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Die Biolandwirtschaft
Eine verpasste Chance im Kampf gegen die Klimakrise?

Land- und Forstwirtschaft sowie andere Landnutzungen sind global gesehen für 23 % der anthropogenen Treibhausgasemissionen (THG) verantwortlich.1 Auch für Luxemburg sind die Zahlen besorgniserregend. 2020 betrug der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten THG 7,86 %, ohne Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft2; wobei der Großteil der Emissionen auf die Methanemissionen (Methan ist 25-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid) aus der Verdauung der Wiederkäuer zurückzuführen ist. Dies wiederum ist eine Konsequenz des hohen Viehbestands. Auch bei den Ammoniak-Emissionen wird der Tiersektor in Luxemburg als hauptverantwortlicher Sektor mit 82 % genannt.
Allerdings trägt die Landwirtschaft nicht nur zu diesen Emissionen bei, sondern ist auch selbst stark von deren Auswirkungen auf das Klima betroffen. Der Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur hat eine verlängerte Vegetationsperiode zur Folge, höhere Temperaturen über die Wintermonate, eine Zunahme der heißen Nächte sowie weniger Frosttage. Dies wiederum bewirkt u. a. ein verstärktes Auftreten von wärmeliebenden Schadinsekten und Unkrautarten, Ertragsausfällen bei Winterungen (z. B. Brotweizen) durch fehlende Vernalisation (Förderung der Blütenbildung einer Pflanze durch eine Kälteperiode) und ein erhöhtes Früh- und Spätfrostrisiko durch Fehlen der Schneedecke. Durch den Klimawandel kann es zu geringeren Niederschlägen in den Sommermonaten und vermehrten Niederschlägen in den Wintermonaten kommen: Extremwetter- und Starkregenereignisse nehmen zu, und das Bodenerosionsrisiko steigt beachtlich. Die vermehrt aufkommenden Trockenperioden, wie wir sie ja dieses Jahr erlebt haben, nehmen zu, was einen negativen Einfluss auf die Ertragssicherheit hat. Durch die niedrigeren Sommerniederschläge kommt es zu einer verminderten Pflanzenverfügbarkeit von Nährstoffen in ausgetrockneten Böden; die erhöhten Winterniederschläge bedingen insbesondere auf leichten und flachgründigen Böden eine Zunahme des Nitratauswaschungs-Risikos. Zudem wird das Ammoniakemissions-Risiko durch die höheren Luft- und Bodentemperaturen gesteigert.
Als Strategien zur Anpassung an den Klimawandel werden oft Einzelmaßnahmen diskutiert, wie beispielsweise eine Erweiterung der Fruchtfolgen, Züchtung von klimaangepassten Sorten, Schaderregermonitoring, neue Pflanzenschutzstrategien, wassersparende Bewirtschaftung oder angepasste Bodenbearbeitungstechniken. Jedoch haben wir es nicht nur mit einer Klimakrise zu tun, sondern stehen vor weiteren ökologischen Herausforderungen. Der globale Biodiversitätsverlust ist enorm, und die Wasserqualität ist bedroht. In Luxemburg befinden sich 84 % der Grünlandhabitate in einem schlechten Zustand, 83 % der Tier- und Pflanzenarten (ohne Vögel) befinden sich in einem „unzureichenden“ bis „schlechten“ Erhaltungszustand, und der Rückgang der Brutvogelpopulationen ist mit 36 % innerhalb der letzten 38 Jahre dramatisch.3 Hierfür wird die Landwirtschaft aufgrund ihrer hohen Intensität bei der Düngung und dem Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden mitverantwortlich gemacht. Zudem befindet sich keines der natürlichen Oberflächengewässer Luxemburgs in einem sehr guten ökologischen und chemischen Zustand, und 50 % der Grundwasserkörper erreichen keinen guten chemischen Zustand.4 Dies wird zum Großteil auf die diffusen Einträge aus der Landwirtschaft (v. a. Nitrat und Pflanzenschutzmittel) zurückgeführt.
