Ein neues Jahr gibt gewöhnlich Anlass, um Neujahrsvorsätze zu schmieden und in die Zukunft zu blicken. Es bietet aber auch Gelegenheit, einen Blick auf das vergangene Jahr zu werfen. Und 2019 hat sich bei forum tatsächlich so einiges getan. Zu den positiven Entwicklungen, die dazu beigetragen haben, dass die Zeitschrift innerhalb nur eines Jahres einen merklichen Qualitätssprung machen konnte, zählt sicherlich auch der „hauseigene“ Filmblog forum_C, der im Jahr 2019 ganze 49 eigene Beiträge auf der Internetseite von forum verzeichnen konnte, und sich durch seinen wöchentlichen Erscheinungsrhythmus zu einem der meistgelesenen forum-Formate jenseits der gedruckten Monatszeitschrift entwickelt hat.
Das „C“ für „cinéma“ greift dabei eigentlich fast schon zu kurz, denn inzwischen finden sich online rund 140 Beiträge sowohl zu Mainstream- als auch künstlerisch ambitionierten Produktionen aus Kino, Fernsehen und von Streaming-Diensten sowie Material über Konferenzen, Filmtheorie, Schauspieler*innen, Filmschaffende und Hintergrundinformationen zur Filmbrache und -industrie allgemein – ein umfangreicher Katalog also, der einen wesentlichen Teil der Bandbreite der Medienproduktionen der letzten Jahre abdeckt.
Fast drei Jahre lang wurden die Beiträge noch auf der eigens dafür eingerichteten Facebook-Seite www.facebook.com/forum_C angekündigt, rutschten aber, einmal erschienen, bald schon in der chronologischen Abfolge der Facebook-Timeline sowie auf der Internetseite nach unten – kein besonders nachhaltiges Konzept, da es nicht die nötigen Tools und Überblicksmöglichkeiten bietet, um ältere Beiträge aufzurufen oder eine systematische Suche anzustellen. Dabei bietet das vorwiegend von den beiden Rubrik-Verantwortlichen Viviane Thill und Yves Steichen verfasste bzw. aufbereitete Material allemal inhaltsreichen Stoff zu Recherchezwecken. Dieses längst überfällige Versäumnis wurde schließlich im Mai dieses Jahres mit dem Ausbau der forum-Internetseite um einen weiteren Menüpunkt behoben, unter dem alle bisher erschienenen Beiträge von forum_C vereint wurden. Die insgesamt vier Unterkategorien „Filmarchiv“, „Festival de Cannes“, „Konferenzen“ und „Diverses“ erlauben eine zusätzliche thematische Einordnung.
Den größten Posten stellt das Filmarchiv dar, in dem inzwischen mehr als hundert Filmtitel in alphabetischer Reihenfolge und unter Angabe des*der Regisseur*in aufgelistet sind. Einen eigenen Platz hat dort nun auch der jährliche Blog über die Internationalen Filmfestspiele von Cannes, von denen Viviane Thill nun schon das dritte Jahr in Folge täglich vor Ort berichtet. Tatsächlich ging der allererste Beitrag von forum_C am 17. Mai 2017 direkt aus Cannes online, ein Ort, der in den letzten drei Jahren des Festivals auch zu einem (film-)politischen Schauplatz werden sollte.
Wurde die 70. Ausgabe 2017 noch vom Konflikt zwischen den französischen Filmvertrieben und dem amerikanischen Streaming-Giganten Netflix dominiert – erstere fürchten heftige Kinoeinbußen durch den Streamingdienst, der Filmmaterial ohne den Umweg übers Kino anbieten will, zweiter will aus Prestigegründen zum Festival –, standen 2018 die Enthüllungen im Missbrauchsskandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein im Fokus. Der medienwirksame Treppen-Protest von Schauspielerinnen für Akzeptanz und Gleichberechtigung in der Filmbranche ist zwar im Gedächtnis geblieben, doch hat er wirklich etwas bewirken können? Die Zahlen, die Viviane Thill im Juni 2019 für forum_C zum Thema Geschlechterparität im Bereich der Kinokritik vorgelegt hat, sind jedenfalls mehr als ernüchternd: Nur 34% aller in den USA erschienenen Filmkritiken wurden von Frauen geschrieben. Dennoch scheint Hoffnung zu bestehen: Blickt man nämlich auf die Neuerscheinungen im Kino- und Serienjahr 2019, wird ein erneuter Trend zu überwiegend gesellschaftskritischen Themen erkennbar – ein Zeichen für ein aufkeimendes Bewusstsein für Ungleichheiten?
Darf man der „Engagement Rate“ von Facebook, die die Interaktion der Leser*innen auf Posts bemisst, Glauben schenken, standen 2019 Themen um „Racial“ und „Social Justice“ sowie der Kampf gegen sexuelle Gewalt hoch im Kurs. Nach #BlackLivesMatter, #MeToo und #TimesUp treffen True-Crime-Produktionen wie Ava DuVernays When They See Us über die rassistische amerikanische Strafjustiz sowie die feministische Krimi-Miniserie Unbelievable von Susannah Grant, Avelet Waldman und Michael Chabon über Vergewaltigungsfälle und die Unfähigkeit von Strafverfolgungsbeamten, diese ordnungsgemäß zu untersuchen und ihre traumatischen Auswirkungen auf die Opfer zu verstehen, den Nerv der Zeit. In beiden Fällen gelingt es dem Video-on-Demand-Anbieter Netflix, dem Zeitgeist nachzuspüren und mit exzellent geschriebenen, umgesetzten und inszenierten Produktionen hochpolitische Themen zu besetzen und der traditionellen Konkurrenz den Rang abzulaufen.
Auch das Thema der wachsenden sozialen Ungleichheiten findet Anklang beim Publikum. Nicht umsonst überzeugen Filme wie Ken Loachs Sorry We Missed You über prekäre Arbeitsverhältnisse, Überschuldung und sozialen Abstieg im ultraliberalen Großbritannien der Gegenwart oder das Extrembeispiel Parasite von Bong Joon-ho, in dem sich die sozial Abgehängten im wahrsten Sinne des Wortes in die Oberschicht einzecken und sich gewaltvoll zu nehmen versuchen, was ihnen verwehrt bleibt. Selbst Todd Phillips’ Comicverfilmung Joker, eigentlich klassisches Hollywood-Entertainment-Kino, kommt im Gewand eines anspruchsvollen Sozialdramas daher, wie Yves Steichen in seiner präzisen Analyse des langerwarteten Antiheldenfilms schreibt, und erzählt die Verwandlung des gedemütigten Außenseiters Arthur Fleck zu seinem Alter Ego Joker, der Rache an jener Gesellschaft nimmt, die ihn und solche wie ihn nicht wollte. Unter den aktuellen politischen Vorzeichen in der Welt bleibt abzuwarten, welche Geschichten das Kino- und Serienjahr 2020 schreibt. forum_C wird sicherlich dranbleiben. SC
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