- Medien
„Down the rabbit hole…“
… und wieder zurück?
Als ich es mir vergangenen Sommer auf einer Wiener Terrasse gut gehen ließ und mich, gemütlich ein Ottakringer-Bier schlürfend, neugierig umsah, fielen mir zwei Personen aus dem Augenwinkel auf. Ich wurde aufmerksam, doch versuchte zuerst, das Schauspiel nur unauffällig zu verfolgen, beobachtete, wie der junge Mann das Smartphone anhob und in Position brachte, und auf die junge Frau ihm gegenüber richtete. Den Rücken zu mir gedreht, hob sie die Kaffeetasse zu ihren Lippen, sah nachdenklich zur Seite und ließ den Blick ins Nirgendwo schweifen. Fast wollte sie die Tasse wieder absetzen, als aber irgendetwas nicht ganz zu stimmen schien. Also nochmal. In Position, Tasse hoch und … Klick. Ein wenig verdutzt sah ich weg, ich wollte nicht starren. Ich konnte den Blick dann aber doch nicht ganz abwenden und fragte mich in dem Moment, ob es sich hierbei um ein Exemplar dieser besagten Influencer handeln könnte. Es war mir fast so, als müsste nun jeden Moment David Attenboroughs Stimme ertönen und diese Darbietung mit geduldiger Stimme kommentieren.Ich erhielt jedoch keine Erklärungen und ein Gefühl der Verwirrung nagte an mir. Nach gut zweieinhalb Minuten und zehn Versuchen war der Prozess dann beendet und das Ablichten vom Melange-Trinken schien geglückt. Ich war mir nicht sicher, was sich soeben abgespielt hatte, doch ich wusste, dass es nur ein klitzekleiner Teil von etwas ganz Großem war.
Junkfluencer, Kidfluencer, Defluencer …: ein Anfang ohne Ende?
Als wir uns in der Redaktion darauf einigten, dieses Heft dem Thema der „Influencer“ zu widmen, schien es uns zu Beginn einleuchtend, dass die Planung eher reibungslos verlaufen würde. Denn jedem (oder sagen wir fast jedem) ist dieses Wort inzwischen ein Begriff. Man hört es überall wie ein Echo in der Medienlandschaft1 widerhallen und man begegnet diesen sogenannten (vermeintlichen oder tatsächlichen) „Influencern“, sobald man eine App wie Instagram oder YouTube öffnet (oder eben auf einer Wiener Terrasse ein Bier trinkt). Den Begriff zu kennen, setzt allerdings, wie man weiß, nicht voraus, dass man dessen Bedeutung auch kennt oder versteht. Zu dieser Erkenntnis mussten wir in der Redaktion dann leider auch kommen, nachdem wir die Köpfe zusammengesteckt, Vermutungen angestellt und emsig spekuliert hatten und die Fragezeichen sich in den Gesichtern doch nur häuften. Dass uns eine klare Definition des „Influencers“ entgleiten würde, damit hatten wir nicht gerechnet und uns wurde bewusst, wie sperrig, umfangreich und verworren dieses Thema in Wirklichkeit war.
Immer wieder werden Versuche unternommen, Definitionsansätze zu schaffen, Kategorisierungen vorzunehmen und Ordnung in das Chaos zu bringen.
Auch für viele andere bleibt das Phänomen der „Influencer“ sowie dessen Ausmaß immer noch schwer greifbar. Was oder eher wer konsumiert wird (und wieso), das ist sehr divers und hängt von zahlreichen Variablen ab. Und wie rasant dieses Phänomen sich weiterentwickelt und chamäleonartig unterschiedliche Facetten annimmt, stellen auch diejenigen fest, die sich intensiv mit besagten Entwicklungen beschäftigen. Immer wieder werden Versuche unternommen, Definitionsansätze zu schaffen, Kategorisierungen vorzunehmen und Ordnung in das Chaos zu bringen. So zum Beispiel auch die PR-Agentur OSK, die 2018 in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Concept M eine Studie zu den psychologischen Grundlagen des Influencer-Marketings veröffentlichte und zu einem Entwurf von insgesamt sechs Kategorien von Influencern kam.2 Von den „Stil-Inspiratoren“, deren Content zu Lifestyle, Fashion, Essen und Reisen den Konsumenten tagträumen lässt, über die „Coaches“ und „Experten“, die als „Mikro-Influencer“ ganz gezielt Nischeninteressen bedienen, bis hin zu den „Selbstdarstellern, Unterhaltern“ sowie den „Missionaren“: Vorbilder mit bestimmten Idealen aus Alltag, Politik und Lebensführung, bei denen die Follower das Gefühl haben, an besonderen Wahrheiten teilzuhaben. Dies könnte auch der Ansatz einer Erklärung dafür sein, wieso dieses Konzept der Influencer überhaupt funktioniert und was sie so attraktiv macht. Sie sind durch ihre Online-Inhalte ständig verfügbar, man sieht ihre Gesichter zwischen denen von Freunden und Bekannten und je nachdem kann man sogar mit ihnen interagieren: Das alles erzeugt ein Gefühl von Nähe und Familiarität. Damit scheinen zum Teil Grundbedürfnisse abgedeckt zu werden: Die Influencer vermitteln den Eindruck, Orientierung in einer modernen, teils zu komplexen und unsicheren Welt geben zu können. Trotz (oder vielleicht gerade wegen) des stark entfalteten Individualismus des modernen Menschen nimmt das Streben nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu.3 Entfremdungsgefühle durch die Omnipräsenz der Digitalisierung führen zu Identitätssuche und wer weiß schon, wem man auf dieser Suche alles begegnen kann …

