Die Zukunft des Autos

Welche Technik und Nutzungsmodelle uns erwarten

Als wir Ende der 1970er Jahre als Studenten des Ingenieurwesens erfuhren, dass der Verkehrssteigerungsfaktor für neu zu bauende Straßen auf drei anzusetzen sei, empfanden wir das als unglaubwürdige Extrapolation der bisherigen Entwicklung. Nach der Ölpreiskrise und der anschließenden Weltwirtschaftskrise erschien uns Jugendlichen der Zeitgeist eher auf den die Grenzen des Wachstums aufzeigenden Bericht des Club of Rome ausgerichtet. Wir sollten uns irren. Trotz warnender Vorzeichen war es eine Zeit, die eine gesellschaftliche Vision einer Lösbarkeit von technischen, sozialen und ökonomischen Problemen durch Planung verhieß, so als ob man sich gewissermaßen umdrehen und mit einem Blick in die Vergangenheit eine absolut zuverlässige Prognose für die Zukunft machen könne. Mit viel Optimismus glaubte man an das Ideal einer Steuerbarkeit, durch eine korrekte Problemanalyse die richtigen Lösungen finden zu können.1 Aber nachdem sich die Zahl der Autos auf unseren Straßen seit den 1950er Jahren bis 1980 mehr als verdreifacht hatte, stieg deren Anzahl bis 2005 abermals fast um den Faktor drei an.2

Heute stehen wir nun vor den Trümmern jener dem Straßenbau unmissverständlich Vorrang gebenden Verkehrspolitik, die maßgeblich zur Klimakrise beiträgt und uns doch ständig immobiler werden lässt. Wie lässt sich aufgrund dieser Erkenntnisse die Entwicklung der automobilen Mobilität voraussagen?

Die Elektromobilität

Dem Auto wird auch weiterhin eine bedeutende Rolle zukommen. Dafür bürgen trotz steigenden Ansehens anderer Verkehrsmodi ein über Jahrzehnte antrainiertes Mobilitätsverhalten und der immer noch auf den Individualverkehr zugeschnittene Planungsprozess. Mit dem nahenden Ende des Verbrennungsmotors sind jedoch neue Antriebstechniken angesagt. Während Erdgasautos erst gar nicht zum Zug kommen und Hybridfahrzeuge aus wirtschaftlicher Perspektive wie auch aus Klimaschutzgründen nur als Brückentechnologie dienen, verbleiben künftig einzig vollelektrische Autos als Alternative: einerseits die batterieelektrisch angetriebenen (battery electric vehicle, BEV) und andererseits jene, die von einer Brennstoffzelle bewegt werden, auch Wasserstoffautos genannt (fuel cell vehicle, FCV). Beide haben ihre Vor- und Nachteile: BEVs sind vor allem energieeffizient, sie können den im Akku gespeicherten Strom zu circa 75 % in Antriebs­energie umwandeln. Nachteilig sind vor allem lange Ladezeiten, die Lebensdauer des Akkus und die begrenzte Reichweite. Was Tankzeiten und Reichweite angeht, sind FCVs indessen mit ihren 700-bar-Drucktanks fast wie konventionelle Fahrzeuge nutzbar, problematisch ist jedoch die energetische Ineffizienz: Weniger als 25 % vom ursprünglichen Strom schaffen es nach der Umwandlung in Wasserstoff mittels Elektrolyse und der Rückwandlung in der Brennstoffzelle auf die Straße. Auch die bis zu 500 Kilogramm leichtere Ausführung eines Wasserstoffautos kann dies nicht wettmachen.

Welches Prinzip setzt sich im Wettstreit der Systeme durch?

Während man in Europa nachdrücklich auf batterieelektrischen Antrieb setzt, wird in Ostasien der Brennstoffzellentechnologie viel Platz eingeräumt. Besonders Japan mit seiner engen Verzahnung von Politik und Wirtschaft verabschiedete bereits im Jahr 2017 eine nationale Wasserstoffstrategie, mit der das Land entschieden auf diese Technologie setzt. Mit dem Mirai (Japanisch für „Zukunft“) produziert Toyota seit 2014 ein Wasserstoffauto, das seit kurzem in einem Joint Venture mit China auch dort die Brennstoffzellentechnologie vorantreibt. Erstmals nahm China die Förderung von Wasserstoff im diesjährigen Entwicklungsplan auf und plant im Jangtse-Flussdelta bereits bis 2030 ganze zwanzig interurbane Wasserstoffkorridore. Auch Südkorea will zu einem weltweit wichtigen Anbieter in der Wasserstoffwirtschaft aufsteigen. Bis 2022 sollen in dem Land, nicht viel größer als die Benelux, 310 Wasserstofftankstellen entstehen. Europa hat deren zurzeit gerade mal 108, davon 86 in Deutschland.3

