Dialogverweigerung?

In Reaktion auf den unter dem Titel „Dialogverweigerung“ erschienenen Beitrag von Henning Marmulla, publiziert in forum 426 (Juli 2022), S. 11-14, hat Henri Grün ein droit de réponse gemäß Artikel 36 des loi modifiée du 8 juin 2004 sur la liberté d’expression dans les médias geltend gemacht.

In seinem Beitrag im forum vom Juli 2022 wirft Herr Marmulla mir und dem CPJPO (Comité pour une Paix Juste au Proche-Orient) Dialogverweigerung, Sprachlosigkeit in Bezug auf das Thema Antisemitismus sowie mangelndes Interesse an der Zunahme von Antisemitismus in Luxemburg vor.1 Diese Vorwürfe können wir so nicht unbeantwortet stehen lassen, da sie auch faktisch falsch sind.

Zum Thema Dialogverweigerung 

H. Marmulla nimmt die Vorgänge um die Documenta in Kassel als Anlass, um „Israelkritikern“ pauschal Dialogverweigerung vorzuwerfen, da diese einen offenen Meinungsaustausch verweigern würden. Diesen Vorwurf überträgt er nun pauschal auf mich. Abgesehen von dem fragwürdigen Vorgehen, bundesdeutsche Gemüts- und Konfliktlagen in Bezug auf Antisemitismus auf Luxemburg und luxemburgische Bürger zu übertragen, muss ich diesen Vorwurf an Marmulla zurückgeben: Auch er geht in seinem Artikel nicht auf die von mir vorgebrachten Argumente ein. 

Damit scheint klar, dass es wenig sinnvoll ist, hier alle Argumente zu wiederholen beziehungsweise die gegnerischen zu widerlegen. Diese Art von Auseinandersetzung führt wohl eher nicht zu einem konstruktiven Dialog. Stattdessen wollen wir die Herausforderung von Marmulla annehmen und am Ende unseres Beitrages alternative, konstruktive Dialogvorschläge unterbreiten. Doch zunächst zum Thema Dialogverweigerung.

Einige Fakten zum Thema Dialog und Dialogverweigerung

Es gab von Seiten der ehemaligen Präsidentin des CPJPO Kontaktaufnahmen und Gesprächs­einladungen an H. Marmulla, zuletzt am 11. Juni 2020, die aber von diesem nicht angenommen wurden, so dass ein Gespräch nie zustande kam. Dies können wir konkret belegen. 

Auf Anfrage des CPJPO und unter Hinzunahme eines externen Vermittlers sollte eine Mediation stattfinden zwischen dem CPJPO und B. Gottlieb (B.G.), dem Hauptaktivist der Vereinigung RIAL, der in seinen Berichten dem Ruf des CPJPO regelmäßig schadet, indem er dieses als antisemitisch hinstellt. Die Mediation hat leider nie wirklich begonnen, da B.G. als Vorbedingung ein Moratorium vom CPJPO verlangte. Dieses sollte darin bestehen, während des Moratoriums keine Polemik gegen ihn zu führen, er selber publizierte aber während genau dieser Zeit einen Bericht, in dem er dem Ruf des CPJPO wieder massiv schadete. Das CPJPO blieb trotzdem offen für Gespräche, doch B.G. hat dem Vermittler dann mitgeteilt, dass er nicht mehr an einer Mediation interessiert sei. 

Am 14.11.2019 sollte ein Rundtischgespräch zum Thema Israelkritik und Antisemitismus stattfinden, organisiert vom Musée National de la Résistance et des Droits Humains, zu dem unter anderem sowohl das CPJPO wie auch RIAL geladen waren. Nach einigem Hin und Her auf Seiten des Veranstalters entschied dieser schließlich, das Rundtischgespräch abzusagen. Aufgrund der Chronologie der Ereignisse haben wir guten Grund zur Annahme, dass B.G. von RIAL nicht mit M. Kleinberg an einer Debatte teilnehmen wollte, damals Präsidentin des CPJPO und selber Jüdin.

