Eine Soziologie sexueller Fetische

Die Entstehung von Fetischen am Beispiel des Pup Play

Die meisten Philosophien, Religionen und Wissenschaften der westlichen Gesellschaft basieren seit Jahrhunderten auf mehreren gegensätzlichen Kategorien, wobei eine der anderen in der Regel übergeordnet ist. Beispiele für diese Dualismen sind unter anderem: Mann vs. Frau, weiß vs. schwarz, heterosexuell vs. homosexuell, Kultur vs. Natur, Mensch vs. Tier sowie zivilisiert vs. wild. Ein Großteil der sogenannten Fetische lässt sich über zumindest einen dieser gesellschaftlichen Dualismen erklären. Für das Beispiel des Pup Play, einem Rollenspiel aus der Fetisch-Szene, bei dem ein*e Partner*in in die Rolle eines Hundes („Pup“) schlüpft, während ein*e andere*r die Rolle des Herrchens oder Frauchens (hier kurz „Handler“1 genannt) übernimmt, sind aber vor allem folgende Dualismen von Bedeutung: Kultur vs. Natur, Mensch vs. Tier, Geist vs. Körper/Sexualität und Vernunft vs. Triebe.

Dabei handelt es sich, historisch betrachtet, um sehr alte Dualismen, die seit Tausenden von Generationen Philosophie und Wissenschaft prägen sowie unser Denken und Handeln unbewusst beeinflussen. Biologisch gesehen sind wir eine Tierart unter vielen. Aus kultureller Pers­pektive aber definieren wir Menschen uns in Abgrenzung zum Tier als dessen Gegenteil. Demnach wird dieser kulturellen – nicht etwa der biologischen – Tierdefinition Vorrang gegeben. Die Dualismen haben sich historisch ebenfalls miteinander verbunden: Der Mensch gehört zur Kultur, das Tier zur Natur. Der Mensch verfügt über Vernunft, das Tier ist triebgeleitet, usw.

Darüber hinaus wurde und wird die Bestimmung des Menschen und der menschlichen Kultur darin gesehen, die Natur sowie alles, was als ihr zugehörig gilt (also auch Tiere und Körper/Sexualität), zu kontrollieren und teils zu unterwerfen. So gilt es für den Menschen „als eines der größten Tabus, in den Tierstatus zurückzufallen, nachdem [er] sich unter größten Anstrengungen aus dem Zustand der totalen Naturverfallenheit ‚befreit‘ hat“.2 Diese Haltung besteht bis heute – wenn auch in abgeschwächter Form – fort. So zum Beispiel, wenn wir aus moralischer Entrüstung aufschreien, dass jemand „rumfickt wie ein wildes Tier“.

Vom Tier zum Fetisch

All diese Dualismen schreiben sich durch die Sozialisierung in unser Unterbewusstsein ein. Innerhalb der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit stellen sie ein gesellschaftliches Produkt dar, das weniger mit der „wahren Natürlichkeit“ zu tun hat, als vielmehr damit, wie wir es gesellschaftlich wahrnehmen und klassifizieren. Der Mensch als das Gegenteil des Tieres ist kein Gesetz der Natur, sondern ein vom Menschen geschaffenes Konstrukt. Hierbei kommt das von Peter L. ­Berger und Thomas Luckmann konzipierte dreistufige Modell des Prozesses der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit zum Tragen: Externalisierung, Objektivierung, Internalisierung. Der Mensch erschafft (externalisiert) das Konstrukt des Menschen als Gegenteil vom Tier (sowie der Kultur als Gegenteil der Natur, der Vernunft als Gegenteil und Kontrollinstanz der Triebe, etc.).

