Geld ist ein integraler Bestandteil unseres Lebens, dessen Existenz genauso hingenommen wird, wie die Notwendigkeit des Atmens. Dass Geld jedoch eine Geschichte hat und sich im Laufe der Epochen wandelte, wird deutlich, wenn man den modernen Entwicklungen, etwa vom Bargeld weg hin zum digitalen Zahlungsmittel, im Alltag begegnet. Dass Geld einen Ursprung hat, darüber wird noch seltener nachgedacht. Eine einfache Definition des Geldes ist, dass damit jedes allgemein und z.T. gesetzlich anerkannte Tausch- und Zahlungsmittel gemeint ist. Geld ist somit das Bindeglied, um Waren und Dienstleistungen zu erlangen. Ist diese Definition hinreichend?
Wenn man sich Geld bildlich vergegenwärtigt, denkt man vielleicht immer noch an Münzen und Scheine. Insbesondere Münzen begleiten uns schon länger – die ersten wurden im alten Lydien (heute Westtürkei) und im alten Südasien im 6-5 Jhr. v. Chr. verwendet. Jedoch war Geld nicht das erste physische Zahlungsmittel. Kerbhölzer (zu English ‚tally stick‘, Zählstab), sind schon um 30.000 v. Chr. attestiert und dienten dazu, Schuldverhältnisse oder zumindest Quantitäten sicher zu dokumentieren. Auch gab es vor den Münzen schon im alten Ägypten, Indien und China Symbole, die einen gewissen Wert oder eine Quantität von Gegenständen, etwa in einem Lager, ausdrückten. Als solche konnten diese Zertifikate gegen Gegenstände eingetauscht oder auch auf einem Markt verkauft werden. Geld ist also nicht nur Tauschmittel, sondern auch Wertaufbewahrungsmittel und Rechenmittel.
Auch das Papiergeld hat eine Geschichte. Das erste Papiergeld wurde in China in der Song-Dynastie im 11. Jahrhundert nach Christus verwendet. Durch die Reisen von Marco Polo u.a. gelangte es im 13. Jahrhundert nach Europa, wo es erst später, im 15. Jahrhundert, richtig in Umlauf kam. Durch den Scheckhandel im Mittelalter kam immaterielles Geld, auch ‚Giralgeld‘ genannt, in Gebrauch, das durch in den Banken deponierte Münzen oder Gold seinen Wert erhielt. Die Entwicklung der Lombard-Kredite stellt den Beginn der modernen Geldwirtschaft dar.
Man könnte also eine Entwicklung vom Materiellen zum Immateriellen behaupten – eine vielfach angeführte Theorie besagt, dass Geld in Form von Münzen den Tauschhandel historisch und logisch ersetzte. Der amerikanische Anthropologe David Graeber meint jedoch in seinem Werk Debt: The First 5000 Years, dass es für einen konkreten Übergang von Tausch- zu Geldhandel überhaupt keine Quellen, weder archäologischer noch textlicher Art, gibt. Er theorisiert im Gegenteil, dass frühe Agrargesellschaften auf Geschenkbasis funktionierten. Durch gegenseitige Geschenke schuldete man sich Waren und Dienstleistungen. Als diese Gesellschaften komplexer wurden und damit auch die gegenseitigen Schulden, wurde Geld als abstrakte Einheit eingeführt, um diesen Schuldverhältnissen gerecht zu werden. Graeber postuliert somit den Ursprung des Geldes im Ideellen und nicht im Materiellen, wie es die übliche Geschichtsschreibung tut. Ob Geld also seinen Ursprung in der Tausch- oder in der Schuldwirtschaft hat (und somit ein Tausch- oder ein Schuldmittel ist), ist nicht klar, und wegen der Quellenlage, schwer zu ermitteln. Wenn man mit Graeber übereinstimmt, dann war das Geld immer schon eine abstrakte Sache – und die moderne Entwicklung vom frühmodernen Giralgeld bis zum modernen Geld, dass nur noch wirklich als Zahl auf Servern anzufinden ist, scheint nur die wahre Natur des Geldes zum Ausdruck zu bringen. Der deutsche Soziologe Georg Simmel führte in seiner Philosophie des Geldes aus, dass die Moderne durch die Herrschaft des Geldes von einer kalkulierenden und abstrakten Rationalität bestimmt wird. Eine andere, ältere Theorie besagt, dass der Ursprung des Geldes im Sakralen, genauer im Opferkult, zu suchen ist. Laut den Theorien des Altertumsforschers Bernhard Laum ersetzte das Geld in der Iliade, der Odyssee und im gesamtem antiken Mittelmeerraum nicht den Tauschhandel, sondern die im Ritual verwendeten Opfergaben. Rinder galten im alten Griechenland nicht als Tauschobjekte, sondern als Opfergaben und wurden vom Geld ersetzt.
Der Begriff obelos für eine Art Silbermünze bezeichnet ebenso einen Spieß, mit dem das zu opfernde Fleisch gebraten wurde. Etymologisch kann ‚gelt‘ auch Vergeltung, Entgelt und Opfer bedeuten. Ebenso ist Moneta ein Beiname der römischen Göttin Juno, in deren Tempeln die Münzen des alten Roms geprägt wurden – daher auch Worte wie Münze, Moneten und monnaie. Zweifelsohne umgibt das Geld eine numinose oder sakrale Aura. Es ist omnipräsent, aber doch schwer zu fassen. Nur wenige reden gerne von ihrem Kontostand und es gehört nicht zu den guten Manieren, jemanden danach zu fragen. Auch auf staatlicher Ebene werden das Geld und seine Ursprünge gerne versteckt – der französische Ökonom Gabriel Zucman spricht daher auch von einer richesse cachée des nations. Nicht zuletzt drückt es auch einen Wahrheitsgehalt aus. Wenn etwas ‚gilt‘, dann stimmt es mit einem wahren Sachverhalt überein. Geld kann nur als interpersonales, sozial konstruiertes und verbindendes Mittel wirksam sein – nicht anders als unsere Konsensrealität insgesamt – was es aber genau damit auf sich hat, bleibt schleierhaft. In seiner digitalisierten Form und auch in seiner Manifestation als Kryptowährung scheint sich das Geld wie die Göttin Isis mit immer mehr Schleiern zu verbergen.
Zum Einlesen
David Graeber, Debt, The First 5000 Years, New York, Melville House, 2011.
T. W. Baxter. „Early Accounting, The Tally and the Checkerboard“ in The Accounting Historians Journal. 1989, 16: 43–83.
Bernhard Laum, Heiliges Geld: Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes, Stuttgart, Semele Verlag, 2006.
Sigrid Weigel/ Mammon, Obolus, „Ablass. Von der Geburt des Geldes aus dem religiösen Kult.“ In: Liselotte Kugler/ Georg Isenbort/ Marion Grether (Hg.): Die Sprache des Geldes., Bd. 30. Leipzig: Pro Leipzig 2009, S.240-249.
Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Frankfurt, Suhrkamp Verlag, 2011.
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