Die Sushi-Frage
Welche Richtung bietet das Regierungsprogramm hinsichtlich nachhaltiger Lebensmittelpolitik?
„Wieso öffnen eigentlich auffällig viele Sushi-Restaurants in Luxemburg, obwohl unser Land sich einsetzt für nachhaltigen Konsum?“, erkundigte sich ein interessierter Teilnehmer beim damaligen Staatssekretär Claude Turmes im Rahmen einer Informationsveranstaltung vor den nationalen Parlamentswahlen Ende September 2018 in der Maison de l’Europe.
Die Frage, wieso keine kohärente Politik zur Förderung von Nachhaltigkeit im Bereich von Lebensmittelproduktion/konsum besteht, ist wesentlich, aber der eigentlich sehr wortgewandte Politiker verwies nach kurzer Überlegung auf die Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums für entsprechende Gewerbegenehmigungen; eine zufrieden stellende Antwort blieb er schuldig.
Interessant ist zu sehen, ob das nach dem 14. Oktober 2018 neu gewählte Parlament eine klare Linie definiert zur Lösung von Zielkonflikten bei der Förderung von Nachhaltigkeit bzw. ob es Instrumente oder Leitlinien zur Steuerung einer nachhaltigen Lebensmittelpolitik oder eines nachhaltigen Wirtschaftens vorgibt.
Nachhaltige Entwicklung, Klima und Schutz der Ressourcen
Sinnvollerweise betrachtet man diesbezüglich zuerst1 das mit „nachhaltiger Entwicklung“ betitelte Kapitel des Koalitionsprogramms. Effektiv finden sich sowohl verschiedene topdown- als auch bottomup-Initiativen, die ein gewisses Potential zur Lösung der Frage aufweisen. Es soll einen Nachhaltigkeitscheck geben für neue legislative Texte, der zwar keine direkte Antwort auf die oben beschriebene Kontroverse bringt, aber doch helfen kann, entsprechende Rahmenbedingungen zu gestalten. Des Weiteren will man die gesamte Gesellschaft zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele miteinbeziehen. Diese sehr grob ausgerichtete Zielsetzung könnte – falls so gedacht – dazu beitragen, durch entsprechende Aufklärung des Verbrauchers das Konsumverhalten zu verändern. Explizit will die neue Regierung Betriebe und Forschung in diesem Sinne mit an Bord nehmen, ohne jedoch weitere Details zu erklären. Schade ist, dass bereits bestehende Ansätze von Unternehmensseite nicht in Betracht gezogen werden. Das Label RSE (responsabilité sociale des entreprises) beispielsweise, das Betrieben eine Autoevaluation mit entsprechenden Ratschlägen in verschiedenen nachhaltigkeitsrelevanten Bereichen bietet und bei bestandener Zertifizierung das Engagement des Betriebes auch nach außen aufzeigt, könnte hier durchaus hilfreich sein. Aussichtsreich scheint ebenfalls die vorgesehene Idee einer Erziehung zur Nachhaltigkeit, die sich schwerpunktmäßig auf nachhaltigere Ernährung fokussieren soll. Allerdings fehlen Details und man weiß nicht, ob dies die Bildung der Schüler und/oder eher der Verbraucher betrifft. Beides wäre sinnvoll.
Verpasst wurde in diesem Zusammenhang die Gelegenheit, nachhaltige Ernährung ganz einfach mit den Prinzipien von gesunder Ernährung zu verknüpfen und so im Rahmen des bereits bestehenden nationalen Aktionsplans „gesond iessen, méi bewegen“ das Ziel im Sinne von „gesond a nohalteg iessen, méi bewegen“ umzuformulieren.
Weitere Ansatzpunkte bietet der Klimaschutz. Die geplante langfristig angelegte Strategie zur Reduktion der Treibhausgase erwähnt explizit neben den drei Schlüsselbereichen Bauen und Wohnen, Mobilität und Transport, Wirtschaft und Energie, den Komplex der Landwirtschaft und Ernährung, um entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase einzubringen. Konkrete Ansätze zu einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion bzw. Lebensmittelkonsum können in der Tat zur Verminderung der Treibhausgase beitragen und in das für Ende 2019 geplante Klimaschutzgesetz einfließen.
Die im Bereich der Kreislaufwirtschaft vorgeschlagenen Initiativen wie die „Zero-waste-Strategie “ oder auch zusätzliche Aktionen insbesondere zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen in öffentlichen Anstalten werden dem Anspruch einer nachhaltigeren Produktion/Konsum jedenfalls gerecht. Das Koalitionsprogramm verweist in diesem Kontext auch auf die Anwendung bereits bestehender Instrumente wie etwa auf das Gesetz über die öffentlichen Ausschreibungen. Dieses ermöglicht, Nachhaltigkeitskriterien miteinzubeziehen.