Mit dieser Konstruktion und Externalisierung des Gegensatzpaares „Mensch/Kultur vs. Tier/Natur“ hat er zugleich auch den ersten Schritt hin zum Pup Play-Fetisch erschaffen. Ohne diese Gegenüberstellung des Mensch vs. Tier-Dualismus und der Annahme, dass ein Mensch das Gegenteil vom Tier sei, kann ein Mensch sich innerhalb eines Fetischs auch nicht in die vermeintlich gegensätzliche Rolle des Tiers versetzen. Anschließend kommt es zur Objektivierung: Der Glaube, dass der Mensch das Gegenteil vom Tier ist, wird zur allgemeingültigen, gesellschaftlichen „Wahrheit“. Wenn auch diese Auffassung nicht auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, so wird sie doch zu einer Selbstverständlichkeit, einem Gesetz, das nicht mehr in Frage gestellt wird. Und es übt auch – und dies ist hier ausschlaggebend – äußeren Druck auf die Menschen aus, sich diesem Glauben zu fügen. Dadurch kommt es zur Internalisierung (also Verinnerlichung) des Glaubens, dass der Mensch das Gegenteil vom Tier sei. Der Glaube schreibt sich im Zuge der Sozialisierung in das Unterbewusstsein eines jeden Menschen ein. Aus dem äußeren Druck wird ein innerer Druck. Der Mensch kontrolliert sich von nun an unbewusst selbst, um diesem Glauben entsprechend zu handeln und zu denken.

Mit dem Glauben an den Mensch/Kultur – Tier/Natur-Dualismus kommt die Kontrolle, Domestizierung und Unterwerfung des Tiers und der Natur (und damit des Körpers, der Triebe, der Sexualität) durch die menschliche Kultur (sowie den Geist und die Vernunft): Das Tier wird dressiert, unterworfen und eingesperrt, im Zirkus, im Zoo, in der Massentierhaltung. Aber auch Haustiere werden mit einer milderen, sanfteren Form der Kontrolle domestiziert. Die Natur wird so kontrolliert, dass es den Vorstellungen der menschlichen Kultur entspricht. Aber nicht nur die äußere, sondern auch die innere Natur, das vermeintliche „Tier im Menschen“ und alles, was ihn an seine „Natürlichkeit“ erinnert, wird kontrolliert, unterworfen, unterdrückt: Körper und vor allem Genitalien werden verdeckt und versteckt, Haut wird geschminkt, Körperbehaarung entfernt, Krankheit tabuisiert, Sex ins Private verbannt. Das Innere soll von dem reingehalten werden, was im Äußeren bereits unter Kontrolle gebracht wurde: Uns wird gesagt, tu dies nicht, tu das nicht, iss kultiviert mit Besteck und nicht mit den Händen, rülpse nicht, sei kein wildes Tier, usw. All dies wird im Zuge der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit verinnerlicht.

Kontrolle über Natur und Körper

Diese Verinnerlichung erfolgt maßgeblich durch die Biomacht. Michel Foucault prägte diesen Begriff, indem er argumentierte, dass der Wandel hin zur Industriegesellschaft mit einer Abhängigkeit der Wirtschaft von den Arbeiter*innen einherging. Dies hatte zur Folge, dass Regierungen eine gewisse Macht über die Körper der täglich arbeitenden Menschen benötigten. (Deswegen auch der Begriff der „Biomacht“, da „Bio“ hier „Körper“ bedeutet.) Nur so könne sichergestellt werden, dass diese auch produktiv seien. Es handelt sich dabei um eine sehr diffuse Form der Macht. Vollzog sich Macht bisher sehr linear vom Herrschenden zum Beherrschten, so umspannt sie nun die gesamte Gesellschaft wie ein Netzwerk. Gleichzeitig ist sie auch viel tiefgreifender und allgegenwärtiger als früher, da man der Überwachung aus vielen unterschiedlichen Richtungen ausgesetzt ist. Diese Biomacht, also das Herrschen über die Körper der Menschen, erklärt laut Foucault den aktuellen Fokus westlicher Gesellschaften auf körperliche Disziplin und den Drang, als „normal“ gelten zu wollen.

Generell – und vielleicht etwas plakativ ausgedrückt – domestiziert die westliche Gesellschaft den Menschen durch die Biomacht so, wie der Mensch andere Tiere domestiziert hat. Der Mensch lernt nicht nur, die äußere Natur und Tiere zu kontrollieren, zu domestizieren und zu unterwerfen, sondern auch seine innere Natur. Damit der Glaube des Menschen als Gegensatz des Tiers trotz seiner Biologie bestehen kann, muss der westliche Mensch so domestiziert werden, alles zu verstecken, was ihn an eben jenes Tier, an seine Natur noch erinnern kann. Die Biomacht hat dem Menschen also das „innere Tier“ weg-domestiziert.

