- Gesellschaft, Kultur
Faszination Fahrrad
Ein Gespräch mit Jungunternehmer Mate Horvath über die Geschäftsidee Fahrradladen und die hiesige Fahrradkultur
Wie bist Du auf die Idee gekommen, einen Fahrradladen zu eröffnen?
Mate Horvath: Ich fahre für mein Leben gerne Fahrrad. Mein erstes Fahrrad bekam ich, als ich etwa 5 Jahre alt war. Schon damals bin ich mit meinem Vater größere Runden gefahren. Die richtig große Begeisterung kam mit 17 Jahren, als mein Vater mir ein Rennrad schenkte. Wir sind sehr viel zusammen gefahren. Wie bei all meinen früheren Hobbys ging es mir nicht nur darum, besser Fahrrad zu fahren, sondern auch darum, das Fahrrad selbst zu verbessern, mich damit auseinanderzusetzen: Wie wird ein Fahrrad aufgebaut? Welche Stücke kann ich auswechseln? Für mich war ein Hobby immer damit verbunden. So dauerte es nicht lange, bis ich neue Stücke bestellte und anfing, das Fahrrad aufzuwerten.
Nach meinem Abitur ging ich für zwei Jahre nach Wien und meldete mich dort für verschiedene Studiengänge an, stellte aber dann fest, dass Studieren nicht der richtige Weg für mich ist. Im Gymnasium war ich auf einer Kunstsektion und meine Idee war es eigentlich immer, irgendwie kreativ zu sein. So kam mir die Idee, einen Fahrradladen, der nicht dem 0815 Muster entspricht, zu eröffnen. Seit 2008 etwa verfolge ich die Fixie/Singlespeedszene. In den Großstädten Europas war das Phänomen damals schon relativ bekannt. In Luxemburg aber hatte sich noch kein Geschäft richtig damit beschäftigt.
So sagte ich mir: Ich eröffne ein custom made Fahrradgeschäft. Man muss wissen, dass ich anfangs praktisch kein Kapital hatte. Bei einem „normalen“ Fahrradladen müsste man relativ viel auf Lager haben, sprich viele komplette Fahrräder im Geschäft. Bei custom made ist das etwas anderes; sicher habe ich Material im Geschäft vorrätig, ich kann aber jedes Teil anders nutzen, da bei uns jedes Fahrrad individuell aufgebaut wird.
Erzähl uns mehr über das Konzept von „Project Bike“.
M.H.: Am Anfang ging es bei „Project Bike“ ausschließlich um Fixies und Singlespeed Fahrräder. Auch wenn es sich um ganz neue Räder handelt, kann man immer in verschiedene Richtungen gehen, etwa komplett modern oder komplett retro. Es gibt keine Grenzen, was das Aussehen und die Ausstattung anbelangt.
Die Kunden haben sich vermehrt für ein Retro-Image ihres neuen Drahtesels entschieden. Die meisten fanden dies interessanter als die neuen modernen Räder, die man ja sowieso in jedem Fahrradladen sieht. Viele sind mit ihrem alten Rennrad zu mir gekommen und haben danach gefragt, dieses auf Fixie oder Singlespeed umzubauen. Viele Räder sind also nicht retro geworden, sie sind es geblieben. Im Moment würde ich sogar sagen, dass diese Umbauten den Hauptteil unserer Arbeit ausmachen. Mittlerweile gibt es auch viele alte Rennräder, die nicht mehr auf Fixie/Singlespeed umgebaut werden. Die Übersetzung bleibt, das Fahrrad wird nur etwas „aufgemotzt“: Alte Teile die nicht mehr gut aussehen oder kaputt sind, etwa Sattel, Reifen oder Bremsen werden einfach ersetzt,
Das Fahrrad wird „restauriert“, wobei ich dieses Wort eigentlich weniger benutze. Viele Menschen verstehen darunter, dass auch der Rahmen neu gesprayt wird. So etwas machen wir nicht, das Fahrrad wird original belassen. Stücke, die abgenutzt oder kaputt sind, werden lediglich ersetzt, da das Ziel ist, das Fahrrad größtenteils original wieder nutzbar zu machen.
Wer sind die Kunden?
M.H.: Am Anfang dachte ich, es werden Menschen sein, die körperlich noch fit sind und keine gesundheitlichen Probleme haben, etwa Jugendliche von 15 bis 35 Jahre. Im Endeffekt hat sich aber herausgestellt, dass es keine Alterskategorie gibt. Die Spannweite reicht von 15 bis 75 Jahre. Oft kommen Personen zu mir, die in ihrer Jugend – vielleicht in den 1970er Jahren – von einem ganz bestimmten Fahrrad oder einer klassischen Marke träumten, sich dieses aber nicht leisten konnten. Heute aber können sie sich das damals Unerschwingliche leisten und so kommen sie zu uns. Im Allgemeinen sind es eher Männer als Frauen. Das hat damit zu tun, dass die meisten Rahmen eher Männerrahmen im klassischen Sinne sind, sprich sie sind sehr hoch. Frauen kaufen eher neue Räder bei uns.
