Die Klimawandelverweigerer

Am 22. September 2015 musste die luxemburgische Umweltministerin Carole Dieschbourg herbe Kritik einstecken. Konnte sie in der vorangegangenen Woche mit einer gemeinsamen EU-Position zur UN-Klimakonferenz in Paris die Luxemburger Umweltpolitik als proaktiv darstellen, so wurde sie nun von Umweltverbänden dazu aufgefordert, die Subventionen für fossile Brennstoffe zu kürzen, ehe sie an den Klimaverhandlungen im Dezember teilnehme, da Luxemburg ansonsten seine Glaubwürdigkeit verliere. Die Haltung Luxemburgs stelle die Spitze des Eisbergs im fossilen Brennstoffsektor dar, eines Verhaltensmusters, das tags zuvor von OECD-General-sekretär Ángel Gurría als „schizophren“ bezeichnet wurde. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte im Sommer verlautbart, Luxemburg habe die höchste Pro-Kopf-Subventionierung der fossilen Brennstoffe in der EU (3 415 Euro pro Jahr) und riskiere als „Treibstoff-Steueroase“ gebrandmarkt zu werden. Die Beamten der Ministerin teilten umgehend mit, dass Luxemburg fossile Brennstoffe nicht direkt subventioniere und auch die Steuerrichtlinien einhalte.

Energiesubventionen weltweit

Nun werden Subventionen im internationalen Jargon zunehmend nicht mehr als Addition staatlicher Zuwendungen verstanden, sondern als Preisunterschied zwischen dem, was Konsumenten für Energie bezahlen und dem, was sie eigentlich hätten bezahlen müssen, wenn ihnen die „wahren Kosten“ in Rechnung gestellt worden wären. Seitdem 2009 auf dem G20-Gipfel vereinbart wurde, ineffiziente, den verschwenderischen Verbrauch fördernde Beihilfen für fossile Brennstoffe mittelfristig abzubauen, steht diese Forderung im Interesse mehrerer multinationaler Institutionen, wie der EU, der Internationalen Energieagentur, der OECD, der Weltbank und des IWFs. Hierbei hat letztere Institution, auch wenn sie his-torisch selten im Ruf eines feinfühligen Reformers stand, die fortschrittlichste Definition von Energiesubventionen geschaffen unter Einschluss externer Kosten. Von zentraler Bedeutung sind effiziente Energiepreise, die aus drei Komponenten bestehen: den Produktkosten (Opportunitätskosten), einer Korrektursteuer, welche die Umweltkosten berücksichtigt, d.h. die Klima- und Gesundheitsschäden sowie die Verkehrsstaukosten und einer die budgetäre Konsolidierung reflektierende Verbrauchsabgabe.

Anhand dieser Definition errechnete der IWF einen weltweiten jährlichen Subventionsberg von sage und schreibe 5,3 Billionen Dollar. Während Nicholas Stern von der London School of Economics immer noch von einer Unterschätzung ausgeht, wird die vom IWF selbst als „shocking“ bezeichnete Summe als sehr robuste Schätzung bezeichnet. Sie stellt 6,5% des globalen Bruttosozialprodukts dar und übertrifft damit die weltweiten Gesundheitsausgaben. Mit einem Subventionsende könnten auf einen Schlag die Karbonemissionen um 20% zurückgehen und die Hälfte der weltweit auf 3,2 Millionen geschätzten, jetzt aber bereits auf jährlich 5,5 Millionen veranschlagten, durch Luftverschmutzung verursachten vorzeitigen Todesfälle vermieden werden. Auch könnten die Subventionen für erneuerbare Energien ersatzlos gestrichen werden, wäre doch der künstliche Preisvorteil fossiler Energien neutralisiert.

Energiebesteuerung in Luxemburg

Luxemburg besteuert Energie nur in geringem Maße. Neben dem EU-weit niedrigsten Steuersatz für Heizöl und geringen Sätzen in der Landwirtschaft sind die sehr niedrigen Treibstoffakzisen so konzipiert, dass die Hauptlast von ausländischen Tanktouristen getragen wird. Die dabei erwirtschafteten hohen Einnahmen, hauptsächlich für Dieselöl, stellen 7% der staatlichen Einnahmen dar.

Der Luxemburger Treibstoffexport steht seit Jahren im Kreuzfeuer der Kritik durch die Europäische Kommission. Nachdem diese seit 2003 mehrmals vergeblich versucht hat, mittels einer Änderung der Energiesteuerrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, dem ausufernden Tanktourismus einen Riegel vorzuschieben, werden nun Empfehlungen im Rahmen der Prozedur des Europäischen Semesters ausgesprochen. Luxemburg wird seit 2012 alljährlich zu einer ökologischen Steuerreform ermahnt. Im Jahre 2015 gab der Rat außerdem folgende länderspezifische Empfehlung Nr. 5 ab: „Treffen von konkreten Maßnahmen, um das 2020-Ziel zur Verringerung der Treibhausgasemissionen aus den Nicht-ETS-Aktivitäten zu erfüllen, vor allem durch die Besteuerung von Energieerzeugnissen für den Transport“.