Ferner haben wir es aktuell mit einer Energiekrise zu tun, welche auch die Landwirtschaft erheblich belastet. Steigende Energiepreise haben – aufgrund steigender Preise v. a. für die Betriebsmittel Diesel, Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel – einen direkten Einfluss auf die Produktionskosten. Allein die Herstellung von Mineraldünger benötigt viel Energie und ist auf einem intensiven landwirtschaftlichen Betrieb für bis zu 50 % des Energieverbrauchs pro Hektar verantwortlich. Die Produktionskosten der landwirtschaftlichen Betriebe explodieren momentan, wobei die Einnahmen nicht gleichermaßen mit steigen, was die Betriebe vor erhebliche wirtschaftliche Probleme stellt. Diese zusammen mit den Auswirkungen des Ukrainekriegs verschärfen die Ernährungskrise.
Um die Klimakrise zu bewältigen, darf man demnach die anderen ökologischen und globalen Herausforderungen nicht außer Acht lassen. Aufgrund der vielschichtigen und komplexen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen bedarf es heute mehr denn je einer ganzheitlichen, nachhaltigen und zukunftsorientierten Herangehensweise und Lösungsfindung.
Leistungen der Biolandwirtschaft
Die Biolandwirtschaft basiert auf einem solchen ganzheitlichen Konzept der Landbewirtschaftung und hat den Anspruch, die Belastungsgrenze der Natur dabei zu berücksichtigen. Wichtige Eckpfeiler sind dabei das Wirtschaften in möglichst geschlossenen Nährstoffkreisläufen – durch u. a. vorrangiges Nutzen von internen Betriebsmitteln (z. B. Futter und Dünger) – sowie die Nutzung ökologischer Systemzusammenhänge.
Sanders und Heß haben eine ausführliche Studie zu den Leistungen des biologischen Landbaus im Vergleich zur konventionellen Bewirtschaftung für Umwelt und Gesellschaft veröffentlicht.5 Der biologische Landbau dient dem Schutz des Grund- und Oberflächenwassers, der Biodiversität, sowie der Bodenressourcen. So werden beispielsweise die Stickstoffausträge durch die biologische Bewirtschaftung um 28 % vermindert, und der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel unterbindet den Eintrag von Wirkstoffen mit potenziell hoher Umwelttoxizität komplett. Die mittleren Artenzahlen der Ackerflora unter Biobewirtschaftung sind im Mittel um 95 % höher, die der Feldvögel um 35 % und die der blütenbesuchenden Insekten um 23 %. Im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft weisen biologisch bewirtschaftete Böden einen zehnfach höheren Gehalt an organischem Kohlenstoff auf sowie höhere Bindungsraten. Zudem sind die bodenbürtigen Lachgasemissionen im Mittel um 24 % niedriger. Darüber hinaus ist die Stickstoff- und die Energieeffizienz des Biolandbaus deutlich höher und zeigt Vorteile im Bereich Klimaanpassung. Entsprechende Zahlen zeigte auch die vergleichende ökologisch-ökonomische Analyse von biologisch und konventionell wirtschaftenden Betrieben in Luxemburg, die das Institut fir Biologësch Landwirtschaft an Agrarkultur Luxemburg (IBLA) in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) aus der Schweiz durchführte („öko-öko“ Studie).
Diese ökologischen Leistungen sind v. a. dem Systemansatz der Biolandwirtschaft zu verdanken. Nehmen wir das Beispiel der Grundfuttererzeugung. Im Biolandbau wird dies v. a. im eigenen Betrieb erzeugt, sprich ein möglichst flächengebundenes Tierhaltungssystem wird angestrebt, was wiederum den Viehbesatz relativ niedrig hält und demnach einen Einfluss auf die THG hat. Meist wird ein mehrjähriges Leguminosen-Gras-Gemenge als Futtermittel angebaut. Dies dient jedoch gleichzeitig dazu, Stickstoff, einen limitierenden Faktor im Biolandbau, ins System zu bekommen. Die hierzulande meist angebauten Rotklee-Gras-Bestände haben jedoch neben der Stickstoff-Fixierung über die Leguminosen weitere positive Wirkungen, wie Humusaufbau, Nährstoffaufschluss, Vermeidung von Erosion, Beikrautregulierung. Zudem stellen Klee-Gras-Gemenge ganzjährige wichtige Habitate für Insekten, Feldvögel und -hasen sowie Greifvögel dar. Aufgrund des limitierenden Faktors Stickstoff ist es im Biolandbau wichtig, die Stickstoffverluste zu minimieren und den Kreislauf weitestgehend zu schließen. Der Selbstversorgungsgrad mit Eiweiß von Luxemburger Biomilchviehbetrieben beträgt 95 % im Vergleich zu 52 % bei vergleichbaren konventionellen Betrieben. Aufgrund des geringen Stickstoffeinsatzes wird das Risiko von Nitratausträgen minimiert und Ackerwildkräuter werden gefördert, was wiederum blütenbesuchende Insekten fördert.
