- Gesellschaft, Wissenschaft
Förderung der emotionalen Intelligenz
Menschenfreundliches Konzept oder Mittel zur Profitsteigerung?
Das Konzept der emotionalen Intelligenz bzw. der Begriff des emotionalen Quotienten wird vor allem mit dem Namen des US-amerikanischen Journalisten und klinischen Psychologen Daniel Goleman assoziiert. Dabei ist weitgehend unbekannt, dass das Konzept ursprünglich von den Wissenschaftlern John D. Mayer und Peter Salovey (Universitäten New Hampshire und Yale) eingeführt wurde. In der Überzeugung und der späteren Erkenntnis, dass zum Erfolg mehr als die rein kognitiven Fähigkeiten nötig sind, knüpfen sie an die wissenschaftlichen Überlegungen zur sozialen Intelligenz aus den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts an.
Mayer und Salovey haben diese in ihrer Forschung weitergeführt und spezifiziert, um die emotionale Intelligenz vor allem inhaltlich von den kognitiven Fähigkeiten (IQ) abzugrenzen. Das Konzeptleistet seither einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von privatem, aber vor allem auch beruflichem Erfolg, weswegen es auch zunehmend als Grundlage für angewandte Interventionen im Bereich der Human Resources eingesetzt wird. Es war jedoch erst das Erscheinen des Werkes Emotional Intelligence. Why it can matter more than IQ aus der Feder Golemans1 im Jahre 1995, welches dem Konzept zur heutigen Popularität verhalf.
In der heutigen Zeit scheint dieses an seinem Höhepunkt angekommen zu sein: Das Konzept findet nicht nur eine breite Anwendung in den unterschiedlichsten praktischen Fachgebieten, sondern wird auch parallel an diversen Forschungsinstituten rund um den Globus stets erweitert und vertieft. Die breiten wissenschaftlichen Untersuchungen, die an diversen Forschungszentren erfolgen, werden unter anderem auch von privaten Großunternehmen unterstützt und finanziert.
Eine Metaanalyse, also eine quantitative statistische Untersuchung, welche die Ergebnisse zahlreicher primärer Studien zusammenfasst, kam im Jahre 2011 gar zu dem Ergebnis, dass der berufliche Erfolg weitaus stärker mit der emotionalen Intelligenz einer Person, als mit den kognitiven Fähigkeiten oder auch der Persönlichkeitsstruktur (vgl. fünf Persönlichkeitsdimensionen) zusammen zu hängen scheint.2 Weitere Studien unterstreichen zusätzlich positive Zusammenhänge mit den Bereichen Partnerschaft/Ehe, sowie mit der körperlichen und seelischen Gesundheit.3 Diese empirischen Forschungserkenntnisse hatten dabei sicherlich auch einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass Golemans Werk in die Liste der 25 einflussreichsten Betriebswirtschaftsbücher des amerikanischen Time Magazine aufgenommen wurde.4
Die Essenz des Konzeptes
Als Salovey und Mayer den Begriff der emotionalen Intelligenz im Jahre 1990 zum ersten Mal aufgreifen, definieren sie diese als jene „Untermenge der sozialen Intelligenz, die die Fähigkeit beinhaltet, die eigenen Gefühle und die Anderer zu registrieren, zwischen ihnen zu unterscheiden, und diese Informationen zu nutzen, um das eigene Handeln und Denken zu leiten“5.
Der Vorwurf des Missbrauches
Bei aller Nachvollziehbarkeit und aller wahrgenommenen Sinnhaftigkeit sowie dem unbestreitbaren und erkennbaren Nutzen der Förderung der beschriebenen emotionalen Fähigkeiten, häuft sich jedoch die Kritik an der Umsetzung dieses Konstruktes in den professionellen Bereichen. Dabei ist vermehrt von einer Ausnutzung oder einem versteckten Heranziehen des Konzeptes der emotionalen Intelligenz die Rede. Und zwar mit dem primären Ziel der Profitsteigerung. Nach dieser Auffassung würden die Tugenden der emotionalen Intelligenz vorwiegend eingesetzt, um die emotionale Kontrolle und die Selbstbeherrschung als Mittel zur Steigerung der Leistungsfähigkeit zu fördern. Eine Förderung der emotionalen Intelligenz ginge mit einer Erhöhung des Leistungsdruckes einher, heißt es. Ziel sei es also, Emotionen, Gefühle und persönliches Erleben aus dem professionellen Milieu auszublenden und damit eine Art emotionale Kälte in reiner Rationalität erzeugen zu wollen. Der Schwerpunkt läge dann nicht mehr auf der Gestaltung eines möglichst stressarmen Arbeitsumfeldes, sondern man versuche durch Trainings oder Interventionen zur emotionalen Intelligenz den Raum von Emotionen und/oder Stresserleben zu reduzieren, um folglich individuelles Gefühlserleben zu minimieren und weitestgehend aus dem Arbeitsleben zu verbannen. Dies könne jedoch paradoxerweise in einer Steigerung des wahrgenommenen Druckes münden und die Gefahren von möglichen Stressfolgeerkrankungen wie Burnout und Depression sogar erhöhen. Auf die einzelnen Umsetzungen des Konzeptes an dieser Stelle einzugehen, würde den Rahmen sprengen, aber es darf festgestellt werden, dass eine Instrumentalisierung im Sinne der beschriebenen Zielsetzungen, nur noch sehr wenig mit der initialen inhaltlichen Konzeption der emotionalen Intelligenz gemein hätte.