Während in der EU 55%1 der Klimaemissionen außerhalb des EU-Emissionshandels liegen (Transport, Landwirtschaft, Heizen), liegt dieser Anteil in Luxemburg bei satten 83%.2 Die nationale Vorgabe, Treibhausemissionen bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 2005 um 20% zu senken, werde voraussichtlich weit verfehlt: die Prognose lautet +3% anstatt -20%, was EU-weit das schlechteste Ergebnis wäre.

Ein Eiertanz

Der zweite nationale Aktionsplan für Klimaschutz von Mai 2013 stellt zwar ein 51 Punkte umfassendes Maßnahmenprogramm vor – vom Energiesparcheck-Helfer bis zum Parkraummanagement –, beinhaltet jedoch keine zeitlichen Vorgaben und wird umso vager, je schlagkräftiger die Maßnahme. Neben der „Überprüfung“ der Auto- und Dienstwagenbesteuerung stellt die sukzessive Anpassung der Treibstoffbesteuerung die politisch heikelste Maßnahme dar. Der Tanktourismus macht die Treibstoffnachfrage in Luxemburg sehr preiselastisch, so dass eine marginale Steuersatzänderung mit deutlichen Mindereinnahmen verbunden ist. Deshalb gleicht jede Anspielung auf die Änderung dieses Parameters einem Eiertanz. Seit Jahren werden potentielle Maßnahmen untersucht und in die dehnbarsten Begriffe gehüllt: von „vorsichtiger Perspektive“, „graduellem Entkoppeln“, „potentieller Revision“ bis „virtuellem Ausstieg“ geht die Rede, schließlich mit einer Durchführbarkeitsstudie verknüpft, deren Ergebnis in die umfassende Steuerreform von 2017 einfließen soll. Die Veröffentlichung dieser von Dr. Dieter Ewringmann vom Kölner finanzwissenschaftlichen Institut verfassten ökonometrischen Studie wurde aber seit Ende 2014 mehrmals verschoben und liegt zur Zeit immer noch nicht vor, angeblich wegen notwendiger Überarbeitung bedingt durch den Erdölpreisverfall. Hier dürften regierungsinterne Zwistigkeiten zur künftigen Bedeutung des Treibstoffexportgeschäfts eine Rolle spielen. Die Bilanzierung, in der die Steuerpolitik mehrerer Länder in einem schwierig zu bemessenden Zeitrahmen den sogenannten Lafferpunkt (Steuerrate, welche die meisten Steuereinnahmen ermöglicht) bestimmt, ist ausgesprochen multipolar und die Gewichtung einzelner Faktoren wird notgedrungen von der subjektiven Präferenz einzelner Entwicklungsprojektionen beeinflusst.

Hier mischt auch der beim IWF beobachtete Paradigmenwechsel mit: wird die Inklusion externer Kosten, d.h. eine bisweilen von der politischen Kultur der Ökologiebewegung beeinflussten hohen Gewichtung der Folgeschäden menschlichen
Handelns, zusehends Mainstream? Dabei geht es nicht mal vorrangig um die exorbitanten Kosten des Klimawandels. Die in Europa lange übersehene Luftverschmutzung hat sich pünktlich mit dem VW-Skandal, sprich Diesel Gate zurückgemeldet. Von Autobauern verheimlichte und von der Politik gedeckte x-fache Grenzwertüberschreitungen der Luftqualitätswerte finden nicht nur Einzug in die Protestbriefings der Umweltorganisationen, sondern auch in heutzutage „Ökobilanz“ genannte Kosten-Nutzen-Analysen. Luxemburg weist hier Spitzenwerte auf: es sei nur auf die EU-weit höchste Stickoxid-Überschreitung der NEC-Richtlinie3 verwiesen, wobei seit Jahren ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission anhängig ist. Parallel liegen gemessene Immissionen an vielen Orten weit über den Grenzwerten. Laut einer Studie der europäischen Umweltagentur sterben jährlich 320 Menschen in Luxemburg frühzeitig aufgrund von schlechter Luftqualität. Auch verursachen Verkehrsstaus in Luxemburg rasch steigende wirtschaftliche Verluste.

Abbau der Treibstoffsubventionen in Sicht?

Doch auch wenn Wirtschaftsexperten wie Dr. Ewringmann die stärksten Nachhaltigkeitsdefizite Luxemburgs in einem ökologischen Handlungsbedarf sehen (forum, April 2013, S.44f), wird das agenda-setting von der old economy dominiert. Dabei gilt auch hier: der lange von grüner Seite geforderte „Ökosteuer“-Ansatz, Arbeit steuerlich zu entlasten und gleichzeitig die Umweltnutzung zu verteuern, wird vermehrt von wirtschaftspolitischen Institutionen eingefordert. Dabei verläuft der Trend hierzulande diametral: der Faktor Arbeit trägt eine steigende Last während die Kapitalrentenbesteuerung gegen null tendiert. Es gilt, diese sozial verträglich umzulagern unter größerer Anteilnahme der Umweltsteuern. Letzteren wird zwar oft unterstellt, per se sozial unverträglich zu sein, weil sie für die unteren Einkommensklassen als inkompressibel und regressiv gelten, doch gilt dies nur bedingt für Treibstoffabgaben, deren Geldwert außerdem wegen Nichtanpassung an die Inflation und der Dieselisierung des Fuhrparks seit dem Jahr 2000 um rund 20% gesunken ist. Umgekehrt verursacht billiger Sprit hohe Umweltfolgekosten gerade dort, wo weniger gut Betuchte wohnen: an vielen Haupteinfallstraßen unserer Städte werden die Grenzwerte für Luftschadstoffe weit übertroffen.