Landwirtschaft
Wirklich aufschlussreich und wohl Kernstück zur Steuerung einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion ist das Kapitel zur Landwirtschaft. Dieses bietet eine ganze Liste von Handlungsanweisungen: eine verstärkte Sensibilisierung der Bevölkerung für biologische, regionale und saisonale Lebensmittel, Anreize zur vermehrten Geflügel-, Obst und Gemüseproduktion, Nutzung der neuen Kriterien bei öffentlichen Ausschreibungen, um vermehrt regionale und biologische Lebensmittel einzubringen, Gründung einer Interessengemeinschaft (GIE) „Food and Agriculture“, Einführung eines „matcher“, der helfen soll, auch kleine Betriebe durch Kooperation an großen öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen zu lassen, sowie Stärkung der Beziehungen zwischen Zivilbevölkerung und Landwirtschaft durch das Schaffen eines Ernährungsrates, eines Lebensmittelclusters und einer nationalen Plattform zur Koordinierung aller Aktionen im Bereich der Eingrenzung der Lebensmittelverschwendung. Des Weiteren will man sich für den Ausbau einer europäischen Innovationspartnerschaft engagieren zur Förderung von F2C- (farm to consumer) und F2B- (farm to business) Initiativen.
Der Förderung der biologischen Produktion mit dem Ziel einer 100% biologischen Landwirtschaft bis 2050 kommt eine Sonderstellung zu, und ein entsprechender Maßnahmenkatalog inklusive Zwischenzielen unterstreicht die eindeutigen Ambitionen der Regierung in diesem Bereich.
Wirtschaft
Hinsichtlich des eingangs geschilderten Problems, ob es eine kohärente Politik hinsichtlich nachhaltiger Lebensmittelproduktion/konsum gibt, ist auch die Prüfung des Kapitels zur Wirtschaft angebracht. Einleitend wird dort hervorgehoben, dass bei neuen Aktivitäten eine besondere Aufmerksamkeit auf die Übereinstimmung mit den Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Entwicklung gelegt werden soll. Diese Aussage betont unbestreitbar, dass Nachhaltigkeitskriterien im Bereich der Wirtschaft zu berücksichtigen sind. Ein entsprechendes Herunterbrechen auf konkrete Instrumente bleibt aber aus. Unterstrichen wird jedoch die verstärkte Ausrichtung der linearen Wirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft sowie die finanzielle Förderung von Klimaschutzprojekten in Klein- und Mittelbetrieben.
Jedenfalls sind sich verschiedene Branchen der Problematik wohl bewusst, und es bestehen bereits von Betrieben selbst eingeleitete Initiativen wie etwa die Schulung zum Thema nachhaltige Produktion im Rahmen des Meisterbriefs im Lebensmittelsektor. Eine durch gezielte Bildung herbeigeführte Aufmerksamkeit der Betriebsinhaber im Kontext der Berufsausbildung hat durchaus das Potential durch entsprechende Lebensmittelbeschaffung und -verarbeitung oder passende Betriebsausrichtung zur Nachhaltigkeit beizutragen.
Erziehung
Der Abschnitt zur beruflichen Bildung im Kapitel Erziehung verweist auf die Modernisierung der Berufsausbildung, konzentriert sich aber auf deren Digitalisierung sowie auf die sprachlichen Herausforderungen. Neue innovative Bildungsinhalte in Bezug auf nachhaltige Lebensmittelproduktion wie zum Beispiel die Ausbildung eines „sustainability manager“ im Bereich Gastronomie o.ä. findet man nicht.
Verbraucherschutz
Das Kapitel zum Konsumentenschutz schlussendlich verweist auf eine verstärkte Information des Konsumenten bezüglich Lebensmittel. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob sich dieser Hinweis auch auf Nachhaltigkeitsaspekte bezieht oder nur auf den Bereich der Lebensmittelsicherheit. Möglich wäre zum Beispiel, innerhalb des Verbraucherschutzministeriums, ähnlich wie in der BRD, eine Abteilung zum nachhaltigen Konsum zu schaffen. Diese könnte den Konsumenten einerseits durch spezifische Aufklärung in seiner Verantwortung bei Konsumentscheidungen stärken und andererseits über nachhaltige Projekte auf Produktionsseite informieren und diese so fördern.
Insgesamt bietet das Koalitionsprogramm also eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Steuerung einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion/konsum. Außer im Bereich der Landwirtschaft werden diese jedoch nicht explizit erläutert. Während die Einbindung des lebensmittelverarbeitenden öffentlichen Sektors (z.B. Kantinen) bezüglich Nachhaltigkeit mehrmals thematisiert wird, vermisst man die sichtbare Integration des privaten lebensmittelverarbeitenden Gewerbes (z.B. Restaurants). Zweckmäßig wären angemessene Maßnahmen (Information, gezielte Projektförderung, Leitlinien, best practices) in den Sektoren des Handels, des Handwerks und der Gastronomie sowie die Stärkung der entsprechenden Initiativen durch Sensibilisierung und Aufklärung.
Obwohl sich eine Richtung hinsichtlich nachhaltiger Lebensmittelpolitik abzeichnet, bleibt die Antwort auf die Sushi-Frage unklar. Die Verantwortung liegt somit weiterhin beim Verbraucher, der durch Ausrichtung seiner Kaufentscheidungen auf seine individuellen Überzeugungen hin den Weg bestimmen soll.
1) Es sei vorweggenommen, dass der bereits im Juli 2018 von der Regierung angenommene dritte PNDD (plan national de développement durable – nationaler Nachhaltigkeitsplan) in Kapitel 3 auf das Nachhaltigkeitsziel Nummer 14 (Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen), sowie auf das Nachhaltigkeitsziel Nummer 12, das für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen soll, verweist.
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