Digitaler Wandel und das Ende der „Guten Arbeit“?
Nico Fehlen
Von wem geht die größere Bedrohung für die „Gute Arbeit“ – oder decent work, wie es auf englisch heißt – aus, vom Roboter oder von der Crowd? Wenn von 3D-Druckern, virtueller Realität, künstlicher Intelligenz, fortgeschrittener Robotik und Big Data die Rede ist, folgt oft die vermeintlich logische Schlussfolgerung, dass nun das Ende der Arbeit bevorstünde. Politikberater wie Jeremy Rifkin oder Wissenschaftler wie Carl B. Frey und Michael A. Osborne stören sich wenig daran, dass diese Zukunftsvision uns bereits seit der frühen Industrialisierung begleitet, denn schließlich sei dieses Mal alles anders, heißt es.
Die Diskussion über die Anzahl der Jobs, die durch Apps und Roboter vernichtet werden, riskiert jedoch die Frage nach den Gefahren des digitalen Wandels für die Gute Arbeit in den Hintergrund zu drängen. Zudem schwingt in den Debatten über den digitalen Wandel ein technologischer Determinismus mit, der oft als Rechtfertigung für die immer gleichen Forderungen nach einer weiteren Deregulierung des Arbeits- und Sozialrechts benutzt wird. Doch auch ohne in Fatalismus oder Determinismus zu verfallen, müssen wir uns die Gefahren des digitalen Wandels für die Gute Arbeit vor Augen führen. Technischer Fortschritt und die einhergehenden sozialen Innovationen gehören neben demographischem Wandel und Globalisierung zu den Megatrends, welche die Arbeitswelt zunehmend verändern.
Entgrenzung der Arbeitszeit
Unterwegs im Zug zur Arbeit schon mal die Mails gecheckt oder im Stau per Freisprechanlage die ersten Telefonate erledigt? Diese neuen Reflexe spiegeln die zunehmende Entgrenzung der Arbeit wieder. Dank der neuen Kommunikationstechniken ist Arbeit immer weniger an einen speziellen Ort oder eine bestimmte Zeit gebunden. Was theoretisch als eine neu gewonnene Flexibilität verstanden werden kann, führt in der Praxis jedoch eher zu einer Ausweitung der Arbeit. Die Vorgabe, immer erreichbar zu sein und die Angst etwas zu verpassen (FOMO, für fear of missing out), führen nicht selten dazu, dass am Wochenende oder nachts nochmals eine Runde Mails beantwortet werden. Dem gegenüber wirken die aktuellen Arbeitszeitbestimmungen wie Relikte aus einer fernen Zeit.
Wie Harmut Rosa bemerkt, handelt es sich hierbei jedoch keineswegs um gewonnene Zeit. Denn die nächtliche Mail findet sich in einem bereits überbordenden Postfach wieder und erhöht den Druck auf den anderen Teilnehmer, ebenfalls einen Teil des Wochenendes zu opfern, um mithalten zu können. Obwohl wir also heute weniger Zeit für eine Mail brauchen als früher für einen Brief, wird unsere Zeit knapper. Die absolute Zahl an Korrespondenzen nimmt unweigerlich zu. Die „Beschleunigungsgesellschaft“ (Rosa 2014) kennt keinen Stillstand, kein Innehalten.
Es sind jedoch keineswegs nur die typischen Bürojobs, die eine Entgrenzung der Arbeit erleben. Produktionsprozesse, sei es in der klassischen Industrie oder im Dienstleistungssektor werden zunehmend durch Sensoren erfasst. In den USA hat der Lieferdienst UPS sämtliche Wagen mit Sensoren zur Erfassung aller möglichen Parameter (Geschwindigkeit, Öffnen der Türen, Benutzung des Gurtes, etc.) ausgestattet. Was eine Optimierung des Auslieferprozesses erlauben soll, führt gleichzeitig zum gläsernen Fahrer und folglich auch zu einer Intensivierung der Arbeit.
Ausweitung der Marktgesellschaft
Die technischen Möglichkeiten von Mails bis Sensoren (Stichwort „Internet der Dinge“) können jedoch nicht die alleinige Erklärung für die Beschleunigung der Gesellschaft und die Intensivierung der Arbeit sein. Vielmehr machen es die gestiegenen Ungleichheiten und der zunehmende Wettbewerb dem/der einzelnen Arbeitnehmer*in schwierig sich dem Zeitdruck zu entziehen. In einer Arbeitswelt mit immer steilerem Lohngefälle wird der Wettbewerb um die höchsten Posten mit den größten Boni immer erbarmungsloser. Nicht der/die Chef*in fordert die Überstunden ein, sondern der eigene Ehrgeiz und die Hoffnung, sich nach oben absetzen zu können, führen zu langen Nächten. Das Crowdworking wird diesen Wettbewerb vertiefen und ausweiten.