Ob und in welchem Maße die Regierung bereit ist, sich einer ökologischen Steuerreform zu stellen, wird sich frühestens im April zeigen, wenn der Premierminister erneut Stellung zur Steuerreform nimmt. Erste Leaks liegen schon vor. So meinte Xavier Bettel nach dem Pariser Klimagipfel, dass er nicht auf die Steuereinnahmen des Tanktourismus verzichten könne. Es scheint eher darum zu gehen, wie man deren Abwärtstrend bremsen könne. Nach einer rezenten Unterredung mit Finanzminister Pierre Gramegna geht der Mouvement écologique von homöopathisch dosierten Anpassungen der Treibstoff-akzisen aus. Dabei würde eine solche nur das Ex-Aequo zementieren, haben doch soeben Frankreich und Belgien die Dieselsteuern aus Luftqualitätsgründen geringfügig erhöht. Eine Bereitschaft zu einem wirklichen Green New Deal ist nicht in Sicht – man erinnere sich nur an die steuer-politische Senkung der Tabakakzisen – und dies aus drei Gründen.

Düstere Aussichten auf ein Green New Deal

Erstens riskieren die Grünen wohl keine Regierungskrise, sollte die Anpassung auch noch so bescheiden sein. In einem autoverliebten Land wie Luxemburg lässt die Rückbesinnung auf die Erfahrung eines Transportministers Lucien Lux mit der Kfz-Steuererhöhung im Jahre 2007 jeden erfahrenen Politiker schaudern. Auch haben die Mindereinnahmen im Tanktourismusgeschäft den Handlungsdruck der Regierung gemindert. Die dabei weniger angerechneten Treibhausgase könnten es Luxemburg sogar erlauben, die EU-Vorgabe von 2020 zu erfüllen. Dabei böten gerade niedrige Ölpreise ein „Gelegenheitsfenster“, um die Steuern auf Treibstoff sozial verträglich anzupassen. Schließlich, und wohl entscheidend, hat der Druck der EU-Kommission auf Luxemburg nachgelassen. Am selben 8. Juni 2015, als die G7-Gruppe am Fuß der Zugspitze die Dekarbonisierung der globalen Wirtschaft beschloss, trafen sich in Luxemburg die EU-Energieminister. Während noch im Februar zuvor ausgemacht wurde, die Rolle von Subventionen in den nationalen Energiemärkten gründlich zu analysieren, wurde dieses Element nun fallengelassen, da man sich uneins war.

Es sollte nach Luxleaks nun aber jedem klar sein, dass sich Luxemburg über kurz oder lang am medialen Pranger wiederfinden wird wegen der zwar legalen, jedoch nicht legitimen, wahrlich parasitären Nutznießung des Mineralölsteueraufkommens der Nachbarländer. Dies umso mehr, wo die Lage Luxemburgs im Herzen Europas die Steuersouveränität dieser Länder einschränkt, möchten sie den Abfluss von Steueraufkommen begrenzen. Auch auf nationaler Ebene wird die neu entfachte Dynamik für mehr Ethik in der Luxemburger Steuerlandschaft neben dem Finanzsektor ein weiteres Aufgabenfeld entdecken. Der forcierte Treibstoffexport ist nach der Klimakonferenz in Paris eine unhaltbare Handlungsweise, die uns, allen Nation Branding-Etiketten zum Trotz, den Ruf eines Klimawandelverweigerers einbringt.

Vielleicht ist es nur der so allgegenwärtig fehlenden politischen Courage geschuldet, wenn das Allgemeingut verkörpernde Politiker, ehemalige Schreibtischbeamte, anstatt einer in Rage geratenen Nischenpolitik Daumenschrauben anzulegen, in die Rolle von Wirtschaftsmanagern schlüpfen und sich in immer ausgefalleneren Strategien üben, um das Schneeballsystem des politischen Kleinstaatentums à la luxembourgeoise am Leben zu halten.

 

1 Siehe http://ec.europa.eu/clima/policies/ets/index_en.htm
2 Europäische Kommission (2016). „Luxemburg“ in: Study on Assessing the Environmental Fiscal Reform Potential for the EU28, cf. S. 440 (http://ec.europa.eu/environment/integration/green_semester/pdf/Eunomia%20EFR%20Final%20Report%20MAIN%20REPORT.
pdf)
3 Nationale Emissionshöchstmengen

 

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