Vor gerade einmal sieben Jahren ging die Einschränkung der Macht des Großherzogs mit seiner Ablehnung einher, das sogenannte „Euthanasie-Gesetz“ zu unterschreiben. Das dem Thema ohnehin schon innewohnende polemische Potenzial wurde durch eben diese Diskussion auf der machtstrukturellen Ebene geschürt und lenkte mehr als einmal von dem eigentlichen Inhalt ab. Zeitgleich wurde nämlich ebenfalls das Gesetz zu den „soins palliatifs“ im Sinne der Sterbebegleitung verabschiedet.
Der luxemburgische Arzt Bernard Thill machte in diesem Kontext im Januar dieses Jahres zu Recht im European Journal of Palliative Care darauf aufmerksam, dass ein Wissensdefizit in Bezug auf beide Themen vorherrscht, das zu vereinfachenden Dualismen führt: „In Luxembourg, people in favour of palliative care were, and still are, seen as reactionary and religious, those in favour of euthanasia an assisted suicide as modern and progressive.“ Dass dies in Anbetracht der Profile der unterschiedlichen Akteure in diesem Bereich nicht zutrifft, kann aus diesem Dossier, in dem sowohl Fürsprecher der einen als auch der anderen Seite zu Wort kommen, herausgelesen werden. Geradewenn es um selbstbestimmtes Sterben geht, müssen Nuancen eine erhebliche Rolle spielen.
Natürlich handelt es sich beim Sterben und dem Tod um Themen, mit denen man sich tendenziell nicht beschäftigt, wenn man es nicht muss. Und doch kann man ihnen auch hierzulande nicht gänzlich entrinnen, selbst wenn eine Studie des STATEC in der vergangenen Woche zeigte, dass sich Luxemburg unter den Top 5 der Länder mit der höchsten Lebenserwartung weltweit befindet.
Aber wie sollen meine letzten Schritte aussehen? Was brauche ich und was will ich auf keinen Fall? Wieviel Eigenwillen steht mir hierbei letzten Endes zu und wie beziehe ich Menschen, die mir nahe stehen, mit ein? All dies sind Gedanken, welche in den unterschiedlichsten Variationen in den Köpfen eines jeden unter uns früher oder später ihre Bahnen ziehen. Selbstbestimmtes Sterben ist in diesem Kontext ein Begriffspaar, das zwar auf Anhieb verständlich und doch in einem weiteren Schritt sehr schwer zu definieren ist.
Bedeutet dies bis zum Ende möglichst autonom in meinem Zuhause zu leben und dort meinen letzten Atemzug zu tun? Oder möchte ich, wie der Vater des Gonzojournalismus Hunter S. Thompson, dessen literarisch anmutender Abschiedsbrief den Titel „Football Season is over“ trug, genau planen, wann es vorbei ist und mir dann in einem Moment meiner Wahl einen Kopfschuss setzen? Welche Hilfe kann und will ich in Anspruch nehmen, wenn ich weiß, dass mein eigenes Ende sich aus der totalen Abstraktion in etwas Reelleres verwandelt hat? Sagt mir Sterbehilfe oder Sterbebegleitung mehr zu?
Diese Auseinandersetzung vor der sich viele scheuen, ist hochkomplex und doch muss sie nicht ausschließlich mit unangenehmen Gedanken verbunden sein. Man kann nämlich auch mit einem gewissen Maß an Kreativität an das Ganze herantreten: Vor einigen Wochen kursierte ein Bild von Charlie Brown und Snoopy im Internet, auf dem sie auf einem Steg sitzend, in die Ferne blickend philosophieren. Das traurige Vorstadtkind meinte zu seinem Beagle: „Es wird für jeden von uns der Tag kommen, an dem er sterben muss.“ Daraufhin meint der Dostowjewski lesende Hund: „Ja, aber an allen anderen Tagen müssen wir das nicht.“ Obwohl den beiden viel zuzutrauen ist, kann trotzdem davon ausgegangen werden, dass sie eher weniger palliativmedizischen Background haben. Und doch ist es genau dieser Kontext, in den diese Aussage sehr gut hineinpasst. Denn wer unheilbar krank ist, unabhängig davon ob alt oder jung, der stirbt nicht jeden Tag ein bisschen mehr, sondern lebt bis zu diesem einen finalen Punkt.
Dies ist der Grund dafür, dass der katholische Seelsorger Michael Kunze sich am Begriff „Sterbebegleitung“ stört. Seiner Auffassung zufolge sollte von einer „Lebensbegleitung bis zum Tod“ die Rede sein. Er ist einer von zehn Autoren, welche sich im Rahmen dieses Dossiers mit dem Tod in einem weiteren und mit Palliative Care in einem engeren Sinn beschäftigen. Der englischsprachrige Begriff wird in diesem Kontext bevorzugt genutzt, da er im Gegensatz zu der deutschen „palliativen Pflege“, wie die Autoren Henri Grün und Luciane Pauly im folgenden ebenfalls betonen werden, neben der Pflege auch die Palliativmedizin und Hospizarbeit umfasst. Anhand ihres Beitrags erläutern beide Omega 90-Mitglieder, warum es ihrer Meinung nach im Rahmen der Arbeit mit Menschen in einer lebenslimitierenden Situation wichtiger ist, sich auf das Menschen-Mögliche und nicht auf das Technisch-Machbare zu fokussieren. Das Ziel der Organisation, „eine Kultur des Lebens zu fördern, die die Realität des Todes miteinschließt“, wird klar hervorgehoben.