Airbnb und Uber sind aktuell die wohl meist diskutierten Erscheinungsformen der plattformgestützten Sharing Economy. Airbnb erlaubt es, bis jetzt schlafendes Kapital (das Gästezimmer, die nur sporadisch genutzte Zweitwohnung) zu mobilisieren, d.h. ohne große Auflagen an Urlauber*innen zu vermieten. Ein neuer Markt entsteht – doch zur Teilnahme bedarf es einem strategisch günstigen Immobilienbesitz. Niedriger sind da die Einstiegshürden für die Teilnahme am durch Uber neu dynamisierten Markt der individuellen Fahrdienste. Uber vermittelt Fahrdienste von A nach B. Die einzelnen Fahrer*innen sind zwar selbständig beschäftigt, stehen jedoch in einem mittelbaren Abhängigkeitsverhältnis zu Uber, denn die Plattform greift direkt in die Preise und damit in die Einnahmen der Fahrer*innen ein. Beide Plattformen sind Beispiele dafür, wie die Sharing Economy neue Märkte schafft, bzw. bestehende ausweitet und neu dynamisiert. Auch hier stehen sich die Verheißungen von Flexibilität und neuen Zusatzverdienstmöglichkeiten atypischer Beschäftigung (im Falle von Uber) und Ungleichheit verstärkenden Märkten (im Falle von Airbnb) gegenüber.
Von Click- und Crowdworker
Diese vielleicht marginal erscheinenden Phänomene haben jedoch zunehmend auch Konsequenzen für die Kernbelegschaften, die noch von geregelten Arbeitszeiten, gutem Einkommen und hoher Beschäftigungssicherheit profitieren. Denn in absehbarer Zeit werden digitale Plattformen auch genutzt, um Arbeit auszulagern. Große Unternehmen wie IBM, BMW oder McDonald’s nutzen Crowdsourcing-Plattformen, um Aufgabenpakete durch externe Arbeitskräfte (die Crowdworker) erledigen zu lassen. Die Aufträge, die auf solchen Plattformen zu vergeben sind, reichen von komplexen Programmieraufgaben bis zum Sichten und Sortieren von Exceltabellen (hier spricht man dann von Clickworker).
Das Crowdsourcing trägt zur radikalen Entgrenzung der Arbeit bei. Erstens ermöglicht es noch schlankere Unternehmen und die Auslagerung von Arbeitsaufträgen an externe Mitarbeiter*innen, wodurch die wirtschaftliche Unsicherheit immer weniger durch die Unternehmen abgefedert wird und ungefiltert auf die einzelnen Crowdworker wirkt. Zweitens eröffnet das Crowdsourcing einen ungebremsten internationalen Wettbewerb von Crowdworkers und Clickworkers. Das Beispiel einer Crowdsourcing-Plattform für Innenarchitektur (Maselli und Fabo 2015) zeigt die Ambiguität dieser Entwicklung. Auf CoContest können serbische Crowdworker mit ihren innenarchitektonischen Diensten ein durchaus für ihre Verhältnisse passables Einkommen erwirtschaften. Ihren italienischen Kolleg*innen bietet die Plattform die Möglichkeit, jenseits hoher Einstiegshürden erste Erfahrungen zu sammeln, ein geregeltes Einkommen, welches es ermöglicht, endlich auf eigenen Füßen zu stehen, jedoch nicht.
Fazit
Gute Arbeit im Sinne eines stabilen Arbeitsverhältnisses und gesichertem Einkommen riskiert in der Welt des Crowdsourcing rarer zu werden. Doch auch in den schlanken und innovativen Unternehmen riskieren die verbleibenden Insider der hochqualifizierten Stammbelegschaft einem erhöhten Wettbewerbsdruck und einer anhaltenden Beschleunigungstendenz unterworfen zu werden. Der Burn-out wird zum modernen Äquivalent des Maschinenunfalls des Industriezeitalters. Doch gerade dieser Blick in die Vergangenheit lässt Grund zur Hoffnung. So sind doch gerade soziale Errungenschaften wie Arbeitsschutz, Wohlfahrtsstaat und Sozialpartnerschaft als Reaktion auf die sozialen Fragen jener Zeit entstanden. Die klassischen Instrumente des demokratischen Wohlfahrtsstaats westlicher Prägung sind durch die Globalisierung, den sozialen wie technologischen Wandel zweifelsohne in Frage gestellt. Doch auch im 21. Jahrhundert wird es einer erneuerten Antwort auf die neue Soziale Frage bedürfen. u
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