Feelser blo Boxen
Luxemburger Textilwirtschaft damals und heute
Im Mittelalter stand die Produktion von Textilprodukten in Fels (Larochette) bereits in voller Blüte. Unter dem damaligen Herrn Johannes II von der Feltz erhielt der Ort am 25. März 1343 durch einen Patentbrief sogar die Erlaubnis, von Johann von Böhmen (tschechisch: Jan Lucemburský, später genannt „der Blinde“), vier Webstühle zu betreiben – ein großes Privileg und gleichzeitig der Grundstein für den wirtschaftlichen Reichtum des Ortes Fels. Dieses Privileg, so kann man mutmaßen, ist in der engen Verbundenheit der Herrschaften Fels und Luxemburg zu sehen (Bannerträger seit dem 12. Jahrhundert), natürlich aber auch in der vorhandenen Wasserkraft. Andere Ortschaften hatten bedeutend weniger Webstühle in Betrieb. Die wirtschaftliche Bedeutung bzw. das damit verbundene Privileg für diese Produktion kann man erahnen, wenn man weiß, dass die Bürger der Stadt Luxemburg im Jahre 1430 die Ortschaft Fels teilweise niederbrannten als Folge eines Streits um eben diese Privilegien.
Seit 1985, also nach 642 Jahren ununterbrochener Textilproduktion in Fels, ist diesem so bedeutenden Wirtschaftsmotor die Luft ausgegangen. Die Ursachen für den Produktionsstopp, dies gilt auch für sehr viele andere Orte in Europa (und in Übersee), sind indessen mannigfaltig und erstrecken sich über einen sehr langen Zeitraum. Die besten Kunden waren die jeweiligen Armeen, z. B. das österreichische Heer (nach einer Verordnung von Kaiserin Marie-Theresia um 1749 musste alles Tuch im Lande gekauft werden) oder, Anfang des 19. Jahrhundert, das französische Heer. Auch die luxemburgische Armee war Kunde – ein Drittel der Produktion war für sie bestimmt, bis im Jahre 1967 die Armeepflicht abgeschafft wurde und somit ein sehr wichtiger Kunde wegfiel. Man kann also sagen, dass die Abhängigkeit von einzelnen Großkunden immer eines der Risiken war. Eng damit verbunden waren auch die jeweiligen politisch bedingten Absatzmärkte, welche damals wie heute entstanden und auch wieder verschwanden. Beispiel: Seit 1842 war Luxemburg Mitglied des Deutschen Zollvereins, somit gab es einen großen Absatzmarkt. Um 1895 aber wurden (nicht nur) die Felser Tuchmacher erneut von bedeutenden Aufträgen (Armeelieferungen) ausgeschlossen.
Ab 1960 entstand für den Textilmarkt, unter anderem auch in Fels, zusehends Konkurrenz durch Importe aus Osteuropa und aus sogenannten Entwicklungsländern (Abschaffung von Zöllen). Man sollte aber auch Ursachen in dem Konsumverhalten der Menschen suchen, welches sich nach dem Zweiten Weltkrieg stark wandelte: weniger arbeitsaufwendig herzustellende Kleidung war gewünscht, eher einfache Massenware. Die Nachfrage war in den Nachkriegszeiten sehr hoch und sorgte für den letzten großen Aufschwung der Textilproduktion in Fels – eben bis um 1960. Nach und nach wurden die verschiedenen Produktionsstätten geschlossen, so etwa am 10. März 1970 die Draperies de Fels (Familie Ginter), 1984 Vestimenta (Familie Lewandowski), 1985 die Kleiderfabrik Ginter-Ginter (Familie Ginter-Bertrang). Als weitere Namen der Textilindustrie seien genannt – einige klingen nicht zufällig bekannt: Ludovicy-Scharle, Sinner-Even, Jean&Charles Knaff, Bonn&Schmitz et Cie, Cornett-Schoetter, Adam Knaff, Medernach, Edgar Delmarque, Teinturerie Unden oder Bonn-Sichel et Cie.
Dies deutet auf die rege Tätigkeit und Bedeutung der Textilindustrie in Luxemburg im Allgemeinen hin. Vergessen wir auch nicht, dass es andere Produktionsorte hierzulande gab (und gibt): Luxemburg-Stadt (Unterstadt), Differdingen, Marienthal, Esch-Sauer, usw.
Zu erwähnen sind auch einige der national bekannten „Verkaufsschlager“ der Textilindustrie in Fels. So zum Beispiel die Jeans von Vestimenta, die Feelser blo Boxen aus der Kleederfabrik Ginter-Ginter und die Tirtesch-Box, ebenfalls Ginter-Ginter. Die Qualität der angebotenen Produkte musste hoch sein – Abnehmer waren Privatleute, aber eben auch hauptsächlich große Organisationen, für die Berufskleidung eine wichtige Rolle spielte wie die Armee, die Arbed, die Hadir, Krankenhäuser, die Post und die Eisenbahn.1
Die Textilindustrie spielte für die gesamt-luxemburgische Wirtschaft durchaus eine Rolle, wenn man sich die Arbeitnehmerschaft ansieht. Die Produktion war arbeitsintensiv, und demnach fanden in der Region sehr viele Menschen über Jahrhunderte hinweg eine Beschäftigung. Andere Industrien gab es hier bis ins 18. Jahrhundert nicht. Hinzu kamen anschließend der Sandsteinabbau (Iernzener Sandsteen), welcher auch eine nationale Bedeutung hatte und hat, sowie der Tourismus ab dem 19. Jahrhundert („Kleine Luxemburger Schweiz“).
