Unter dem Titel „UNexpected Treasures“ präsentiert das Naturmuseum im Auftrag des Premier- und Kulturministers und des Staatssekretärs für Kultur noch bis zum 26. August 2018 eine Ausstellung, die das Ziel hat, „die Schätze des luxemburgischen Kulturerbes, die aus kostbaren und wissenschaftlichen Objekten bestehen“, der Öffentlichkeit zu präsentieren (Arendt & Bettel, 2018, p. 3). Anlass für die Schau ist das europäische Jahr des Kulturerbes 2018.

Über die Entstehung von Kultur- und Naturerbe wird seit geraumer Zeit weltweit viel diskutiert. 2010 gab der Kulturanthropologe Helmut Groschwitz eine pragmatische Definition des Begriffs, indem er Kulturerbe beschrieb als „etwas Neues, das entsteht, wenn eine vorhandene kulturelle Objektivation als Kulturerbe identifiziert, untersucht, beschrieben und attribuiert wird.“ Er unterstrich dabei, dass „das jeweilige ‚Kulturerbe’ von einer deklarierenden Gemeinschaft abhängig ist, [die] diese Deutung teilt und anerkennt, selbst wenn sie diese nicht als für sich relevant annimmt.“ (Groschwitz, 2014, p. 76) In seiner Promotionsarbeit über das Kulturerbe als Metaerzählung ergänzte er 2014, dass in Texten zur Begründung dessen, was als Kulturerbe angesehen wird, häufig auf die Begriffe „Identität, Gemeinschaft, Tradition, Bedeutung“ zurückgegriffen wird (Groschwitz, 2014, p. 78).

Im Folgenden soll untersucht werden, welche Vorstellung des Luxemburger Kulturerbes das staatliche Großprojekt konstruiert, wie die Verantwortlichen dabei vorgegangen sind und welche Aussage die Ausstellung über das politische Verständnis der kulturellen Identität des Landes trifft.

Die Gliederung der Schau im Naturmuseum liest sich wie ein Auszug aus der Liste des potentiellen Weltkultur- und Naturerbes aus dem Jahr 1972, ergänzt mit Beispielen aus dem 2003 hinzugefügten schützenwerten immateriellen Kulturerbe. Ein Ausstellungskapitel ist militärischen Denkmälern gewidmet, ein anderes beschäftigt sich mit natur- und geisteswissenschaftlichen Werken, gefolgt von Abteilungen für historische Zeugnisse und Spuren des Luxemburger Naturerbes. Auf einer beträchtlichen Fläche greift die Schau Sprache, Literatur und Traditionen des Landes auf. Ein kleines, dem „Nation-Branding“ aus historischer Perspektive gewidmetes Kapitel fällt aus dem thematischen Rahmen.

Diese konzeptionelle Struktur, die von der Gestaltungsabteilung des Naturmuseums mit Ausstellungskompartimenten räumlich umgesetzt wurde, füllen die für den Inhalt Verantwortlichen mit einer „Auswahl [der Schätze] aus den Beständen“ (Ausstellungstext) der staatlichen Kulturinstitute. Es drängt sich gleich zu Beginn der „Heritage“-Schau die Frage auf, warum keine kommunalen Institutionen in ein Projekt dieser Tragweite eingebunden wurden? Ist die Erschaffung von Kulturerbe ein staatliches Privileg?

