Die Kirche im Dorf
Erfahrungsbericht eines Bürgermeisters
Die Abschaffung der Kirchenfabriken und die damit verbundene radikale Trennung von Kirchen und Gemeinden bleibt, was die praktischen Auswirkungen angeht, umstritten. Die Notwendigkeit einer Reform dieser komplizierten Beziehung war jedoch nahezu von allen Seiten anerkannt worden. Dieser Beitrag behandelt weder die politischen noch die verfassungsrechtlichen Aspekte der Reform, sondern soll am Beispiel Bettemburgs berichten, wie sie sich im kommunalen Alltag auswirkt.
Die Gemeinde Bettemburg zählt fünf Ortschaften und entsprechend viele Kirchen bzw. Kapellen. Diese wurden über Jahre von der Gemeinde in Kooperation mit zwei Kirchenfabriken unterhalten, die einer Pfarrgemeinschaft angehörten. Laut imperialem Dekret von 1809 vertrat der Bürgermeister – sofern er oder sie katholisch war – die Interessen der Gemeinde im Rat der Kirchenfabriken. Dies war mindestens einmal im Jahr bei der Ratssitzung zur Kontrolle der Buchführung der Fall, wobei Napoleon auch festgelegt hatte, dass der Bürgermeister links und der Pfarrer rechts vom Vorsitzenden zu tagen hatten. Eine entscheidende Positionierung, auf die ich immer besonders Wert zu legen pflegte. Gesetz ist halt Gesetz.
Die Reform der Kirchenfabriken war bereits lange in der Diskussion, als das Thema mit dem Regierungswechsel von 2013 an Brisanz gewann – ein Hauch von Kulturkampf umwehte die Debatte. Von einer Reform war keine Rede mehr, die altehrwürdigen Kirchenfabriken sollten gänzlich abgeschafft und durch einen zentralisierten Kirchenfonds ersetzt werden. Den Gemeinden sollte eine Finanzierung der Glaubensgemeinschaften streng untersagt werden. Wie bei jeder Scheidung mussten natürlich die Besitzverhältnisse geklärt werden. Eine entsprechende Aufforderung an die Gemeinden erfolgte durch den damaligen Innenminister, ohne dass jedoch zu diesem Zeitpunkt eine gesetzliche Grundlage bestand. Aber das nur am Rande.
Zu klären, was über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte niemand in Frage gestellt hatte, ist eine besondere Herausforderung und braucht Zeit, ein gutes Archiv und Erinnerungsvermögen. Im November 2016 teilte Innenminister Dan Kersch (LSAP) der Gemeinde mit, dass die fünf Kirchen auf Bettemburger Territorium seiner Einschätzung nach alle in den Kirchenfonds überführt gehörten.
Erster Akt: Die Eigentumsverhältnisse
Diese dreiste Herangehensweise forderte natürlich zum Widerspruch heraus. Wir tauchten in die Tiefen unserer Archive ein und versuchten, den historischen Werdegang der einzelnen Gebäude zu rekonstruieren. Es wird nicht überraschen, dass sich diese Detektivarbeit umso schwieriger gestaltete, je älter das Gebäude war.
Am einfachsten war die Sachlage mit der Dekanatskirche in Bettemburg. Hier hatten sich im Gemeinderat Ende des 19. Jahrhunderts „Altkirchler“ und „Neukirchler“ über Jahre hinweg die Köpfe eingeschlagen, um den Bau einer neuen Kirche durchzusetzen.1 Auch konnten wir den Erwerb des Grundstücks anhand notarieller Urkunden belegen. Schwieriger gestalteten sich die Recherchen bei der Kirche von Hüncheringen. Hier fehlte uns ein kleines Puzzlestück, um das Eigentum am Grundstück lückenlos belegen zu können. Immerhin hatte der Gemeinderat 1901 den Bau der Kirche beschlossen. Aus unserer Sicht Grund genug, das Eigentumsrecht zu beanspruchen. Richtig kompliziert wurde es mit den Kapellen von Fenningen, Nörtzingen und Abweiler. Die Nörtzinger Kapelle wurde zwar bereits 1145 in einem Schriftstück erwähnt, die Gemeinde Bettemburg gab es damals aber noch nicht. Ähnlich verhielt es sich mit den beiden anderen Gebäuden. Wir stützten uns schließlich auf Grundbucheintragungen und den geleisteten Unterhalt der Kirchen, um daraus die Eigentumsvermutung abzuleiten.
