Die Qual der Wahl?
Es gibt nur eine Option: der Naturschutz als Priorität
Der übertriebene Konsum, der exponentielle Ausstoß von CO2 und die grenzenlose Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen üben einen enormen Druck auf unser wichtigstes Gut aus: die Natur. Die ständige Konkurrenz durch den Menschen und sein Drang nach wirtschaftlichem Wachstum drängen Flora und Fauna in die Enge. Die Entwicklung der vergangenen Jahre bezüglich der Biodiversität in Europa ist katastrophal, denn der Natur- und Umweltschutz ist das Stiefkind vieler Regierungen. Auch die Bilanz in Luxemburg zeigt, dass versäumt wurde, den Erhalt der Artenvielfalt in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Massives Insektensterben, dramatischer Rückgang vieler Vogelarten und hohe Verluste von wichtigen Biotopen wie Feuchtgebieten, Trockenrasen oder Streuobstwiesen sind die Folge.
Dabei wird die enorme Wichtigkeit einer intakten Natur und ihrer Ökosysteme für den Menschen stark unterschätzt. Wirtschaftliche Rentabilität, internationale Beziehungen, Bildung oder Finanzen sind Bereiche, die in der Politik eine übergeordnete Rolle spielen. Dass eine gesunde Umwelt und intakte Natur jedoch die Basis des menschlichen Gedeihens sind, wird verdrängt. Dabei sind wir gänzlich abhängig von den Dienstleistungen der Natur. Denn wir atmen nicht nur die frische Luft und trinken das saubere Wasser, wir sind auch auf fruchtbare Böden für die Lebensmittelproduktion angewiesen, genauso wie auf die regulierende Funktion im Hochwasser- und Klimaschutz. Wirtschaftlichen Nutzen ziehen wir aus unseren Wäldern sowie durch die Extraktion der vorhandenen Rohstoffe. Daneben spielt die Natur bei der Freizeitgestaltung eine zentrale Rolle: Sport und Erholung, Gesundheit und Tourismus profitieren von den grünen Landschaften jenseits des urbanen Raumes.
natur&ëmwelt setzt sich seit jeher für den Erhalt der Artenvielfalt und den Schutz der natürlichen Ressourcen ein. Dazu gehört neben der Sensibilisierungsarbeit, der Naturschutzberatung, der Arbeit an politischen Dossiers und diversen Projekten und Kampagnen auf lokalem, nationalem und europäischem Niveau auch der direkte Kontakt mit der Natur, dies mit der Unterstützung vieler treuer, freiwilliger Helfer. Im Herbst sind wieder Nationalwahlen und natur&ëmwelt hat es sich nicht nehmen lassen, ihre wichtigsten Forderungen an die künftige Regierung zu formulieren. Als Naturschutzorganisation steht die Arbeit vor Ort zwar an erster Stelle, aber der Einfluss eines richtigen politischen Rahmens ist dabei nicht zu verachten. Die Themenbereiche Landesplanung, Landwirtschaft, Natur- und Landschaftserhaltung, Ressourcenschutz sowie Erneuerbare Energie und Klimaschutz wurden untersucht und Verbesserungsvorschläge und Empfehlungen unterbreitet.
Sprint auf der Zielgeraden
Zu behaupten, in den Dossiers bezüglich des Naturschutzes sei nichts passiert, wäre ein Schlag ins Gesicht für die aktuelle Regierung; alles rosig darzustellen jedoch nicht wahrheitsgetreu. Bei der Analyse der geleisteten Arbeit der zuständigen Regierungsmitglieder sowie ihrer jeweiligen Verwaltungen konnte eine sichtliche Beschleunigung des Tempos zu Ende der Legislaturperiode festgestellt werden. Vor allem im Bereich des Wasserschutzes hat Umweltministerin Carole Dieschbourg von Anfang an Gas gegeben, so dass inzwischen 11 Wasserschutzzonen ausgewiesen wurden und 31 weitere in der Prozedur sind. Auch die Mobilität hat sich unter Minister Bausch stetig entwickelt, neue Projekte wurden geplant und in Angriff genommen. Besonders gegen Ende der Legislaturperiode wurde mit der Einweihung der Tram, des Bahnhofs Pfaffenthal inklusive „Funiculaire“, mit dem Ausbau des Angebotes für Carsharing und der Einführung der mobilen App „Copilote“ in Sachen Mobilität gepunktet. Diese Tendenz zum Sprint auf der Zielgeraden wurde ebenfalls auf der legislativen Ebene deutlich. Denn auch der Entwurf zum ersten Bodenschutzgesetz für Luxemburg, welcher sehr lange auf sich warten ließ, scheint den nötigen Rahmen zu bieten, um diese wichtige Ressource nachhaltig zu schützen. Daneben konnte Anfang des Jahres auch eine Vorlage für den neuen „Code forestier“, der eine schonendere Bewirtschaftung der Wälder Luxemburgs vorsieht, vorgestellt werden. Zu guter Letzt muss natürlich die Herzensangelegenheit des leider viel zu früh verstorbenen Staatssekretärs Camille Gira genannt werden. Das neue Naturschutzgesetz, welches den Text von 2004 ablöst, ist für den Naturschutz ein Meilenstein und eine wichtige Grundlage für die Zukunft.
