Ein Survival-Guide für unseren Planeten: „Earth for All“

Der neue Bericht an den Club of Rome –  50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“

Earth for All bringt aktuelle Diskurse und Forschungsergebnisse zu sozialen Fragen, Naturverbrauch und Umweltkrisen zusammen. Anstatt „Zu wenig zu spät“ hält der Bericht den „großen Sprung“ Richtung sichere und wohlhabende Zukunft für alle Menschen auf diesem Planeten für möglich. Dabei gelten fünf außerordentliche Wendepunkte als unabdingbar, um das Wohlergehen aller Menschen zu fördern und gleichzeitig den Planeten zu schützen.

Im Vorfeld des allerersten Umweltgipfels der Vereinten Nationen 1972 in Stockholm verfasste eine Gruppe von Wissenschaftlern im Auftrag des Club of Rome den Bericht Die Grenzen des Wachstums. Die Autoren erklärten, dass die begrenzten natürlichen Ressourcen der Erde kein ewiges Wachstum zulassen würden. Sie befürchteten, dass es einen ökologischen Point of no return und einen Zusammenbruch der Gesellschaften geben würde, wenn sich die Welt nicht über die Umweltkosten der menschlichen Aktivitäten im Klaren wäre. Dem Bericht zufolge werde die Welt, wenn sich der Kurs nicht ändert, bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts mit einem radikalen Rückgang der Nahrungsmittel- und Energieversorgung, einer zunehmenden Umweltverschmutzung, einem sinkenden Lebensstandard und der Möglichkeit dramatischer Bevölkerungszusammenbrüche rechnen müssen. Obwohl der Bericht zu einem Bestseller wurde, wurden seine dramatischen Schlussfolgerungen in den folgenden Jahrzehnten insgesamt eher kritisiert als begrüßt. Viele taten sie als apokalyptisches Szenario ab, das durch den menschlichen Einfallsreichtum und den technologischen Fortschritt widerlegt werden sollte. Die Autoren stellten damals jedoch keine Prognose auf, sondern untersuchten vielmehr mehrere Szenarien, die auf menschlichen Strategien basierten. In seinen Grundannahmen wurde Die Grenzen des Wachstums im Lauf der Jahre immer wieder wissenschaftlich bestätigt. Diese Bestätigung ist zutiefst beunruhigend, da zwei Szenarien des Berichts auf einen größeren Zusammenbruch bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts hindeuten, während das dritte einen weniger starken Rückgang andeutet. Das vierte Szenario, das große wirtschaftliche und soziale Veränderungen ankündigt, beinhaltet überall gewisse Verbesserungen des menschlichen Wohlergehens, wobei die natürlichen Grenzen des Planeten respektiert werden.

Dies ist die Hoffnung, die hinter Earth for All steht, einem neuen Bericht, der von der Club of Rome Commission for Transformational Economy und einem Team von Computermodellierern erstellt wurde. 50 Jahre nach den Grenzen des Wachstums geht dieser Bericht davon aus, dass Wohlstand für alle auf einem relativ stabilen Planeten noch immer möglich ist, dass dafür aber mehrere große Veränderungen in der Wirtschaftsorganisation notwendig sind. Der Bericht enthält außerdem die Ergebnisse einer globalen Modellierung, die sich speziell auf zwei Szenarien konzentriert. 

Das erste Szenario mit dem Titel „Too Little Too Late“ entspricht unserem derzeitigen Kurs, bei dem Regierungen und internationale Institutionen zwar ständig von Nachhaltigkeit und Klimawandel reden, aber keine wirklich transformativen Maßnahmen ergreifen. Dieses Szenario führt zu immer größeren Ungleichheiten und einer Erosion des sozialen Vertrauens, da sich Menschen und Staaten im Wettbewerb um Ressourcen gegeneinander wenden. Ohne ausreichend kollektive Maßnahmen zur Verringerung des immensen Drucks auf die Natur werden sich die Systeme, die das Leben auf der Erde sichern (einschließlich Klima, Wasser, Böden und Wälder), weiter verschlechtern, und einige Regionen werden sich unumkehrbaren Kipppunkten nähern oder diese sogar überschreiten. Für viele Menschen, die bereits in Armut leben, wie auch für viele andere Arten ist genau das die Hölle auf Erden, die sich ankündigt.

Im zweiten Szenario stehen Vorschläge, die einen Giant Leap, einen wirklich großen Sprung, bedeuten, ganz oben. Sie katapultieren uns in ein neues Paradigma und zielen auf die Verbesserung des Wohlergehens: Es sei entscheidend, sich für die Würde einzusetzen (jeder soll sich leisten können, sicher und gesund zu leben), für die Natur (eine wiederhergestellte und sichere Umwelt für alle Lebensformen), für die Gerechtigkeit (eine Verringerung der Kluft zwischen den Wohlhabenden und den Benachteiligten) und für die Teilhabe (Bürger, die sich aktiv engagieren). 

Damit dieses zweite Szenario eintreten kann, nennt der Bericht fünf große außerordentliche Kehrtwenden als unverzichtbare Grundlage für eine resilientere Zivilisation: die Beendigung der Armut, die Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, das Empowerment der Frauen, den Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems sowie den Übergang zum Einsatz sauberer Energie.

Beendigung der Armut: Wichtig sind die Reduzierung von Investitionsrisiken in einkommensschwachen Ländern sowie Schuldenerlässe. In armen Staaten soll das Bruttoinlandsprodukt jährlich um fünf Prozent steigen, bis es 15.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr erreicht hat. Außerdem sollen Staaten in Grundeinkommen und Gesundheit investieren.