Hier knüpft auch der Intensiv- und Notfallmediziner Michael de Ridder an, welcher erklärt, warum das „Sterben lassen“ in bestimmten Fällen zu einer Pflicht wird. Carlo Bock beleuchtet anderseits die Praxis der Euthanasie in Luxemburg. Erst durch das Gesetz von 2009 wurde eben diese Tätgkeit entgültig entkriminalisiert.
In der Folge werden sehr persönliche Momentaufnahmen präsentiert, durch die mögliche Umgangsformen mit dem Thema Sterben, Tod und der Trauer aufgezeigt werden können. Während die Musiktherapeutin Cathy Schmartz herausarbeitet, wie der Klang uns vom Mutterleib bis ins Grab begleitet, berichtet der Krankenpfleger Holger Wannemacher-Polasek aus seinem Arbeitsalltag bei seinen Klienten zuhause.
Nora Schleich betrachtet die letzte Autonomie aus philosophischer Sicht und Roland Meyer erläutert, warum es inakzeptabel ist, gegenüber Kindern über den Tod zu schweigen.
In einem letzten Schritt begibt Anne Schaaf sich gemeinsam mit vier Interviewpartnerinnen auf einen etappenreichen Weg der Trauer, welcher kreative Abzweigungen und neue Wege bereit hält. Abschließend geht Pierre Lorang auf eine Zeitreise in die Welt der Todesanzeigen im Luxemburger Wort und analysiert, wie sich diese verändert haben.
forum hat sich seit seinem Bestehen schon häufig mit dem Thema Tod beschäftigt, neben der Lektüre dieses Dossiers lohnt sich also auch ein Blick in unsere Datenbank.
Begriffsklärungen
Es gibt bislang keine international gültige Terminologie für medizinische Maßnahmen am Lebensende. Im deutschsprachigen Raum gab es in den letzten Jahren einige Klärungsbemühungen, sowohl von juristischer Seite als auch vom deutschen Nationalen Ethikrat. Im Folgenden beziehen wir uns auf diese neueren Definitionen.
Palliative Care – Palliativmedizin – Palliativpflege – Sterbebegleitung
Im allgemeinen spricht man bei palliativer Medizin / Pflege / Betreuung von Sterbebegleitung, im Sinn von Hilfe und Begleitung beim Sterben. Sterbebegleitung im Rahmen von Palliativpflege beschleunigt weder den Prozess bis hin zum Todeszeitpunkt, indem der Tod bewusst herbeigeführt wird, noch zögert er ihn unnötig hinaus, indem der Patient mit künstlichen Mitteln wie Beatmung, Ernährung, Flüssigkeitszufuhr bei aussichtslosem Gesundheitszustand am Leben gehalten wird. Somit gehören der aktive und passive Behandlungsabbruch, was soviel bedeutet wie Sterbenlassen, wenn der Zeitpunkt des Sterbens gekommen ist, zur palliativen Medizin und Betreuung.
Passive Sterbehilfe, Sterbenlassen, Behandlungsabbruch
Nicht-Einleitung oder Nicht-Fortführung lebensverlängernder Maßnahmen. Juristischer Begriff: Behandlungsabbruch.
Aktiver Behandlungsabbruch: Unterbrechen einer begonnenen Behandlung.
Passiver Behandlungsabbruch: Unterlassen einer Behandlung.
Beide Behandlungsabbrüche sind Teil der Palliativmedizin, da der Tod ohne technische Maßnahmen schon vorher eingetreten wäre und/ oder ein Leben ohne Apparatemedizin nicht mehr möglich ist.
Euthanasie, aktive Sterbehilfe oder Tötung auf Verlangen
All diese Begriffe bezeichnen den Akt des vorzeitigen Herbeiführens des Todes, was in Luxemburg unter die Regelungen des Gesetzes zur Euthanasie und assistiertem Suizid fällt. Der Begriff „Euthanasie“ ist ein Euphemismus, eine beschönigende rhetorische Figur und bedeutet „schöner Tod“. Korrekt ausgedrückt, ist Euthanasie eine Hilfe zum vorzeitigen Sterben, das heißt in Juristensprache Tötung auf Verlangen. Euthanasie ist immer aktiv und setzt die aktive Handlung eines Arztes voraus, der dem Kranken, auf sein freiwilliges Verlangen hin, eine tödliche Injektion verabreicht (Euthanasie) oder ihm die Mittel zu einer Selbsttötung zur Verfügung stellt (assistierter Suizid). Die Gesetzgebung ist klar in ihrer Definition.
Assistierter Suizid, Beihilfe zur Selbsttötung, Suizidbeihilfe
Ein Arzt verschafft dem Kranken auf sein freiwilliges Verlangen hin ein todbringendes Mittel, der Betroffene führt die Tat selbst aus. Der Begriff Selbstmord ist moralisierend und nicht mehr zeitgemäß.
Literaturtipp
„Sterbehäusle“ hieß ursprünglich eine der allerersten „stummen Palliativstationen“ beim botanischen Garten in Tübingen. Der Titel ist jedoch auch namensgebend für jenes Werk, in dem der luxemburgische Schriftsteller Michel Clees und die Grafikerin Tanja Frank, den Weg des demenzkranken Frank Merkel auf eine tiefgehende Art und Weise schildern. Der Leserin und dem Leser bietet sich das, was die 100,7 Renzensentin Magret Steckel sehr treffend als „poetische Naheinstellung“ des Lebensendes eines Mannes bezeichnet, der im „Kleinod seines Verstandes hoffnungslos verloren ist.“ Das im ultimo mondo Verlag erschienene Buch kann unter umo.lu bestellt werden.
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