Das CPJPO hat seit seiner Gründung immer den Dialog mit der jüdischen Gemeinschaft Luxemburgs gesucht, so gab es einige Treffen mit dem Consistoire Israélite oder einzelner seiner Mitglieder. Unsere Gesprächsanfragen der letzten drei Jahre blieben unbeantwortet. Diese betrafen unter anderem die Beziehungen des Consistoire zur Vereinigung RIAL sowie dessen Rufschädigungen gegenüber dem CPJPO. Dabei sollte man wissen, das B.G. von RIAL Mitglied des Consistoire ist und seine Vereinigung die gleiche Adresse hat wie dieser. Interessant ist aber, dass B.G. in seinem Bericht 2021 jede Verbindung mit dem Consistoire formell abstreitet2. 

Sind all diese Bemühungen wirklich ein Zeichen von Dialogverweigerung?

Zum Thema Zunahme des Antisemitismus in Luxemburg

Marmulla bezieht sich in seinen Ausführungen auf die Zahlen, die RIAL in seinen Jahresberichten publiziert. Wir haben das Zustandekommen dieser Zahlen ausführlich kritisch analysiert3, wobei offensichtlich wurde, dass diese Zahlen wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen und zum Teil zum Zwecke der Propaganda des RIAL ideologisch konstruiert sind. Zur Methode von RIAL: Veröffentlichungen sowie Posts auf sozialen Medien werden von B.G. nach seinen eigenen Kriterien zunächst als antisemitisch identifiziert, dann werden diese zu antisemitischen Vorfällen hochstilisiert, die entsprechenden Zahlen werden dann in der Presse in Schlagzeilen unkritisch übernommen. Natürlich gibt es antisemitische Hassbotschaften und Verschwörungstheorien im Netz, besonders auch im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie, dies ist nicht zu bestreiten und muss gesagt werden. Doch wenn es um Israelkritik geht oder um Kritik an den Meinungen oder Methoden von B.G. selber, so schlägt dieser schnell mit der Keule des Antisemitismusvorwurfs zu. Dazu nur einige Beispiele aus dem letzten Bericht von RIAL: Ein im Lëtzebuerger Land veröffentlichter Artikel des CPJPO wird als antisemitisch eingestuft und zum „antisemitischen Vorfall“ (die Kollegen des Lëtzebuerger Land wird es freuen!), warum weiß niemand, außer B.G. selber.4 Eine Karikatur auf FB wird zum „antisemitischen Vorfall“, weil B.G. im Lichtreflex eines kleinen, von einem israelischen Soldaten geführten Spiegels eine visuelle Anspielung auf eine SS-Rune entdeckt hat.5 Niemand sonst wird sie je sehen!6 Diskussionsbeiträge des luxemburgischen Philosophen H. Hausemer im Luxemburger Wort und im forum werden ebenfalls als antisemitisch eingestuft, dieser wird im letzten RIAL-Bericht von B.G. zum Teil sehr persönlich auf über sechs (!) Seiten angegriffen.7 Wenn man überall Antisemiten am Werk sieht und Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, verliert der Begriff jede Bedeutung. Wie gefährlich eine solche Methode für die Prävention des tatsächlichen Antisemitismus ist, muss wohl nicht betont werden.

Die seriöse Beantwortung der Frage, ob es eine Zunahme des Antisemitismus in Luxemburg tatsächlich gibt, sollte nicht Einzelpersonen (oder einem Verein) überlassen werden, der eine politisch und ideologisch gefärbte Agenda verfolgt. Das CPJPO hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, den Empfehlungen europäischer Institutionen wie ECRI zu folgen und eine unabhängige Stelle mit dem Monitoring von Diskriminierungen, Rassismus und Antisemitismus zu beauftragen und sich dabei an den geltenden gesetzlichen Regelungen zu orientieren. Wir wollen es hier noch einmal betonen: die IHRA-Definition des Antisemitismus ist laut eigener Beschreibung eine „working definition“, hat keinen legalen Wert, sollte denn auch als „working definition“ weiterentwickelt werden und ist zudem in Luxemburg OHNE die Beispiele (also auch ohne die auf Israel bezogenen) vom Parlament angenommen worden. Und dies eben, um der Vermischung von Antisemitismus mit den politischen Interessen des Staates Israels entgegenzuwirken. 