Der von Michel Foucault in Der Wille zum Wissen – Sexualität und Wahrheit I beschriebene potenziell kritische Blick der Mitmenschen spielt eine maßgebliche Rolle bei der Verinnerlichung der Dualismen, also auch des Glaubens an den Mensch/Kultur – Tier/Natur-Gegensatz. Aus Angst vor Bestrafung, Spott und Ablehnung fängt jeder Mensch an, sich selbst zu überwachen und sein eigenes „inneres Tier“ und alles, was diesem zugeschrieben wird, zu kontrollieren und in den Augen anderer als „normal“ gelten zu wollen. „Normal“ heißt in diesem Fall, sich so zu verhalten, dass man all diesen Anforderungen der Kontrolle der inneren und äußeren Natur entspricht. Auf keinen Fall darf man sich „wie ein Tier“ verhalten.

Vom Habitus des westlich sozialisierten Menschen

Diese Verhaltensweisen, diese Denk- und Handlungsmuster basierend auf der Weltsicht des Mensch/Kultur – Tier/Natur-Dualismus werden dann zu einer „zweiten Natur“, zum Habitus des westlich sozialisierten Menschen. Es ist diese gesellschaftlich erschaffene „Wahrheit“, dieses „Natürliche“ und dieses Selbstverständliche, das zur doxa, also zu diesen Grundüberzeugungen und Werten der Kontrolle der Natur durch die menschliche Kultur, wird. Diese bei der Verinnerlichung durch die Biomacht tief in unser Unterbewusstsein eingeschriebene doxa leitet dann das Natur und Tier kontrollierende Denken, Sehen und Handeln.

Dies führt unweigerlich zu einem enormen inneren Druck. Der Mensch kann die inneren Spannungen zwischen dem, was er ist, und dem, was er sein soll, nicht dauerhaft kontrollieren. Diese Spannungen haben deswegen das Potenzial, sich in der Sexualität durch Erregung zu entladen, indem man genau dem nachgibt, was man eigentlich komplett vermeiden soll. Dadurch, dass der Mensch sein „inneres Tier“ dauernd kontrollieren muss, kann es für ihn eine unglaubliche Erregung bedeuten, „zu einem Tier zu werden“.

Doch warum ausgerechnet Hunde?

Keine Tierart scheint sich für diesen Pet Play-Fetisch besser zu eignen als der Hund. Denn es ist gerade dieses Tier, das am sichtbarsten durch den Menschen domestiziert wurde. Die Domestizierung des Tiers zeigt sich viel stärker am unterwürfigen Hund als an der weniger auf den Menschen bezogenen Katze. Schweine und Kühe werden zwar auch gesellschaftlich unterdrückt, deren Unterwerfung ist unter anderem in der Massentierhaltung noch viel stärker als die vergleichsweise sanfte Domestizierung des Hundes. Allerdings geschieht dies in fensterlosen Gebäuden, zu denen die meisten Menschen keinen Zugang haben. Ihre Unterdrückung ist stärker, aber unsichtbar.

Die Popularität des Hundes für den Pet Play-Fetisch ergibt sich aus der gesellschaftlichen Sichtbarkeit seiner offenen Domestizierung. Was nicht bedeutet, dass die Domestizierung oder Unterdrückung anderer Tierarten für manche Menschen mit unterschiedlichen Lebensläufen, Erfahrungen, Kindheiten und Prägungen nicht auch sichtbar sein kann – und sich somit potenziell auch andere Tierarten für den Pet Play-Fetisch eignen würden (was sie auch tun). Im Bereich der Kontrolle und Unterwerfung der Natur und des (inneren und äußeren) Tiers, des Triebs, des Wilden, der Gefahr durch den Menschen, durch seine Vernunft, seine Kultur und seine Zivilisation bleibt der Hund aber das Symboltier schlechthin. Der Hund bietet das größte Potenzial der sexuellen Aufladung durch die inneren Spannungen, die den Menschen gefangen nehmen. Der Ausbruch daraus, indem er in die Rolle eines Hundes schlüpft, bietet ein unglaublich starkes Befreiungspotenzial. Das kann so stark sein, dass es sich mit sexueller Erregung verbindet.