Beseitigung der Ungleichheit: Heute leben acht Milliarden Menschen auf unserem Planeten, davon verbraucht die reichste Milliarde 72 Prozent der Ressourcen, die ärmste Milliarde nur ein Prozent. Reiche Menschen sollen mehr Steuern zahlen – auch Vermögenssteuer. Es müssen finanzielle Schlupflöcher geschlossen und der Geldabfluss in Offshore-Steueroasen eingedämmt werden. Den reichsten zehn Prozent einer Bevölkerung soll nicht mehr als 40 Prozent des Nationaleinkommens zustehen.

Empowerment der Frauen: Es muss viel in Bildung investiert werden. Die Gleichheit der Geschlechter muss gesetzlich verankert sein. Absolute Gleichberechtigung der Frauen muss sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Leben gelten. Außerdem soll die Gleichberechtigung der Geschlechter auch in Rentensystemen integriert werden.

Nahrungsmittel-System: Nahrung soll für den Menschen gesünder werden und in ihrer Produktion ressourcenschonender sein. Die Lebensmittelproduktion soll stärker lokal stattfinden. Auch Landwirtschaft und Fischerei müssen auf ökologischere Produktion, mehr Tierwohl und den Einsatz umweltfreundlicherer Techniken umstellen.

Saubere Energien: Halbierung der globalen Treibhausgasemissionen alle zehn Jahre ab 2020, um bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen. Energie muss gespart und Energieeffizienz gefördert werden. Erneuerbare Energien wie Solar-, Wind-, oder Wasserenergie sollen fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Gas ersetzen. Speicherkapazitäten müssen erhöht werden.

Die Earth for All-Initiative empfiehlt außerdem den Aufbau einer Gemeinwohl-Ökonomie mit neuen Wirtschaftsindikatoren, die bessere Ergebnisse für die Menschen und den Planeten liefern und die in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungsfindung gestellt werden sollten: Der „Wohlergehensindex ist ein Gegenentwurf zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), dem Indikator des wirtschaftlichen Fortschritts, der fälschlicherweise zur Abbildung des menschlichen Wohlergehens genutzt wurde und wird.“ (S. 49)

Zentral im Bericht ist auch das Thema Ungleichheit: sowohl zwischen armen und reichen Ländern wie auch innerhalb der Gesellschaften. Die zunehmenden sozialen Spannungen, die das Earth for All-Modell als Indikator einführt, resultieren aus der berechtigen Angst der Armen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren, und der Macht der wenigen Superreichen, die längst das demokratische Gemeinwesen zerfrisst. Deswegen folgern die Autoren des Berichtes, dass ohne außergewöhnliche Maßnahmen zur Umverteilung des Reichtums in den nächsten 50 Jahren Gesellschaften derart dysfunktional würden, dass sie kaum in der Lage seien, existenzielle Bedrohungen wie den Klimawandel anzugehen. Diese Umverteilung soll einen großen Beitrag dazu leisten, die Polarisierung zu verringern und das Vertrauen und die Legitimität zu schaffen, die Regierungen brauchen, um den Riesensprung zu wagen.

Eine interessante Idee aus dem Bericht ist die Schaffung eines Bürgerfonds, um Ungleichheit zu bekämpfen, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und ein Sicherheitsnetz für die am stärksten von wirtschaftlichen Schocks Betroffenen zu schaffen. Das funktioniert so: „Industrien leisten eine Zahlung für die Nutzung gemeinsamer Ressourcen aus dem Pool der Gemeingüter (Commons), die in einen Bürgerfond fließen. Beispiele dafür können die Nutzung oder der Besitz von Land, Finanzvermögen, geistigen Eigentumsrechten (IPR), fossilen Brennstoffen, Verschmutzungsrechten sein, oder der Abbau von Stoffen, die sich als Ressource im Besitz aller Angehörigen der Gesellschaft befinden. Diese Einkünfte werden dann allen Bürgerinnen und Bürgern eines Landes zu gleichen Teilen zurückgegeben.“ (S. 68) Die Earth for All-Umfrage über die Einstellung zur Transformation ergab, dass in den G20-Ländern 74 % der Menschen einen Wandel der Wirtschaftssysteme befürworten, der über den alleinigen Fokus auf Profit und Wachstum hinausgeht und stattdessen die Gesundheit und den Planeten mit einbezieht.

All diese Ziele werden natürlich nicht leicht zu erreichen sein. Breit angelegte und nachhaltige Fortschritte beim Wohlstand erfordern Regierungen, die entschlossen sind, die Märkte neu zu gestalten und eine langfristige Vision für die Gesellschaften zu verfolgen. Dies wiederum erfordert sowohl politischen Willen als auch große Veränderungen in der Wahrnehmung der Regierungen – Veränderungen, die ohne erheblichen öffentlichen Druck und Massenmobilisierung unwahrscheinlich sind. Earth for All ist nicht einfach nur ein Bericht, sondern ein Aufruf zum Handeln. Der neue Bericht des Club of Rome ist eine Pflichtlektüre für all jene, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung tragen oder übernehmen wollen. Das sollten sich auch die Parteien Luxemburgs bei der Aufstellung ihrer Wahlprogramme zu Herzen nehmen!

 


Norry Schneider ist Koordinator des CELL (Centre for Ecological Learning Luxembourg – Transition Hub für Luxemburg) und außerdem Mitglied des Luxemburger Nachhaltigkeitsrats.


Club of Rome (Hg.),

Earth for All – Ein Survivalguide für unseren Planeten,

München, oekom Verlag, 2022, 256 S., € 25,-.

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