Die Arroganz der Pragmatiker

Wie die Automobil-Lobby den Mobilitätswandel behindert

Dem Duden zufolge stellen Pragmatiker das Handeln über die Vernunft und bemessen die Gültigkeit ihrer Ideen allein nach ihrem Erfolg. Aufsteiger laufen Gefahr, opportunistisch zu handeln, um ihren Erfolg nicht zu gefährden. Erfolg macht viele zu kühnen Pragmatikern. Wie die Vertreter der Automobilbranche. Nachdem in Deutschland Automanager mit viel Chuzpe ein heftiges Corona-Sonderprogramm forderten, gab es schließlich den exklusiven Zuschlag für die in der Branche ungeliebten E-Fahrzeuge, mit denen sich aber kaum Geld verdienen lässt. Im automobilfixierten Luxemburg kam es anders.

Ende Mai kündigte der grüne Energieminister Claude Turmes an, künftig nur noch elektrifizierten Firmenwagen Steuervorteile zu gewähren. Von „utopisch“ bis „fanatisch“ reichte das Gejammer der Autolobby, die nicht verschwieg, „vom hohen Pferd gefallen zu sein“. Dass Steuerprivilegien für Firmenwagen hauptsächlich von gutsituierten Männern in Anspruch genommen werden, sich ökologisch desaströs auswirken und abgeschafft gehören, steht in Luxemburg nicht zur Debatte. In Belgien, wo man dieses Privileg künftig ausschließlich E-Autos zugestehen möchte, allerdings schon. Nur der Vlaams Belang ist dagegen. Bei uns sind nur die Grünen dafür, halbherzig. Eingekesselt zwischen Koalitionsräson und ureigenen Überzeugungen, offenbart sich ihr Dilemma.

In landesüblicher, dem Konsens verpflichtender Manier machte Mobilitätsminister François Bausch dem Vertreter der Autolobby Ernest Pirsch während einer RTL-Sendung1 klar, Turmes sei in dieser Sache falsch verstanden worden. Seinen hohen Zielsetzungen geschuldet, würde dieser nur mitunter die eine oder andere Etappe überspringen. Keiner also, der dem Pragmatismus huldigt. Ein klarer Fall für Pirsch: Turmes ist ein Fanatiker. Es gab kein Pardon: „D’war net fir d’éischt!”

Doch war dem Politprofi Turmes bei seiner Ankündigung etwa der Kragen geplatzt? Tatsächlich war dem Grünen, dem wegen seines langjährigen Engagements im Europaparlament der Ruf eines „hyperaktiven Technokraten“2 vorauseilt, seit jeher der Kampf gegen die CO2-Emissionen des Verkehrs ein Hauptanliegen. Seine Brüsseler Erfahrungen fraktionsübergreifender Koalitionsbildungen ließen ihn, wie er sich selbst beschreibt, zum „überzeugten Optimisten“ werden. In der Luxemburger Politik aber könnte ihm klar werden, dass sich viele politische Entscheidungen wegen der gefühlten Nähe auf eine eng umgrenzte Zielgruppe beschränken, die eine betonte Pfadabhängigkeit der Gepflogenheiten einfordert und innovativen Ideen im Wege steht. Dazu trägt auch ein politisches System bei, das gesellschaftlich anerkannte Lobbyisten in hohem Maße zugleich als Ratgeber und korporatistische Meinungsmacher fungieren lässt. In einem Umfeld, in dem der Staat die perversen Auswirkungen seiner eigenen Fiskalpolitik verteidigt (z. B. Tanktourismus), führen der „veranlagte Pragmatismus der Luxemburger“3 und die endemischen sozio-politischen Merkmale dazu, dass grüne Paradigmenwechsel sehr schwer umzusetzen sind. Trotz vordergründiger Zustimmung der Koalitionspartner und dem in einer repräsentativen Umfrage4 ermittelten Einverständnis einer Mehrheit, den Individualverkehr höher zu besteuern, zieht sich quer durch die Gesellschaft eine tiefe Aversion gegen vermeintliche Wohlfahrtsverluste des nationalen Energie- und Klimaplans.

Das Hin und Her im Klimadossier spricht Bände. Hohe Ziele, wenig Plan, meldete die Presse. Verbindliche sektorielle Reduktionsziele wurden nicht definiert. Im drängendsten Bereich, dem Verkehr, versagt die Regierung bei beiden Arten von Lenkungsabgaben, der Besteuerung von Treibstoff und der von Fahrzeugen:

a) Eine lange strittige und für März angekündigte Akzisenerhöhung auf Sprit wurde einen Monat zuvor von den Koalitionären LSAP und DP mit der wirren Forderung torpediert, diese auf Lkw-Diesel zu begrenzen. Schließlich wurde das Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben, da dank Corona kurzfristig weniger Treibhausgase erzeugt wurden. Luxemburg bleibt also Tankparadies. Die Lenkungswirkung ist gleich null.

b) Luxemburgs Autopark emittiert CO2-Rekordwerte, Tendenz steigend. Eine Neujustierung der im europäischen Vergleich sehr niedrigen Autosteuer wäre angebracht. Die ist aber unrealistisch, da zeitgleich die Umstellung auf den WLTP-Abgasstandard mit leicht höherer Steuerlast ansteht. „Ideologisch und mit der Brechstange geprägt“, urteilten prompt im Februar der Automobilklub und, noch befremdlicher, die Verbraucherschutzvereinigung ULC über die vor Jahren als Konsequenz des Dieselskandals beschlossene europaweite Maßnahme. Erneut dank Corona wird diese nun erst zu Neujahr, am letztmöglichen Termin umgesetzt.

Begreiflich schien daher Turmes’ Vorschlag, den Steuerrabatt künftig auf E-Firmenwagen zu begrenzen. Irgendwo muss man schließlich anfangen, möchte man bis 2030 die Klimagase reell um 55 % reduziert haben. Doch eine weitere Steuernische geriet in Bedrängnis: Grenzgänger, ansonsten verschrien, den Verkehrsstau zu verursachen, sollen doch bitte weiterhin knapp die Hälfte aller neuen Fahrzeuge in Luxemburg kaufen. Via Leasing, mit Steuerrabatt. Elektrisch gerne, aber nicht nur, denn sonst breche der Umsatz um 98 % ein. Hochgemutet kann man da schon mal vom Pferd fallen.

  1. https://www.rtl.lu/radio/background/a/1532752.html (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 30. Juni 2020 aufgerufen).
  2. http://www.land.lu/page/article/264/334264/FRE/index.html
  3. http://orbilu.uni.lu/handle/10993/36097
  4. https://www.atoz.lu/media/atoz-survey-2019-luxembourg-residents-and-climate-change

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