Kurz vor Weihnachten 2016 teilten wir dem Innenminister mit, dass die Gemeinde Bettemburg das Eigentum an allen Kirchen beanspruchte und belegen konnte. Vorsichtshalber fuhren wir schweres Geschütz auf und drohten mit dem Rechtsweg, sollte die von oben verfügte Überführung an den Kirchenfonds nicht umgehend berichtigt werden. Der Pfarrverband seinerseits hatte keinen Eigentumsanspruch erhoben und teilte unsere Einschätzung. Zu guter Letzt wurden alle fünf Kirchen als Eigentum der Gemeinde ausgewiesen.
Zweiter Akt: Die Konventionen
Nachdem die Eigentumsverhältnisse geklärt waren, musste nach der Verabschiedung des Gesetzes die Nutzung der Gebäude diskutiert werden. Der Schöffenrat war sich einig, dass die fünf Kirchen weiterhin dem katholischen Kultus zur Verfügung stehen sollten. Die Gemeinde hatte keinen anderen Verwendungszweck vorgesehen. Die Nutzung der Dekanatskirche war ohnehin per Gesetz der katholischen Kirche zugesprochen worden, außerdem grenzen Friedhöfe an die drei Kapellen, was eine würdevolle Nutzung der Räumlichkeiten für nichtreligiöse Zwecke erschwert.
Die Übernahme sollte über einzelne Konventionen geregelt werden. Die Gemeinde durfte fortan lediglich noch für den Unterhalt der Gebäudestruktur aufkommen, wohingegen die Laufkosten für Wasserversorgung, Elektrizität, Heizung und Pflege vom Kirchenfonds getragen werden müssen. Die Verhandlungen wurden auf lokaler Ebene mit den Vertretern der Pfarrei geführt. Eine Vorlage für diese Konventionen gab es nicht. Die Kirche war auf diesen Paradigmenwechsel nicht sonderlich gut vorbereitet. Nur zum Vergleich sei bemerkt, dass die Verantwortlichen des CGDIS die Übernahme der Feuerwehrkasernen akribisch vorbereitet hatten. Wir legten also eine Vorlage auf den Tisch und stellten diese zur Diskussion. In den meisten Punkten wurde schnell Einigkeit erzielt. Orgel und Glockenspiel waren etwas umstritten. Gehörten diese zur Struktur der Gebäude und mussten folglich von der Gemeinde unterhalten werden? Oder sollte der Fonds dafür aufkommen? Wir konnten die Kirchenvertreter überzeugen, dass beides besser in ihren Händen aufgehoben sei, da sie auf diese Weise auch nicht befürchten müssten, dass die Gemeinde willkürlich das Orgel- oder Glockenspiel abstellen oder vernachlässigen würde.
Blieb die Frage einer Bereitstellung der Gebäude für andere Zwecke, wie zum Beispiel die Aufführung von weltlichen, d. h. nicht-religiösen Konzerten in einer Kirche. Hier wollten wir als Gemeinde eine Abstimmung mit der Pfarrei, aber keine explizite Mitsprache festschreiben. Rein organisatorisch wollten wir vermeiden, dass Events in der Kirche zeitgleich mit Happenings anderswo stattfinden. Konkurrenz belebt zwar bisweilen das Geschäft, aber Parkplätze im Ortskern sind halt nicht unendlich vorhanden.
