Die Pandemie – eine Herausforderung für Selbstverständnis und Bedeutung der Medien

„Die Presse hat auch ihre Verantwortung.“ – Der Kommentar unter einem Facebook-Post zu den Auswirkungen von COVID-19 auf den Rechtsstaat ist Startpunkt dieser Gedankenreise zu den Folgen des Coronavirus für den professionellen Journalismus im Land. Denn die Zukunft eines hochwertigen Journalismus ist, das zeigen die Krisenkommunikation der Regierung und die Reaktionen der Medien auf die Corona-Pandemie, alles andere als sicher.

Rückblende: Am 15. März informierten Premierminister Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert gemeinsam, aufgrund rasant steigender Zahlen von COVID-19-Neuinfektionen würden ab Mitternacht wirtschaftliche und gesellschaftliche Aktivitäten drastisch reduziert. Die Pandemie hatte Luxemburg erreicht. Um den Schutz der Bevölkerung zügig organisieren zu können, wurde am 17. März der Notstand ausgerufen – mit Unterstützung der Opposition.

In den folgenden Tagen lief das Krisenmanagement an. Am 18. März schickte der Staats- und Medienminister auch die Medien mit Verweis auf verschärfte Hygienemaßnahmen in den Lockdown: Für mehr als sieben Wochen blieb JournalistInnen der Zutritt zu den Regierungspressekonferenzen verwehrt. Um ihnen gleichwohl die Möglichkeit zu geben, Rückfragen zu stellen, engagierte der Presserat auf ehrenamtlicher Basis JournalistInnen als neutrale ModeratorInnen. Eine Diskussion über diese nicht unerhebliche Beschneidung der Pressefreiheit gab es nicht; Alternativen, wie in einen größeren Saal zu wechseln, der erlaubt hätte, Social distancing zu praktizieren, standen nicht zur Debatte.

Parallel baute die Regierung Krisenstab und Taskforces auf und aus. Es galt, Tests durchzuführen und die Intensivbettenkapazität in den Krankenhäusern zu erhöhen, um so das Gesundheitssystem auf eine eventuelle COVID-19-Erkrankungswelle vorzubereiten. Paulette Lenert, die ihr Amt als Gesundheitsministerin erst knapp einen Monat zuvor angetreten hatte, verschaffte sich dadurch, dass sie von Anfang an den Mangel an Schutzkleidung, medizinischer Ausrüstung und eigener Kenntnisse offensiv benannte, Respekt und Anerkennung. Was nicht heißt, dass das Krisenmanagement der Regierung frei von Fehlern war. Bereits in den ersten Tagen gab es ausreichend Aufhänger für kritische Nachfragen: Warum verfügten Heime und Kliniken über keine vollständigen Inventarlisten zu Reserven an Masken und Material? Wie stand es um den Schutz von Personal und Insassen in den Alten- und Pflegeheimen?

Die JournalistInnen, die über das COVID-19-Krisenszenario berichteten, fanden sich plötzlich in einem Dilemma wieder: Einerseits mussten sie unter unbekannten und erschwerten Bedingungen eines Etat de crise (von zuhause) und ohne direkten Zugang zu Quellen recherchieren, um die Bevölkerung über ein Virus und eine Pandemie zu informieren, deren Ausmaße zu dem Zeitpunkt niemand recht einschätzen konnte. Andererseits waren sie selbst konfrontiert mit Angst und Unwissenheit.

Nun gehört eine gewisse Portion Selbstanmaßung zum journalistischen Beruf dazu: JournalistInnen müssen sich zügig in neue Sachverhalte einarbeiten, Fakten überprüfen, AkteurInnen befragen, Informationen sammeln und einordnen. Das ist in Krisenzeiten nicht anders, nur wird die Sorgfaltspflicht noch wichtiger, weil Fehlinformationen zu falscher Vorsorge führen oder zur allgemeinen Verunsicherung beitragen könnten, im schlimmsten Fall sogar zu Panik, und daher unbedingt zu vermeiden sind. Und die Informationsbeschaffung wird schwieriger.

Beim Coronavirus waren der Informationsauftrag und -vorsprung der Medien nur begrenzt einzulösen; Wissenschaftler­Innen standen vor einem unbekannten Erreger, der Kenntnisstand änderte sich quasi stündlich. Jeden Tag erschienen neue Lageberichte aus Krankenhäusern in aller Welt sowie Studien zu den Eigenschaften des Virus, medizinische Behandlungsweisen oder Übertragungswege. Wie in einer solch rasant sich ändernden Lage verlässliche Informationen erkennen und filtern? Das geht mit aktuellen Daten und durch einen engen und offenen Austausch mit ausgewiesenen ExpertInnen. Genau das stellte sich für die JournalistInnen hierzulande jedoch als beinahe unlösbares Unterfangen heraus.