Dabei gehen die fernöstlichen Länder das Thema Wasserstoff ganzheitlich an. Für den Automobilbereich allein ergibt diese Technik nämlich wenig Sinn, besonders im urbanen Einsatz, wo vollelektrische Fahrzeuge viel tauglicher sind. Bei der Umstellung der Wirtschaft auf klimaneutrale Energieträger verbleibt allerdings ein Anteil von annähernd 15 %, der schwer zu dekarbonisieren sein wird. Dazu gehören die Luft- und Schifffahrt sowie der Fernverkehr auf der Straße, wo große, schwere Batterien wenig Sinn ergeben. Für energieintensive Industrien wie die Beton- und Stahlherstellung ist grüner Wasserstoff eine ideale Energiequelle. In einem solchen Gesamtsystem der Wasserstoffwirtschaft könnten wegen Skalierungseffekten auch automobile Langstreckenstromer mit Brennstoffzellentechnik Platz finden.

Vor allem aber steht die Wasserstofftechnik für nichts weniger als die Verheißung einer komplett sauberen Speicherung von kurzfristig gerade nicht nutzbarem Strom aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Während die Vorratshaltung in einer Batterie viel zu teuer und aufwendig ist, ist die Wasserstofferzeugung als Zwischenspeicher ideal. Dazu wird Wasser mittels Elektrolyse in seine Bestand­elemente Wasserstoff und ebenfalls vielseitig einsetzbaren Sauerstoff zerlegt. In einem künftigen Szenario der umfassenden erneuerbaren Energieversorgung mit gegen Null tendierenden marginalen Produktionskosten wären selbst hohe Umwandlungsverluste erträglich, da diese mit einer erhöhten Stromerzeugung kompensiert werden könnten. Die Bereitstellung eines Teiles dieses Wasserstoffs für Brennstoffzellenfahrzeuge dürfte unter diesen Voraussetzungen nicht weiter ins Gewicht fallen.

Die kostengünstige Produktion von grünem Wasserstoff in Wind- und Solarparks im Nahen Osten bietet dieser Welt­region eine einmalige Entwicklungschance. Saudi-Arabien baut zurzeit in der Wüste am Roten Meer eine futuristische Stadt namens Neom, in der grüner Wasserstoff als Hauptenergiequelle dient.

Die Europäische Kommission veröffentlichte im Rahmen des Green Deal im Juli dieses Jahres eine ambitiöse Wasserstoffstrategie. Im Straßentransport kooperieren Daimler und Volvo bereits in der Entwicklung von wasserstoffbetriebenen LKWs. Europas Automobilhersteller konzentrieren sich derzeit jedoch ganz auf Batteriefahrzeuge, Volkswagen hat sogar seine Wasserstoff-Forschung auf Eis gelegt. Das liegt auch daran, dass die europäischen Konstrukteure bei der Entwicklung der automobilen Elektrifizierung im Rückstand sind und angesichts der ab 2022 anstehenden Verschärfung der EU-Grenzwerte dringender Handlungsbedarf besteht, die CO2-Emissionen zu senken. Dies lässt sich zurzeit nur durch Batterietechnik bewerkstelligen, da der Betrieb batterieelektrischer Fahrzeuge sogar mit dem heutigen fossillastigen Strommix längst eine bessere Energiebilanz als Verbrenner aufweist. Dieser Vorteil gegenüber der Brennstoffzellentechnik wird bestehen bleiben, und so dürfte es unsinnig sein anzunehmen, dass der batterieelektrische Antrieb sich als Übergangstechnologie entpuppen könnte. Eher dürften Batterie und Brennstoffzelle sich dahingehend ergänzen, dass das Gros der Batteriefahrzeuge im städtischen Umfeld von schnell betankbaren Brennstoffzellenfahrzeugen mit hoher Reichweite unterstützt wird.

Bei der Frage um die Zukunft des Autos geht es allerdings um mehr als um aufschließende Technologien. Es geht auch um die Art, wie wir dieses nutzen werden. Werden Sharing-Modelle sich durchsetzen? Werden Autos autonom? Beim automobilen Nutzerverhalten sind die Zukunftsprognosen besonders unscharf. Der Faktor Mensch spielt hier eine große Rolle.

