Die Rifkin-Studie: Zauberformel gegen die Wohnungsnot?
In November 2016 wurde die Strategie von Zukunftsforscher Jeremy Rifkin vorgestellt, um Luxemburg als erstes Land der Welt ins digitale Zeitalter der Dritten Industriellen Revolution zu führen. Fast alle Bereiche des Lebens und der Wirtschaft sollen umgekrempelt und durch Vernetzung verbessert werden. Darauf, wie die Wohnungsnot gelöst werden soll, finden sich jedoch kaum Antworten…
Rifkin war plötzlich in aller Munde. Denn nach „dynamisch, offen und zuverlässig“ sollte Luxemburg nun auch noch „nachhaltig“ werden … Das Ziel der Third Industrial Revolution ist es, die Wirtschaft intelligenter und nachhaltiger zu gestalten, um somit die Lebensqualität der 1,1 Million Menschen, die laut Prognose von Eurostat im Jahre 2060 in Luxemburg leben könnten, gewährleisten zu können. Bei einem aktuellen durchschnittlichen Bevölkerungswachstum von rund 2,5% oder 13000 Menschen ist die doch stark umstrittene Prognose gar nicht so weit hergeholt. Die Kernbereiche der Rifkin-Strategie sind ITC (Kommunikations- und Informationstechnologien), Transportwesen und Energie, wobei diese Pfeiler für Luxemburg auf neun erhöht und transdisziplinär miteinander verknüpft wurden. Alle Bereiche werden übers Internet miteinander vernetzt unter dem Banner des Internet der Dinge, welches das Schlüsselelement der zukünftigen intelligenten Gesellschaft ist. Konsumenten werden gleichzeitig Produzenten sein (Prosumers), Elektroautos werden zukünftig nur noch geteilt (car sharing), die Wirtschaft wird nur noch im Kreis drehen (circular economy) und unter dem Strich steht der Planet als großer Gewinner dar, so die Verheißungen der Rifkin-Studie.
Neben diesen auf den ersten Blick lobenswerten Bewegründen, die ausschlaggebend waren für die fast 500 Seiten umfassende Studie, und den eigentlich guten Ansatzpunkten hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft wird man jedoch den Beigeschmack nicht los, dass es sich hierbei um ein weiteres Element der Nation-Branding-Kampagne handelt. Die Studie gilt nämlich als Pionierprojekt, wobei Luxemburg eine Vorreiterrolle einnehmen und die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehen soll. Auch kann man das Projekt als weiteren Versuch für die Erschließung einer wirtschaftlichen Nische betrachten, nebst dem kürzlich vorgestellten Space-Mining-Projekt, bei dem Luxemburg beabsichtigt, den Weltraum zu privatisieren und mit seinen Ressourcen Geld zu machen.
Bauen und Wohnen der Zukunft
In der Einleitung zum Kapitel „Bauen und Wohnen“ wird unterstrichen, dass dieser Bereich eine der Säulen der Rifkin-Strategie ist. Der bestehende Immobilienpark soll in intelligente und digitale Gebäude umgewandelt werden, wobei im Idealfall alle grünen Strom produzieren und über das Internet der Dinge miteinander vernetzt werden, um die Effizienz zu steigern. Auch wird abermals hervorgehoben, dass Luxemburg das höchste Bevölkerungswachstum der EU hat, was laut dem Bericht jedoch als Chance angesehen werden sollte, um eine neue Generation an Nachbarschaften, Gebäuden und dazugehörender Infrastruktur zu schaffen. Überschüssiger Strom soll gewinnbringend verkauft werden, und die effizienten Gebäude sollen laut einem Fallbeispiel aus Frankreich deren Marktwert, sowohl beim Vermieten als auch beim Verkauf, deutlich steigern. Gebäude werden in der Strategie als Anlagemöglichkeit bezeichnet, wobei diese Zweckentfremdung sinnbildlich für den luxemburgischen Immobilienmarkt ist. Bei der akuten Wohnungsnot in Luxemburg, die man mittlerweile als nationale Krise wegen der ins Unermessliche steigenden Immobilienpreise bezeichnen kann, drängt sich die Frage auf, ob die beiläufige Wertsteigerung der Immobilien durch die Steigerung der Effizienz im Zuge der Dritten Industriellen Revolution überhaupt erstrebenswert ist.