Eine wochenlange Ausnahmesituation für die Medien

Die Regierung, allen voran das Staats- und das Gesundheitsministerium, für die kommenden Wochen das unumgängliche Kommunikationstandem, hatte neben dem in der Villa Louvigny angesiedelten Krisenstab eine straff geführte zentralistische Kommunikations- und Informationspolitik aufgebaut: Jede Information, jede Lageeinschätzung wurde vom Gesundheitsministerium vorab gesichtet und dann erst freigegeben. Gespräche mit ExpertInnen, die von der Regierung zu Rate gezogen wurden und werden, koordinierte das Ministerium. Was zu Beginn Sinn ergab, um nicht durch unterschiedliche Informationen zu verwirren, wurde, je weiter die Zeit voranschritt, zur Fessel und zur Kandarre der Medien.

Am 1. April bat der Presserat die Sprecherinnen von Staats- und Gesundheitsministerin zum Gespräch, denn noch immer waren zentrale medizinische COVID-19-Daten nicht verfügbar, beziehungsweise sie wurden nur auf Nachfrage aktualisiert. Die Zusammensetzung des Krisenstabs ebenso wie beratender Taskforces waren weitgehend unbekannt. Antworten auf Presseanfragen erfolgten zeitlich verzögert oder blieben aus. FotografInnen bekamen von übereifrigen SoldatInnen verboten, Infrastrukturen zu fotografieren, der Zutritt zu COVID-19-Behandlungszentren blieb vorerst verwehrt. Um eventuelle Konflikte zu entschärfen und JournalistInnen den Zugang zu Kriseninfrastrukturen zu ermöglichen, ergänzte der Presserat freiwillig seinen Pressekodex um Empfehlungen für eine ethisch vertretbare COVID-19-Berichterstattung.

Das Gespräch mit den Sprecherinnen brachte eine leichte Verbesserung in puncto Gesundheitsdaten und Statistiken. Aber die Hauptforderung, die Zusammensetzung des Krisenstabs zu veröffentlichen, obwohl vereinbart, saßen Gesundheits- und Staatsministerium die folgenden zwei Wochen einfach aus. Sie zu kennen war aber nicht nur für die Nachrichtenredaktionen kruzial, um AnsprechpartnerInnen in den jeweiligen Bereichen (Logistik, Regionen, Forschung et cetera) zu haben.

Transparenz über Entscheidungswege ist wichtig, um Interessenlagen zu beleuchten. Machtmissbrauch im Kontext von Krisen sind kein hysterisches Hirngespinst von JournalistInnenvereinigungen, wie das Beispiel Ungarn zeigt, wo das Parlament ein Corona-Notstandsgesetz verabschiedete, das der Regierung erlaubt, auf unbestimmte Zeit und ohne Kontrolle zu regieren. Auch die Enthüllungen in Großbritannien, wo in der angeblich unabhängigen Wissenschaftlergruppe ein Topberater der Regierung saß, sowie ein IT-Spezialist der Pro-Brexit-Kampagne Vote Leave, belegen, wie wichtig die Kontrollfunktion der Presse ist.

In Luxemburg tappten nicht nur die Medien und die Öffentlichkeit lange Zeit im Dunkeln, sogar die Chamber hatte nur beschränkten Zugang zu diesen und anderen Schlüsselinformationen; Abgeordnete konnten sich nur unter großer Anstrengung ein von der Regierung unabhängiges Bild der Lage machen. Die wöchentlichen Briefings des Chamber-Bureau und der Conférence des présidents durch Bettel und Lenert fanden unter Geheimhaltung statt. Viel Neues erfuhren die Abgeordneten dort eher nicht, denn nach dem Gespräch eilten Staatsminister und Gesundheitsministerin vor die Kameras, um im Livestream dasselbe mitzuteilen, ohne jemals ihre Argumentation mit überprüfbaren Belegen zu untermauern.

