Merde alors!
von Margaretha Kopeinig, Wien, Czernin Verlag, 2020, 224 S., € 25,-.
Was bewegt eine österreichische Journalistin, Biografien über Luxemburger Politiker zu verfassen? Auf dem Cover von Margaretha Kopeinigs Erstlingswerk von 2004 doziert ein noch halbjugendlich anmutender Jean-Claude Juncker über Europa, Gott und die Welt. Zehn Jahre später, nach dem Wechsel des Langzeitpremiers zur EU-Kommission nach Brüssel, erschien Jean-Claude Juncker. Der Europäer in aktualisierter Neuausgabe mit anderem Buchdeckel. Erstaunlicherweise ist es die bis dato einzige Biografie über den berühmtesten Sohn des Landes.
Unter dem expliziten Titel Merde alors! porträtiert Margaretha Kopeinig jetzt Luxemburgs Nationalheld Nummer 2, den dienstältesten EU-Außenminister Jean Asselborn. Dessen politisches Etikett passt zur Paradedisziplin der promovierten Soziologin und Politikwissenschaftlerin, die sich auf prominente Sozialdemokraten spezialisiert hat. Dazu gehören die Ikone Bruno Kreisky, Martin Schulz und der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil – paradoxerweise ein Law-and-Order-Mann mit Faible für geschlossene Grenzen – sowie Ex-Bundeskanzler Werner Faymann, Sigmar Gabriel und Federica Mogherini. Juncker ist demnach der einzige Nicht-Sozi – wobei sich auch darüber trefflich streiten ließe – auf Kopeinigs Veröffentlichungsliste.
Doch zurück zur Beantwortung unserer Ausgangsfrage. Wer in die Juncker- und Asselborn-Porträts eintaucht, merkt schnell, welche Qualitäten die Autorin den beiden Luxemburgern zuschreibt. Dass das Publikum im deutschsprachigen Kulturkreis den Dreiklang „kleines Land, großes Herz, große Klappe“ goutiert, wird nicht zuletzt daran ersichtlich, dass beide es dort zum Medienliebling in Funk und Fernsehen gebracht haben.
Margaretha Kopeinig, die zu den profiliertesten Journalistinnen Österreichs zählt, ist mit ihren Sujets vertraut. Lange Jahre war die vormalige Redakteurin des SPÖ-Zentralorgans Arbeiter-Zeitung für die Tageszeitung Kurier als Ressortleiterin für Europapolitik bzw. EU-Korrespondentin in Brüssel tätig. Von Jean Asselborn, nicht weniger Naturtalent in Sachen PR als Juncker, weiß man, dass er einen völlig unbefangenen, geradezu filterlosen Umgang mit der Presse pflegt. Kopeinig malt ihn als charismatischen Vorzeige-Europäer und kompromisslosen Humanisten, der für die europäische Gemeinschaftsidee, Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpft.
Für luxemburgische Leser, die ihren Jang in- und auswendig kennen, bringt Merde alors! nicht unbedingt neue Erkenntnisgewinne. Wer die Europa-Berichterstattung in den Tageszeitungen verfolgt – wer von uns Karlspreisträgern tut das nicht? – und überdies zum großen Facebook-Freundeskreis des Außenministers gehört, dürfte über den Lokal- und den Weltpolitiker, den öffentlichen und den privaten Jean Asselborn hinlänglich gut im Bilde sein. Entsprechend wurde das im Wiener Czernin Verlag erschienene Werk nicht vorrangig für die Untertanen des Großherzogs geschrieben, sondern für Alpenrepublikler und Bundesdeutsche. Die Botschaft der Autorin an ihre Landsleute ließe sich in etwa so resümieren: Schaut’s her, Ihr lieben Leut’, die Ihr für das Virus des Rechtspopulismus empfänglich seid und darum den gefühlskalten Sebastian Kurz mit seiner unsäglichen Message Control oder die gruseligen Kretins von der FPÖ wählt. In den einst zu uns gehörenden Österreichischen Niederlanden gibt es ein kleines Volk, das sich uns so verbunden fühlt, dass in dessen Hauptstadt gar Prachtstraßen nach Erzherzogin Maria Theresia und Kaiser Joseph II. benannt sind und dessen populärster Politiker heuer ein radsportbegeisterter 71-jähriger sozialdemokratischer Außenminister ist, der Europa hochleben lässt, sich für Flüchtlinge und Migranten einsetzt, keine Angst vor einer dritten Osmanenbelagerung hat und den König von Ungarn einen Faschisten nennt, weshalb er ihn am liebsten per Fußtritt aus dem Reich katapultieren würde.
Das aus hiesiger Perspektive vielleicht interessanteste Kapitel im Buch schildert detailliert den Ablauf des EU-Afrika-Treffens am 14. September 2018 in Wien mit dem mittlerweile legendären asselborn’schen Merde-alors-Wutausbruch nach der suprematistischen Intervention des langobardischen Kraftmeiers Matteo Salvini. Der Eklat inspirierte die österreichischen Autoren Doron Rabinovici und Florian Klenk zum Theaterstück Alles kann passieren!, in dem vier Burgschauspielerinnen die Hassrhetorik bekannter europäischer Rechtspopulisten entlarven.
Wie gesagt erhebt Kopeinigs Buch nicht den Anspruch einer ultimativen Asselborn-Biografie mit spannenden, bislang unveröffentlichten Geschichten aus den Dunkelkammern der großen Politik. Eine solche dürfte frühestens 2045 in die Buchläden kommen, dann nämlich, wenn der frischgebackene Ruheständler Jean Asselborn den 40-Jahre-Rekord des saudischen Prinzen Saud ibn Faisal gebrochen haben wird: den des am längsten amtierenden Außenministers der Welt. lop
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