Sabotage
von Jeff Schinker, Bridel, Hydre Éditions, 2018, 272 S., € 22,-.
Ja, zugegeben, dieses Buch ruft sehr laut: Ich bin eine Ansage. In vielerlei Hinsicht. Wer Schinkers Welt aus seinen Tageblatt-Beiträgen kennt, trifft sie hier wieder, seine Heroen: Foster Wallace, Pynchon, Sartre, Foucault, Derrida, Deleuze, Rousseau, Wittgenstein, Camus, Bulgakow, Bukowski, Lynch, die Coen-Brothers, auch die Wild Beasts, Mogwai und Radiohead. Verteilt auf zahlreiche Figurenreden tauchen sie auf. Ungenannt schlummert hinter vielen Passagen Pierre Bourdieu. In einer Rezension zu Schinkers Buch hieß es, die erzählte Geschichte und die Zeichnung der Charaktere seien zu vernachlässigen. Es gehe um Sprache. Das stimmt nur bedingt, denn die Geschichten spielen durchaus eine Rolle. Sie entfalten sich allerdings nicht an klar konturierten Figuren, sondern eher als Textflächen, die bisweilen denen Elfriede Jelineks gleichen. Diese Textflächen bilden einen hochpolitischen Gesamttext, vier Erzählungen oder einfach einen Prosaerguss (in den besten Momenten denen Thomas Bernhards verwandt), der die Probleme unserer Zeit verdichtet, seziert und uns vorsetzt, dies, da hat o.g. Rezension Recht, durchaus auch sprachphilosophisch und –kritisch.
Worum geht es? Um den Neoliberalismus, panoptische Kontrolle, die verdorbene Welt der Bänker, Anwälte und Immobilienmakler, Arbeit und Arbeitslosigkeit, Sexualität als Kampffeld, das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion, „echtes“ Leben und „fake identities“ in all seinen postmodernen und post-postmodernen Spielarten (zwei der vielen Figuren heißen Jeff und Jen, so wie Jeff Schinkers Freundin), das Vergessen, das Erinnern, die Perversitäten bürgerlicher Hegemonie und Gewalt, die Kühle des homo economicus, Blicke und Blickregime und den bürgerlichen, saturierten Blick, der das Elend nicht sieht (oder durch es hindurchsieht) – und um das verlorene Lachen, die verlorene Zeit.
Die Figuren sind nicht im Entferntesten kohärent. Sollen sie auch nicht. Die Zerrissenheit des Textes, sprachlich und gedanklich, spiegelt sich in der Nicht-Identität seiner Figuren und rekurriert auf die Zerrissenheit der Welt. Überhaupt die Sprache: Jeder der vier Texte wechselt zwischen dem Englischen, Französischen, Luxemburgischen und Deutschen, mal mehr, mal weniger motiviert. Und zum Schluss so kunstvoll eingesetzt, dass der Sprachwechsel eine orgiastische Ekstase imitiert. Doch selbst den unmotivierten Sprachwechsel reflektiert der Text auf seiner Meta-Ebene. Überhaupt die Meta-Ebene („haut ass dach alles meta“, heißt es im Text): Der Text beobachtet sich selbst auf so vielen Ebenen, dass man bisweilen den Boden unter den Füßen verliert. Schinker sabotiert die Lektüre, aber er sabotiert auch den Autor und die Figuren, ja er sabotiert die Literatur. Und auch das ist Programm. “I wanted my stories to remain imperfect, unfinished, clumsy narratives.”
Den Text durchzieht ein tiefer Ekel. Ekel vor der Welt, den (tierischen und menschlichen) Parasiten, einer verlogenen Bourgeoisie, Krawatten, Kochbüchern und immer wieder den Kollegen. Wenn ein verwaistes, und dann von Künstlern besiedeltes Kirchberg imaginiert wird oder die Rede von eingepflanzten Erinnerungen ist, denkt man unweigerlich an Philip K. Dick (den einzigen Helden Schinkers, der nicht explizit im Text genannt wird) und an die Serie Black Mirror. Diese gleichermaßen dystopischen und uns so nah auf die Pelle rückenden Visionen verdeutlichen die Dringlichkeit des Aufschreis, den dieser Text darstellt, genau so wie die häufig gewählte Erzählperspektive in der zweiten Person. Hier geht es um etwas. Dem Autor geht es um etwas. Und all die ironisch abgesicherten Stellen im Buch täuschen nicht darüber hinweg, dass hier ein Autor den Zynismus weit hinter sich gelassen hat. Am Ende des Buches schauen sich auf einer im Text zuvor angesprochenen Fotografie (ein luxemburgischer?) Fuchs und (eine französische?) Katze am Berliner Wannsee an. Ist das vielleicht das leichte Durchscheinen einer neo-colpachschen Utopie? Die Antwort liefert der Text selbstverständlich nicht. Und ja, zugegeben, das Buch ruft sehr laut: Ich bin eine Ansage. Aber spätestens an diesem Punkt muss ich das böse Wort in den Mund nehmen: Es ist „wahr“, es ist eine Ansage, und zwar eine sehr gute. HM
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