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Ein Service Provider namens „Staat“
Interview mit Paulette Lenert, Coordinatrice générale im Ministère de la Fonction publique
Interview mit Paulette Lenert, Coordinatrice générale im Ministère de la Fonction publique
Kleinstaaten wie Luxemburg müssen trotz ihrer geringen Größe ähnliche Aufgaben wie Großstaaten erledigen. Wie sehen Sie die Ausstattung des Luxemburger Staates im Vergleich zu den kleinen Nachbarn?
Paulette Lenert: Im internationalen Vergleich ist das Staatswesen in Luxemburg recht schlank strukturiert. Die Zahl der Beamten wie auch die Führungsebene bleibt trotz stets wachsender Herausforderungen durchaus überschaubar. Eine eher unkomplizierte Verwaltungsstruktur mit nur zwei Ebenen, der lokalen und der nationalen, ist nicht nur eine gute Voraussetzung für schnelles und flexibles Handeln: Sie erleichtert auch die in Luxemburg sehr ausgeprägte Nähe zu den Bürgern und Bürgerinnen sowie eine effiziente Einbindung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure.
Neben kurzen Wegen tragen sicherlich auch die drei offiziellen Sprachen Luxemburgs zur sogenannten „Andersartigkeit“ unseres Landes und unseres öffentlichen Dienstes bei. Ein mehrsprachiges Dienstleistungsangebot im Kontakt mit Behörden und Ämtern ist ein nicht unerheblicher Beitrag zur Attraktivität eines multikulturellen Landes. Darüber hinaus erleichtert die Mehrsprachigkeit einen offenen Blick über den Tellerrand, hin zu anderen Ländern und deren Ansätzen in Sachen Innovation. Unter dem Motto „voneinander lernen“ ist es oftmals möglich, interessante „best practices“ Beispiele aus dem Ausland unkompliziert auf unsere Bedürfnisse abzustimmen.
Welche Länder sind für Sie im Hinblick auf „best practices“ inspirierend?
P.L. : Erst kürzlich bot uns die 8. Europäische Qualitätskonferenz im Rahmen der Luxemburger EU Ratspräsidentschaft die Gelegenheit, 33 ausgewählte „best practices“ aus 20 Ländern in Esch Belval zu analysieren. Aus aktueller Luxemburger Sicht seien hier zum Beispiel die „wirkungsorientierte Steuerung“ der österreichischen Verwaltung hervorzuheben, eine Methode die dem Luxemburger „zielorientierten Management“ sehr ähnelt. Generell zeigen die dänischen Modelle, vom „design thinking“ inspiriert, eine sehr hohe und effektive Innovationskraft. Auch niederländische und finnische Beispiele zeigen sehr konkret, wie die Gestaltung des Dialogs
mit Bürgern und Personal zu gezielten Verbesserungen in Gestaltung und Resultat öffentlicher Dienstleistungen führen.
Eine pragmatische Verwaltung braucht …
P.L. : … flexible organisatorische sowie flexible rechtliche Rahmenbedingungen für einen amtlich einfachen und vor allem zielgerichteten Einsatz öffentlicher Mittel. Eine Verwaltung der kurzen Wege also, die sich vor allem als Dienstleister an der Gesellschaft versteht. Dazu gehört eine intelligente Automatisierung der Verwaltungsprozesse, also ein digitaler Ansatz mit und für die Menschen und nicht gegen sie. Die Herausforderungen einer Gesellschaft in beschleunigtem Wandel sind hoch. Eine pragmatische Verwaltung sollte deshalb in der Lage sein, sich diesen Herausforderungen nicht skeptisch oder angstvoll, sondern zuversichtlich und dynamisch zu stellen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die vor kurzem eingeführte wirkungsorientierte Steuerung im öffentlichen Bereich, nebst anfänglichen Anstrengungen und Hürden, die in der Regel immer mit einer Systemumstellung einhergehen, auf Dauer wesentlich zur Optimierung unserer Dienstleistungen beitragen wird: Wirkungsorientierung ist nämlich kein Selbstzweck. Sie hat das Ziel, die Arbeit der öffentlichen Verwaltung nachvollziehbarer und effizienter zu gestalten. Konkret und überprüfbar formulierte Ziele werden die Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern veranschaulichen und damit eine neue Basis schaffen für die Wertschätzung der erbrachten Leistungen. Da wir aus dem internationalen Vergleich wissen, dass die erfolgreiche Umsetzung der sogenannten „gestion par objectifs“ die bestmögliche Zusammenarbeit aller Akteure braucht, stimmt mich daher die unkomplizierte landestypische Art der kurzen Wege in diesem Zusammenhang eher optimistisch.
Welches Beamtenprofil wird hierfür gebraucht?
P.L. : Verfassungs- und Gesetzestreue, Verantwortungsbewusstsein sowie ein achtsamer Umgang mit allen Menschen müssen nach wie vor die Grundlage unseres Handelns bleiben. Darüber hinaus ist es aber gerade in einem so kleinen Land wichtig, die richtigen Fachkräfte gezielt zu mobilisieren. Wir brauchen Beamte mit Fachkompetenz, die die Bereitschaft aufweisen, ihr Wissen dauerhaft an die sich wandelnden Gegebenheiten anzupassen. Das Neue für sich nutzen, statt sich dagegen zu wehren und Interesse an aktuellen Trends und gesellschaftlichen Veränderungen zeigen, dies alles könnten zukunftsorientierte Merkmale eines zeitgenössischen Beamten sein.
