- Geschichte, Literatur
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Luxemburg und der Zweite Weltkrieg. Literarisch-intellektuelles Leben zwischen Machtergreifung und Epuration
von Claude D. Conter u. a., Mersch, CNL, 2020, 592 S., € 45,-
Auf dem grau-schwarzen Cover des 600-Seiten schweren Bandes prangt ein großes Hakenkreuz, das sich nahtlos in die Schraffur einfügt. Damit ist ein Zeichen auf dem vom Centre national de littérature (CNL) herausgegebenen Katalog gesetzt. Neben Claude D. Conter wirkten Daniela Lieb, Marc Limpach, Sandra Schmit, Jeff Schmitz und Josiane Weber vier Jahre lang an dem Forschungsprojekt mit, dessen Anspruch es war, zwischen der deutschen Machtergreifung und der luxemburgischen Epuration (bis Anfang der 50er) Literatur, Lesen und die Reflexion über die Ereignisse zu beschreiben und zu analysieren. Im Katalog werden schon frühe Berichte der drei „Opfergruppen“, der Inhaftierten in Konzentrationslagern, der Zwangsrekrutierten und der Umgesiedelten, beleuchtet. Über 500 zeithistorische Dokumente sind in ihm versammelt.
Im Vorwort heißt es, der Band könne zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, doch wolle man Antworten auf „die lang bestehende Forschungslücke rund um die Situation des Literaturbetriebs in den Jahren 1940-1944“ liefern. Ein Jahr lang (von August 1940 bis Herbst 1941) brauchte die NS-Verwaltung, um „ihr System“ zu installieren – und wenn es einen roten Faden in den Beiträgen des Sammelbandes gibt, so die These vom passiven Widerstand, den nahezu alle Artikel hervorheben: Während der Zeit der deutschen Besatzung befand sich der Luxemburger Literaturbetrieb in einer Art Schockstarre, und es wurde kaum publiziert.
Dass die politische Vereinnahmung der Medien bereits in den 30er Jahren einsetzte, macht Daniela Lieb deutlich. Sie zeichnet die Erfahrung des Ersten Weltkrieges als identitätsstiftendes Moment nach. An den erhitzten Fragestellungen Batty Webers, der sich in seinem Abreißkalender deutschenfreundlich gab und auch die Rassekategorien der Nazis übernahm, wie an den mutigen Warnungen vor Hitler-Deutschland in den Kolumnen etwa eines Frantz Clément, der ein Plädoyer für die Freiheit der Literatur ablieferte, hangelt man sich gespannt entlang.
Claude D. Conter zeichnet den „Anschluss“ der Gesellschaft für deutsche Literatur und Kunst (Gedelit) zum Kunstkreis Luxemburg nach: Als im November 1940 aus den Mitgliedern der Gedelit heraus die Gesellschaft für Literatur und Kunst „als ein unverkennbares Instrument nationalsozialistischer Kulturpolitik“ entstand, prangte im Gästebuch neben der Hakenkreuz-Flagge das Bekenntnis „Eine neue Zeit beginnt“. Er konstatiert, dass Schriftsteller […] unter diesen Maßgaben nur noch als Hitlers Kultursoldaten zu verstehen [sind].“ Unter dieser Vorgabe untersucht Conter, welche Autoren öffentlich auftreten durften. Lesungen von Exilautoren gab es nicht, Literatur aus der Zeit der Weimarer Republik fehlte gänzlich.
Josiane Weber problematisiert die Schwierigkeit, die Begriffe Kollaboration und Resistenz als dichotome Kategorien für Luxemburg zugrunde zu legen – nicht zuletzt mit Blick auf die Diskussionen von Historikern wie Vincent Artuso, Henri Wehenkel oder Benoît Majerus. So lasse sich eben nicht anhand der Mitgliedschaft in der Volksdeutschen Bewegung (VdB) klar einordnen, wer Resistenzler, wer Kollaborateur war.
Marc Limpach hat erstmals umfangreiches Quellenmaterial zu den in Luxemburg propagandistisch wirkenden NS-Funktionären Albert Perizonius und Richard Hengst ausgewertet und skizziert ihren Einfluss auf die Kulturpolitik. Zudem wirft er einen Blick auf die Theaterlandschaft – am Beispiel der Luxemburger Volksbühne unter Emil Boeres (1940-1944). Jeff Schmitz befasst sich mit dem Trauma der Umsiedlung und Zwangsarbeit von rund 4.200 Luxemburgern. Sandra Schmit stellt in ihrem Beitrag über „D’Komeroden vum KZ“ fest: „Zielscheibe der nationalsozialistischen Besatzer waren vor allem Kommunisten und andere Menschen, die sich in den 1930er Jahren in Luxemburg für die Bewahrung der demokratischen Grundfreiheiten eingesetzt hatten.“ Darunter 88 luxemburgische Spanienkämpfer. „Eine weitere besonders gefährdete Gruppe waren Juden.“ – Ein Verweis auf die Studie von Paul Cerf, der die Geschichte der Judenverfolgung im besetzten Luxemburg erstmals aufarbeitete, wird hier als ausreichend erachtet, um das Thema abzuhandeln.
Das ambitionierte Werk setzt, wie schon sein Design überdeutlich nahelegt, auf Schattierungen. Der Band wirft freilich weitere Forschungslücken auf, wie etwa die Luxemburger Exilliteratur. Er ist insofern ein wichtiges Puzzle-Teil in der Erforschung der Periode der deutschen Besatzung Luxemburgs. Dabei sagen die Ausklammerungen womöglich mehr über den Band aus, als die thematischen Akzente, die die Herausgeber setzen. In der Aufarbeitung der Vergangenheit Luxemburgs liegt nach dem unliebsamen Artuso-Bericht der Akzent wieder mehr auf den Grautönen.
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