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Wir sehen uns in Venedig (von Georges Hausemer & Susanne Jaspers)

Mein Tumor und ich. Ich und mein Tumor. 33 Tage Intensivstation. Ein paar davor. Und viel zu wenige danach. So lautet der Untertitel des noch zu Lebzeiten als Blog geschriebenen Textes von Georges Hausemer, dessen Frau, Susanne Jaspers, daraus nun, ergänzt um 75 von ihr verfasste Seiten, ein Buch gemacht hat. Hausemers Blog-Einträge bilden den ersten Teil des Buches, beginnend im April 2016, mit der ersten Spritze gegen den neuro­endokrinen Tumor, endend mit einem letzten Eintrag vom Juni 2018, zwei Monate vor seinem viel zu frühen Tod. Eine Batterie, deren Laufzeit von Seite zu Seite immer kürzer wird, zeigt uns in jeder Kopfzeile die verbleibenden Tage an. Ersetzt wird die am Ende abgelaufene Batterie durch ein Herz, wenn im zweiten Teil des Buches der Text von Jaspers beginnt.

Das Buch bezieht seine enorme Wirkung durch Gegensätze. Die Welt des Krankenhauses mit ihren PET-CTn, Szintigrafien und Blutanalysen wird konfrontiert mit der erinnerten und erlebten Natur, sei es auf dem frisch gemähten Rasen oder im Wattenmeer, in Marokko oder im Baskenland. Der trockenen Sprache der medizinischen Diagnosen setzt Hausemer seine Lektüren von Lucia Berlin, Nico Helminger oder Tomas Espedal entgegen. Das Essen mit Freunden steht im Widerspruch zu den schrecklichen Krankenhausmahlzeiten, die der Autor detailliert notiert: lauwarme Kartoffelknödel, matschiger Krautsalat.

Und aus diesen Widersprüchen schlägt Hausemers Text existenzielle Funken: Der Tumor bestimmt sein Leben, Denken, Fühlen, doch er übernimmt nicht die Führung. Wir lesen von der permanenten Revolte des Menschen gegen den zum Patienten degradierten Körper. Nicht nur der Krebs, sondern auch die Blicke der anderen und das ganze kranke Krankenhaus­system entmenschlichen das schreibende Subjekt, und so besteht der Kampf des Schreibenden v.a. auch darin, Mensch zu bleiben, bis zum Schluss.

Was das Buch von anderen Krankheits- und Sterbe-Büchern wie etwa Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf unterscheidet, ist die Weitererzählung durch die Zurückbleibende im zweiten Teil des Buches. Denn ein Leben endet nicht mit dem Tod, es setzt sich fort im Leiden und Weiter-Müssen der Dagebliebenen. Und so kommt auch die Trauer zu Wort, die bleibt, wenn das Sterben an sein Ende gekommen ist. Jaspers spricht direkt zu ihrem Mann, in der zweiten Person. Sie redet mit ihm in den letzten Tagen, bevor er auf die Intensivstation kommt, berichtet dem Geliebten von seinem Koma, erzählt von ihrer Hoffnung und Verzweiflung, sie setzt das literarische Gespräch fort während der letzten Tage seines Lebens, an denen es ihm etwas besser geht. Und dann erzählt sie ihm von seinem Tod, seinem Nachleben als Asche in einer Urne, die sie im Auto auf dem Rücksitz anschnallt, auf der Couch in den Arm nimmt und im gemeinsamen Haus auf den neu gekauften Stuhl setzt.

Fassungslosigkeit und Wut stellen sich ein bei der Lektüre von Susanne Jaspers’ Text über das Sterben des geliebten Lebensmenschen und die Welt des Hospitals. Ärzte, die trotz mehrfachen Drückens des Notknopfes nicht kommen, Pfleger, die den Patienten nicht waschen, todkranke Menschen, die auf Krankenhausfluren vergessen werden. Wo das System versagt, muss das Individuum helfen. Gegen den ZDF-Fernsehgarten, der auf einem TV-Gerät auf der Intensivstation läuft, setzt Jaspers Góreckis 3. Symphonie. Gegen den Krankenhausfraß setzt sie Mandarinen. So gerät das Buch, aufgrund der Sehnsucht des Autors nach dem Schönen auf dieser Welt und wegen der Hoffnung der Autorin auf Genesung des geliebten Mannes, nicht nur zu einer Hommage auf das Leben, sondern auch zu einem Aufschrei gegen ein System, das die Schwächsten und ihre Angehörigen sogar noch in der Stunde des Todes demütigt. „Er hat es geschafft“, sagt die Ärztin zum Schluss. Und meint damit, der Patient sei gestorben. Gegen die Hölle des Spitals hat Susanne Jaspers ein liebevoll gestaltetes und fesselndes Buch gesetzt, das Georges Hausemer für uns blühen lässt. Über den Tod hinaus. HM

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