Dieser Passus kam im Erzbistum nicht sonderlich gut an. Wir erhielten eine Rückmeldung mit Verweis auf das Kirchenrecht, das dem Pfarrer die alleinige Verfügungsgewalt über die Nutzung der Gebäude zuspricht – was wir im Grunde auch nicht ablehnten, allerdings war die Formulierung des Erzbistums inakzeptabel und wäre im Gemeinderat gescheitert. Nach Erklärungen und Aussprachen konnten wir uns auf eine Regelung einigen, mit der auch die Diözesanoberen leben konnten. Die Kirchen in Bettemburg und Hüncheringen wurden auf neun Jahre, die drei Kapellen auf fünf Jahre vermietet.
Dritter Akt: Die Auswirkungen
Im Herbst erhalten die Gemeinden vom Innenministerium schriftliche Anweisungen zur Aufstellung der Budgets für das kommende Jahr. 2019 machte Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) unmissverständlich klar, dass 2020 keine finanziellen Mittel mehr für die Kirchen vorgesehen sein dürften. Was wir in Bettemburg auch nicht vorhatten, denn es war ja alles bereits über Konventionen geregelt. Kurz nach Eingang dieser Anweisung erreichte mich die Frage, ob die Gemeinde „wie immer“ für die Weihnachtszeit Tannenbäume in der Dekanatskirche aufstellen sollte. Getreu dem ministeriellen Diktat verneinte ich pflichtbewusst – und zugegeben auch ein bisschen spitzbübisch.
Es kam, wie es kommen musste. Kurz nach dem feierlichen Adventskonzert des weltlichen Chors – nicht zu verwechseln mit dem kirchlichen Cäcilienchor – in der Dekanatskirche erreichten uns (!) Beschwerden, wie traurig es doch sei, dass die Kirche nicht weihnachtlich geschmückt gewesen sei. Die Kritik kam nicht zuletzt von überzeugten Sozialisten. Mit Verweis auf die Anordnung aus dem Innenministerium versuchte ich zu erklären, drang aber nicht wirklich durch. Die Trennung von Kirche und Kommune scheint selbst noch nicht in allen laizistischen Köpfen angekommen zu sein. Immerhin konnte ich mich für die Zukunft mit dem Dechanten darauf verständigen, dass er nichts gegen Tannenbäume zur Weihnachtszeit in kommunalen Gebäuden einzuwenden habe.
Nachdem unser Haushalt verabschiedet war, erhielten wir aus dem Innenministerium eine Vorwarnung, dass unser Budget „berichtigt“ werde. Dies mit der Begründung, dass keine Ausgaben für die Kirchen vorgesehen sein dürften. Das hat uns dann doch sehr erstaunt, da wir nichts dergleichen vorgesehen hatten. Es stellte sich heraus, dass der Stein des Anstoßes eine Weiterverrechnung der laufenden Kosten in der Kirche von Hüncheringen war. Dieses Gebäude verfügte noch nicht über eigene Zähler, sodass Wasser und Elektrizität von der Gemeinde vorgestreckt und anschließend an den Kirchenfonds verrechnet wurden. Das Budget sah also wohl eine Ausgabe, aber zugleich eine entsprechende Einnahme vor, die sich als Nullsummenspiel gegenseitig aufhoben. Diese Erklärung reichte der Behörde aber nicht. Die Ausgabe wurde von der Innenministerin gestrichen. Es blieb nur die Einnahme zu unseren Gunsten. Wir verstanden es nicht, können aber damit leben.
Fazit: Durch die Amtsstuben der Hauptstadt mag bei der Umsetzung der Reform der Kirchenfabriken zuweilen der Quälgeist des Dogmatismus wehen. Vor Ort ziehen wir es vor, pragmatisch und gelassen die Reform in die Tat umzusetzen und weiterhin gute Beziehungen zwischen Gemeinde und Glaubensgemeinschaft zu pflegen.
Während die „Altkirchler“ die bestehende Kirche vergrößern wollten, sprachen sich die „Neukirchler“ für einen Neubau an einem neuen Standort aus. Bei den Wahlen 1884 setzen sich die Neukirchler durch, und der Gemeinderat beschloss einstimmig den Bau der heutigen Dekanatskirche.
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