Haben Sie auch schon bemerkt, dass sich Fußgänger an vielbefahrenen Straßenzügen möglichst weit entfernt von der Bordsteinkante und dem fließenden Verkehr fortbewegen? Verkehrslärm und Abgase sind uns unangenehmer, als wir uns eingestehen. Wenn der Gehweg dann auch noch knapp bemessen und mit Schildern übersät ist und von parkplatznotleidenden Autofahrern heimgesucht wird, lassen wir es bisweilen ganz sein, zu Fuß zu gehen. Und je stärker die Fußgänger verschwinden, desto weniger werden ihre Interessen wahrgenommen. Ein die luxemburgische Realität beschreibender Teufelskreis. Der Anteil der nur sehr kurzen Autofahrten ist in Luxemburg entsprechend hoch. Bei einer vielerorts angewandten Regelbreite der Trottoirs von eineinhalb Metern, die aber eher ein Mindestmaß darstellt, besteht die erste Maßnahme bei reger Bautätigkeit darin, sie zu blockieren und erst nach Fertigstellung der Baustelle wieder freizugeben, im Winter türmen sich dort Schnee und Matsch, während die Fahrbahnen längst geräumt sind. Neuere Wohngebiete mit verwinkelter Sackgassenausbildung am Dorf- oder Stadtrand tun ihr übriges, um es dem Fußgänger so recht zu verleiden, den kürzesten Weg zu beschreiten. Gerade zum Glückspilz wird der Flaneur, der gänzlich frei von Motorenlärm sich mittels innerörtlicher Abkürzung in einem Park, auf einem Fußweg oder einem noch bestehenden Kirchenpfad seinem Ziel nähern darf, wovon viele wegen grundrechtlich vager Stellung privatisiert wurden.
Diese fußgängerfeindlichen Entwicklungen sind umso bedauernswerter, als die Gehkultur in jüngster Zeit eigentlich eine Aufwertung erfährt. Zähler auf dem Smartphone teilen uns nach dem Überschreiten einer bestimmten Anzahl täglich verrichteter Schritte belobigend mit, unseren Körper ausreichend bewegt zu haben. Gehen wurde Teil einer multimodalen, mehrgliedrigen Verkehrskette, um schneller und sozialethischer ans Ziel zu gelangen. Dies hat auch zur Aufwertung der öffentlichen Verkehrsmittel, des Radfahrens und schließlich des Zufußgehens selbst geführt. Ob nun aber letzten Endes der aufrechte Gang als auffallendstes Merkmal der Entwicklung des homo sapiens nachhaltig in Luxemburg gefördert wird, bleibt ungewiss.
Die Gehkultur hat sich insbesondere bei uns im Land scheinbar übergeordneten Formen der Fortbewegung unterzuordnen, wie allgegenwärtige Straßenbauprojekte belegen. Während Fußwegkonzepte allenfalls im Zusammenhang mit Radwegeplanungen existieren, werden Gehwege ohne zwingende Erfordernis in der Regel den Bedürfnissen der Autofahrer untergeordnet und straßenbegleitend angelegt. Dabei liegt die Planungshoheit von Fußwegen meist auf Gemeindeebene, während die Kompetenz der übergeordneten Straßenführung dem Staat obliegt.
Die Folgen dieses Planungsprozesses mit Kompetenzgefälle gehen oft zu Lasten der schwächsten Verkehrsteilnehmer, wie erst kürzlich die verspätete Gehwegplanung zwischen dem neuen Einkaufszentrum und dem Park & Ride Howald auf Cloche d’Or aufzeigte. Doch auch bei Vorhaben unter alleiniger staatlicher Leitung finden die Belange der Fußgänger zu wenig Gehör. So kündigte das Bildungsministerium im Juli die Errichtung eines Nordstad-Lyzeums für 1.700 Schüler in einer Entfernung von 1.100 Meter vom Bahnhof Ettelbrück für das Jahr 2026 an. Während Autoparkplätze vor Ort bereits heute eingeplant sind, ist von einem direkten, leicht machbaren Schülerweg zum Bahnhof keine Rede. Gleichzeitig sieht die zum selben Zeitpunkt abschließende Neugestaltung des Ettelbrücker Bahnhofsumfeldes gerade einen solchen Rad- und Fußweg nicht vor. In Esch/Alzette wurde gar das neue Viertel Belval geplant, ohne ernsthaft die Fußwegverbindung mit dem Stadtzentrum zu erörtern.
Als im Sommer 2018 in Echternach Hals über Kopf ein neuer Busbahnhof angelegt wurde, war ein heilloses Chaos mit quer über Hauptverkehrsstraßen laufenden Schülern zu Beginn und zum Ende der Unterrichtszeiten die Folge. In Luxemburg-Stadt zeigte man sich erstaunt, dass die gelungene Radunterführung des Pont Adolphe in gesteigertem Maße von nicht dafür vorgesehenen Passanten genutzt wurde, die das Tal abseits der motorisierten Verkehrsströme überqueren wollen. Beim ganzheitlich angelegten Umbau des Kirchberger Plateaus hingegen zeigt eine belebte Fußgängerlandschaft, dass man die Bedürfnisse der Fußgänger ernst nimmt.
Die Arroganz der Planer gegenüber dem „Fußvolk“ mag zwar abnehmen, doch wird der Weg zu mehr Fußgängerfreundlichkeit nicht mit einer Befriedigung der Grundbedürfnisse der Nutzer getan sein. Ein erster Schritt ist der Vorrang einer Verdichtung der historisch gewachsenen Siedlungsstruktur mit ungünstiger Verkehrserschließung, langen Wegen und ausgedehnten Orten vor jeder Ausdehnung der Siedlungsgrenzen, wodurch neue fußläufige Erschließungsmöglichkeiten eröffnet werden.
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