Selbstverständlich wird uns das Jahr 2020 auf ewig als das erste Jahr der Corona-­Pandemie in Erinnerung bleiben. Aber natürlich werden wir es später einmal auch als Jahr der Angst beschreiben: Angst vor der Infektion, Angst, die eigenen Verwandten anzustecken, Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, Angst, die eigenen Eltern beim Sterben nicht begleiten zu können. Diese Angst ist menschlich, verständlich und normal. Aber sie sollte uns nicht als Ratgeber dienen.

Der Jahreswechsel könnte Anlass sein, einen Paradigmenwechsel einzuläuten, denn was wir brauchen, ist nicht Angst, sondern Mut. Selbstverständlich hat jede*r Angst, dass Corona über kurz oder lang auch den eigenen Geldbeutel anfressen könnte. Aber wenn wir ehrlich sind, geht es den meisten von uns immer noch ganz gut. Vielen anderen jedoch nicht. Die ersten Unternehmen sind pleite, bald werden der Lieblingsitaliener um die Ecke oder die Friseurin des Vertrauens aufgeben müssen. Sogar die ersten Selbstmorde sind zu verzeichnen. Einige Unternehmen trauen sich, offensiv um Spendengelder zu bitten. Die Bar De Gudde Wëllen hat das sehr erfolgreich getan. Andere sind zurückhaltender. Diejenigen von uns, die sich am Ende des Monats nicht fragen müssen, wie sie im Folgemonat die eigenen Mitarbeiter*innen oder ihr Brot bezahlen können, könnten gut und gern etwas abgeben von dem, was sie haben, an die, deren Existenz auf der Kippe steht. Zivilgesellschaftliches Engagement ist in Luxemburg traditionell viel stärker verankert als in Deutschland oder Frankreich. Eine solidarische Spende an den Lieblingskünstler, das Herzensrestaurant oder die Yoga-Trainerin könnte Existenzen retten.

Wie bei der Klimakrise könnte man indes auch hier einwenden: Ist es nicht gemein, immer nur an das Gewissen der Bürger*innen zu appellieren? Was tut denn die Politik? Recht viel, könnte man entgegnen. Aber tut sie genug? In Deutschland werden irgendwann einmal die November-Hilfen ausgezahlt, in Frankreich wird man vielleicht auch irgendwann an den Mittelstand denken, in Luxemburg wiederholt das Kultur­ministerium mantrahaft (und handelt tatsächlich auch danach), dass die Kultur systemrelevant sei. Doch was keine dieser Rettungsmaßnahmen und Phrasen bisher wirklich bedenkt, ist die Tatsache, dass die Ärmsten der Armen am meisten unter der Krise leiden und die Reichen sich durchwurschteln können. Was könnte die Regierung also tun, um ihre Hilfen und Unterstützungen noch effizienter zu gestalten? Das Wort Umverteilung fällt mir ein. Dabei muss man nicht gleich an Enteignung denken, man könnte sich ganz einfach an die Situation in Deutschland nach der Wende erinnern.

Im Jahr 1991 – zunächst befristet – eingeführt, um Geld in die deutsche Staatskasse zu spülen, die rund 17 Milliarden DM zur Finanzierung des Zweiten Golfkriegs aufgebracht hatte, und um den Aufbau in Mittel-, Ost- und Südeuropa sowie in den neuen Bundesländern zu unterstützen, war der Solidaritätszuschlag seit 1995 ausschließlich dafür da, den „Aufbau Ost“ zu finanzieren. Denn blühende Landschaften sah man ein halbes Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung nicht, und so wurde die einfache Rechnung aufgemacht, dass der reiche Westen den armen Osten unterstützen sollte. Selten in der Geschichte hat eine Steuer ihren Namen so zu Recht getragen wie der Solidaritätszuschlag: Es ging um Solidarität von Seiten derer, die viel hatten, mit denen, die wenig hatten.

Es ist einfach und nicht sonderlich mutig, auf dem Balkon zu stehen und imaginären Krankenpfleger*innen zuzuklatschen. System­relevante Berufstätige haben herzlich wenig davon, wenn Popstars schmalzige Charity-Songs singen. Kauft eh keiner mehr CDs. Symbolpolitik hat nichts verloren in Corona-Zeiten. Was viele Menschen brauchen, ist bares Geld. Und andere haben genug davon. Das ist gemeint, wenn hier von Umverteilung geredet wird: Eine Steuer, ein Corona-Soli, müsste eingeführt werden, damit die Unterstützung bei denen landet, die sie am nötigsten haben. Und zwar nicht nur für diejenigen Unternehmen, die von der Krise profitieren, wie der ehemalige Leiter der Steuerverwaltung Guy Heintz neulich vorgeschlagen hat. Und damit sind wir wieder beim Thema Mut.

Man wundert sich nicht, dass bisher kein*e Politiker*in eine solche Steuer als mögliche Rettungsmaßnahme in den Ring geworfen hat. Denn solch ein Vorschlag könnte Wähler*innenstimmen kosten. Aber es ist nicht mehr die Zeit, um zu lavieren. Es geht nun darum, schnell und konsequent zu handeln. Die, die im Regen stehen, darf man nicht mit Phrasen abspeisen. Sie brauchen einen Rettungsschirm, und der heißt Geld. Das ist zwar unbequem, und ein Corona-Soli könnte viele erzürnen, aber es wäre ein Zeichen politischen Mutes. Und dieses Zeichen könnte das neue Jahr, nachdem wir nun ein Jahr der Angst erlebt haben, zu einem Jahr des Mutes machen.

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