In der Vergangenheit hat sich Poesie zum großen Teil an das Bildungsbürgertum und Bürger der sogenannten Oberschicht gerichtet. Wer nicht dazu gehörte, bekam diese edlen Zeilen meist nicht zu sehen und hegte kein großes Interesse für Poesie. Doch heute, in einem sich rasch wandelnden Zeitalter, geprägt durch den Wunsch nach Freiheit, Diversität und Individualität, wandelt sich auch die traditionelle Poesie zu einem zeitgenössischen Medium, dem Poetry-Slam.
Crash-Kurs in Slam-Poetry
Vielleicht schon gehört, aber noch nicht nach dem Smartphone gegriffen, den Begriff gegoogelt oder Siri um Hilfe gebeten? Dann folgt hier die Erklärung:
Slam-Poetry und nicht Poetry-Slam (!) (so heißt nämlich die Veranstaltung, wo diese Kunst vorgetragen wird) ist laut Wikipedia „eine literarische Strömung, die hinsichtlich der Gattungspoetik der Lyrik zuzuordnen ist. Obwohl charakteristische Texte verschiedentlich lyrische, epische und szenische Mittel kombinieren, werden doch mehrheitlich Verfahren der Prosodie und Metrik eingesetzt“. Dies ist allerdings eine Definition mit zahlreichen komplizierten Begriffen; eigentlich würde auf diese Erklärung jeder, der eine Erläuterung sucht, mit einem erstaunten „Hää?!“ antworten. Daher erkläre ich Slam-Poetry generell als „Poesie für jedermann“: Menschen schreiben Texte und tragen sie, meist auswendig und mit einer Prise – hin zu einem Suppenlöffel voll – Theater vor. Die Sprache ist nicht allzu kompliziert, damit jeder die Texte versteht. Diese handeln von allen möglichen Themen und können viele verschiedene Formen annehmen: Geschichten mit Witz und Lust, traurige und gefühlvolle oder kritische Erzählungen, Erklärungsversuche,… Man trifft einfach auf alles und alles ist möglich beim Slam-Poetry! Das ist meine etwas vereinfachte Erläuterung dieser (etwas) neueren und hippen Kunst.
Anfangs war es eher schwer bis unmöglich für Leute aus Luxemburg, an solchen Events teilzunehmen. Seinen Ursprung hatte der Poetry-Slam nämlich in den USA, in Chicago, wo er 1987 im Green Mill Jazz Club von seinem Vater, dem Bauarbeiter Marc Kelly Smith, aus der Taufe gehoben wurde. Der junge Smith beschäftigte sich mit Lyrik und Literatur, um seinem anstrengenden Arbeitsalltag zu entfliehen. Dabei gefiel dem jungen Mann nicht, dass Wörter und Gefühle, die dem Dichter angeblich wichtig waren, immer in einem kahlen und langweiligen Umfeld ganz monoton vorgetragen wurden. Also wollte Smith die Wörter zum Leben erwecken und entwickelte die Idee des Poetry-Slams. Ab 1993-1994 wurden die ersten Slams in den Großstädten Europas (Berlin, Amsterdam, Stockholm, London) organisiert. Seit 1996 finden in der Münchener Substanz monatliche Dichterwettstreite statt und mittlerweile gibt es in mehr als 70 Städten der Bundesrepublik regelmäßig Slams.
Poetry-Slam in der Großregion
Die Slam-Poetry-Texte werden also während Poetry-Slam-Verantstaltungen von den „Slammern“ vorgetragen. Das Format des Events hängt heute meist vom Veranstalter ab – außer es handelt sich um die (inter)nationalen Meisterschaften, deren Ablauf fest geregelt ist. Meist treten bei den „Slams“ die Dichter gegeneinander an und werden anschließend von einer Jury oder vom Publikum z.B. durch Applauslautstärke oder Abstimmung per Wahlzettelchen bewertet. So werden die besten „Slammer“ aus der Runde ermittelt und treten in weiteren Runden wieder gegeneinander an bis ein Gewinner feststeht. Es gibt aber auch etwas freiere Veranstaltungen, bei denen die Slammer auftreten und einen oder mehrere Texte vortragen, ohne dass ein Gewinner bestimmt wird.
Auch in der Großregion sind die Poetry-Slams mittlerweile etabliert und kommen gut an! Es gibt die Veranstaltung heute in drei verschiedenen Ausgaben: Zum ersten gibt es den „Poetry Slam Luxembourg“, welcher im Kulturhaus Niederanven stattfindet und vom gleichnamigen Verein mehrfach pro Jahr organisiert wird. Es ist der wohl bekannteste der drei Luxemburger Slams. In einem stets gut gefüllten bis öfters überfüllten Saal kann man sich hier literarischem Wortgespiele und Weisheitslarifari von lokalen sowie ausländischen Slammern hingeben. Es gibt sehr unterschiedliche und interessante Texte, da die eingeladenen Poeten meist ein gewisses Renommee genießen und diesem auch gerecht werden. Die Slammer treten einzeln gegeneinander an und anschließend entscheidet das Publikum über den besseren Text. So verlaufen mehrere Runden bis im Finale ein Gewinner gekürt wird. Das Duo Luc Spada und Michel Abdollahi moderiert das ganze Geschehen üblicherweise mit viel Witz und Ironie.