Eine Reihe von Gebäuden, welche die Geschichte der Textilindustrie (sowie anderer Industrien: Bürstenproduktion, Schuhproduktion) in Fels dokumentieren, stehen noch, wurden teilweise renoviert und überdauern als wichtige Zeitzeugen. Um diese sehr bedeutende und lange (Wirtschafts-)Geschichte der Ortschaft Fels nicht zu vergessen, hat Herr Georges Ginter in den 1980er Jahren ein Textilmuseum in der Güterhalle des Bahnhofs Fels eingerichtet. Seit 1982, dem Jahr der Gründung der ASBL „Les amis du vieux Larochette“, gibt es ganz offiziell die Idee eines Textilmuseums. Herr Ginter hat in Eigenregie und mit selbstlosem Engagement die Güterhalle mit Originalen der Textilindustrie aus Fels bestückt – bis heute sind diese Exponate an Ort und Stelle zu sehen.2
Die Zeit steht aber nicht still: 2019/2020 kam die Idee auf, das Museum zu erweitern und, bei dieser Gelegenheit, die sehr wertvolle Ausstellung zu verbessern, zugänglicher zu gestalten und die Geschichte mit der Gegenwart zu verbinden. Fairtrade Lëtzebuerg bot sich an, ein Konzept zu erstellen unter dem Motto: d’Textilindustrie vu gëschter an vun haut. Die Idee besteht darin, dass die Gemeinde Fels, zusammen mit der NGO Fairtrade Lëtzebuerg und dem Besitzer der Exponate, Herrn Ginter, eine Ausstellung entwirft, welche die lokale (und nationale) Textilindustriegeschichte mit einer Ausstellung ergänzt, welche brennende Fragen zur Aktualität der weltweiten Kleiderproduktion und des Konsums beleuchtet. Demnach ist die Ausstellung als eine Art Kontinuität gedacht: Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Textilindustrie. Die zukünftige Gesamtausstellung wird an zwei getrennten Orten stattfinden. Beide Ausstellungsräume befinden sich in historischen (national und kommunal geschützten) Gebäuden der Ortschaft, getrennt durch einen einminütigen Fußmarsch.
Im Kontext der Kampagne Rethink Your Clothes3, mit Fairtrade Lëtzebuerg, welche sich das Ziel setzt, eine Diskussion über den Konsum von Kleidung anzuregen, sowie die Suche nach nachhaltigen Alternativen zu fördern und soziale wie ökologische Aspekte mitzuberücksichtigen, soll sich der „neue“ Teil der Ausstellung im Gemeindehaus (Manoir de Roebé) ebendiesen Aspekten der Textilindustrie widmen. In diesem Teil der Ausstellung wird sich modernster Medien bedient, um die Inhalte didaktisch gut zu veranschaulichen. Die Gesamtausstellung ist so konzipiert, dass auch Schulklassen diese (mit oder ohne Führung) besichtigen können. Dies ist den Partnern wichtig, da es ihnen auch darum geht, die Problematiken der Gegenwart zu erläutern und dazu anzuregen, ggf. unseren Kleidungskonsum zu überdenken. Das Textilmuseum soll 2022 neu eröffnet werden.
Die Ausstellung soll die Geschichte anhand von Originalen, Zeitzeugenberichten und Fotos erläutern und veranschaulichen, wie die globale Industrie sich bis heute entwickelt hat und welche Probleme dies mit sich bringt. Wie kann man an sich selbst arbeiten, um durch sein eigenes Konsumverhalten etwas zu verändern? Genau wie bei anderen Industriezweigen (z. B. der Agrarindustrie), in denen sich brennende Fragen des Umweltschutzes, der sozialen Ausbeutung und der Nachhaltigkeit stellen, soll auch hier ein Ausblick gewagt werden: Warum soll die Textil- und Kleiderproduktion nicht auch wenigstens teilweise wieder in Luxemburg stattfinden können? Designer gibt es mittlerweile viele, Schneider aber sehr wenige. Auch Ausbildungsmöglichkeiten für Schneider gibt es kaum hierzulande. Andere Länder, Frankreich oder Italien beispielsweise, hegen und pflegen diese Industriebranche sogar als nationales kulturelle Erbe.
- Georges Ginter, „Fels und seine Textilindustrie“, in: Société philharmonique Larochette (Hg.), 150e anniversaire, Fels, 1988. S. 117-134.
- Mathias Tresch: „Le château et les seigneurs, le bourg et les bourgeois“, in: Les cahiers luxembourgeois (1938), 1-2.
- https://rethink.lu/musee-du-textile.html (letzter Aufruf: 14. Oktober 2021).
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
