- Gesellschaft, Kultur
Eine Velo-Vision für Luxemburg
Velo-Land Lëtzebuerg – eine Utopie? Mit etwas politischer Courage könnte ein Traum zur Wirklichkeit werden.
Träumen ist erlaubt – Visionen zu haben, sowieso. Versetzen wir uns also in eine nicht allzu ferne Zukunft. Nehmen wir einmal an, wir schreiben das Jahr 2030. Und blicken dann zurück.
Vor zehn Jahren beschloss die damalige Regierung, die Kampagne „Veloland Lëtzebuerg“ zu starten. In seiner Rede zur Lage der Nation nahm der amtierende Premierminister die Idee seiner engagierten Tourismusministerin auf und verkündete, man werde Luxemburg umgestalten und als Fahrradland promoten.
So manch einer schüttelte den Kopf: Nicht nur den Wirtschaftsexperten fiel es schwer sich vorzustellen, dass ausgerechnet das Großherzogtum sich als Fahrradland vermarkten ließe, die Stadt Luxemburg sich gar als europäische Fahrradhauptstadt einen Namen machen könne. In den Folgewochen hagelte es Kritik von allen Seiten: Wer fährt hierzulande schon Fahrrad? Wie will man mit Radfahren Geld verdienen? Wie kann man dadurch Arbeitsplätze schaffen und sichern? Das hügelige Großherzogtum kann niemals als Fahrradparadies beworben werden, Luxemburg ist nicht Amsterdam, so die Argumente der Gegenseite. Mal wurde die Idee als naive Träumerei, mal als aussichtsloser Aktivismus abgetan.
Velo-Mobilität ausbauen
Trotz dieser Einwände wurde ein Gesetzesentwurf für die strategische Entwicklung des „Veloland Lëtzebuerg“ ausgearbeitet. Die Mehrheit der Abgeordneten stand dahinter, und so wurde bereits acht Monate später das entsprechende Gesetz in der Chamber verabschiedet, ein Règlement grand-ducal zur Umsetzung folgte kurz darauf.
In der Zwischenzeit hatten sich auf Einladung des Tourismusministeriums bereits verschiedene Akteure an einen Tisch gesetzt (die „cellule mobilité douce“ des Nachhaltigkeitsministeriums, die Abteilung „division mobilité durable“ der Ponts et Chaussées, der Verkehrsverbund, die Offices régionaux du tourisme des Landes, verantwortlich für die Produktentwicklung, sowie diverse Vertreter von verschiedenen Ministerien und Tourismusorganisationen). Zwei Jahre später war die Produktentwicklung abgeschlossen und die Vermarktung startete. Zudem wurde mit dem Bau der nötigen Infrastrukturen begonnen. Die Basis für eine konsequente Umsetzung lieferte das 2014 verabschiedete Gesetz zum „réseau national des pistes cyclables“ sowie die Gründung der „cellule mobilité douce“ im Nachhaltigkeitsministerium.
Die Eröffnung der Tram sowie vor allem der Bau der Fahrradbrücke unter dem Pont Adolphe brachte in den kommenden Jahren den Durchbruch: Überzeugte Fahrradtouristen suchen die Stadt Luxemburg nun gerade wegen dieser Infrastruktur auf. Längst schon ist der Ring der Festungsstadt ganz autofrei, entlang des Boulevard Roosevelt locken attraktive Straßencafés Besucher an.
Beim „Veloland Lëtzebuerg“ geht es indessen nicht nur darum, die nötigen Infrastrukturen für den Fahrrad-Tourismus zu schaffen. Mit dem Ausbau der Eisenbahnverbindung nach Sandweiler sowie nach Bettembourg wurde ein Radschnellweg neben den Schienen angelegt. Dank dem Bau der Brücke in Neudorf finden mittlerweile fast 20 Prozent der Bewegungen des Berufsverkehrs aus Richtung Osten auf dem Fahrrad statt.
Nicht nur die Hauptstadt, sondern auch die ländlichen Regionen ziehen immer mehr Radler an. Durch den Weiterbau der Vennbahn von Troisvierges über Clervaux bis nach Ettelbrück, sind die Hotels in den Ardennen in der Saison von April bis Oktober gut mit Radlern belegt. Die neuesten Statistiken zeigen, dass sie bis zu 60 Prozent der Besucher ausmachen.
Der TGV aus Paris hat inzwischen Platz für acht Fahrräder pro Zug. Tages- und Mehrtagestouristen aus Paris sind zunehmend in Luxemburg unterwegs. Umgekehrt erfreut sich meine Reiseagentur, die von vornherein auf eine Anreise mit der Bahn gesetzt hat, einer stetig wachsenden Anzahl von Kunden, die von Luxemburg aus nach Frankreich auf Fahrradreise gehen. Mittlerweile sind Radtouren durch die Bretagne und in die Provence ein Klassiker unter den Reiseangeboten.