Der springende Punkt
Ein Satz am Ende des Kapitels lässt jedoch aufhorchen. Es geht um die finanzielle Unterstützung von niedriglohnbeziehenden Immobilienbesitzern sowie den sozialen Wohnungsbau. Was die beiden Zielgruppen verbindet ist, dass es von Seiten der öffentlichen Hand nicht genug Unterstützung gibt, und die Betroffenen fast ausnahmslos unter der Armutsgrenze leben. Rikfin schlägt tatsächlich vor, neue Einnahmen zu erschließen, indem man leerstehende Häuser oder Wohnungen, energiefressende Zweithäuser, Gewinne aus abbezahlten Mietobjekten oder steigende Miteinnahmen besteuren sollte. Sollten die Mehreinnahmen nicht ausreichen, soll der Staat einspringen. Bei geschätzten 10000 – 20000 leerstehenden Wohnungen und Häusern in Luxemburg – genaue Zahlen gibt es nicht – und würde man die Besteuerung auf brachliegendes Bauland ausweiten, käme ordentlich Geld zusammen, um endlich die lächerlichen 2%, die die Sozialwohnungen im luxemburgischen Immobilienpark ausmachen, hochzuschrauben. Die Besteuerung von Leerstand können Gemeinden bereits seit dem Inkrafttreten des pacte logement im Jahre 2008 umsetzen, jedoch haben sich dies bisher nur kleine Gemeinden wie Beckerich zugetraut, da Versuche in größeren Gemeinden heftigen Widerstand mit teils juristischen Folgen ausgelöst haben. Auch ist diese Steuer seit Jahren ein Spielball zwischen Gemeinde- und Staatsebene wegen ungeklärter Verantwortungsbereiche, was symbolisch für die hiesige Wohnungspolitik und ihr Scheitern ist.
Da die Rifkin-Studie weder einen genauen Zeitplan, noch eine Prioritätensetzung in puncto Umsetzung beinhaltet, und da die Wahrscheinlichkeit eher gering ist, dass es bald zu einem – bitternötigen – radikalen Umdenken in der Wohnungspolitik kommt, lohnt es sich, einen Blick auf zivilgesellschaftliche Ideen zur Schaffung von Wohnraum zu werfen.
Wie wär’s mit house-sharing?
Sharing steht bei Rifkin hoch im Kurs. Doch in der ganzen Rifkin-Diskussion über die hochgepriesene „ sharing economy“, wobei vom Auto bis hin zum Wissen alles geteilt werden soll, fehlt das Wort „ house sharing“, obwohl gerade das Teilen von Wohnraum in Luxemburg großes Potential hätte. Im Schnitt verfügen in Luxemburg lebende Menschen über 140 m2 Wohnfläche pro Kopf, was einen Höchstwert im europäischen Vergleich darstellt. Während der allgemeine Trend in Europa zeigt, dass die Pro-Kopf-Wohnfläche mit steigendem Alter abnimmt, stellt Luxemburg mit einem gegenteiligen Trend von 150m2 bei über 65-Jährigen eine absolute Ausnahme dar. Da es keine öffentliche Einrichtung gibt, die älteren Menschen bei der Suche nach einer altersgerechteren Wohnung hilft, überrascht diese Ausnahme nicht.