Autonomes Fahren und Sharing-Modelle

Mögen Sie ihr Fahrzeug mit anderen teilen? Die persönliche Präferenzverschiebung von Privateigentum zu Sharing-Modellen ist wohl eine der spannendsten Fragen, die die Automobilbauer zurzeit beschäftigt. In einer privatwirtschaftlichen Studie der Automobilbranche4 wurden weltweit Kunden befragt, inwieweit sie bereit wären, auf ein eigenes Auto zu verzichten, um auf autonome Mobilitätslösungen umzusteigen. Die Ergebnisse hingen maßgeblich davon ab, wo die Befragten lebten. Während etwa in China drei von vier Autobesitzern adäquaten autonomen Sharing-Angeboten offen gegenüberstehen, bleibt der Besitz des eigenen Wagens besonders für US-­Amerikaner, aber auch für Europäer wichtig. Erstaunlicherweise sind in allen drei Märkten gerade Premium-Autobesitzer am ehesten bereit umzusteigen. In Europa waren das immerhin 55 % der Befragten, 14 % mehr als die Fahrer von Mittelklasse- und Kleinwagen. Dies liegt womöglich daran, dass die Nutzer von Firmenwagen weit häufiger Premium-Autofahrer sind.

Aus der in Zusammenarbeit mit dem Zukunftsinstitut realisierten neuen Auflage der Trendstudie „Mobility Zeitgeist“ zieht Ford Deutschland die Kernerkenntnis, dass für die Zielgruppe der Generation Z, das heißt den 18- bis 23-Jährigen, der Kauf eines Autos kein primäres Ziel mehr darstellt. Als Mobility Seeker sind sie die erste Generation, die im wahrsten Sinne des Wortes mobil ist, weil sie nahezu alle Verkehrsmittel gleichberechtigt nutze.5 In der Statushierarchie ist das Auto nach unten gerutscht, meint auch der Zukunftsforscher und Automobilexperte Mark Morrison.6 Die Autonutzung ist bei jungen Menschen zwar nach wie vor hoch, doch die flexible Einstellung gegenüber multimodalen Verkehrsangeboten geht einher mit einer hohen Bereitschaft zum Carsharing. Autos entwickeln sich für junge Menschen quasi zu Smartphones auf Rädern, die öfters gewechselt und deren Innenraum-Oberflächen als Informationsquelle fungieren. Dazu gehören personalisierbare digitale Mobilitätsbegleiter, die dazu dienen, die Fortbewegung möglichst kosten- und zeiteffizient zu gestalten.

Als hochgradig unsicher aber gilt die Annahme, dass die angedachte Metamorphose vom klassischen Besitzmodell zum Prinzip des „Mobilitätsbuddys“ das Zukunftsmodell schlechthin ist. Matthias Horx7, selbsternannter Provokateur und Visionär, bezweifelt, dass viele Fahrer vornehmlich männlichen Geschlechts sich durch ein automatisches Autofahrsystem in Passagiere umformen lassen. Zu der bereitwillig auf autonome Mobilitätslösungen umsteigenden Gruppe von europäischen Autofahrern8, von ihm als „Eher-Nicht-Autofahrer“ bezeichnet, zählt er Alte, Behinderte, Verträumte, Frauen, Verliebte und Melancholiker. Die „typischen Autofahrer“ aber, die das Fahren als Ausdruck von Macht, Kontrolle, Status und Sex zelebrieren – vornehmlich Männer, Technikbegeisterte, Geschäftsmänner und Statusorientierte –, würden durch den empfundenen Kompetenzverlust, den automatische Autofahrsysteme bei ihnen auslösen, zu „Eher-Nicht-Autofahrern“ mutieren, während die Gruppe, die eher anpassungsfähig ist, die typischen Autofahrer der Zukunft wären.

Horx dürfte nicht Unrecht haben, dass autonomes Autofahren längst eine die Zukunft selber formende gesellschaftliche Erzählung ist, eine future narration, vorsätzlich in Umlauf gebracht von lobbystarken Wirtschaftsverbänden. Die marktwirtschaftliche Nachfrage nach disruptiver Technologie mit inhärenten starken Wachstumsraten steht Pate. In einem autogesättigten Markt bietet sich der Autobranche und den Software-Firmen nun die Möglichkeit, durch die durch autonomes Fahren gewonnenen Kapazitäten im Straßenraum noch mehr und weitaus kostspieligere, bis zum Dach mit Kameras, Sensoren und künstlicher Intelligenz gespickte Autos unterzubringen. Studien des US-Militärs gehen davon aus, dass wegen der gleichförmigen und abgestimmten Fahrweise bis zu viermal mehr autonome Autos auf den Highways fahren könnten als konventionelle Fahrzeuge.9 Dieses Potenzial wird aber in westlichen Gesellschaften kaum realisierbar sein, da hier der regulative Eingriff in die Selbstbestimmung der Bürger, selbst Auto zu fahren, nicht durchzusetzen ist. Eine über viele Jahre andauernde Vermischung von autonomen und nicht autonomen Verkehrsteilnehmern wird die Folge sein.