Welche Veränderungen hast Du seit der Eröffnung im Jahr 2013 bemerkt?
M.H.: Der Trend zu Retro-Fahrrädern nimmt zu. Ich gehe mal davon aus, dass unser Geschäft mit dazu beigetragen hat. In anderen Großstädten Europas hat sich das Phänomen schon vor längerer Zeit eingebürgert. Als ich 2012 zurück nach Luxemburg kam, gab es diesen Trend hier noch nicht. Seitdem wir den Laden eröffnet haben, sind die Menschen sich schon etwas mehr bewusst, dass es irgendwie cool ist, auf einem Retro-Fahrrad zu fahren, vielleicht sogar cooler als sich auf einem nigelnagelneuen Rennrad fortzubewegen, auf einem normalen Citybike zu pedalieren oder auf einem modernen Mountainbike in der Stadt unterwegs zu sein.
Fängt das Fahrrad an, ein Statussymbol zu werden?
M.H.: Ich denke, dass das Fahrrad schon immer ein Statussymbol war, aber eher für Leute, die Fahrradfahren als Hobby auf einem etwas höheren Niveau, Straße sowie MTB, betreiben. Da ist es oft so, dass Personen, die nicht viel Rad fahren, ein hochwertiges und teures Rad besitzen. Deswegen denke ich, dass es mit dem Pkw gleichzusetzen ist: Man will sich auf dem Fahrrad outen, und zeigen, wie toll das Rad aussieht. Es ist definitiv ein Statussymbol. Für uns trifft das etwas weniger zu, da viele unserer Kunden schon etwas aus der Abteilung dieser Massenware besitzen. Oft kommen sie zu uns, um sich ein zusätzliches Rad zu leisten, mit dem sie abends in die Stadt fahren, es zum Einkauf nutzen oder zur Arbeit fahren. Nichtsdestotrotz kann ein Fahrrad, das komplett custom made ist, als Statussymbol angesehen werden, da verschiedene Teile alles andere als günstig sind. Kenner wissen das, sie merken, wenn bestimmte Stücke verbaut sind. Mich interessieren jedoch vorrangig funktionelle Fahrräder. Funktionell heißt nicht nur von A nach B zu kommen, sondern auch sich keine Gedanken machen zu müssen, wenn man sein Rad mal ein paar Stunden allein in der Stadt stehen lässt.
Unser Laden ist auf „commuter“ ausgelegt, das heißt Personen, die das Rad im Alltag nutzen, sich aber bewusst gegen ein schweres, hässliches Citybike entscheiden.
Wie ist die Nachfrage nach E-bikes? Eröffnet sich Dir hier ein neuer Kundenstamm?
M.H.: Eine Nachfrage besteht auf alle Fälle. Es ist nicht so, dass jeder zweite der vorbei kommt, nach einem E-bike fragt. Lange Zeit habe ich nichts davon gehalten, ich muss aber sagen, dass die Nachfrage stetig wächst. Seit knapp zwei Monaten haben wir unser erstes E-bike hier im Geschäft, seit viel längerer Zeit aber schon bin ich dabei, mich zu informieren, welches E-bike wir hier anbieten könnten. Ich hatte nämlich keine Lust auf irgend ein E-bike, die meisten gefallen mir nicht besonders, sie sprechen mich optisch nicht an, sind schwer und deswegen auch nicht unbedingt alltagstauglich.
Einer unserer Lieferanten hat jetzt ein „Singlespeed-E-bike“ in seinem Programm. Da sage ich mir, das ist das Rad, was wir in diesem Laden anbieten können. Es gibt nur eine Übersetzung, der integrierte Motor verfügt über acht Stufen „Unterstützung“. Demnach ist es nicht mehr unbedingt notwendig, Übersetzungen auf dem Rad zu haben. Man kann regulieren, wie stark der Motor eingreift. So können wir ein Rad anbieten, welches sehr einfach und aufgeräumt aussieht und trotzdem über einen Motor verfügt.
Wie schätzt Du den Luxemburger Markt gegenüber anderen Städten ein?
M.H.: Ich denke, dass der Luxemburger Markt sehr unterschiedlich im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten ist. Es gibt hier vergleichsweise immer noch nicht besonders viele Menschen, die das Fahrrad im Alltag nutzen, das heißt, damit zur Arbeit oder in die Schule fahren. Es wird zwar immer mehr dafür gemacht, etwa die Aktion „Mam Vëlo op d’Schaff“, wir haben aber immer noch eine fundamental andere Situation als jene, die man in Berlin oder Paris vorfindet. Vom Verkehr her gesehen sind dort nämlich viele Leute aufs Fahrrad angewiesen, da sie z.B. keinen Parkplatz finden. Ich denke, dass wir hier noch weit davon entfernt sind. Die Leute nehmen das Rad, um Sport zu treiben, aber kaum im Alltag. Das sich etwas tut, ist klar, der Prozentsatz bleibt aber kläglich niedrig. Seitdem ich den Laden betreibe, fallen mir die Radfahrer morgens positiv auf, seien es Schüler oder Erwachsene. Wir können uns aber definitiv noch nicht mit anderen Großstädten vergleichen.