In einigen Dossiers sieht es jedoch so aus, als ob die Beschleunigung gen Ende nicht ausreicht, um die gewünschten Zielsetzungen zu erreichen. So wurde zwar im Bereich der Landesplanung sowohl ein partizipativer Prozess für den „Plan directeur de l’aménagement du territoire“ eingeleitet und das Landesplanungsgesetz überarbeitet, jedoch konnte die Arbeit an den sektoriellen Plänen nicht vervollständigt werden. Auch in der Agrarpolitik, und besonders im Bereich der biologischen Landwirtschaft trugen die wenigen Bemühungen zu deren Förderung nicht die gewünschten Früchte, denn der Anteil von 4,1% der bewirtschafteten Fläche ist im europäischen Vergleich sehr dürftig. Auch der Nationale Aktionsplan zur Reduzierung der Pestizide ließ lange auf sich warten und lässt unseres Erachtens nach noch viel Luft nach oben. natur&ëmwelt erhofft sich daher von der nächsten Regierung, besonders die wichtigen Bereiche Landesplanung und Landwirtschaft in Angriff zu nehmen, um dem Naturschutz auch hier die notwendigen Rahmenbedingungen zu gewähren.
Es bleibt noch viel zu tun!
Im Bereich der Landwirtschaft ist unserer Ansicht nach nicht schnell, effizient und ehrgeizig genug gearbeitet worden. Es ist bedauerlich, dass die biologische Landwirtschaft bei katastrophalen 4,1% stagniert und nur sehr wenige Versuche unternommen wurden, die nationale Agrarpolitik konsequent anzugehen und in eine nachhaltigere Richtung zu lenken. Einer TNS Ilres Studie vom Juni 2018 zufolge ist die Landwirtschaft ein wichtiger wirtschaftlicher Sektor: 71% der Befragten waren mit dieser Aussage einverstanden. Allerdings bleibt die Abhängigkeit von Subventionen ein reales Problem, welches auch im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aller Voraussicht nach bestehen bleiben wird. Es wäre demnach wünschenswert, dass die neue Regierung einen Paradigmenwechsel in der luxemburgischen Agrarpolitik vollzieht und alle Dimensionen und auch Zukunftsängste des Sektors berücksichtigt.
So besteht zum Beispiel eine große Nachfrage nach lokalen Biolebensmitteln, welcher die Produktion im Moment keineswegs gerecht wird. Ähnlich sieht es beim Obst und Gemüse aus: Gerade mal 5% der verbrauchten Waren werden in Luxemburg hergestellt, denn bekanntlich liegt der Fokus hierzulande auf Fleisch- und Milchproduktion. Auch der neuen Formen der Solidarischen Landwirtschaft (SOLAWI) muss sich das künftige Landwirtschaftsministerium besser annehmen, um Quereinsteiger langfristig in den Sektor zu integrieren.
Ein Thema, welches oft für Polemik sorgt, ist die Anwendung von Pestiziden sowohl im Privatgebrauch als auch in der Landwirtschaft. Auch hier hat das zuständige Ministerium erst sehr verspätet und dazu noch sehr vage Position ergriffen. Der „Plan d’action national (PAN) de réduction des produits phytopharmaceutiques“ sieht zwar eine langfristige Reduzierung der chemischen Substanzen vor, allerdings in einem sehr gemächlichen Tempo. natur&ëmwelt erhofft sich von der künftigen Regierung mehr politischen Willen, um einen raschen und konsequenten Ausstieg anzusteuern und den Privatgebrauch schnellstmöglich komplett zu unterbinden. Die Gemeinden haben bereits 2016 gezeigt, dass der Verzicht möglich ist, und auch im Land- und Weinbau gibt es inzwischen erwiesenermaßen ertragreiche Modelle, bei denen komplett auf den Pestizideinsatz verzichtet wird.
Die erneuerbare Energie und der Klimaschutz obliegen aktuell zwei verschiedenen Ministerien – dem Wirtschaftsmini-sterium und dem Umweltministerium – obwohl beide Bereiche stark aneinander gebunden sind. Demnach kann es hierbei zu Interessenskonflikten kommen, wie es bereits einige Male der Fall war. Hinzu kommt, dass das Errichten von Anlagen, die dem Erzeugen von erneuerbarer Ener-gie dienen, zum Teil auf Kosten des Naturschutzes geschieht. Besonders häufig steht der Bau von Windrädern in Konflikt mit dem Schutz und Erhalt bedrohter Vogel-arten. Begrüßenswert wäre es von einer künftigen Regierung demnach, dem Artenschutz Rechnung zu tragen, und Windkraftanlagen nur an dafür geeigneten Standorten zu errichten sowie andere Formen der erneuerbaren Energie zu bevorzugen, vor allem aber verstärkt auf das Einsparen von Strom zu setzen.
