Wir haben über Monate über diese Bewegung und ihre Akteure recherchiert, sodass wir montags über die Ereignisse am Wochenende mit viel Hintergrundinformation berichten konnten. Deshalb verstehen wir uns als eine Art tägliche Wochenzeitung.
Beruhte denn der historische Erfolg des Wort nicht gerade auf dieser „Chronistenpflicht“? Nur stellt sich die Frage, ob diese heute, im Zeitalter des Internets, in dem jede Institution, jeder Verein und jede Firma Chronist in eigener Sache ist, noch benötigt wird.
P. Peckels: Ich würde diese „Chronistenpflicht“ und Dhirajs Sicht auf unsere Chronistenarbeit etwas relativieren (lacht). Ich denke schon, dass es eine gewisse Tendenz in unserer Berichterstattung gibt, die Redaktion allerdings vermehrt eine Auswahl trifft. Letzteres spielt eine wesentliche Rolle, da es diese Auswahl ist, die den Erfolg des Produkts bestimmt. Um auf Ihre ursprüngliche Frage nach einer einzigen Tageszeitung für Luxemburg zurückzukommen: Wir sind schon darauf bedacht, auf unseren Seiten die größtmögliche Diversität widerzuspiegeln, aber dies gelingt natürlich nur im Rahmen unserer Ressourcen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass noch andere Medienhäuser auf dem luxemburgischen Markt präsent sind, die sich von anderen Visionen leiten lassen und das Spektrum breiter fächern. Ein einziges Haus könnte jene Meinungsvielfalt nicht hinbekommen.
Journalisten: Prekariat oder Privilegierte?
Die Garantie von Meinungsvielfalt ist ja einer der Gründe für die staatliche Pressehilfe. Wie sehen Sie das neue Pressehilfegesetz? Wie wirkt es sich aus? Wurden seither neue Journalisten eingestellt?
D. Sabharwal: Der Wert des Journalisten ist eindeutig zu tief angesetzt. Ich halte das für eine absolute Schande. Die Pressehilfe pro Journalist wurde ja von ursprünglich geplanten 50.000 Euro auf 30.000 Euro reduziert. Das Gesetz funktioniert zwar, spiegelt jedoch in keiner Weise den Wert journalistischer Arbeit oder der damit verbundenen Wirtschaftsleistung wider.
P. Peckels: Vor der Reform war die Anzahl an gedruckten Seiten auschlaggebend, was im digitalen Zeitalter natürlich unsinnig ist. Digitale Publikationen wie Lëtzebuerger Journal oder Reporter.lu hätten im alten System keinen Platz gehabt. Der Presserat beschloss 2014, dass jedes Medienunternehmen, das mindestens fünf Journalisten mit Pressekarte beschäftigt, dem Presserat beitreten kann. Somit lässt sich auch die Repräsentativität der einzelnen Häuser bestimmen. Diese an die Anzahl der Pressekarten gekoppelte Logik wählte das Medienministerium dann als Proxy für die Pressehilfe. Sie wird jetzt auf Basis der angestellten Journalisten ausbezahlt und nicht mehr allein aufgrund der publizierten Seiten. Zudem konnte damit ein gewisser Qualitätsanspruch ins Konzept einfließen. Die Summen, die am Ende herauskamen, sind ein finanzpolitischer Kompromiss, oder anders ausgedrückt: eine Art Kuhhandel, damit das jeweilige Volumen ungefähr dem entspricht, was vor der Reform gewährt wurde.
Insofern sich der gesellschaftliche oder auch wirtschaftliche Wert eines Journalisten in der vom Pressehilfegesetz verfügten Summe reflektiert, ist der Journalistenberuf hierzulande nicht mehr hoch angesehen …
P. Peckels: Wenn man die Zahlen miteinander vergleicht und vielleicht noch einen Durchschnittslohn mitberücksichtigt, kann man das behaupten. Andererseits sind die Verleger verpflichtet, neben der Pressehilfe noch andere Einkommen zu generieren – was in der Rechnung ja auch berücksichtigt wurde. Vom Prinzip her, denke ich, bewegen wir uns in die richtige Richtung, wenn es darum geht, journalistische Arbeit wertzuschätzen.