Die ökologischen Leistungen stehen aber immer im Zielkonflikt zur Lebensmittelproduktion. Infolge der geringeren Bewirtschaftungsintensität der Biolandwirtschaft ist das Ertragsniveau um neun bis 40 % niedriger im Vergleich zur konventionellen Wirtschaftsweise.6 Die ewige Frage: Kann Bio die Welt ernähren? Ja, wenn sie mit einer Reduzierung von Lebensmittelabfällen, einer geringeren Futtermittelproduktion auf Ackerland und einer reduzierten Produktion sowie einem geringeren Verbrauch tierischer Produkte kombiniert wird.7 Es ist demnach trotz des nachgewiesenen allgemeinen Nachhaltigkeitspotenzials des Biolandbaus für seinen Erfolg entscheidend, wie er betrieben und organisiert wird. Eine alleinige Umstellung auf die biologische Wirtschaftsweise durch die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen – wie etwa den Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und mineralische Düngemittel – ohne Änderungen am Lebensmittelsystem und ohne Weiterentwicklung der Biolandwirtschaft reicht nicht aus. Es bedarf der ständigen Weiterentwicklung der Biolandwirtschaft durch Forschung, Beratung und Innovation.
Ohne Forschung geht es nicht
Die Verbesserung und Unterstützung der Biolandwirtschaft durch Forschung, Beratung und Wissenstransfer hin zu einer leistungsfähigen und resilienten Landwirtschaft hat sich das Institut fir Biologësch Landwirtschaft an Agrarkultur Luxemburg (IBLA) zur Mission gemacht. Seit 2010 führt IBLA im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums die nationalen Sortenprüfungen im Biolandbau durch. Hier werden laufend die neusten Sorten von mittlerweile 12 Kulturen auf ihre Ertrags- und Qualitätsparameter geprüft. Wichtiger Aspekt ist hier natürlich, neben dem Beikrautunterdrückungspotenzial und der Pflanzengesundheit, die Anpassung an den Klimawandel. IBLA trug weiterhin mit Arbeiten zu Unkrautbekämpfung („LeguTec“), Körnerleguminosen und Eiweißautarkie („LeguLux“, „COBRA“, „Soja-Studie“), reduzierter Bodenbearbeitung und Zwischenfrüchten („TILMAN ORG“) zu einer Optimierung der biologischen Produktionssysteme bei.
IBLA befasst sich auch zunehmend mit der Nachhaltigkeitsbewertung und der Entwicklung von nachhaltigen Ernährungssystemen. Bereits 2011 wurden in der „öko-öko“-Studie die ökologischen Vorteile des Biolandbaus auf nationaler Ebene aufgezeigt. Das Projekt „SustEATable“, welches vom Umweltministerium, von der Œuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte sowie von Biogros S.A und Oikopolis S.A finanziert und in Kooperation mit FiBL, LIH und Uni.lu durchgeführt wird, analysiert, wie verschiedene Produktionssystem-Szenarien mit Ernährungsmustern in Einklang gebracht werden können, um ein nachhaltiges Lebensmittelsystem für Luxemburg zu entwickeln. Erste Ergebnisse zeigen eine höhere Nachhaltigkeitsleistung von Biobetrieben im Vergleich zu konventionellen Betrieben. Zurzeit werden diese Erkenntnisse der Produktionsebene mit denen der Ernährungsebene kombiniert, um nachhaltige Ernährungskonzepte auszuarbeiten. Dies zeigt, dass auch der Konsument, also wir alle, Teil der Lösung sind. Das Kommunikationsprojekt „2000m2 für unser Essen“ vom IBLA, natur&ëmwelt und CoLabor, finanziert vom Umweltministerium, zielt auf die Förderung einer nachhaltigen Agrar- und Esskultur ab. Die Klimarelevanz des Nahrungsmittelkonsums und Möglichkeiten der Reduktion der THG in der Landwirtschaft spielen dabei eine wesentliche Rolle. Der Lebensmittelkonsum ist für knapp 20 % des CO2-Fußabdrucks der Luxemburger verantwortlich, und ein individueller Ernährungswandel der Bevölkerung ist für dessen Reduktion unerlässlich.