Landesweiter Velo-Verleih
Wesentlich zum Erfolg beigetragen hat der inzwischen landesweit funktionierende Radverleih inklusive Gepäcktransport. Koordiniert wird dieser Service in der vom Tourismusministerium eingerichteten Velo-Zentrale, die mit vier Mitarbeitern besetzt ist. Die einheitliche Erkennungssoftware aller Anbieter macht das Ausleihen der Fahrräder besonders unkompliziert. Im Jahr 2022 werden somit fast 60 Prozent aller Radreisen in Luxemburg mit Leihrädern unternommen, es wurden mehr als 20 Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen.
Nicht weniger wichtig ist die professionelle und einheitliche Vermarktung des Markenzeichens „Veloland Lëtzebuerg“. Auf der Internetseite „Veloland Lëtzebuerg“ beziehungsweise „cycling in Luxembourg“ klicken sich Tausende von Besuchern durch das vielfältige Angebot, laden sich dort ihre Routen direkt herunter, buchen ihren bed+bike Übernachtungsplatz, organisieren ihren Fahrradtransport mit Zug und Bus oder buchen die touristischen Angebote als Pauschalreise. Auch an dieser Schnittstelle arbeiten mittlerweile mehr als zehn Personen, die für ein regelmäßiges Update der Infos sorgen. Die enge Zusammenarbeit mit allen Anbietern vor Ort (CFL, Busunternehmen, Hotels und Gaststätten sowie Radreiseveranstalter) garantiert einen zuverlässigen Kundenservice.
Zudem ist „Veloland Lëtzebuerg“ auf der internationalen Tourismusbühne aktiv: Etwa auf der Fiets-und Wandelsbeurs in Amsterdam, wo die „Tour de Luxembourg“ zur „besten Radroute Europas“ gewählt wurde. Durch solche Erfolge wird das kleine Fahrradland auch bei Fernreisenden immer bekannter. Die Route „EuroVelo 5“, welche von London über Brüssel nach Luxemburg und von hier nach Strasbourg, weiter bis nach Rom und schlussendlich nach Brindisi führt, zieht immer mehr Radler an. Obwohl nur 107 der 3900 Kilometer langen Strecke durch das Großherzogtum führen, ist Luxemburg ein beliebtes Ziel bei den Fernreisenden. Umfragen zufolge bleiben 90 Prozent der „EuroVelo 5“-Fahrer für eine bis zwei Übernachtungen im Land.
Velo als Wirtschaftsfaktor
Verbleibende Zweifel konnten indessen durch verlässliches Zahlenmaterial aus dem Weg geräumt werden. Die Zähler der Straßenbau-Verwaltung sind der Beweis dafür, dass die Zahl der Radler mit dem Ausbau der Infrastruktur ebenso in die Höhe schnellte wie die Anzahl ihrer Übernachtungen auf dem Lande und in der Hauptstadt.
Im „Centre du cycle“, das bereits 2020 im Stadtzentrum errichtet wurde, haben sich mittlerweile ein Dutzend Betriebe rund ums Fahrradgeschäft niedergelassen. Niemand zweifelt mehr am Potenzial dieser Branche.
Wer im Jahr 2030 ein Rad-Reiseunternehmen gründen und Radtouren „made in Luxemburg“ anbieten will, findet ein anderes Klima vor, als dies 2008 im Entstehungsjahr von „Velosophie“ der Fall war. Damals wurde die finanzielle Unterstützung für die Erstgründung einer Firma erst nach mehreren Anläufen genehmigt. Das Fahrrad als Dienstfahrzeug wurde indessen in der Bilanz noch nicht berücksichtigt. 2030 bekommen jetzt neu gegründete Firmen keine Unterstützung mehr für Firmenautos. Nur der Fuhrpark der Fahrräder wird weiterhin anerkannt.
Eine Utopie? Mit der nötigen politischen Courage könnte „Veloland Lëtzebuerg“ eine Vision mit praktischem Zukunftspotenzial sein. Dafür spricht schon alleine der täglich erlebte Enthusiasmus der Radtouristen, die schon jetzt durch Luxemburg touren. „Ein kleines Land, überraschend anders, mit abwechslungsreichen Landschaften, sehr gut ausgebauten Radwegen und einem vielfältigen gastronomischen Angebot. Luxemburg, wir kommen wieder“, lautete unlängst das Fazit einer Gruppe von Radfahrern, die in sechs Etappen die Tour de Luxembourg quer durchs Großherzogtum abstrampelten. Ihre Begeisterung ist ganz real, sie hat nichts mit einer Utopie oder einem naiven Traum zu tun. Auf ihr lässt sich aufbauen.
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