Gewogen und für zu schwer befunden. Gleich einem Gewichtheber, dem beim Stemmen der Hantel die Kräfte versagen, haben unsere Abgeordneten das Prestigeprojekt einer „modernen Verfassung für das 21. Jahrhundert“ mit dumpfem Knall fallen lassen. Erschrocken flackerten die künstlichen Kerzen am Kronleuchter auf, doch der dicke Teppichboden der Chamber hat’s locker geschluckt. Es bleibt bei der zum Esprit des Hohen Hauses passenden ästhetisch-stilistischen Einheit von aristokratischem Interieur und 1868er Konstitution. Auch die 29 neuerlichen Update-Patches, auf die sich die Verfassungsgeeks der Parteien jetzt scheinbar verständigt haben, können dem nichts anhaben.
Strukturkonservative Gemüter mögen sich also beruhigt zurücklehnen. Sie dürfen davon ausgehen, dass die Luxemburger bis auf weiteres vollkommen unfähig sind, eine Revolution vom Stapel zu lassen. Sicher, triftige Gründe für den revolutionären Umsturz bestehender Verhältnisse im Land gibt es derzeit nicht. Gäbe es sie dennoch und lehnte sich das demokratisch gesinnte Volk z.B. gegen Autokratie, Plutokratie oder Theokratie auf, würde das Vorhaben spätestens dann scheitern, wenn, wie das bei Revolutionen üblich ist, das alte Regime durch eine neue Verfassungsordnung ersetzt werden müsste. Zu schwer, zu umständlich, zu kompliziert.
Erinnern wir uns an den Frühsommer 1999. Die Politik in Luxemburg war, wie die restliche Menschheit, vom Millennium-Fieber erfasst. Parallel zum mythisch verklärten Jahr 2000 kündigte sich der großherzogliche Thronwechsel an. In der letzten Chambersitzung vor den Wahlen beschwor ein pathetischer Jean-Claude Juncker die Notwendigkeit einer „modernen Verfassung für das 21. Jahrhundert“. Zur Krönung des Ganzen sollte das neue Grundgesetz vom Volk per Referendum angenommen werden.
Eigentlich kam der Plan 80 Jahre zu spät. Denn schon 1919, als eine Staatskrise das Land erschütterte und revolutionäre Heißsporne kurzzeitig die Republik ausriefen, hätte es einer „modernen Verfassung für das 20. Jahrhundert“ bedurft. Wie das? Nun, in den Augen ihrer Untertanen hatte sich die abdankende Großherzogin Marie Adelheid nicht nur wegen Deutschfreundlichkeit während des Ersten Weltkriegs diskreditiert. Die ständig aufflammenden Konflikte zwischen Krone und Parlament – Einflussnahme auf die Regierungsgeschäfte, Auflösung der Chamber, Verweigerung der Unterzeichnung des Schulgesetzes, (Nicht-)Ernennung von hohen Staatsdienern usw. – waren Marie Adelheids keineswegs eigenwilliger, weil wörtlicher Interpretation des Verfassungstextes von 1868 geschuldet, der ihre konstitutionellen Prärogativen formulierte. In scharfem Gegensatz dazu stand die damals erste Blüten treibende „pragmatische“ Interpretation durch die politische Klasse. Demnach war die 1868er Verfassung bereits 1919 überlebt.
Dass sich beim Referendum vom 28. September 1919 eine satte Mehrheit von 80,3% für die Beibehaltung der Monarchie aussprach, wird bis heute als Argument für die demokratisch verbriefte Legitimierung der bestehenden Staatsform geltend gemacht. Obschon: Ist das nicht ungefähr so, als wenn man sich im Jahr 2115 auf ein hundertjähriges Referendum zur Ablehnung des Ausländerwahlrechts berufen würde?
Gäbe es in diesem Land also tatsächlich so etwas wie demokratische Courage, hätten die Regierenden im Vorfeld der Verabschiedung des jetzt versenkten Jahrhundertwerks eine fundierte Debatte über zeitgenössischen Sinn und antiquierten Unsinn unserer Monarchie mit anschließender Volksbefragung lanciert. Je nach Beantwortung dieser präjudiziellen Frage hätten sodann beim finalen Referendum selbst hartgesottenste Republikaner in demokratischer Einmütigkeit der neuen Verfassung mitsamt Monarch als Staatschef zustimmen können. Die Nassauer hätten für die nächsten hundert Jahre Ruhe gehabt.
Soll uns der jüngste Akt der Selbstverzwergung unserer Deputierten nun in fatalistische Lethargie stürzen? Ist der Traum eines weltoffenen, inklusiven Verfassungspatriotismus à la luxembourgeoise endgültig ausgeträumt? Mitnichten! Es gibt Auswege.
1. Wir holen Juncker zurück. Er wird einen Verfassungskonvent mit den Besten der Besten einberufen. Aus dieser hochproduktiven Dunkelkammer wird ein hieb- und stichfester, druckreifer, exemplarischer Verfassungstext hervorgehen.
2. Wir lagern an die Big Four aus. Sie haben Expertise in New Constitutionalism und wissen somit am besten, was dieses Land braucht: eine Verfassung im Dienste von Wachstum und Wohlstand.
3. Wir hoffen auf bessere Zeiten. Sofern die Sterne gut stehen, ist der/die Paul(e)-Henri(ette) Meyers des 22. Jahrhunderts in der Tat schon geboren.
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