Eine Prise Exzentrik kann nicht schaden
Handelt es sich bei Diplomaten um einen besonderen Menschenschlag?
Allenfalls über Mitarbeiter der diversen Geheimdienste aller Länder kursieren noch mehr Klischees als über jene höher-rangigen Beamten der diversen Minis-terien für auswärtige Angelegenheiten. Wobei Schlapphüte gelegentlich die Identität von Diplomaten annehmen, um als Kultur- oder Wirtschaftsattaché in einer Botschaft Freund und Feind auszuhorchen. Genau das tut ein guter Diplomat auch: Er horcht die Gäste aus, mit denen er bei den zahlreichen Empfängen, an denen er Tag für Tag klaglos teilnimmt, spricht. Er tut dies allerdings so, dass die Gesprächspartner selbst dies gar nicht merken, sondern ihrem Ehegespons nach der spätabendlichen Rückkehr von diesem charmanten Gast berichten, der so nett bei Schampus und Schnittchen über das eigene Tagesgeschäft zu parlieren verstand und sich noch für jede Kleinigkeit zu
interessieren wusste.
Dieser Versuch einer Analogie ist natürlich völliger Quatsch und entspricht den besagten Klischees, die leider immer noch weitverbreitet sind, wenn die Rede auf das wahre Wesen der Diplomaten kommt. Die Wahrheit ist eine ganz andere. Diplomaten genießen höchste Wertschätzung in Wirtschaftskreisen, etwa bei den weltweit tätigen Umzugsfirmen. Sie müssen etwas von einer rastlosen Seele besitzen, ansonsten würden sie kaum ihren Familien
zumuten, alle paar Jahre nicht nur die eigenen vier Wände, sondern gleich den Wohnsitz, die inzwischen liebgewonnene zweite Heimat und womöglich gar den Kontinent zu wechseln. Nun gut, dafür haben sie Freunde in aller Welt, auch wenn sie ihren Bekanntenkreis regelmäßig austauschen und neu zusammenstellen müssen. Ihre Kinder haben bei Erreichen der Volljährigkeit im Schnitt mehr Schulen besucht als Auflagen der Schueberfouer, sprechen eine Vielzahl fremder Idiome, dafür mit den Großeltern meist nur über Skype oder welche App gerade in ist. Bei aller Begeisterung, alle paar Jahre ein neues Umfeld zu entdecken, können sich die wiederkehrenden Umstellungen zur Belastung auswachsen, gerade dann, wenn der Diplomatenpartner ebenfalls Karriere machen möchte …
Selbstverständlich hat der Beruf auch seine angenehmen Seiten, gerade wenn man den Botschafterrang erreicht hat. Nicht jeder Beamtenjob kommt mit einer großräumigen Wohnung oder einem hübschen Anwesen daher, einer Brigade von Haushaltshilfen, die das Leben in der großräumigen Wohnung oder dem hübschen Anwesen erst lebenswert macht, und auch der botschaftseigene Wagen samt Chauffeur lässt einen gnädiger auf den schlecht organisierten öffentlichen Verkehr mancher Hauptstadt schauen. Andererseits: Man ist der Vertreter der eigenen Regierung in einem fremden und oftmals fernen Land, da drängt sich ein standesgemäßer Auftritt bei den beruflichen Aktivitäten auf. Weil die Landung im Alltag nach der Rückkehr in die Heimat vergleichsweise hart sein kann, bleibt mancher Diplomat, so er es einrichten kann, so lange wie möglich „draußen“ — auch wenn er auf diese Weise den Öberblick über die Realität in dem Land, das er „draußen“ vertritt, vielleicht etwas zu sehr aus den Augen verliert.
Allerdings wissen sich die meisten Botschaftsräte dank ihrer außergewöhnlichen Intelligenz schnell an die neuen Verhältnisse anzupassen. Diplomaten sind eher kluge Köpfe und gehören meist zu den Besten ihres jeweiligen Jahrgangs. Müssen sie auch, bei den anderen Vertretungen ist es nicht anders, und wer will sich schon bei Verhandlungen ohne intellektuelle Gegenwehr über den Tisch ziehen lassen. Deshalb parlieren diese Beamten mitunter einen Diplomatensprech, der für Außenstehende zunächst unverständlich bis einigermaßen sinnfrei erscheint. Ganz im Sinne des wunderbar verschwurbelten Satzes Frank-Walter Steinmeiers, der das Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren auf keinen Fall mit einem Völkermord gleichgesetzt sehen mochte: „Man kann das, was damals geschehen ist, in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen“. Kann man in der Tat …
In der Regel sind Diplomaten sehr flexibel in geistigen Fragen: Noch aus dem Stegreif vermögen sie jeden Standpunkt zu vertreten und zu verteidigen — und natürlich ebenso sein Gegenteil. Der Humorist Pol Pütz hat dies einst mit einem wunderbaren Vierzeiler auf den Punkt gebracht: „Vill geschwat an näischt gesot, / ‘t ass een Affekot! / Näischt gesot a vill geschwat, / ‘t ass een Diplomat!“ Bei Bedarf können Diplomaten selbstverständlich hartnäckig sein und knallhart agieren (Rechtsanwälte im Öbrigen auch). Bei zähen Verhandlungen über einen noch so nichtigen Resolutionsentwurf kann schon mal um ein einzelnes Komma gekämpft werden, als hinge der Weltfrieden davon ab, allerdings weniger um Standfestigkeit zu beweisen oder eine inhaltliche Nuance herauszuarbeiten, die mit der An- bzw. Abwesenheit des filigranen Satzzeichens einherginge, sondern weil die Eitelkeit des engagierten Diplomaten auf diese Weise zu ihrem Recht käme.
Alles Klischees, wie gesagt. Auch jenes, wonach Diplomaten tagsüber manchmal abgehoben wirken mögen, kühl und arrogant, übertrieben steif in ihrer Haltung und überhaupt reichlich exzentrisch, während sich nicht wenige unter ihnen nach Dienstschluss in absolut lebenslustige Zeitgenossen verwandeln, die großartig Klavier spielen oder nebenbei ein Doktorat in Quantenphysik machen und überhaupt sehr gebildet und weltoffen sind sowie vielseitige kulturelle Interessen verfolgen. Und ihr Benehmen in der Öffentlichkeit ist, von seltenen Ausnahmen abgesehen, tadellos zu nennen. Ihren Knigge beherrschen sie aus dem Effeff. Beim offiziellen Abendessen lümmelt der Diplomat selbstverständlich nicht auf seinem Stuhl, sondern sitzt eine Handbreit von der Rü-ckenlehne entfernt, und sollte er wider Erwarten das überdimensionierte Salatblatt mit dem Messer kleinschneiden, handelt es sich bei Ihrem Sitznachbarn vermutlich nicht um einen veritablen Diplomaten, sondern um ein rangniederes Mitglied irgendeines Geheimdienstes, womöglich ein Kultur- oder, Gott behüte, ein
Wirtschaftsattaché … u
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