Eine Förderung der emotionalen Intelligenz im Sinne des initialen Konzeptes legt nämlich besonders Wert auf individuelles emotionales Erleben und versucht sogar das Bewusstsein sowie das Wahrnehmen für die eigenen Emotionen zu unterstützen. Die Unterbereiche Selbstregulation und Motivation unterstreichen den Nutzen von Emotionen und versuchen das Heranziehen und bewusste Einsetzen dieser zu fördern. Das wirkt sich nicht nur positiv auf Kompetenzen wie die Kreativität aus. Oftmals wird ebenfalls das enorme Sensibilisierungspotential von Interventionen basierend auf dem Konzept der emotionalen Intelligenz übersehen.
Dabei sind es meist nicht einmal die Arbeitgeber, die Emotionen und Gefühlen skeptisch gegenüberstehen, sondern vielmehr der Mensch selbst, weil er davon ausgeht, dass er am Arbeitsplatz keine Emotionen zeigen darf oder negative Konsequenzen wegen emotionalem Verhalten am Arbeitsplatz subsumiert. Auch nimmt er unter Umständen an, nur in einem ganz bestimmten Stimmungsbild leistungsfähig und anforderungsangepasst sein zu können. Dies kann dazu führen, dass sich jeweilige Personen inhaltlich mehr auf die Kontrolle ihrer eigenen Gefühlszustände konzentrieren, als auf den Inhalt und die Zielsetzung ihres eigentlichen Arbeitsauftrages.
Im Gegensatz dazu soll die Förderung der emotionalen Intelligenz eine gewisse Normalisierung der beschriebenen Prozesse herbeiführen und dafür sensibilisieren, wie viel Energie und Aufmerksamkeit zur vermeintlichen Kontrolle eigener Gefühlszustände verbraucht werden. Es ist daher nicht das Ziel, wie in der Kritik angenommen, die Kontrolle von Emotionen zu erhöhen und somit eine mögliche emotionale Kälte zu erzeugen. Vielmehr geht es darum, eine Unterstützung dabei zu bieten, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu lenken. Wichtig ist dabei vor allem, sich nicht zu sehr von möglichen (ggf. alltäglichen und infolge normaler äusserer Stressquellen) Gefühlszuständen ablenken zu lassen oder in der Konzentrationsfähigkeit gestört zu werden.
Das Sensibilisierungspotential, im Sinne der Normalisierung möglicher persönlicher gefühlsbezogener Annahmen oder Forderungen, könnte somit gar als einer der größten positiven Wirkfaktoren angesehen werden. Dabei geht es tatsächlich nicht um die Förderung einer emotionsarmen Umgebung im Sinne einer erhofften Leistungs- oder Profitsteigerung, sondern infolge einer Sensibilisierung um ein bewusstes und zielgerichtetes Einsetzen des eigenen emotionsbezogenen Erlebens. Diese Feststellung wird üblicherweise als entlastend erlebt, was wiederum direkt der Förderung des emotionalen Wohlbefindens dient. Eine Zunahme des Druckes im Sinne einer Erhöhung nicht kommunizierter Erwartungen durch den Arbeitgeber, wenn auch mittels der emotionalen Intelligenz, würde inhaltlich eine starke Abweichung zum eigentlichen Konzept darstellen.
Das Konzept der emotionalen Intelligenz und vor allem dessen Förderung, versuchen jenes tugendhafte Verhalten zu verstärken, welches es erlaubt, den Fokus auf das Wesentliche zu legen ohne sich dabei durch inneres Erleben zu sehr ablenken zu lassen. Dabei werden nicht Emotionen als solche, sondern der Versuch der Kontrolle und die damit zusammenhängenden ablenkenden Kontrollversuche als störend definiert. Sie fördern somit, im Gegensatz der kritischen Stimmen, das Wahrnehmen, Annehmen und Integrieren von innerem und persönlichem Gefühlserleben. Und dies unter anderem durch eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung auf das, was im gegenwärtigen Moment persönlich als wirklich wesentlich empfunden wird. Dabei wird zusätzlich zur wahrgenommenen Steigerung des emotionalen Gleichgewichtes erfreulicherweise, quasi als Nebeneffekt, nicht selten auch die Arbeitseffizienz deutlich erhöht.
Nur wenn das Konzept der emotionalen Intelligenz konform, im Sinne des Arbeitnehmers, zur Psychohygiene und zur Sensibilisierung eingesetzt wird, ist auch eine Steigerung der Arbeitseffizienz und des Unternehmensprofites möglich. Das ist erfahrungsgemäß oftmals die erste Erkenntnis der Teilnehmer in Workshops zur emotionalen Intelligenz. Und damit ist der erste Schritt im Sinne der erwünschten Veränderung der Haltung in Bezug auf Arbeit, Leitung und Profitsteigerung im Zusammenhang mit menschlichem emotionalem Erleben bereits initiiert.
1 John D. Goleman, Emotional Intelligence. Why it can matter more than IQ, New York, Bantam Books,1995.
2 Vgl. Ernest H, O’Boyle Jr, et. al.: „The relation between emotional intelligence and job performance: A meta-analyses“, Journal of Organizational Behavior 2011, S. 788-818.
3 Vgl. Lopes PN, Brackett, MA, et. al.: „Emotional Intelligence and Social Interaction“, in: Personality and Social Psychology Bulletin 2004; 30(8), S.1018-1034.
Vgl. ebenfalls: Friedman H & Boothby-Kewley S. „The disease-prone personality: a Meta-Analytic view“, in:American Psychologist 1987 (42), S. 539-555.
4 The 25 Most Influential Business Management Books. (n.d.). Retrieved March 11, 2016, http://content.time.com/time/specials/packages/completelist/0,29569,2086680,00.html (Stand: 17.3.2016)
5 Salovey P & Mayer JD. Emotional Intelligence. Baywood Publishing Co., Inc., 1990.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
