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Marie Adelheid von Luxemburg-Nassau von Pierre Even

Im Kleinstaat gilt weithin die ungeschriebene Regel, dass historische Biografien über Monarchen und andere Autoritäten von einem sanften hagiografischen Hauch umweht sind. Auch Pierre Evens Buch über Großherzogin Marie-Adélaïde, das zum 100. Jahrestag ihrer Abdankung am 9./10. Januar 1919 erschienen ist, macht da keine Ausnahme. Der Autor, ein ausgewiesener Spezialist des ehemaligen Herzogtums Nassau und der Dynastie Nassau-Weilburg, steht seit 2010 als Hausarchivar in Diensten des Hofes; 2017 wurde er zum Direktor des Großherzoglichen Hausarchivs ernannt. Das verschaffte ihm Zugang zu einer Fülle an wertvollem Quellenmaterial, anhand dessen er spürbar bestrebt ist, dass Marie Adelheid (wohlweislich ohne Bindestrich, denn: „Marie Adelheid schrieb ihren Namen, auch in der französischen Version, stets ohne Bindestrich. Sie entsprach damit schon zu Lebzeiten nicht der Konvention.“) den Luxemburgern von heute und morgen als aufrichtige, engagierte und mitfühlende Patriotin im Bewusstsein bleibt, die trotz mehrfacher Fehleinschätzungen und -entscheidungen das Beste für ihr Land wollte und am Ende, mit nur 29 Jahren, aller Lebenskraft und Lebensfreude beraubt, einen weit höheren Preis zahlen musste als den des erzwungenen Rückzugs vom Thron.

Schuld an der Tragödie der jungen Herrscherin waren, nach Lesart des Autors, vor allem die publizistischen Heckenschützen aus dem Escher Tageblatt und den antiklerikalen Gazetten, die sich, im Verbund mit den hitzköpfigsten Exponenten des Linksblocks in der Chamber, mit böswilligen Attacken während all der Jahre gnadenlos auf die tiefgläubige Katholikin Marie Adelheid eingeschossen hatten.

Das Problematische an dieser Biografie ist nicht die Empathie für den Menschen Marie Adelheid, die, bei allem Bemühen um Faktentreue und nüchterne Distanzwahrung, an vielen Stellen des Buches durchschimmert. All das ist ehrenhaft, legitim und für den Leser durchaus ansprechend, sofern es nicht die Prätention strikter Wissenschaftlichkeit erhebt. Nein, das Störende ist die Reduzierung eines in der nationalen Geschichtsschreibung bis dato fast brachliegenden Sujets auf knauserige 192 Seiten im Taschenbuchformat. Ein Vorwurf, der sich weniger an den Autor selbst als vielmehr dessen Verleger richtet. In seinem Vorwort schreibt Pierre Even folgendes: „Während eineinhalb Jahren der Forschung wuchs das Manuskript auf mehr als das Vierfache der jetzigen Endfassung an und musste wegen des vom Verlag vorgegebenen Umfangs kräftig reduziert werden. Das verbliebene Konzentrat bietet den Vorteil, dass sich die Biographie detailreich auf das Wesentliche beschränkt.“

Da soll aus der Not eine Tugend werden, doch gereicht es dem Buch wirklich zum Vorteil? Über weite Strecken werden in linearer Reihenfolge alle möglichen Lebensstationen Marie Adelheids (Termine, Empfänge, Besuche, Reisen, Prozessionen, usw.) aufgelistet, was in dieser, quasi standardisierten Form etwa so viel Lesevergnügen bereitet wie eine Anthologie amtlicher Pressecommuniqués. Vor allem aber bleibt nur ganz wenig Raum für weitergehende Erklärungen und fundierte Interpretationen, geschweige denn für die gerade hier so notwendige Kontextualisierung. Wer z.B. als junger Leser nichts mit den Begriffen „Linksblock“ und „Rechtspartei“ anzufangen weiß, ist auch nach Lektüre des Buches nicht schlauer geworden. Andererseits werden Fortgeschrittene, denen beide Vokabeln geläufig sind, kaum Erkenntnismehrwert darüber gewonnen haben, wie und warum Marie Adelheid zwischen die unversöhnlichen politischen Fronten jener Tage geriet und dort zerrieben wurde. Sowohl zu einer gewinnbringenden Einführung in die komplexe Materie – insbesondere mit Blick auf die kaum bekannte Geschichte Luxemburgs im Ersten Weltkrieg und die nebulös-zwiespältige Haltung von Regierenden und Regierten – als auch zur Vertiefung des hochspannenden Stoffes fehlt also ganz einfach der Platz. Dass ein krasses Missverhältnis zwischen Pierre Evens minutiöser Recherchearbeit einerseits und dem lektorierten/gedruckten Resultat andererseits besteht, wird zu guter Letzt auch an der immensen Zahl von 399 Text- und Quellenanmerkungen für nur 166 kleinformatige Textseiten deutlich. Positiv ins Gewicht fallen indes die sorgfältige Auswahl des Fotomaterials und das umfangreiche Literaturverzeichnis. Die Summa über Marie Adelheid – wie übrigens auch das Drehbuch zur wünschenswerten Verfilmung ihres Lebens – bleibt aber noch zu schreiben. lop

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