Wir sind konstant umgeben von einer ständigen, tiefgehenden, allgegenwärtigen, alles umfassenden Kontrolle der äußeren und inneren Natur. Die Biomacht verinnerlicht die doxa der Naturkontrolle in unserem Unterbewusstsein, so dass auch wir uns selbst und das „Tier in uns“ ständig und tiefgehend kontrollieren. Der Druck durch die Biomacht und die verinnerlichte doxa muss sublimiert werden. Die doxa erschafft deswegen einerseits den Habitus der Natur-, Tier-, Körper- und Trieb-Kontrolle. Andererseits braucht sie durch die entstehenden Spannungen aber auch eine Ableitungsfunktion: den Anti-Habitus. Der Fetisch übernimmt diese Rolle. Der Anti-Habitus (hier: sich in die Rolle des Tiers zu begeben) ist das Gegenteil des Habitus (hier: die Kontrolle des „inneren“ Tiers).

Das Gegenteil (Anti-Habitus) zu tun, von dem was wir gelernt haben zu tun (Habitus), macht uns geil. Der Anti-Habitus ist die andere Seite des Habitus. Je stärker der Druck des Habitus, desto größer auch die Befriedigung durch den Anti-Habitus, den Fetisch. Habitus und Anti-Habitus sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Daher wird jeder Versuch, den Anti-Habitus zu unterdrücken, kläglich scheitern. Jeder Versuch, einen Fetisch zu unterdrücken, wird nicht nur erfolglos bleiben, sondern das Verlangen sogar noch verstärken.

Dabei bleibt es weiterhin unerheblich, ob der Mensch-Tier-Dualismus und das Tier im Menschen einer naturwissenschaftlichen Realität entsprechen oder ein soziales Konstrukt darstellen. Frei nach dem soziologischen Thomas-Theorem3, das besagt, dass jedes menschliche Handeln reale Konsequenzen zur Folge hat, ganz gleich wie irreal die Situationsdefinition war, die zu der entsprechenden Handlung geführt hat: Das Tier im Menschen, diese ganzen Dualismen sind nicht real existierende, sondern soziale Konstrukte. Aber dadurch, dass sie von Menschen als real empfunden werden, ist die Konsequenz der inneren Spannungen real. Und dadurch auch die Fetische, die daraus entstehen.

Die Gesellschaft erschafft den Fetisch also als „Nebenprodukt“ der Sozialisierung „versehentlich“ selbst. Sie erschafft ihn, indem sie versucht, ihn zu unterdrücken. Je mehr sie versucht, ihn zu unterdrücken, desto stärker wird er. Je mehr wir dieses Tier in uns kontrollieren sollen, desto erregender ist es, in die Rolle des Tiers zu schlüpfen. Einen Fetisch kann man also nicht unterdrücken. Er ist das Resultat einer Unterdrückung. Im Grunde ist er damit ungewollt ein revolutionärer Akt, ein Aufbäumen gegen gesellschaftliche Machtverhältnisse. Und hat das Potenzial, diese ins Wanken zu bringen.

Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung. Die vollständigen Erörterungen zum Thema können Sie auf https://www.orgysmic.com nachlesen.

  1. Es gibt herrische, leicht autoritäre und eher passive „Handler“. Und auch unter den „Pups“ gibt es eher unterwürfigere oder dominantere Typen („Alphas“).
  2. Marcel Sebastian/Julia Gutjahr, „Das Mensch-Tier-Verhältnis in der kritischen Theorie der Frankfurter Schule“, in: Sonja Buschka/Birgit Pfau-Effinger (Hg.), Gesellschaft und Tiere. Soziologische Analysen zu einem ambivalenten Verhältnis, Wiesbaden, Springer, 2013, S. 97-119, hier S. 105.
  3. Vgl. William Isaac Thomas, The Child in America. Behavior Problems and Programs, New York, Alfred A. Knopf, 1928, S. 553-576.

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