Du kommst aus Ungarn. Gibt es bemerkenswerte Unterschiede zur hiesigen Fahrradkultur?
M.H.: In Budapest gibt es eine ziemlich aktive Fahrradkultur. Wie in anderen Großstädten sieht man einfach viel mehr Menschen, die auf das Fahrrad zurückgreifen, es ist sogar oft ihr Haupttransportmittel. Was das Rennrad anbelangt, so gibt es etliche Rennen. Wenn man in Luxemburg Rennen fahren möchte, muss man eine Lizenz besitzen und einem Club angehören. In Ungarn ist das nicht so, da gibt es viele öffentliche Rennen, bei denen sowohl Lizenzträger mitfahren, als auch „Amateure“ sich beteiligen. Das hat mir gut gefallen, ich habe an vielen
Rennen einfach so teilgenommen. Alles war sehr offen, ich hatte das Gefühl, zu nichts verpflichtet zu sein, ich konnte einfach „hineinschnuppern“. Zwischen 2007 und 2010 war ich in fast jeden Schulferien in Budapest. In der Stadt gibt es einen Park, in dem sich die Szene trifft und abends ihre Runden dreht, vergleichbar etwa mit dem Central Parc in New York. Ich habe die Fahrradkultur dort als relativ lebendig empfunden.
Luxemburg wird im Ausland auf Tourismusmessen usw. als Paradies für Fahrradfahrer vermarktet. Bist Du mit diesem Bild einverstanden?
M.H.: Also wenn man jetzt vom Belag der Straßen spricht, dann auf jeden Fall. Wenn man die Grenze überquert und in Belgien ankommt, ist der Zustand der Straßen katastrophal, in Frankreich ist das fast genau so, und in Deutschland trifft dies auch teilweise zu.
Es wird gesagt, dass an der Mosel viel Rad gefahren wird, ich denke, das stimmt. Im Norden und Süden gibt es ebenfalls viele schöne Wege, Mountainbike-Fahrer können sich hier auf tollen Strecken, sogenannten „Trails“ hervorragend austoben.
Für eine ortsfremde Person ist Radfahren in der Stadt Luxemburg sicherlich weniger amüsant. Ich denke, dass die Situation dort nicht so gut gelöst ist. Um auf die Frage zu antworten: Es ist weder ja, noch nein. Es gibt einfach zu viele Aspekte für eine pauschale Aussage.
Was das Nation Branding anbelangt, so blickt man auf Luxemburg wegen der Gebrüder Schleck und des professionellen Radports. Immerhin hat sich Luxemburg hier einen Namen gemacht.
Welche Vorschläge hast Du, damit das Fahrrad in Luxemburg eine größere Rolle spielt?
M.H.: Das ist eine gute Frage. Nehmen wir an, ich müsste von hier aus (Strassen) in die Stadt fahren, weil ich da arbeite. Welche Kriterien wären mir also wichtig? Ein guter Weg, auf dem ich mich sicher fühle. Es muss nicht unbedingt ein separater Radweg sein, es kann auch eine 30er-Zone sein, in der die Autos nicht zu schnell fahren. Da kann man eigentlich ruhig radeln. Schilder, die Autofahrer darauf aufmerksam machen, dass man hier vermehrt Radfahrer vorfindet, dürfen in meinen Augen auch nicht fehlen. Kombinierte Straßen stellen für mich eine Lösung dar, da separate Radwege oft den Nachteil haben, größere Umwege zu machen. Das ist oft nicht ideal, denn man möchte das Fahrrad ja praktisch nutzen, etwa um bei einer Bäckerei, einer Apotheke oder sonst irgendwo stehen zu bleiben. Was bringt mir dann der Radweg, wenn er sich als Umweg herausstellt und mir beispielsweise keine Einkaufsmöglichkeiten unterwegs bietet?
Ansonsten denke ich vor allem an sichere Abstellplätze. Es gibt schon ein paar davon, es sind aber bei weitem noch nicht genug. Das muss man noch ausbauen, vor allem im Zentrum, denn viel zu oft höre ich leider von Personen, die ihr Rad gestohlen bekommen haben. Hier muss man etwas machen, die Leute müssen sich nicht nur während des Radfahrens sicher fühlen, sondern auch danach, wenn sie ihr Rad irgendwo abgestellt haben. Gegen schlechtes Wetter kann man nichts machen, das ist klar, die anderen Probleme sind aber zu lösen.
Das Rad ist eigentlich ideal, um zur Arbeit oder nach Hause zu fahren, es ist gut, um Stress abzubauen. Viele Menschen berichten auch davon, wie gut sie sich fühlen, wenn sie morgens zur Arbeit radeln. Klar, für Grenzgänger, die in der Stadt arbeiten, ist das schon etwas komplizierter. Jeder, der aber nicht zu weit entfernt von der Arbeit wohnt, sollte dies einmal versuchen.
Besten Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde am 22.05.2017 geführt. (BM)
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