Gerade selbstfahrende Dienste, die sogenannten Robotaxis, dürften das Verkehrsaufkommen aber um bis zu 40 % steigern, meinen Mobilitätsforscher von Deloitte.10 Dass diese ständig auf Achse sind, aber keinen Parkraum beanspruchen, ist dabei weniger systeminhärent als den heute geltenden regulativen Vorgaben geschuldet: Im urbanen Umfeld sind wegen niedriger Grenzkosten der Elektromobilität die Betriebskosten eines Fahrzeuges im Stillstand durch anfallende Parkgebühren höher als während der Fahrt. Aufgrund dessen werden Stimmen laut, die flächendeckende Straßennutzungsgebühren in Städten für unausweichlich halten. Anstatt den öffentlichen Personennahverkehr zu ergänzen, dürften die selbstfahrenden Dienste ohne regulativen Eingriff diesen zunehmend untergraben und langfristig von der Straße fegen. Verkehrsexperten monieren, dass ein Shuttleschwarm von Robotaxis, sinnbildhaft als Ameisenhaufen angedacht, nicht Ersatz für das robuste Spinnennetz eines öffentlichen Nahverkehrs sein könne. Für manche politisch Verantwortlichen aus finanziell ausgehungerten, verkehrsgeplagten Städten mit dürftigem Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln aber mögen gerade die Angebote privatwirtschaftlich betriebener, autonomer Fahrdienstflotten das Patentrezept darstellen.

Synthese

In der Gemengelage von Wirtschaft, Politik und Autonutzern steht die Weiterentwicklung der automobilen Mobilität heute vor großen Herausforderungen. Nachdem die Autokonstrukteure Europas seit den 1990er Jahren erfolglos, aber konsequent auf Dieselantrieb setzten, um Klimagase einzusparen, haben sie erst spät erkannt, dass die Zukunft elektrisch ist. Trotz klarer Fokussierung auf die batterieelektrische Technologie dürfte mittel- bis langfristig die Frage, welcher E-Antrieb sich am meisten durchsetzt, nicht entschieden sein. Mutmaßlich kommt es zu folgenden Überschneidungen der Nutzergruppen: Die Gruppe der eher urban und multimodal gesinnten Mobility Seeker, zu denen die heute Jüngeren gehören, die keine Bedenken haben, sich in autonomen Fahrzeugen kutschieren zu lassen, kann mit der beschränkten Reichweite batterieelektrischer Fahrzeuge gut leben. Diejenige Gruppe der Fahrer aber, die autonome Fahrzeuge als Kompetenzverlust erleben, mögen sich mit heutigen Dieselfahrern mit hoher jährlicher Fahrleistung überlagern und zu Wasserstoffautos tendieren. Es wird sich zeigen, welche Gruppe hier zahlenmäßig überwiegt und die Zukunft am meisten beeinflusst. Augenfällig ist jedoch, dass gerade in China, dort, wo die Wasserstoffwirtschaft stark gefördert wird, die Autofahrer am besten mit batterieelektrischen Robotaxis zurechtkommen. Möglicherweise werden künftig auch die mobilitätshungrigen Europäer mittleren Lebensalters weit weniger autofixiert sein als ihre Vorgängergeneration: Auto fahren werden sie als Passagier, derweil Radfahren, öffentliche Verkehrsmittel oder Mitfahrgelegenheiten ihnen auch nicht fremd sein werden.

  1. www.youtube.com/watch?v=hYKlN6QGqW0 (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 19. November 2020 aufgerufen).
  2. Zahl der Fahrzeuge in Luxemburg im Jahr 1955/1980/2005: 31.850/142.448/368.659, https://statistiques.public.lu.
  3. https://h2.live/tankstellen
  4. https://www.accenture.com/_acnmedia/pdf-109/accenture-mobility-services.pdf
  5. www.ford.de/ueber-ford/mobility-zeitgeist-2020
  6. www.zukunftsinstitut.de/artikel/statussymbol-auto-interview/
  7. www.zukunftsinstitut.de/artikel/werden-wir-automatisch-autofahren/
  8. Laut Accenture-Studie 41 %, a. a. O.
  9. https://tinyurl.com/y4pu8apz
  10. https://tinyurl.com/y3zgxf9r

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code