Frisch gedruckt

Le Luxembourg en 2050 – De l’aménagement au ménagement du territoire

von Pascale Junker, Bettembourg, 2020, 168 S., € 24,55,-

„Weder Singapur noch Heidiland”, so stellt sich Pascale Junker in der im Juli 2020 erschienenen, mehr als 150 Seiten starken Abhandlung zu einer krisenfesten räumlichen Entwicklung die Zukunft Luxemburgs vor. Neben der weitläufigen Bebauung des Landes und dem Problem der sozialen Ausgrenzung durch Immobilienspekulation beschreibt die bis vor kurzem beim Landesplanungsministerium beschäftigte Autorin den ausgeprägten Individualismus und die gesellschaftliche Akzeptanz eines vollauf vom Menschen geformten Lebensumfeldes. Trotz Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme (artificialisation) durch hohe Bodenpreise sieht sie in der erheblichen Flächenversiegelung im ländlichen Raum, dem Voranschreiten der Bodenerosion, des Biodiversitätsverlusts und den schwindenden Wasserreserven Grund zur Sorge. In einem Land mit stark fragmentierter Landnutzung, dem längsten Straßennetz pro Kopf, der höchsten Autodichte und starkem Bevölkerungszuwachs wird die Klima- und Ressourcenkrise von der Politik nicht ausreichend thematisiert. In der angekündigten Transition seien wir längst noch nicht angekommen, so die Autorin, da etwaige Effizienzgewinne durch Mehrverbrauch neutralisiert würden. Sie plädiert dafür, erst die Ernährungsgrundlagen und Wasserreserven abzusichern, ehe Ressourcen für Transport und Wirtschaft bereitgestellt werden. Die Resilienz ist der wiederkehrende Leitgedanke, mit dem eine Abkehr vom Mantra des „Besser und Mehr“ verkörpernden qualitativen Wachstums bzw. der nachhaltigen Entwicklung verkündet wird.

Thesen, die das Gemeinwohl über Individualinteressen stellen, dürften durchaus als Aufruf zu einer Abkehr von der in Luxemburg umfassenden Laisser faire-Politik verstanden werden. Die durch eine große Datenfülle gestützten Argumente der Autorin schützen vor einer zu sehr ideologisierenden Kritik. Zur Ferienlektüre taugt das mit 600 Fußnoten angereicherte Werk trotz des hochsommerlichen Erscheinungstermins zwar nicht, dafür aber als besonnener populärwissenschaftlicher Beitrag. Einziger Wermutstropfen: Als E-Book wäre das Werk, das auf unzählige Links verweist, deutlich lesefreundlicher gewesen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Forderung durch das Buch, der Wissenschaft ein höheres Gewicht im politischen Entscheidungsprozess zuzugestehen. Die Autorin äußert damit eine unterschwellige, aber sehr berechtigte Kritik an der hierzulande allgemein sehr wenig evidenzbasierten Debattenkultur in Politik und Gesellschaft. Die Coronakrise kommt Junker beim Appell an ein nötiges Hinterfragen von tief verwurzelten und liebgewordenen „Business as Usual“-Angewohnheiten gelegen, sei es im Hinblick auf eine die Umwelt stark belastende räumliche Arbeitsorganisation oder den krisenanfälligen Weltmarkt für Lebensmittel. Wohl wirtschafts­dirigistischer als manchem lieb ist, jedoch ohne einem autarkischen oder malthusianischen Ansatz zu folgen, führt uns die Autorin die Vorteile einer ausgewogeneren landesplanerischen Entwicklung auf unser Wohlbefinden und die Umwelt vor Augen. Dabei sollten gerade Kleinstaaten wie Luxemburg nach jahrzehnte­langer kontinentaler, gar globaler Marktintegration dafür Sorge tragen, dass in Zeiten zunehmender Ressourcen­knappheit ein hoher Anteil der Nahrungsmittel innerhalb der eigenen Grenzen oder zumindest der Großregion produziert wird.

Junker schlägt eine ganze Reihe an Maßnahmen vor, den Staat und die Gemeinden im Rahmen einer Neuordnung der räumlichen Gouvernance-Strukturen zu stärken, letztere möglichst im Verbund oder als fusionierte, größere Einheiten. Die Zusammenarbeit der staatlichen und kommunalen Akteure sei kohärenter zu gestalten, die Planungskultur zu reformieren, die Bürgerbeteiligung zu fördern und die Steuerlast von der Arbeit auf die Ressourcennutzung zu verlagern. Besonders das Recht würde bereits einem weniger utilitaristischen, dafür mehr ökosystem­orientierten Ansatz folgen. Demzufolge sollte das Eigentumsrecht mit sozialen Pflichten einhergehen.

Eher zurückhaltend äußert sich die Autorin zu den Erfolgschancen einer entsprechenden Neuordnung, schreibt aber der alltäglichen Nähe im Kleinstaat, der Kraft des Luxemburger Modells und der – stagnierenden – Solidarwirtschaft eine treibende Rolle zu. Eine zuversichtliche Einschätzung, allerdings bleibt dabei eine Bewertung der umfassenden, ein Mehr an Bevölkerung, Landverbrauch und Konsum einfordernden Nischenpolitikstrategie Luxemburgs unterbelichtet. Umso mehr als in der gegenwärtigen Krise der angespannte Staatshaushalt Politiker noch weniger dazu ermuntert, einträgliche Nischenkonstrukte aufzugeben. Das Buch überzeugt daher vor allem in den Bereichen, die sich die Autorin als Kernaufgabe gesetzt hat, nämlich der Illustration der Dringlichkeit einer zukunftsorientierten räumlichen Entwicklung. MC

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code