Von Grinsekatzen, Hutmachern und Herzköniginnen
Mir persönlich scheint es immer ein bisschen so, wenn ich mich in die Tiefen und Weiten der sozialen Netzwerke wage, als würde ich wie Alice in den Kaninchenbau hinunterrutschen. Die sozialen Medien können zahllose sonderbare Dinge und Kreaturen hervorbringen, es lauern Wunder und Gefahren an jeder Ecke, aber vor allem wirkt alles in diesem Reich surreal. Es ist ein Raum zwischen Fiktion und Realität, in welchen man bei Bedarf eintauchen, sich (dem Anschein nach) frei bewegen und umschauen kann. Ein klarer Weg ist nicht gezeichnet und in den Weiten kann man sich schon mal verirren. Begegnet man dabei nun der friedlichen Wasserpfeife-rauchenden Raupe, hat man wohl kaum etwas zu befürchten. Von der zwielichtigen Grinsekatze, wenn auch etwas unheimlich, mag man die eine oder andere Lebensweisheit lernen. In der abgedrehten, aber liebenswerten Teegesellschaft von Märzhase, Hutmacher und Haselmaus muss man allenfalls mal mit einem fliegenden Teller oder einem Nonsens-Satz rechnen. Es wird langsam ein bisschen verrückt. Wenn dann aber die Herzkönigin parallel zum Croquet-Spiel den Drang verspürt, jemandem den Kopf abzuschlagen, dann wird’s ungemütlich.
Aber seien Sie unbesorgt: Sie können ohne Bedenken dem Kaninchen in dieses Dossier folgen. Gemeinsam werden wir uns an die Substanz des „Influencers“ herantasten und dieses Thema ein bisschen entwirren.
Trotz (oder vielleicht gerade wegen) des stark entfalteten Individualismus des modernen Menschen nimmt das Streben nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu.
Um einen Einblick in die Forschung zu bekommen, haben wir auf die akademische Expertise von Dr. Stéphanie Lukasik von der Universität Luxemburg zurückgegriffen, die in ihrem Artikel einen „Recul scientifique“ fordert und auf die zentralen Aspekte des Phänomens „Influencer“ aufmerksam macht. Sie zeigt, dass es sich bei einem sogenannten „Influencer“ (oder auch Content Creator) an erster Stelle nicht (nur) um jemanden handelt, der Produkte bewirbt, und gibt Erklärungen zu den historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, die zu der Entwicklung des Phänomens „Influencer“ beigetragen haben.
Wenn man an die potenziellen Gefahren von Internet, Social Media und Influencern denkt, was sicherlich mitunter eins der ersten Dinge ist, die einigen bei diesen Stichwörtern in den Sinn kommen, wandern die Gedanken zuerst zu den jüngsten Mitgliedern unserer Gesellschaft. Sara Andjelkovic, Lisa Gardin, Joana Majerus und Judith Reicherzer haben auf Eigeninitiative hin für forum eine Schüler-Umfrage mit insgesamt 271 Teilnehmenden im Lycée Aline Mayrisch durchgeführt, deren Ergebnisse nicht nur sehr wertvoll sind, sondern auch äußerst aufschlussreich, um die Motivationen und Beweggründe hinter dem Konsumverhalten von jungen Menschen besser verstehen zu können. Die Jugendlichen selbst auch zu Wort kommen zu lassen und ihre Perspektive auf die Dinge zu betrachten, kann dabei helfen, zu erkennen, dass man sie vielleicht nicht zu sehr unterschätzen sollte. Es bleibt allerdings weiterhin unabdingbar sowie eine große Verantwortung und Aufgabe, sie bestmöglich zu schützen. Das stellt auch Claire van Duin vom Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires in ihrem Artikel „Les médias sociaux et les jeunes“ unter Beweis. Sie plädiert, wie viele andere, für angemessene Präventionsmaßnahmen, um den Herausforderungen der sozialen Medien gewachsen zu sein, lässt dabei deren Chancen und denkbaren Vorteile aber auch nicht außer Acht. Das Stichwort „Prävention“, das A und O der Aufgaben von respect.lu, führt uns dann auch schon zum nächsten Beitrag von Mira Sorrentino, die dem Leser das Phänomen der parasozialen Beziehungen zu Influencern näherbringt und im Detail erklärt, inwiefern diese in Hinsicht auf deren Führungsposition als Meinungsbildner unentbehrlich sind. Und wie schnell die Grenzen zwischen Follower und Freund verschwimmen können.