Nach einer Aussprache zwischen Presserat und Chamber forderten Vertreter der Oppositionsparteien CSV, déi Lénk und ADR die Regierung auf, endlich jene Rechenmodelle und Organigramme zu veröffentlichen, auf deren Basis die blau-rot-grüne Koalition ihre Exitstrategie aufgebaut hat. Der Presserat erhöhte ebenfalls den Druck und kritisierte seinerseits die unhaltbaren Arbeitsbedingungen in Print, Funk und Fernsehen scharf. Seine Hauptforderung: Schluss mit der zentralistischen undurchsichtigen Informationspolitik. Am 23. April wurden auf dem staatlichen Online-Portal data.public.lu erste Modellrechnungen publiziert (wenngleich lücken- und fehlerhaft). In einem Interview machte Staatsminister Xavier Bettel Datenschutzgründe geltend, warum er die Zusammensetzung der Taskforces angeblich nicht veröffentlichen konnte, doch am 28. April bekamen die Chamber und schließlich auch die Redaktionen die geforderten Organigramme zugeschickt.

Kein Recht auf Informationszugang

Was lernen wir daraus? Das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit, heißt es. Leicht abgewandelt gilt das ähnlich für das Krisenszenario. Die Medien und damit die Öffentlichkeit wurden wohl durch die Regierung informiert, aber eine unabhängige Berichterstattung oder eine Überprüfung der staatlichen Informationen war lange nicht möglich; sie wurde sogar behindert, etwa wenn ExpertInnen angehalten wurden, nicht ohne vorherige Genehmigung der Regierung mit MedienvertreterInnen zu sprechen. Erst als JournalistInnen und Presserat den Druck erhöhten, sich die Bevormundung nicht länger gefallen ließen, verbesserte sich die Situation etwas. Parlament und Presse waren und sind im Krisenszenario natürliche Bündnispartner, denn beide, die Abgeordneten geradeso wie die JournalistInnen, sollen informieren und die Arbeit der Regierung kontrollieren.

Dass es der Regierung seit Verhängung des Notstands trotzdem fünf Wochen lang möglich war, den Informationsfluss maßgeblich zu kontrollieren, stimmt nachdenklich: Zum einen beweist es einmal mehr, wie sehr hierzulande eine etablierte Kultur des Informationszugangs fehlt. Die DP-LSAP-Grüne-Regierung hat Transparenz versprochen, aber wir können ein für allemal festhalten: Das Versprechen hat sie nicht eingelöst. Damit nicht noch einmal in einer Krise die Auskunftspflicht offizieller Stellen so eklatant ausgesetzt wird, müssen JournalistInnen ein verbrieftes Informationsrecht im Pressegesetz bekommen. Dieses, das ist eine weitere Lehre, bekommen sie von der Politik nicht geschenkt. Im Shutdown hat sich gezeigt: Keine der Koalitionsparteien hat sich für den Informationszugang stark gemacht.

Die Krise entschuldigt die Geheimniskrämerei von Regierung und Ministerien nicht, im Gegenteil: Gerade angesichts einer Pandemie und einem Etat de crise mit weitreichenden Befugnissen der Exekutive, in dem zentrale Grund- und Freiheitsrechte von heute auf morgen ausgesetzt wurden, wäre größtmögliche Transparenz das Gebot der Stunde gewesen. Dass die Regierung dazu nicht bereit war, sondern zentrale Informationen nur scheibchenweise und auf Druck herausgab, offenbart ein zutiefst paternalistisches Politikverständnis, das die Mündigkeit der BürgerInnen untergräbt, statt sie zu fördern.

Die Mitverantwortung der Redaktionen

Noch eine Beobachtung gibt Anlass zur Sorge: Es hat gedauert, bis ein gewisser Informationsfluss über elementare Sachverhalte etabliert war und die Medien recherchierte Hintergrundberichte und kritische Analysen veröffentlichten. Machen wir uns nichts vor: Manche Berichterstattung auf dem Höhepunkt des Shutdown war mehr Verlautbarung als Journalismus. Der deutsche Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl konstatierte einen gewissen „Herdentrieb“ und eine „Selbstgleichrichtung“ in dortigen Leitmedien: Besonders zu Beginn der Krise gab es kaum JournalistInnen, die die offizielle Darstellung hinterfragten und die Regierungspolitik als quasi alternativlos darstellten. Andere Themen außer COVID-19 fanden so gut wie nicht statt.

Auch in Luxemburg taten und tun sich die Medien schwer damit, ihre Rolle zu finden als Informationsbeschaffende, die die Bevölkerung informieren und aufklären, und zugleich als Kontrollorgan, welches das Krisenmanagement und angeblich alternativlose Schutzmaßnahmen kritisch hinterfragt. Und das wiederum lag nicht nur an der zentralistischen Informationspolitik der Regierung; diese Verantwortung gehört den Medien.