Rechtfertigt das dann auch die Pressehilfe für Gratiszeitungen?
P. Peckels: Ja, denn das Kriterium für die Vergabe der Finanzhilfen ist die Pressekarte. Wenn ein Journalist aus der Gratispresse nicht weniger wert sein soll als sein Kollege aus der Abonnementspresse, dann muss man diese Richtung einschlagen. Die Logik wurde konsequent appliziert.
Bleibt der Beruf des Journalisten für junge Menschen, materiell gesehen, attraktiv? Früher blieb man ein ganzes Leben im Beruf, heute ist das nicht mehr so. Viele wechseln nach wenigen Jahren auf eine Stelle als Pressesprecher in einem Ministerium oder als Kommunikationsbeauftragter einer Bank.
P. Peckels: Ich glaube, wir zahlen attraktive Löhne und bieten attraktive Arbeitsbedingungen. Wir sind immer auf der Suche nach talentierten Journalisten. Was ich jedoch als ernstzunehmende Konkurrenz sehe, ist ein Nullachtfünfzehn-Job als Kommunikationsperson (lacht).
D. Sabharwal (lacht): Es ist so wahr, deshalb lache ich.
P. Peckels: Hier ist die journalistische Berufung nicht mehr vorhanden. Die Gehälter sind sicher sehr gut, ansonsten gäbe es diese Transfers nicht. Obwohl auch eine solche Entscheidung immer ein Kompromiss für den Betroffenen ist, was Arbeitszeiten und persönliche Freiheiten angeht.
D. Sabharwal: Ich stimme dem zu, will nur noch ergänzend bemerken, dass die Summe, die der Staat einem Verlag zahlt, lediglich dem finanziellen Aufwand der Produktion Rechnung tragen soll. Wie der Betrieb diese Geldmittel letztlich intern verteilt, bleibt ihm überlassen. Deshalb gehen wir momentan den Weg, unsere Journalisten gut zu bezahlen und ihnen eine Karriere zu ermöglichen, sodass wir nicht unbedingt mit einer Kündigung rechnen müssen, wenn irgendeine Gemeinde eine offene Stelle ausschreibt. Nehmen wir das Personal des Tageblatt: Wir sind eine unheimlich junge Mannschaft, ein Mittelbau ist kaum noch vorhanden. Unser Team besteht aus immens erfahrenen älteren Kollegen und sehr vielen jungen Leuten. Dem wäre nicht so, wenn der Beruf unattraktiv oder schlecht bezahlt wäre. Auf lange Sicht wünsche ich mir, dass die Presse aus diesem Image-Ghetto herauskommt. Dazu gehört eine bessere Bezahlung und größere persönliche Freiheiten. Gerade die Pandemie hat die klassische Büroarbeit teilweise obsolet gemacht: Du kannst heute arbeiten, von wo aus du willst…
P. Peckels: Die Flexibilisierung der Arbeitswelt spielt uns gewiss in die Karten. Wenn ich an 2020 zurückdenke, war ich zeitweise der einzige Mensch im Büro. Diese Flexibilität, von der wir heute wissen, dass sie die Attraktivität des Berufs begünstigt, wollen wir natürlich beibehalten.
Demokratie in Gefahr
Täuscht unser Eindruck, dass die übergroße Mehrheit der Jugendlichen heute kaum noch die traditionelle Presse rezipiert? Eine gedruckte Tageszeitung lesen sie mit Sicherheit nicht, bestenfalls schauen sie bei rtl.lu vorbei. Die Frage drängt sich also auf, wie man junge Menschen neu begeistern kann.