Um etwas Distanz zum Reich der virtuellen Wirrungen und Wunder zu gewinnen und der Realität wieder etwas näherzukommen, haben wir mit dem Beitrag „5 Fragen an … Misch Strotz“ dem CEO und Mitgründer der Medienagentur und Software-Firma Neon Internet Fragen zur Luxemburger Marketing-Branche im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Content Creatorn gestellt und bereichernde Einblicke erhalten. Beim Interview-Format verbleibend, haben wir neben dem marktwirtschaftlichen noch einen weiteren nicht wegzudenkenden Aspekt des Heftthemas im Dossier integriert, und zwar den rechtlichen Rahmen. Wir haben uns nämlich gefragt, wie es mit den gesetzlichen Gegebenheiten und der Medienregulierung im Hinblick auf Vlogger, Blogger, Influencer und co. spezifisch hierzulande aussieht. Der Präsident der Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel Thierry Hoscheit und die Juristin Catia Monteiro stellten sich forum für ein Gespräch zur Verfügung.
Die Youtube-Content Creatorin und Linguistin Leslie Schmit, die uns engagiert in einer Redaktionssitzung bei der Themenrecherche für vorliegendes Heft unter die Arme griff, als es noch in den Kinderschuhen steckte, erklärte sich dazu bereit, auch einen Beitrag zu verfassen. In ihrem Text mit dem Titel „D’Muecht vun der Ästheetik“ schreibt sie über radikale Lebensvorstellungen in Online-Subkulturen und hat sich dafür auf den besonders in Amerika populären Trend der sogenannten tradwives konzentriert.
Zu guter Letzt war es für uns ebenfalls von großer Wichtigkeit, die Sicht auf die Dinge von Seiten der Akteure, hier sollte der Begriff „Influencer“ eher mit Vorsicht und Bedacht verwendet werden, zu beleuchten. Dafür haben wir fünf Luxemburger Content Creatorn das Beantworten von jeweils fünf persönlichen Fragen zu ihren Inhalten und Erfahrungen, ihrem Werdegang sowie ihrer Selbstwahrnehmung in Auftrag gegeben. Melody Funck, auch noch „la fille aux robes“ genannt, zieht die Aufmerksamkeit des Zuschauers mit ihren schillernden, eleganten Kleidern auf sich. Almin Hrkic, vielleicht besser bekannt unter seinem Usernamen Mood.Luxembourg, produziert Content zur Luxemburger Food- und Lifestyleszene. Yannick Iannelli sorgt anhand von Comedy-Sketches und dem Schlüpfen in unterschiedliche Rollen im Netz für Unterhaltung. So auch Daniel Moutinho, der mit seinem Alter Ego Joss den Hellen auch außerhalb der Social-Media Plattformen an Stand-up Abenden auf der Bühne steht. Der Fünfte in der Reihe ist der in Luxemburg durch seine Wetterprognosen bekannte Philippe Ernzer, auch als Météo Boulaide bekannt.
Hören Sie das? Ist das etwa … das Ticken einer Uhr? Tick tack, tick tack, tik tok …
1 In dem zweimonatigen Zeitfenster der Heftproduktion wurde ich netterweise immer wieder fleißig von Redaktionsmitgliedern mit Artikeln mit Schlagzeilen wie „Konzerne wenden sich von Top-Influencerin ab“ (Luxemburger Wort vom 9. Januar 2024, S. 36) oder „Werbung für Ungesundes: foodwatch kritisiert Influencer“ (de Konsument 01/2024, S. 21) beliefert, was dies unterstreicht.
2 https://tinyurl.com/6typen (zuletzt aufgerufen am 01.03.2024)
3 Für eine weiterführende Lektüre empfehle ich Andreas Herteuxs Artikel „Willkommen in der Welt des Homo Stimulus“ in der Frankfurter Rundschau vom 26.11.2020. https://tinyurl.com/stimulu5 (zuletzt aufgerufen am 01.03.2024).
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