In vielen Beiträgen lag der Fokus einseitig auf der Exekutive, die Opposition spielte schlagartig keine Rolle mehr, auf der politischen Bühne nicht und in Zeitung, Funk und Fernsehen leider auch kaum. Mitunter wähnte man sich wie im Staatsfernsehen: Bilder von MinisterInnen, die Masken verteilten und zu Krankenhausvisiten aufbrachen, wurden eins zu eins übertragen, so dass der Unterschied zum staatlichen Informationsdienst verschwamm. Distanzloser Journalismus aber ist gefährlich, weil er sich mit der Sache der Regierenden gemein macht und so vorhandene Vorurteile und Skepsis einer verunsicherten Bevölkerung womöglich noch bestätigt.

Es gab fehlerhafte Meldungen, Übertreibungen und Auslassungen: Eine Online-Plattform übernahm reißerisch im Titel die von Ärzten geäußerte Befürchtung, den Krankenhäusern drohe der Kollaps; die Grenze der Bettenkapazität wurde während des Shutdown nicht ein einziges Mal erreicht. Eine Wochenzeitung bemängelte das Fehlen von Prognosen, obschon die Regierung sie tags zuvor dem Parlament unterbreitet hatte (auf Druck und ohne die zugrunde liegenden Annahmen mit zu veröffentlichen). Andere meldeten sprunghaft steigende Zahlen bei den Neuinfektionen nach dem Osterwochenende, dabei lag der Grund für den Anstieg in nicht oder verspätet gemeldeten Fallzahlen aus den Krankenhäusern. Es fehlten Hintergrundrecherchen zu den AkteurInnen, über die Arbeit des Krisenstabs, die der ForscherInnen, aber auch über die Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßnahmen bei gleichzeitiger Beschneidung von Freiheitsrechten. Der hohe Stress, der auf den Redaktionen lastete, erklärt diese Defizite zu einem Teil. Trotzdem haben sie das Potenzial, die ohnehin angespannte Beziehung zwischen Medien und Öffentlichkeit weiter zu belasten.

Medienkritik, meinen manche, sei nicht so wichtig. Kollegenschelte ist verpönt, denn sie klingt besserwisserisch und von oben herab. Aber gerade in Krisenzeiten ist es notwendig, die eigene Praxis und Prinzipien immer wieder kritisch zu hinterfragen. Ehrliches Feedback kann und soll auch von außen kommen, und wer aufmerksam die sozialen Netzwerke liest, findet neben Fake News manch kluge Beobachtung. Der (selbst)kritische Blick erlaubt, Fehler zu erkennen und daraus zu lernen.

Erschwerend für die nahe Zukunft kommt hinzu, dass die Pandemie und der Lockdown die wirtschaftliche Misere fast aller Medien weiter verschärft haben. Das Anzeigengeschäft ist um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Verlagshäuser schickten MitarbeiterInnen in die Kurzarbeit. Zunächst vorrangig aus der Verwaltung, später traf es JournalistInnen – insbesondere die aus den Sport- und Kulturredaktionen.

Mit Staatshilfen in die Bedeutungslosigkeit

In einem gemeinsamen Brief vom 20. April machten VerlegerInnen auf die drohende Finanznot aufmerksam und forderten Staatshilfen, um die Härten der Krise abzufedern. So nachvollziehbar das ist, ist es doch nicht unproblematisch. Luxemburgische Medien werden schon in Nicht-Coronazeiten über die Pressehilfe vom Staat subventioniert, und der Verdacht, sie könnten deshalb ihre kritische Funktion nicht voll einnehmen, liegt nahe. VerlegerInnen und JournalistInnen argumentieren gerne, Finanzspritzen durch den Staat schränkten ihre Unabhängigkeit nicht wirklich ein, da es sich um das Geld der Allgemeinheit, also der Steuerzahlenden, handelt. Das ist nicht falsch, aber wenn der Anteil der Staatsbeihilfen so groß wird, dass Medien ohne sie nicht mehr überleben, stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit sehr wohl.

Wenn dann der journalistische Mehrwert lediglich darin besteht, eloquenter formuliert das wiederzugeben, was die Regierung in ihren Pressemitteilungen und Reden ohnehin ankündigt, dann wird die Öffentlichkeit zu Recht fragen, wozu diese Medien mit Steuergeldern finanziert werden sollen, und sich vielleicht, stärker noch als bisher, anderen nicht-journalistischen Informationsquellen zuwenden. Denn Corona lehrt uns noch etwas: Das gefährliche Virus der Fake News und der Verschwörungstheorien grassiert unterschwellig ebenfalls und steckt immer breitere Bevölkerungskreise an.

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