Vor kurzem weihte Caritas sein neustes Wohnprojekt in Beggen ein, welches sich genau dieser Thematik annimmt. Es handelt sich um ein Pilot-Projekt des sozialen Zusammenlebens: in einem intergenerationellen Wohnhaus wohnen ältere Menschen zusammen mit StudentInnen unter einem Dach. Beide Gruppen haben gemein, dass sie nur über bescheidene finanzielle Mittel verfügen. Der/die Studentin verpflichtet sich, der älteren Person im Haushalt zu helfen und ihr regelmäßig Gesellschaft zu leisten, und er/sie bessert durch seinen Mietbeitrag die Haushaltskasse auf. Im Gegenzug erhält er/sie nicht nur eine günstige Wohnmöglichkeit, sondern auch Zugang zu Lebenserfahrungen und Kontakt zu einer Person, die ihr helfen kann, sich in Luxemburg zurechtzufinden. Günstiger Wohnraum wird dadurch ermöglicht, dass das Bauland per Pachtvertrag vom Staat zur Verfügung gestellt wird und das Wohnungsbauministerium drei Viertel der Baukosten übernimmt. Der gleiche Satz an Bezuschussung steht übrigens allen Gemeinden zur Verfügung für den Bau von sozialen Wohnungen. Davon Gebrauch machen jedoch nur die Wenigsten und in viel zu geringem Umfang, was unter anderem den enormen Mangel an Sozialwohnungen in Luxemburg erklärt. Ein ähnliches Projekt, das die gleiche Grundidee vertritt, stellt Co’habitage dar. Hier wird sich jedoch nicht auf Um- oder Neubauten beschränkt, sondern auch auf bestehenden Wohnraum konzentriert, den ältere Menschen mit StudentInnen teilen.
Eine Antwort auf das Problem, dass Flüchtlinge mit anerkanntem Status, die somit Anrecht auf RMG haben, fast keine Wohnmöglichkeit auf dem freien Markt finden, kam vor kurzem aus der Zivilgesellschaft: „Oppent Haus“ führt wohnungssuchende Flüchtlinge über eine Plattform mit Menschen zusammen, die bereit sind, freistehenden Wohnraum zur Verfügung stellen. Diese Idee wirkt somit gleich zwei Missständen einer unzureichenden Wohnungs- und Sozialpolitik entgegen: die RMG-Empfänger, die sich laut STATEC unter der Armutsgrenze befinden und somit kaum Aussicht auf eine bezahlbare Wohnung auf dem freien Markt haben, und das Problem der überfüllten öffentlichen Auffangstrukturen, die zu 1/3 mit Flüchtlingen mit anerkanntem Status belegt sind.
Wohngemeinschaften
Darüber hinaus gibt es auch eher informell organisierte Formen des Wohnraumteilens und zwar in Form von Wohngemeinschaften. Diese Wohnform hat erst in den letzten zehn Jahren in Luxemburg Aufwind bekommen durch die Gründung der Universität, da vor allem ausländische Studierende auf Wohngemeinschaften zurückgreifen. Doch auch die lokale Bevölkerung, insbesondere Berufsanfänger, beanspruchen diese Wohnform verstärkt, was angesichts der unaufhaltsamen steigenden Wohnungspreise in Luxemburg, die sich um nicht weniger als 30% in den letzten zehn Jahren verteuert haben, kaum verwundert.
Dass diese Wohnform langsam salonfähig wird, beweist das Aufkommen von kommerziell orientierten Plattformen wie appartager.lu oder furnished.lu, die als Vermittler fungieren.
Jedoch fehlt es dieser Wohnform am nötigen gesetzlichen Rahmen, um sich als reelle Alternative durchsetzen zu können. Da sie nicht in der Gesetzgebung vorgesehen ist, entstehen WGs oft auf Initiative einer einzelnen Person, die dann oft auch der Hauptmieter im Mietverhältnis ist. Alle weiteren Mitbewohner sind in dem Fall Untermieter, so dass die Verantwortung gegenüber dem Besitzer allein beim Hauptmieter liegt, was zu erheblichen Problemen für diesen führen kann, wenn etwa ein Untermieter seinen Mietvertrag nicht einhält. WGs stellen eigentlich eine gute Lösung aus finanzieller Sicht für RMG-Empfänger dar, da der geteilte Wohnraum meist auch deutlich unter den Marktpreisen liegt. Da jedoch die Vergabe des RMG und etwaiger Wohnungsbeihilfen am verfügbaren Einkommen des gesamten Haushaltes bemessen wird, sind RMG-Empfänger im Prinzip von dieser Wohnform ausgeschlossen, wenn die anderen MitbewohnerInnen finanziell gut aufgestellt sein.