Weiter in Richtung Schutz der Artenvielfalt
Landesplanerisch müssen vor allem schnellstmöglich die sektoriellen Pläne fertiggestellt und das Szenario des „Développement organisé et harmonieux du territoire“ mit den drei Agglomerationspools Luxemburg, Süden und Nordstad festgehalten werden, um so eine weitere Zerschneidung der Landschaft zu vermeiden. Bei geplanten Projekten müssen stets strategische Umweltprüfungen durchgeführt und die jeweiligen Resultate konsequent berücksichtigt werden. Auch die Mobilität muss zukunftsorientierter und mit einem klaren Schwerpunkt auf den öffentlichen Transport ausgebaut werden. Auf dieser Ebene wurde von der jetzigen Regierung die richtige Richtung bereits eingeschlagen; die Inbetriebnahme der Tram und des „Funiculaire“ zwischen Pfaffenthal und Kirchberg waren dabei wohl die Highlights.
Auch die Ausweitung des Angebots für Carsharing, die Einführung der App „Copilote“ sowie die Mobilitätsstrategie „Modu 2.0.“ allgemein sind begrüßens-werte Entwicklungen, um der Verkehrsproblematik in Luxemburg entgegenzuwirken. In diesem Sinne muss weitergearbeitet werden, dann profitiert davon auch die Natur und die Artenvielfalt kann geschützt werden.
Bei der Ausweisung der Natura 2000 Gebiete steht Luxemburg im europäischen Vergleich gut da, denn das Netz ist mit 48 FFH-Schutzgebieten und 18 Vogelschutzgebieten komplett. Allerdings sind noch nicht alle Managementpläne fertiggestellt und die entsprechenden Maßnahmen umgesetzt worden, was sich negativ auf den Schutz der Arten in diesen Gebieten auswirkt. Denn wenn der gesetzliche Rahmen besteht, vor Ort aber keine Veränderung stattfindet, dann bleibt die Biodiversität unter enormem Druck.
Ähnlich sieht es bei der Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 aus, welche inzwischen auch ins nationale Recht umgesetzt wurde. Trotz dieses gesetzlichen Rahmens bleibt in der Praxis noch viel zu tun, um die Gewässerqualität nachhaltig zu verbessern und sauberes Trinkwasser zu garantieren. Die Maßnahmenprogramme müssen demnach schleunigst von der künftigen Regierung umgesetzt werden, damit eine Aufwertung der Gewässer gelingt. Auch das Abwassermanagement sowie der Hochwasserschutz müssen den aktuellen Ansprüchen gerecht werden, besonders hinsichtlich der steigenden Einwohnerzahlen.
Aufbruchsstimmung: Wann zieht Luxemburg nach?
In den vergangenen Jahren haben einige Städte, Regionen und Länder bewiesen, dass sie den Umweltschutz ernst nehmen. Während Norwegen bei der Energiewende ganz vorne liegt und bereits fast 100% des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen bezieht, ist Österreich Spitzenreiter in der Biolandwirtschaft. Auch unsere Nachbarregion Wallonien hat bezüglich des biologischen Landbaus einen großen Sprung verzeichnet: von 7% aller Betriebe 2011 auf 12,8% Ende 2017. Wann kommt es in Luxemburg endlich zu einem Umdenken?
Die künftige Regierung hat mit Beginn einer neuen Legislaturperiode die Gelegenheit, zu zeigen, wie wichtig der Naturschutz ist. Leider ist hiervon in den bisher veröffentlichten Wahlprogrammen nicht viel zu lesen. Alle wollen sich zwar den Stempel „nachhaltig“ aufdrücken, von konkreten und ambitiösen Ideen oder Maßnahmen fehlt aber – bis auf wenige Ausnahmen – bisher jede Spur.
Man versteckt sich hinter der Wachstumsfrage, Finanzen, Zusammenleben oder Zukunftsplanung. Warum nicht Vorreiter werden beim Ausstieg aus den Pflanzen-schutzmitteln? Warum nicht 20% Biolandwirtschaft bis 2025? Warum kein gesetzlich verankertes Klimaschutzgesetz? Mit etwas Mut und politischem Willen könnte ein Paradigmenwechsel stattfinden und der Naturschutz zur Priorität werden – ein Muss angesichts der aktuellen Entwicklungen. Denn Wachstum, Finanzen, Zusammenleben und Zukunftsplanung stehen momentan auf einer wackeligen Basis.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