Die Heterogenität der Exponate rechtfertigen die Verantwortlichen mit folgender Begründung: „Es wäre falsch, davon auszugehen, dass diese Ausstellung nur ästhetisch kostbare und ungewöhnliche Gegenstände zeigt. Ausstellungsstücke lassen sich ohnehin kaum nach ihrem Gebrauchswert oder ihrem materiellen Wert messen. Herkunft und Aussage spielen eine ebenso große Rolle.“ (Ausstellungstext) Sie gehen aber nicht auf die Kriterien ein, die für die Auswahl und die räumliche Anordnung der Exponate ausschlaggebend waren. Über die Zuordnung eines zwischen 1107-1125 in Luxemburg geprägten Silberpfennigs, „der die Geschichte der mittelalterlichen Münzprägung in Luxemburg über 100 Jahre früher beginnen lässt“, so der Ausstellungstext, zum Luxemburger Kulturerbe, lässt sich sicher schnell ein gesellschaftlicher Konsens finden. Anders steht es um die 17-bändige Publikation „Lindenia“, die der luxemburgisch-belgische Botaniker Jean Jules Linden zwischen 1885 und 1906 im belgischen Gent veröffentlichte. Ein in Belgien gedrucktes Buch über mittel- und südamerikanische Orchideen als Zeugnis des Luxemburger Kulturerbes? Noch komplizierter ist die Bewertung der dreidimensionalen Virtual Reality Rekonstruktion der Burg Vianden, die das Luxemburger Denkmalschutzamt bei einer deutschen Firma in Auftrag gegeben hat. Haben die Ausstellungsmacher die VR-Installation zum Kulturerbe gekrönt oder ihren Gegenstand? Und was wollen sie damit ausdrücken? Dass die eine Burg zum Kulturererbe gehört? Mit einer Gegenüberstellung der VR-Rekonstruktion mit der romantisierenden Zeichnung des Luxemburger Grafenschlosses von Michel Engels aus dem 19. Jahrhundert hätten sie eine kritische Betrachtung der Konstruktion von Kulturerbe anstoßen können.

Das gleiche gilt für die am Ausstellungseingang angebrachten Fototapeten von Depotregalen aus den staatlichen Kulturinstituten. Wahrscheinlich wollen die Ausstellungsmacher mit diesem Medium, das mit einer statistischen Übersicht über die Sammlungsbestände der einzelnen Häuser ergänzt wird, auf die rege Sammeltätigkeit der Institutionen hinweisen. Hätten sie die Abbildungen mit dem Sammlungseingangsbuch des heutigen nationalen Museums für Kunst- und Geschichte aus den Jahren 1941-1943, in dem etliche Objekte aufgelistet sind, die ursprünglich aus Zwangsverkäufen von Juden und Emigranten an Antiquitätenhändler und aus Zwangsversteigerungen stammen, konfrontiert, so wäre das Zustandekommen von Kulturerbe aus einer anderen Perspektive beleuchtet worden. Das Thema des problematischen Luxemburger Kulturerbes wäre berührt worden. Natürlich haben die Verantwortlichen Recht, wenn sie in einem Ausstellungstext behaupten: „Nun wird niemand hier alles finden, was er sich erhofft.“ Sie unterschätzen aber die politische Dimension ihrer Ausstellung, wenn sie die von ihnen getroffene Auswahl der Exponate mit der Aussage rechtfertigen: „aber viele [Besucherinnen und Besucher] werden bestimmt irgendetwas finden, was sie anspricht.“ (Ausstellungstext) Ausstellungen sind mehr als nur Bebilderungen von Themen mit Exponaten. Indem sie Objekte, Texte und andere Medien räumlich zueinander in Beziehung setzen, schaffen sie selbstständig Bilder, so auch der Volkskundler und Ausstellungstheoretiker Gottfried Korff (Korff, 1995, p. 24).

Ein wichtiges Medium, um in kulturhistorischen Ausstellungen Wissen zu vermitteln und die Objektzusammenstellung zu begründen, sind die didaktischen Texte. Die Tatsache, dass sie in „UNexpected Treasures“ in der Landessprache verfasst sind, verleiht ihnen darüber hinaus den Charakter eines immateriellen Exponats, dem angesichts der rezenten Diskussionen über den Stellenwert des Luxemburgischen eine besondere Bedeutung zukommt. Bei den Saaltexten fällt die teilweise sehr saloppe Wortwahl auf, mit der die Texte auf der Ebene der Stammtischsprache verortet werden und die zu unreflektierten Aussagen führt. So wird die Beschießung der Stadt Luxemburg mit Brandbomben im Dezember 1683, bei der ein Großteil der Häuser zerstört wurde und zahlreiche Verletzte und Tote zu beklagen waren, mit „Knuppefreed“, zu Deutsch „Bombenstimmung“, betitelt.