Dialogvorschläge

Wir stimmen mit H. Marmulla überein, wenn er schreibt: „Ein offener Meinungsaustausch wird dann interessant, wenn er zwischen Menschen mit unterschiedlichen Positionen geführt wird“.8 Deshalb schlagen wir H. Marmulla und der Redaktion von forum vor, uns in einem oder mehreren live-Gesprächen über gemeinsam definierte kontroverse Themen auszutauschen, davon ausgehend, dass beide sich an die Regeln eines argumentativen Diskurses halten (wie zum Beispiel von J. Habermas im Rahmen seiner Diskursethik definiert). Da H. Marmulla sich in seinem Artikel ausführlich auf einen in der deutschen Presse publizierten Artikel über die Documenta bezieht, möchten wir gerne einen Artikel des israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm zum gleichen Thema zitieren („Das Schreiduell“)9 und die von ihm dort vertretene Haltung als Basis für einen konstruktiven Dialog anführen. Wir gehen davon aus, dass für beide Seiten die Menschenrechte und das internationale Recht dabei als ethische Referenz dienen.

Das CPJPO hat am 22. Oktober zusammen mit der Vereinigung Jewish Call for Peace und mit Unterstützung deutscher, belgischer und französischer jüdischer Organisationen eine internationale Tagung zum Thema Antisemitismus durchgeführt, zu der natürlich auch H. Marmulla und die Redaktion von forum eingeladen waren. Hier bot sich reichlich Gelegenheit zu kontroverser Diskussion.10

Henri Grün ist Diplom-Psychologe, arbeitet als Psychotherapeut und Supervisor und ist Lehrbeauftragter an der uni.lu. Davor war Grün Direktor der Stiftung Jugend- an Drogenhëllef und der Vereinigung Omega 90. Darüber hinaus engagiert er sich in mehreren gemeinnützigen Organisationen. Er ist Mitglied im Verwaltungsrat des Comité pour une paix juste au proche-orient.


Henri Grün ist Diplom-Psychologe, arbeitet als Psychotherapeut und Supervisor und ist Lehrbeauftragter an der uni.lu. Davor war Grün Direktor der Stiftung Jugend- an Drogenhëllef und der Vereinigung Omega 90. Darüber hinaus engagiert er sich in mehreren gemeinnützigen Organisationen. Er ist Mitglied im Verwaltungsrat des Comité pour une paix juste au proche-orient.


1 Henning Marmulla, „Dialogverweigerung“, in: forum 426 (Juli 2022), S. 11-14.

2 RIAL, Rapport 2021, S. 91. Auch ein weiteres Mitglied des Verwaltungsrates von RIAL, Michel Karp, ist Mitglied des Consistoire. Wie ist dann die Aussage von B.G. zu verstehen: „RIAL fait son travail sans ingérence du Consistoire (…)“? (ebd.). Wer nun wen hier beeinflusst, sei dahingestellt.

3 Zur Analyse der Jahresberichte von RIAL 2018 und 2019, publiziert jeweils 2019 und 2020, siehe https://paixjuste.lu/antisemitisme-au-luxembourg-analyse-critique-du-rapport-dactivites-2018-et-dossier-ihra-edite-par-bernard-gottlieb-pour-rial-asbl/ (letzter Aufruf: 20. Oktober 2022).

4 RIAL, Rapport 2021, S. 10.

5 Ebd., S. 80.

6 Dies konnte ich in einer kleinen empirischen Untersuchung in meinem Umfeld überprüfen. 

7 RIAL, Rapport 2021, S. 83-89. Typisch für das Vorgehen von RIAL, wie auch ähnlicher Organisationen im Ausland, z. B. der Organisation RIAS in Berlin, ist das Anlegen von Akten beziehungsweise das Recherchieren über das Leben von Personen, die der Politik Israels gegenüber eine kritische Einstellung haben. Entsprechende Daten und Informationen werden dann bei Bedarf und zum Zwecke der Rufschädigung hervorgeholt. Das Ziel dieses Vorgehens ist klar: Es soll Angst geschürt werden, um Kritiker zum Schweigen zu bringen.

8 Siehe Marmulla, Dialogverweigerung, a. a. O., S. 12.

9 https://www.zeit.de/2022/29/documenta-antisemitismus-bds-judentum 

10 Die Vorträge und Diskussionen werden auf YouTube verfügbar sein sowie auch in einer schriftlichen Dokumentation.

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