Bedarf einer Vision
Die luxemburgische Regierung hat den Übergang zu nachhaltigen, widerstandsfähigen Landwirtschafts- und Ernährungssystemen in ihrem Koalitionsprogramm zu einer Schlüsselpriorität gemacht, und dabei soll die Biolandwirtschaft einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein Anteil von 20 % Biolandwirtschaft wird bis 2025 angestrebt und sogar von 100 % bis 2050; ein nationaler Aktionsplan zur Förderung des Biolandbaus wurde aufgestellt. Damit hat Luxemburg die Grundlage für eine ganzheitliche Strategie hin zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem geschaffen. Es fehlen jedoch eine Vision, wie der Übergang dorthin erfolgen kann und eine gründliche Analyse der damit verbundenen Herausforderungen.
Bei der Entwicklung einer solchen Vision müssen die Anpassungsleistung an den Klimawandel und die Auswirkungen des Klimawandels im Verhältnis zu anderen synergetischen oder konkurrierenden Umweltzielen betrachtet werden, um zu definieren, wie diese zukünftige 100 %-Biolandwirtschaft und das dazugehörige Lebensmittelsystem gestaltet werden sollte. Dabei ist die Einbindung aller Akteure, angefangen bei den Landwirten selbst, von großer Bedeutung. Ein solcher Stakeholder-Prozess liefert Erkenntnisse darüber, wie sich eine komplette Umstellung der Luxemburger Landwirtschaft auf die biologische Wirtschaftsweise auf die Art, Struktur und Zusammensetzung der Betriebe auswirken würde und welche Veränderungen der luxemburgischen Agrarlandschaft bis 2050 standfinden müssen, um die Vision zu erreichen.
Wir sind alle Teil der Lösung
Demnach kann nur eine ganzheitliche, systembasierte Herangehensweise unter Einbindung aller Akteure und eine klare Vision mit Abschätzung aller Folgeeffekte zur Bewältigung der Klima-, aber auch der Energie-, Ernährungs- und Umweltkrise beitragen. Dabei sollte die Biolandwirtschaft als ganzheitliche, systembasierte Form der Landbewirtschaftung konsequent unterstützt, aber auch weiterentwickelt werden. Dazu müssen alle betroffenen Akteure ins Boot geholt werden, die bestehenden Forschungsergebnisse durch weitere nationale Forschungsprojekte ergänzt werden, der Dialog mit den Landwirten und den Stakeholdern aus dem Sektor gesucht und interministerielle, ganzheitliche Lösungen erarbeitet werden – und dies besser gestern als heute. Keine leichte Aufgabe, aber aufgrund der Dringlichkeit und der Betroffenheit von uns allen unabdingbar.
Dr. Stéphanie Zimmer ist Direktorin des Institut fir Biologësch Landwirtschaft an Agrarkultur Luxemburg (IBLA).

1 IPCC, Climate Change and Land, 2019, https://www.ipcc.ch/srccl (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 17. Oktober 2022 aufgerufen).
2 Environment Agency Luxembourg, Luxembourg’s National Inventory Report 1990-2020, 2022, https://unfccc.int/documents/461887.
3 Nadja Kasperczyk u. a., Mehr Biodiversität und Umweltschutz mit der Landwirtschaft, 2021, https://tinyurl.com/Kasperczyk.
4 MECDC, Entwurf des dritten Bewirtschaftungsplans für die Luxemburgischen Anteile an den internationalen Flussgebietseinheiten Rhein und Maas (2021-2027), 2021, https://tinyurl.com/MECDC2021.
5 Jürn Sanders / Jürgen Heß, Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft, Thünen-Report, 2019, https://tinyurl.com/SandersHess2019
6 Ebd.
7 Adrian Muller u. a., „Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture“, in: Nat. Commun 8 (2017).
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