Darüber hinaus sollte eigentlich jeder Beamte ein stetes Augenmerk auf die Sicht der Bedürfnisse und Empfindungen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen haben und sich bewusst dem Ziel einer besseren Zusammenarbeit widmen. Bedingt durch einen eher kleinen Arbeitsmarkt, ist die Personalbesetzung jedoch oftmals eine große Herausforderung.
… ein Problem, das zu einem potentiellen Personalmangel führt?
P.L. : In verschiedenen Berufslaubahnen erweist es sich in der Tat als immer schwieriger, das richtige Personal zu finden, insbesondere im technischen und wissenschaftlichen Bereich, z.B. Ingenieure in den höheren Berufslaufbahnen. Sogenanntes „Employer Branding“, ein Konzept aus dem Marketing, wäre eine Möglichkeit, die Attraktivität des Staates als Arbeitgeber zu erhöhen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Wie erklären Sie sich diesen Mangel?
P.L. : Diese Frage werden wir demnächst anhand einer mehrschichtigen Studie vertiefen: Mangelt es an Attraktivität gegenüber dem Privatsektor? Gibt es in Luxemburg nicht genügend passende Leute in der Ausbildung? Oder stellt der generelle Anspruch der Mehrsprachigkeit speziell in diesen Bereichen ein Problem dar? Eine konkretere Befragung auf der Ebene der Verwaltung sowie auch bei jungen Leuten wäre eine wichtige Grundlage für eine Politik, die diesem Trend entgegenwirkt.
Wie wichtig ist Fachwissen in einer „agilen Verwaltung“?
P.L. : Fachwissen auf aktuellstem Stand und eine solide Grundausbildung sind und bleiben unabdingbar. Eine rezente Studie (TNS Ilres Juni 2015) zeigt auf, dass wir zurzeit noch einen überaus guten Ruf in Sachen Integrität, Vertrauenswürdigkeit und Fachkompetenz haben. Die Herausforderung, diesen Standard zu wahren oder gar zu verbessern, wächst allerdings mit beachtlichem Tempo, da die Anforderungen, sowohl gesellschaftlicher als auch technischer Art, immer neue Handlungsfelder aufzeichnen. Diese zeitnah zu beleben entpuppt sich zum regelrechten Seiltanz, da es einerseits oftmals an den nötigten Fachkräften mangelt und andererseits nicht selten teils hartnäckige Beharrungstendenzen den Weg und das Denken für Neues versperren.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, kommen wir manchmal nicht umhin auf externe Akteure zurückzugreifen, ein Ansatz der oftmals auf Kritik stößt. Punktuelle Hilfe kann jedoch eine sehr geschickte Lösung sein, um akute, spezifische Bedürfnisse, die nur zeitlich begrenzt anfallen, abzudecken. In vielen Fällen würde eine unbefristete Einstellung auf lange Sicht nur wenig Sinn ergeben. Dies gilt insbesondere im IT-Bereich. Hier entwickelt sich die Technologie derart schnell, dass die Kompetenzen von heute schon morgen überholt sein können.
Sie reden von externen Akteuren, aus welchem Bereich stammen diese?
P.L.: Viele kommen aus dem Consulting Bereich im breitesten Sinne. Da die Bedürfnisse sehr unterschiedlich und auch vielfältig sind, ergibt sich kaum ein globales Muster. Wir arbeiten jedenfalls auch regelmäßig mit kleineren lokalen Akteuren.
Weiterbildung spielt eine wichtige Rolle angesichts des Tempos der Veränderungen. Welche Weiterbildung fördern Sie?
P.L. : Ein vielfältiges, auf Anfrage auch maßgeschneidertes Angebot, das sowohl den spezifischen Begebenheiten und Herausforderungen der einzelnen Verwaltungen, als auch den persönlichen Entfaltungswünschen des Einzelnen angepasst werden kann. Das sogenannte „Life long learning“ sollte zur Selbstverständlichkeit werden und das bis in die Chefetagen. Die Welt um uns herum ist in der Tat sehr schnelllebig. Da gilt es den Anschluss nicht zu verpassen. Ein Risiko, dem ja bekanntlich vor allem geschlossene Systeme stark ausgesetzt sind.
Kann die aktuelle Auswahlprozedur Kandidaten mit den geeigneten Kompetenzen identifizieren?
P.L. : Das Auswahlverfahren in Luxemburg beruht zurzeit noch sehr stark auf Wissensabfrage. In der Vergangenheit gab es kein Internet und Wissen war deshalb wichtig, weil es schwerer zugänglich war. Heute braucht man andere Kompetenzen und das aktuelle Auswahlverfahren geht in diesem Zusammenhang nicht weit genug. Obwohl die rezente Reform gute Rahmenbedingungen für ein gezielteres und den Ansprüchen der jeweiligen Verwaltung angepasstes Auswahlverfahren bietet, bleibt in diesem Bereich doch noch viel zu tun.
Ihre Wünsche für die Zukunft?
P.L. : Da Heute bekanntlich das Gestern von Morgen ist, finde ich es wichtig auch junge Leute in die Gestaltung unserer öffentlichen Dienstleistungen einzubinden. Der Staat ist kein geschlossenes System. Die Verwaltung bewegt sich mit als eines der Fundamente unseres Gemeinwohls. Sie steht damit mitten im Leben und trägt die große Verantwortung bestmögliche Qualität für ein bürgernahes, zukunftsorientiertes Dienstleistungsangebot zu bieten. Reformunlust müsste deshalb im öffentlichen Bereich eigentlich ein Unwort sein.
Danke für das Gespräch!
Das Gespräch wurde am 8. Dezember 2015 von Kim Nommesch geführt.
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