Alternative zur WG: Wohnungsbaugenossenschaften
Das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft stößt jedoch ab einem gewissen Alter und sich ändernder Lebenssituationen bei den meisten an Grenzen. Vor allem Paare – mit oder ohne Kinder – schlagen dann doch irgendwann den Weg in Richtung eigene vier Wände ein. Um jedoch nicht ganz auf das gemeinschaftliche Leben verzichten zu müssen und doch über den nötigen Rückzugsraum zu verfügen, können Wohnungsbaugenossenschaften (WBG) eine Alternative darstellen. Hierbei handelt es sich um eine Art Mischform von WG und privatem Wohnraum. Das Leben in einer WBG unterscheidet sich nicht wesentlich von dem in einer WG. Die Basis bilden Menschen – abgesehen von Zweckwohngemeinschaften – die sich vorab schon mehr oder weniger gut kennen und die sich dazu entschieden haben zusammen zu wohnen. Wo sich das Zusammenleben in einer WG meistens auf eine Wohneinheit beschränkt, in der Räume wie Küche, Bad oder Wohnzimmer in der Regel gemeinschaftlich genutzt werden, so findet das Zusammenleben in einer WBG – wo jede Partei über ihre eigene voll ausgestattete Wohnung verfügt – in Gemeinschaftsräumen statt, die sich innerhalb des Wohngebäudes befinden. Diese werden in den meisten WBGs durch gemeinschaftlich nutzbare Außenflächen wie z.B. einen Gemeinschaftsgarten, sowie auf teilbasierte Dienstleistungen wie car sharing ausgeweitet.
Neben dem gemeinschaftlich organisierten Wohnen hat eine WBG auch das wirtschaftliche Ziel, günstigen Wohnraum für seine Mitglieder zu schaffen, wobei es dafür mehrere Ansatzpunkte gibt. Das Grundstück wird gepachtet, Wohnflächen werden effektiv genutzt, die Besitzverhältnisse sind gemeinschaftlich organisiert, es gibt keine Wertsteigerung der Pflichtanteile, es wird kein Gewinn erwirtschaftet und die Höhe der Mieten entspricht nur den laufenden Kosten.
In Luxemburg arbeitet die Plattform Adhoc habitat participatif seit fast drei Jahren an einem Pilotprojekt der ersten WBG in Luxemburg. Trotz anfänglicher Erfolge, wie die Zuerkennung des Etika-Preises in der Kategorie alternative Projekte (2016) oder die Unterstützung durch die Oeuvre Grande-Duchesse, stößt sich das Projekt an der aktuellen Gesetzgebung, was sich negativ auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auswirkt. WBGs sind laut Gesetz kommerzielle Gesellschaften, und die Mitglieder, die sich für diese Wohnform entscheiden, verlieren jegliches Anrecht auf Wohnungsbeihilfen, die einem in Luxemburg als Privatperson zustehen (vergünstigter Steuersatz von 3%, Beihilfen zur Miete, Beihilfen zur Reduzierung der persönlichen Zinslast, usw.). Um WGs und WBGs die Möglichkeit zu geben, sich in Luxemburg als alternative Wohnformen durchzusetzen, kommt man auf kurz oder lang nicht daran vorbei, die Gesetzgebung zu verändern.
Rifkin mag in manchen Punkten visionär sein, seine Studie bietet jedoch keine Zauberformel gegen die Wohnungsnot. Daher muss die Politik endlich Verantwortung übernehmen und der Wohnungsnot mit wirksamen Maßnahmen entgegenwirken. Und das heißt: alle Möglichkeiten ausloten und unterstützen, unabhängig davon, wie radikal manche Ansätze sind – bevor Luxemburg bald nur noch von Besserverdienenden besiedelt ist.
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