Nummer zwei ist der Slam des „Géisskan Kollektiv“, einer freiwilligen gemeinnützigen Organisation. Die Veranstaltung ist noch recht neu im Land und findet in unregelmäßigen Abständen statt. Ein festes Zuhause hat der Slam nicht, man findet ihn eher auf Outdoor Festivals oder anderen kleineren Festen und Events, wie z.B. dem „Last Summer Dance“-Festival. Die Slammer sind dabei eigentlich immer locals, die eher selten das Niveau der Slams in Niederanven erreichen. Man trifft hauptsächlich auf deutsche sowie französische, luxemburgische oder englische Texte. Auch hier treten die Sprachkünstler in mehreren Runden gegeneinander an und das Publikum entscheidet zum Schluss, wer gewinnt. Der Slam wurde fünfmal – und damit bisher jedes Mal – von Philippe Schockweiler moderiert.
Auf den dritten Slam stößt man in den neu renovierten Rotondes in Bonnevoie oder im Centre Prabbeli in Wiltz. Es handelt sich um den „Poetry Slam de Lux“, welcher im Oktober 2016 sein siebte Veranstaltung feierte. Organisiert und gegründet wurde er vom Institut Pierre Werner und wird heute unterstützt von der Organisation CarréRotondes. Das Konzept dieses Slams fällt etwas aus der Reihe: Hier treten die Slammer nacheinander auf und tragen mehrere Stücke vor. Es ist kein Wettstreit, es werden einfach nur verschiedene Texte vorgetragen. Der Schwerpunkt bei diesem Slam liegt auf der Qualität und der Diversität. So trifft man hier auf lokale, hauptsächlich aber internationale Slammer, die sich in der Vergangenheit schon einen gewissen Namen gemacht haben. Oft wird versucht, Slammer mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen, d.h. Dichter aus verschiedenen Ländern und Kulturen. Somit wird eine sprachliche und thematische Divergenz geschaffen, auf die man sonst selten trifft. Sehr interessant ist hier, dass die Texte mit verschiedenen Akzenten und in diversen Sprachen vorgetragen werden.
Einige Slam-Poetry-Auschnitte
Und jetzt für alle, die noch nicht sicher sind, um was es sich genau handelt oder zweifeln, ob sie wirklich ihre gute Stube für ein solches Event verlassen sollen, zwei Textbeispiele aus meinem Repertoire.
Bionadenbourgeoisie
[…] Kurzbeitrag: Extrem Veganer lässt sich Zahnfleisch entfernen, er will sowas Schändliches nicht mehr in seinem Mund haben.
Dann: Ökostrom wird gepusht, atombetriebene allweather-Windräder geplant.
Und nach soviel belustigendem interpretierungswürdigendem Fernsehn, muss man abends im Bett etwas ferner sehn’…wir uns doch mal um!
Wir leben in einer Bionaden-Bourgeoisie, die Courtoisie des Öko, Bio, Veggie dominiert easy. Die Jalousie zwischen Kiwi, Kaki, Sellerie, Wasabi und Schnitzel, Schnetzel, Dürum, Ragout ist auch nicht mehr jedermanns Gout.
Der Konflikt ist präsent; einige verkrümeln sich wenn’s um die Wurst geht, andere behaupten öffentlich: (Zitat) „BSE ist für Vegetarier der gleiche Segen wie AIDS für Katholiken, es schenkt Hoffnung, dass die Andersgläubigen ihre gerechte Strafe bekommen.“ […]
In diesem eher ironischen Text wird die heutige Ess-kultur untersucht und auf die, für manche Menschen anscheinend notwendigen und für andere komplett übertriebenen, Trends des Vegetar- und Veganismus aufmerksam gemacht.
Ausschnitt aus einem noch unbenannten Text:
[…] Aus meiner Wahrheit wurde Falschheit
Ich entdeckte die Vielfalt des Lebens und es war mir viel zu viel.
Und jetzt laufe ich hier im Jetzt vorbei.
Gedicht aus der Ich-Perspektive:
Ich laufe und laufe
Und komme nicht an,
komm nicht voran,
weiß nicht warum,
bleibe stets stumm,
frage nicht nach,
gibt eh nichts zu fragen,
lauf einfach weiter,
wie schon seit so vielen Tagen.
Ich komme nicht weiter, weil ich falle zurück’
Fälle treffen mich immer wieder.
Ich lebte mein altes Leben mit Leidenschaft und jetzt zieht es mich in Mitleidenschaft, zieht mich zurück.
Ich laufe und laufe
Und sehe soviel –
War es nicht das,
war das nicht mein Ziel?
So war es doch…
oder in etwa so ähnlich?
Ich sehe so viel,
aber doch nur so wenig.
[…]
Die Moral dieses Textes kann jeder für sich selbst definieren. Es handelt hauptsächlich von dem Weiterkommen im Leben sowie dem Gegenteil, dem Gefühl des Stehenbleibens.
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