D. Sabharwal: Wir reden hier viel über Hintergrundinformationen, Qualitätsansprüche und gesellschaftliche Relevanz. Doch das spielt bei diesen Alterskategorien weitaus weniger mit, wenn es darum geht zu entscheiden, was man liest und was nicht. In Gesprächen mit unseren Azubis und Studenten ist immer wieder zu hören, wir sollten doch endlich kürzere Artikel bringen, z. B. mit nützlichen Informationen über lokale (Sport-)Klubs oder Veranstaltungen. Und wir reden hier über kleine Meldungen, nicht mehr. Diese Art der Mediennutzung leitet sich stark von den sozialen Medien ab wie Instagram oder TikTok, die sich wiederum einer ganz anderen Sprache bedienen. Ich habe den Eindruck, dass wir als Presse manchmal Probleme haben uns anzupassen und schlichtweg „jugendfeindlich“ sind.
P. Peckels: Darf ich eine optimistische Note in die Diskussion einbringen? Wir reden hier über junge Menschen, deren Interessen sich mit der Zeit weiterentwickeln, sodass sie für uns nicht verloren sind. Heute erreichen wir sie nicht mit unseren Inhalten, in ihrem späteren Leben, wenn sich ihre Prioritäten geändert haben, vielleicht schon. Eigentlich sind Dhiraj und ich nicht qualifiziert, um „jugend-adäquate“ Inhalte zu redigieren. Hierfür sind junge Journalisten gefragt, die eine gute Feder mitbringen und passende Inhalte produzieren können. Das Problem ist, überspitzt formuliert, folgendes: Werden sie auch nach einem Jahr mit der sich ständig wandelnden Jugendkultur mithalten können? Der Pool an Journalisten, der dafür gebraucht wird, ist wahrscheinlich extrem kurzlebig.
Wenn soziale Medien an die Stelle von klassischen Medien treten, laufen wir dann nicht Gefahr, eine desinformierte junge Generation zu generieren? Die Philippinen sind weltweit das Land, wo der Konsum sozialer Medien nachweislich am höchsten ist. Niemand informiert sich noch mithilfe journalistischer Quellen. Mit dem Resultat, dass kürzlich der Sohn des früheren Diktators Ferdinand Marcos zum Präsidenten gewählt wurde. Ungefilterte Desinformation und Propaganda haben die 1986 erkämpfte Demokratie erledigt.
P. Peckels: Dieses und andere Beispiele zeigen, dass unsere Gesellschaften vor einer bildungspolitischen Herausforderung stehen. Kritisches Denken muss mit allen Mitteln gefördert werden. Das gilt auch für die Medien: Es braucht neue Formen von Medienkompetenz, vom Kind bis zum Erwachsenen. Die paternalistische Haltung, wie wir den Menschen früher die Welt erklärt haben, ist passé. Kritisches Denken zu fördern ist heute eine essenzielle Aufgabe.
D. Sabharwal: Auch die älteren Generationen dürfen wir im Zusammenhang mit Fake News nicht vergessen. Ich habe oft den Eindruck, dass weitaus mehr ältere Menschen Falschinformationen Glauben schenken als junge Leute.
Zum Schluss nochmal ans Eingemachte: Saint-Paul und Editpress mussten lange Zeit mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen. Hat sich die Situation heute beruhigt?
P. Peckels: Wir haben die letzten Jahre stets mit Gewinn abgeschlossen. Das war der Preis von vielen Anstrengungen, Restrukturierungen und Investitionen in neue Technologien. Dabei gab es auch sehr schwierige Momente. 2020 fiel ein wesentlicher Teil unserer Werbeeinnahmen spontan und pandemiebedingt einfach weg. Heute stehen wir mit Mediahuis auf festem Fuß.
D. Sabharwal: Restrukturierung ist der nettere Ausdruck. Es wurde massiv saniert, sodass auch wir seit 2017 finanziell wieder gut dastehen und auch neu einstellen können.
Die Herren, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.
(Das Interview fand am 31. Mai 2022 statt, die Fragen stellten mp und lop.)
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