Die Gestaltung von Ausstellungen ist ein Bestandteil der musealen Praxis, der häufig unterschätzt wird. Durch die Inbezugsetzung der von den Ausstellungsmachern ausgewählten Bedeutungsträger und ihre Einbettung in eine sinnstiftende Szenografie werden
sinnliche Zusammenhänge geschaffen, die über die reine Unterhaltung hinaus, die intellektuelle Auseinandersetzung des Publikums mit dem Ausstellungsgegenstand fördern. Für „UNexpected Treasures“ griff die Gestaltungsabteilung des Naturmuseums auf die unbekümmerte farbenfrohe Ästhetik von didaktischen Wanderausstellungen der 1980er Jahre zurück. Die inhaltliche Dimension, die dieser Kunstgriff dem Ausstellungsgegenstand hinzufügt, ist (ungewollt?) aufschlussreich. Die eingeengte und unvorteilhafte Präsentation der Ausstellungsgegenstände in recycelten Glas- und Plexiglasvitrinen sowie die amateurhafte Ausleuchtung der Ausstellungskompartimente vermitteln den Eindruck, dass die Ausstellung für alle Beteiligten eine Pflichtübung war.
Die Soziologin Bella Dicks schreibt dem Kulturerbe eine gemeinschaftsstiftende „interne“ und eine „unterhaltende“ externe Funktion zu. Dicks zufolge ist der Prozess der Schaffung von Kulturerbe nur dann erfolgreich, wenn die betroffene Gemeinschaft aktiv in den Prozess miteinbezogen wird (Dicks, 2003). Kulturerbe entsteht und verändert sich in einem dynamischen sozialen Aushandlungsprozess (Schilling, 2010, p. 596). Die Ausstellung „UNexpected Treasures“ vermittelt das Bild eines auf staatlicher Seite willkürlich festgelegten, unpolitischen Erbekorpus und eines unreflektierten Umgangs damit. „UNexpected Treasures“ bedient damit die Sehnsüchte von über 45-jährigen Luxemburgerinnen und Luxemburgern nach der „bim, bam, Biren…“-Zeit, „als das Dorfleben vom Läuten der Glocken rhythmiert und geprägt wurde“ (Ausstellungstext). Der Unterhaltungswert für die 48% der ausländischen Einwohnerinnen und Einwohner ist zweifelhaft. Die Partizipation von Einwohnerinnen und Einwohnern Luxemburgs unterschiedlicher Alters- und Gesellschaftsschichten an der Bestimmung dessen, was im Jahre 2018 als Kulturerbe des Landes angesehen werden kann, hätte dem Projekt gutgetan. Die Ausstellung verpasst die Chance, einer kontroversen Präsentation der Dinge und Phänomene, die aus der Schau ein Forum der öffentlichen Auseinandersetzung über das Selbstverständnis der Gesellschaft in Luxemburg gemacht hätte, die das Land dringend braucht.

 

 

1 Arendt, G., & Bettel, X. (2018). Das Kulturerbe zeichnet sich dadurch aus, dass sein Verlust ein Opfer bedeutet und seine Erhaltung Opfer verlangt (Babelon und Chastel 1980). In: Le gouvernement du G.-D. de Luxembourg (Hg.), UNEXPECTED TREASURES (S. 3-4). Luxemburg.
2 Dicks, B. (2003). Culture on display. The Production of Contemporary Visitability. Maidenhead: Open University Press.
3 Groschwitz, H. (2014). Kulturerbe als Metaerzählung. In I. Schneider, & V. Flor (Hg.), Erzählungen als kulturelles Erbe. Das kulturelle Erbe als Erzählung. Beiträge der 6. Tagung der Kommission für Erzählforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 1.-4. September 2010 im Univesitätszentrum Obergurgl. Innsbrucker Schriften zur europäischen Ethnologie Bd. 2 (S. 75-85). Münster/New York: Waxmann Verlag.
4 Korff, G. (1995). Die Eigenart der Museums-Dinge. Zur Materialität und Medialität des Museums. In K. Fast (Hg.), Handbuch der museumspädagogischen Ansätze (S. 17-28). Opladen: Leske+Budrich.
5 Schilling, H. (2010). Heimat und Globalisierung. Skizzen zu einem ausgreifenden Thema. In H. Alzheimer, F. Rausch, K. Reder, & C. Selheim (Hg.), Bilder – Sachen – Mentalitäten. Arbeitsfelder historischer Kulturwissenschaften. Wolfgang Brückner zum 80. Geburtstag (S. 589-606). Regensburg: Verlag Schnell & Steiner.

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